ENCYCLOPÄDISCHE JAHRBÜCHER
OBR
GESAMMTEN HEILKUNDE;
SIEBENTER JAHRGANG.
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ENCYCLOPÄBISCHE JAHRBÜCHER
GESAMMTEiX HEILKUNDE
ITNTF.R MITWIRKUXG DKR HKRRKN
Hofrath Prof. ALRKRT. Wien l'rof. H. ALHliKrUT. Gi Lirliterl^M.- > H^rlin» - KreUwundarat
Dr. A.SCHEK. HoniHt tPoopn) -- S«n.-R. Kni. AüKRECHT. Macdfl.nri: - l'rof. A. BAUIN'SKY,
Berlin — Prof. B. BA(JLNMK V. «orlin — Prof. Kuiil BALLOWITZ, Gr. it!.\valil — Prof. K. von BARDE-
LKBKX. Jena — l'rof. ü. BKHRKNÜ. Ikrlin - (ieh. Med. Rath l'r<.f. BKHRIXG. Marlmri« — Dr.
B. UENDIX. Berlin - Prof. BENKDIKT. Wien - Huinith Prof. BINSWANQER, Jena - Geh.
M«d.-B Pnf. BUtCH-BISSCIiFUjD, I.alj>i« " Dr. Muu B£BSG£N, Fnutktan ft. M. — Ur. LaAwfg
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Wtoatedn — Doe. M. ZBIS8L, Wien -> Prof. ZI BBBHT, J«m
HERAUSGEGEBEN
Geh. Med.-Raai Prof. Dr. ALBERT EULENBURG
Siebenter Jahrgang
Mit zabIrelcbBfl lllustratiORen In Holzsebnltt
WIEN UND LEIPZIG
Urban & Schwarzenberg
1897.
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Nachdruck der in diesem Werke enthaltenen Artikel, sowie Uebersetsung
derse^en m fremde Sprachen ist nur mit Bewiiiigutig der Verleger
gestattet»
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A.
Afedamtnaltyplins. Die seit der Abfaasniiff unseres fOnften Nach-
trapres (Encyclopäd. Jahrböclior. VI. Jahr^r . papr. 1 — 4) vcrflossone kurzo Spanne
Zeit hnt fronügrt • uni unffi'zäliltp Fodorn für cinp Enldcckung in Bowcffunff
zu Hetzen, welche rücksichtiich der Diagnose unserer Krankheit alles Andere
einifpermassen in den Scliatten gestellt hat, vor der Hand wenigstens. Wir
meinen die im letzten Sommer von Widal zwar nidit entdeckte, aber in
der Motrnpolo seines Vaterlandes einfffföhrte S eroding-n est ik. Mit ihrer
EriHterun^. so weit sie das Interesse des denkenden Praktikers zu wecken
geeignet, glauben wir be^rinnen SU sollen.
Sclion vor Widal haben deutsche Autoren, und zwar Grubbr und un-
abhängig von diesem R. Pfeiffer und Kolli: (larjrethan, dnss das Blutserum
gegen Typhus immunisirter Thiere und menschlicher Typhuskranker auf das
Wachsthum der TyphusbacUlen hemmend, verlangsamend einwirkt. Letztere
werden unbewegriieh und ballen su Floeken susanunen, weleiie sedimentlren,
80 dass die vordem durch sie fretrObte NahrflQssigkeit sich aufhellt. Dieser
auf dem durch die baktciKidcn Antikörper vermittelten Schutz gegen die
Typhusbacillen beruhende V'organg der »Agglutinirung« iQkubbk), bezi<>hungs-
weise »Paralysinwirkung« (PPBirPBR-KoLi.s) mnss als eine specifische Reak-
tion gelten, insofern die Erreger unserer Krankheit im Serum der Trager
andersartiger Krankheiten, beziehungsweise der gegen dio Ictztoren immuni-
sirten Thiere lebhaft gedeihen. Es lag somit nahe, das Kriterium zur bak-
teriologischen Differentialdiagnose in Anwendung zu bringen.
Widal gebührt, obzwar er neue Thatsachen nicht gefunden, das Ver-
dienst . die agglutinirende Wirkung dos Serums Typhöser auf dio Typhus-
bacillen zur diagnostischen Methode ausgebildet zu haben. Er beobachtete
zunächst, dass ein Geniisch von Typhusbouilloncultur mit dem aus sub-
cutanen Venen oder der Fingerspitze gewonnene Blute von Typhuskranken
sich absetzenden Serum im BrOtofen am nächsten Tage eine deutliche Auf-
hellung darbot. Andt^rerseits war der agglutinirende Einfluss. un<l zwar
schon nach einigen Minuten, unter dem Mikroskope wahrzunehmen. Ders(>lbe
insserte sieh selbst bei starker VerdOnnung noch als in die Augen springende
lähmende Wirkung fGBC.NBAU.M u. A.).
Selbstverständlich haben NaciiprQfungen dieser serodiagnost ischen Me-
thode nicht lange auf sich warten lassen. Ihr Inhalt lautete zunächst fast
i)edingungslo8 zustimmend, insofern die Reaction in Fällen, welche nur einen
Typhus votgetäusidit, versagte. Dies gilt von der Inangriffnahme des Verfahrens
durch die Landsleute des Ctofeierten (Dieulapoy, Codruont, Thiroloix, Vbdsl,
■nojelop. iahiMehiir. VII. \
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Abdominaltyphiis.
Achard. Haüshaltbr, Catrix) und nicht minder den nSrdliehen Nachbarn
Frankreic hs (Delepine und Sidebotham, Wyatt Johxstox und Mc. Tai.». \ut).
Letztere haben bei einer statt liclu-n Zahl von Typhi'u den positiven Ausfall
der Reaction nie, bei underen Krankheiten ^Pneumonie, Malaria, Meningitis;
und Gesmiden stets vermisst.
Erst später folgten andere Länder. In Italien haben sich um die Er-
grDndung: der praktischen niul t lieoret isclim ßedeulunfr der FVa^^e unter
Anderen Bobi. Puulieri, Jkmma. Maraolianu bemüht. Auch in Deutsehland
hat sich ein überaus regrer Eifer in der Handhabung der Methode, zumal in
Anstalten entwickelt. Wir nennen Lichtheim, dessen erste Ifittheilungen in
den October I89fi zurQckreiehen . Bkeleu und R. Stern, ferner aus der
Reihe der Autoren von diesem Jahre unter Anderem A. C. und B. Fraexkel,
Ppdhl, f. Pick, Haedke, du Mesml, Jez, Kkluer. Stadelmanx. Schkkfek.
Aas der Summe der einschlägigen VerSHentlichungen hebt sich zunächst der
Orundgedanke heraus, dass die neue diagnostische Metbode {rej^renüber dem
Irftheren »praktischen^^ bakterioloirischen Differen7.irun}r?<verfahren einen be-
«onderen Werth beanspruchen üürtu. Verlässlichkeit und relativ leichte Hand-
habung wurde, ganz abgesehen von dem theinretischen Interesse, als neue
"wichtige Errungenschaften für den Arzt fast fibereinstimmend empfunden.
• Alles das begreift sich ohneweiters hiiiui-sehen auf die trotz scharfsinniirst er
Verwertbuntr der bislanir uns an die Hand i-effebenen (lia<inost ischen Behelfe
Inoch immer relativ hohe Zahl von Fehldiagnosen. Wir urinnern nur an da:»
berfichtigte »gastrische Fiebere, andererseits an die »typhöse Pneumoniec,
Sepsis und Pyamie inclusive maligner Endokarditis. Miliartuberkulose. Bs
bedarf für den Erfahrenen keines bciiiündenden Wortes, warum gerade inner-
halb des Bereiches dieser Krankheiten unter Ltustünden nur die bakterio-
logische Diagnose eine sichere Entscheidimg gestattet.
Nichtsdestoweniger hat es dem aufmerksamen Späher nicht gut ent-
'gehen können, dass da. wo die namentlich von Koli k als uii erlässlich ange-
sprocbenen Cautelen bezüglich der Culturenvirulenz. der Nührbodenbeschaffen-
heit und der Controlversuche mit normalem Serum in genügender Weise
berfleksichtigt worden « die Resultate im Allgemeinen weniger gflnstig als
bei Befolgung der ursprünglichen WiDALschen Vorschriften ausgefallen sind.
Wir dürfen auch, von einer Reihe verschiedenerorts (ÜUME.SXII-. Jez. .Achard
und Bensaude, Fkhrand u. A.) aus Anlass des positiven Ausfalles bei Nicbt-
typbSsen ausgesprochener Bedenken besfiglich der absoluten Sicherheit und
Eindeutigkeit der Methode gerade bei der von Wioal angegebenen Hand-
habung ganz abgesehen, nicht verschweigen, dass neuerdings Kolle selbst
an einigen genau beobachteten Typbusfällen beherzigenswerthe Beobachtungen
machte. Während er im Laufe der zweiten Krankheitswoche in den Roseolm
und Deiecten die Typhusbadlleii auffand, blieb die serodiagnostische PrOfung
des Blutes bis zum Bi>'j-iiin der drilt<'r\ Woche er'jcluiisslos; erst in der Con-
vale^cenz gelang die Reaction. Aelinlirlit's haben übrigens früher schon Widai,
und S TERX beobachtet ; ja Breuer und Thoixot sahen die Reaction erst beim
Recidiv eintreten. Also kann auch der negative Ausfall zu folgenschweren
IrrthQmern fuhren. Gegenüber der ursprünglichen Widai h< In n Mnhode ver-
langt Koi.i.R als Kriterium des sicheren positiven Ausfalles der Reaction. liass
die genau festzustellende Grenze der agglutiuirenden Wirkung bei Dosen des
Serums liegt, wo sie normales Serum nie zeigt, z. B. bei VerdQnnungren von
mindestens 1 : 30. Zu gleichsinnigen Forderinigen gelangt in einer soeben
über »Fflil'>ii|uellen der Serodiagnost ik - v crnfrcnt lichten Aldiaiidliing R. Stkrx.
der schon früher auf die deutlich agglutinirende Wirkung der Blutsera von
Nichttyphüsen auf Typhusbacilleu bei relativ starker Verdünnung hingewiesen.
Der Autor selbst wendet letzt auf die Gefahr einer Einbusse der Methode
an Empfindlichkeit im Interesse der unbedingten Zuverlässigkeit eine 40- bis
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Abüominaltyphus.
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öOfache Verdünnung: an. Ob dio auf dem positiven Avisfall der Reaction
noch Monate und vieiieiclil Juhre nach Ablauf des Typhus beruhende Fehler-
quelle wirklich aU nur für einen kleinen Theil der Fälle in Betracht kom-
mende, den Werth der Methode nicht wesentUeh schmälern kann, mius die
Zukunft lehren.
Wir selbst verfügen — ein unwillkommenes Resultat der erfreulichen
Seltenheit des Typhus in den Berliner Krankenanstalten seit mehreren Jahren —
nur fiber 9 Fälle, wdche uns aufgrefordert, die 8erodia?nostik in — zum Theil
beim Einzelfall nK'hrf.iclic — Anwendung zu ziehen. Grobe Widersi)rii< h(> haben
sich bislang nur einmal* or;r<'l»en. andererseits werthvoUo Corrccturen zwfifol-
häfler Üiagno:>en erniügiichen lassen. Unbequem er.schieu uuh die bisweilen
nicht g:«iflgend in die Auf^mi fallende Differenz der Trflbangen bei der makro-
skopischen Handhabung der Methode, so dass wir bei aller Hochhaltung des
Werthes des conibinirten Verfahrens nach und nach gelernt haben, der mikro-
skopischen Coutrole den Vorzug /m geben. Aber auch hier gestaltete sich
das Resultat, so schlagend es auch in den positiven Fällen sich dargeboten,
nicht immer so sdiarf und (>indeutig. wie man es nach dem Inhalte der
Literatur v(>rmr>in(>n nuM-liie. Waclisende Uebung vermag offenbar viel aus-
zugleichen, aber nicht Alles.
Die Technik de» Verfahrens anlangend, haben sich wohl die Meisten
bereits ihre besonderen Modificationen zurechtgelegt, auf welche die eigene
Erfahrung sie verwiesen hat. Da die Gegenwart der rothen Blutkörperchen
bei den üblichen \'i>rdijnnungen kaum stört, fügen wir das dem Schropfkopf
oder der Fingerwunde entnommene Blut, das man mit gutem Gewissen aU
dem Serum annUiemd äquivalent ansehen kann, zu einigen wenigen TVopfen
mit der Platindse oder Pipette der Typhusbacillenknollencultur im Roagens-
gläschen zu. etwa B — 5 Trojjfen (10 — 15 Oesen) auf K» Ccm. Genauere
Dosirungen mit besonderen Apparaten sind wohl stets entbehrlich. Für die
mikroskopische Untersuchung ist der hängende Tropfen unerlässiich. Hier
wird von emer Mischung einer Oese Serums und — 40 Oesen Wassers
eine Oese dem Bouillontröpfchen ziiir' Tn'jrt. Am bequemsten beobachtet man
das Starrwerden der Bacillen und «iic liaulenweise Lagerung der Leichen am
Rande des Tropfens. Stets cunlrolire man durch Vergleich mit »normalen«
Präparaten, die unter Verwendung des Blutes Gesunder gewonnen.
Man wird sol<diem Verfahren die Attribute »einfach und schnell« füglich
nicht absprechen dürfen, und doch argwöhnen wir. dass die diagnostische
Methode nicht zum Gemeingut der Aerxle werden wird. Muss doch immerhin,
vom BrQtofen ganz abgesehen , ein gewisser Apparat am Krankenbette ent-
faltet werden, den nicht jeder Praktiker mitzuführen den Geschmack entwidceln
dQrfte. So einfach wie bei der Fahndung auf All)iiminuric oder hei dt»r Laryngo-
skopie liegen die Verhältnisse nicht. Auch die Be.schatfung und Erhaltung
der virulenten Typhusculluren kann seine Schwierigkeiten haben. Je subtiler
und bedingungsreicher die äusseren Verhältnisse der Technik, um so eher
wird die Methode dem Arbeitsfelde des Arztes entrückt.
Im U<'i)ngen kann man schon jetzt sagen, dass der neuen serodiagno-
stischen Methode weder die wissenschaftliche Grundlage, noch die klioische
Bedeutung abgesprochen werden darf, lieber das wahre Quäle und Quantum
freilich der Einschränkungen der letzt»'ren werden nur grosse Reihen neuer
Versuche Aufschlu«s ueljcn können. Sie allein können uns i'iber den defini-
tiven Grad der Bereicherung unserer diagnostischen Methoden belehren. Eine
prognostische Bedeutung scheint der WiDAL'schen Reaction nicht zuzukommen.
« In doem Weheren Typhnafalle Teraagte dto BoaetiM bU aar Tierteo Woohe; tm Ende
derselben wurde b'm- rit iitlich. Noch splter ergab eine Verdiinnaag von l,tO tin pMitives,
Ton 1,30 eiu negatives Heaultat.
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Abdomtnaltypbiu.
Was die »onstigen Forlschritto auf dem Gebiete der Aetiologie und
Pathologie unserer Krankheit anlangrt, so ist, hingesehen auf die Interessen
des Arztes als solchen, viel Neues und Beachtenswert hes eben nicht zu
verzeirlnu'ii ; das GifM'clic fjilt von der Thernpif» des Typhus.
Aetiologie. Die Beobachtung einer kleinen, offenbar durch den Ge-
nuss von Austern vmnittelten Typhusepidemie gab Chahtbmbssb Anlass,
frische Austern in inficirtes Wassor aussnsetsen und ihr Inneres dann auf
lebende Typhusbacillen zu untersuch on : trotz panz nnv('r(lächti<r<*n Aussehens
der Thiere ofelang dieser Befund. In ähnlicher Wfi.se ;rlü< kto es Piokkowski.
das Innere von Eiern durch Einlegen derselben in typhusbacillenhaltige Nähr-
flllssigfcelten zu inficiren.
Bemerkenswerthe fttlolofrische Beiträge liefen femer von Wolff und
DüPüY vor. Krsterer beoh.u htcte. dans auf einer isolirton Elbinsel hei Ham-
burg sämmtliche Erkrankungsfälle während einer Typhusepidemie auf die zu
einem Graben ressortirenden Häuser entfielen, welohw zur Aufnahme der
AbtaUstoffe und des Unraths diente. Die andere Seite, auf welcher das
Wasser durch Zuflü.sse aus der Elbe und Teichen von Stajrnation bewahrt
wurde, beziehungsweise sich rein erhielt, blieb frei. Dupüy hat e.s einiger-
massen wahrscheinlich gemacht, dass eine heftige Epidemie in St. Denis durch
Verdiinnung des Aepfelweines mit infioirtem Seinewasser und den Oenuss
des den Wasserwerken entnommenen Wassers veranlasst worden
Auch die Frage nach der Unterscheidung des T\ phiisbat illus von dem
Bacillus coli hat wieder einige Forscher beschäftigt. Wir glauben von einer
Wiedergabe der an sich gewiss vwdienstvollen Resultate absehen zu sollen,
da sie einer Methode für den Praktiker noch nicht V^)rscbttb geleistet. Das
trilt auch von der Verwerthung: der Diazoreaction als (lifferen/lrenden Merk-
mals durch SoEULA, der Bouillonculturen von Typhusbacillen eine intensive,
solche von CoUbadOen keine Reaction ergeben sah. Selbst das BLsmtR'sche
Plattenverfahren (vergl. den letzten Nachtrag pag. 1), welches unter Anderen
Breuer verwerthbare Resultate nicht peg-eben. während sich M. Wolff.
Senator. Ewald, Ritter, Pollak und Hädkk mehr weniger günstit? darüber
ausgesprochen, hat entschieden unter dem Siegeszug der Serodiagnostik gelitten.
Dass der Orad des Fiebers von wesentlichem Binfluss auf die Ur-
sache unserer Krankheit sei, Ist wieder zweifelhaft geworden, nachdem die
Untersuchunfren Müllers orsreben. dass erst Temperaturen von 14.5" eine
Beeinträchtigung der Wacbsthumsgeschwindigkeit und Virulenz der Typhus-
bacillen im Gefolge haben.
Zfichtungen des Typhusbaoillus aus Eiterherden im Gefolge der Krank-
heit sind auch diesmal wieder zu verzeichnen, so aus einem siibphrenischen
Abscess von Ad. Schmidt, aus Hodenabscessen von Sall&s und Barjon, aus
reactionslos verlaufenden osteomyelitischen Herden im Knochenmark der
Tibia von Bröks noch Im sechsten Jalure nadi dem Ablauf des Typhus.
Hingegen vermissten Ti'ffiku und Widal den Mikroorganismus in einem perl-
ostltiscben Eiterherde schon nach .\blauf eines Jahres nach der Qrundkrank-
beit. (Sonstiges über Knochenprocesse bei Typhus s. unten.)
Die eigenüiche Klinik unserer Krankheit ist etwas stielmfitterlich weg-
gekommen ; ihr Charakter Shndt auffallend denjenigen dm letzten Jahre.
Die Nervensymptome überwiegen.
Haut. Ueber Typhusbacillen führende, also specilische papulöse und
pustultoe Efflorescenzen (PoUiculitiden) berichtet Sinobr, über ein prodro-
males scarlatiniformes Exanthem Rüssel. Sudaminneruptionen mit nachfolgen-
der kleienförraitrer wie laraelir>ser Desquamation hält Comby für einen retrH-
massiircn Befund beim Kindertyphiis. Hämorrhagien meist beschränkter
Ausdehnung am Oberrumpf und an den Streckseiten der Oberschenkel be-
NiCBOLis mit gflnstiger Prognose gegenüber den nicht mehr harmlosen,
Abdomlnaltyphus.
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auf eine hämorrhagische Diathose liuut enden generellen . mit Blutbrccheo,
blutigen StQhlen und Blutharoen eiohergehenden Eruptionen.
Ueber typhöse Ulcerationen der Mundhöhle berichtet Dbvic. Scharf-
ntndige. rundh'che. indolente Substnn/.verluHte mit granulirtem Grnnde im
Bereiche der üaunienbögen bilden den Typus. Nicht so hiiiifi!,'' ist die Zuncfe
der Sitz dieser Erosionen, welche vielleicht echte Typhusmelastasen darstellen.
Knochensy Stenn. Nach Bomour's eingehender Darstellnng liegt den
typhösen Knochenerkrankungren meist eine scrophulöse Anlage su Ghrunde;
auch sollen mit den Typhiisl)a< illen noch andere Bakterien durch die typhösen
Gcsclnvure in die Lymphbahnen und Gefässe •r<'laii<ren. imi mit den ersteren
im Kno( hengcwebe gemeinsame Arbeit zu machen. Rücksichtlich der spe-
eiellen Symptomatologie wird im Wesentlichen das von uns bereits mehrfach
Berichtete wiederholt (wechselnder Beginn, nächtlich exacerbirende Schmerzen,
schleppender Verlauf. Fieber. Tumorbilduntr. Resolution. Exostosen- oder aber
Absressbildung etc.). Eine eigronse periostitische Geschwulst an einer unteren
Kippe mit ToUstlndiga- Rflckbildung iMsdurelbt Widal.
Nervensystem. Den postdiphtherischen fthnliche Kehlkopflfthmungen
mit vorwiegend günstiger Prognose schildert Li hlinski. ein«' hystericfibnliche
Naclikrankheit mit motorisclHT Spiaclistnrung. Katalepsie und ^^cisti-jer
Schwäche SiiiPSON. Auch Bernheim berichtet über eigenthümliche katalep-
tisehe Zustände, die im Qefolge des Typhus keine besonderen Seltenheiten
darstellen sollen. Eine Symptomatologie der initialen Delirien bei Typhus
an der Hand von 17 Fällen verdanken wir Aschaffenburg, welcher eine
vorwie<ren(l ruhi^re (/um Theil hypochondrische Wahnideen, Angst. Verfolgungs-
wahn mit Wiederherstellung oder Ausgang in Verworrenheit und lautes Ver-
halten) und eine manische Form (Rededrmig. Ideenflucht, motorische Unruhe)
dieser Intoxicationspsychosen (NisSL fand keine entzflndlichen Processe) untep-
scheidet. Beginn bisweilen schon vor dem Eintreten des Fiebers, meist aber
in der Mitte oder am Ende der ersten Krankheitswoche. Eine Abhängigkeit
vom Fiebergrad besteht nicht. Prognose ernst
Den Beweis für die typhöse Natur einer > Typhusmeningitis« erbrachte
KOhNAT durch den Befund von zahlreichen Typhushacillen in den snl/.ig-
eiterigen Massen, welche an der Convexität di<' Gefässe umscheideten . mit
ihnen in die Gehirosubstanz eindringend. Derselbe Autor beschreibt einen
baktOTlologiseh erwiesenen, unter dem Bilde einer typischen Septicopyftmle
verlaufenen Typhusfall.
Sehr kurz können wir uns bezuglich der Fortschritte der Therapie
unserer Krankheit fassen. Gerade die besseren Arbeiten haben mehrfach
mit negativen Resultaten abgeschlossen. Von der »intestinalen Antisepsis«
sind nur noch einige agonale Bewegungen /u bemerken. So empfiehlt Sher-
MAN Tabletten aus Guajacol. Menthol. Thyinol. Calomel un«I Po(loi)hyllin,
AULDE gar arseniksaures Kupfer, während Kob. Simon die intestinalen Des-
inficientien verwirft. Gegen die Behandlung mit abgetödteten Culturen des
Bacillus pyocyaneus polemisirt auf statistischer Grundlage heftig GlXsbr.
Das von Stoppe als Tnternum einpfohh'ne Chloroform hat Palmer als wir-
kungslos befunden. Hinirem-n rühmt Rikdi. das Lactophenin . das er in
Tagesdosen vod 7 Grm. reicht, als ein subieciiv erleichterndes und hyper^
pyretiache Temperataren verhinderndes Mittel.
Für die chirurgische Behandlung der Darmperforation treten Hotch-
KiNs. HoLLis und Armstrong ein, obzwar die mitgetheilten laparotomirten
Fälle unglücklich verlaufen sind.
Von serumtherapeutischen Erfolgen schwelgt die Literatur.
Literatur (zuui Thei! in das i'r>t»> (Quartal 1897 hinfiiireicheml/ : Achard und Bi>*
Min», tjeiDiiiQc lui-d. 18%, Nr. tiO— 1)2. — Arm.stroko, Urit. tiiud. .lourii. b. 1896. —
AscuATFKMUL'BO, Allg. Zeitschf. f. Psycli. lbU5, LIl. — Usuxheiu, Wiener klin. Kuudaclian.
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6
Abdominaltyphus. — Ae«tylen.
1891, Nr. 1. — BoBi, G»«. degli ospedaH etc. 1896, Nr. 113. — Bomocb, Gaz. de» höp.
189(5, \r. 38. - Rrkcer, B. rliner klin. Wocluiififhr. Xr. 47 und 48. •- rJiti Ns, Aniwil.
de l institut Pastecr. lb'J6, Nr. 4. — Catbin, Gaz. hebdom. etc. 18U6, pag. ^93. — Chaktb-
MBM«, Gaz. des hdp. 1896, Nr. 64. — Comr, Ibid. 1886, Nr. 81. — CooMOVr, Semaiae
möd. 1896. pag. 293. — DBLBrim ond SiDtBOTRAit, Lancet. 12. Dccrmbor 1896. — Dkvic,
Prov. med. December 1895. — DmaAFOY, Bull, de 1 aiad. «-tc. 1896, Xr. 27 nnd 38. — -
DmESNiL, MUnchener med. Wocht-iiHrhr. 1S97. Xr. 5. — Dcpüt, Progri-n med. 1896. Nr. .'). —
Ewald, Berliner i(lio. Wocbenscbr. 1896, Nr. 26. — Fkbbaiid, Semaine m^d. 1887, Nr. 4. —
A. FtiAtwsxL, Dentaehe med. Woehenaebr. 1897, Yerelnab., pa^. 57. — 0. Fkabikcl, Ebenda.
1887, St. '^. — E. Fbaenkel, MUnchener med. Wodn nschr. 1897, Xr. ö. - Gl.\hki!, rii< i;i|t.
Monatshefte. Februar 1896. — Gkl-ukr, Verhandl. des U.Congr. f. innere Med. Wiesbaden 1896j
Wiener klin. Woehenw-hr. 1896, Xr. 11 und 12 ; Münehener med. Woehensehr. 1896, pag 206. —
GbOnbacv, Lancet. 1896, vag. 806. — Hödkk, Deutsche med. W^ochenachr. 1897, Xr. 2. —
Haushaltkb, Seuiaine med. 1896, .\iigu»t bis October. — Hollib. Lancet. 4. Mai 18'.)6. — ■
HoTCHKiNs, New York im il, .I. ui ii .I;inuar 1896. — .Jemma, Arch. ital. di elin. med. XXXIH,
pag. ö4i Ceatralbl. I. innere Med. 1897, Nr. 3. — Jbz, Wiener med. Wochenicbr. 1697, Nr. 3. —
Joiiiiam» nnd Hc. Taooabt, Brit. med. Jonm. 5. Beeember 1806. — Kollb, Dentaehe med.
Wochenschr. 1897. Xr. 9. — KnfoKR, Ebenda. 1897, Vrn iiish., prip. 7^~. — KOhkaü, Berliner klin.
WochenHi hr. 1896, Xr. 20 und 30. — Ll bi-i.nskx. Deiu.-elic med. Woelienschr. 1895, Xr. 26. —
Maraoliano, Cron. della cHn. med. di Genova. 1896, IV. — MOllkk, Zeitschr. f. Hygiene etc,
1896, XX. — NicaoLia, Montreal med. Joom. Juni 1896. — B. PrBiprBB (und Koixb), Centralbl.
r. Bakteriologie. 1896, Nr. 4 nnd 5; Zeitaehr. f. Hygiene etc. 1896, XXI: Dentaehe med.
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Bull, de Tacad. etc. 1896, Nr. 3^ ; Gaz. des hup. 1896, Nr. 47 ; Lancet. 14. Nov. 1896. —
WoKV», Berliner klin. Woebesicbr. 1896, Nr. 26 nnd 89. Farbrtagm,
Acetylcn. Das Acptylen hat in niMiestor Zoil. soitdom es ^^rlung-on
ist, dus8elbe auf fubriksmässigcni Wege herzustellen, für die Beleuchtungs-
tedinik eine hervorragende Bedeatung erlanirt und nimmt andereraeits seiner
Explosionspcfähi iiclikeit wegen ein nicht g-crinjrcs };(>\ver.bo- und .sanität.s-
polizeilichos InttTcssc in Anspruch. Ks ist (iicsi-s Gas bekanntlich ein Kohlen-
wasserstoff von der Zusammensetzung C|H„ der sich auf mannigfache VVei.so
bildet, z. B. wenn Kohlenoxydkaliam, KohlenstoHkalinm , Kohlenstoffnatrium
and Kotilenstoffcaicium mit Wasser in BerOhrong kommen. Das Acetylen
entsteht in kleinen Mcnjren auch bei der trockenen Destillation der Kohle
und findet sich daher als Beiraenjrunjr in dem frewiduilichen Lt'iichtf^as.
Seinen charakteristischen Geruch nimmt man wahr, wenn ein Bunsenbrenner
darehgeschlagen, d. h. wenn die flamme im Innern des Brenners und nicht
Aber seiner AusmQndungsoffnung brennt. Das Ac(>tylen^ns brennt mit gans
weisser, stark leuchtender, aber russender Flamme. Die KntflnmmuTicstempe-
ralur liegt bei 480" C, ist also niedriger als die der meisten anderen brenn-
baren Oase. Die Flamme seichnet sich durch grosse Rohe ond Stetigkeit
aus. Die I^euchtkraft öbertrifft die der Steinkohlenfrasflamme um das 10- bis
lölache. Darin lieurt seine höbe Hedent nni:- für die BeleiicbtiinL'"stechnik.
Bei der fabriksmässigen Hersteilun^r des Acetylengases wird als Aiis-
gangsmaterial das Calciumcarbid benutzt, das im Grossen herzustellen vor
Kurzem dem Amerikaner Thomas L. Willson gelangen ist. Letzteres wird
durch Beduction und Koblung des Caiciummetalls aus Aelzkalk (Calcium-
oxyd) gewonnen, indem man 56 Gewichtstheile Aetzkalk und Ü6 Gewichts-
Acetylen.
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theüp Kohlenstoff, innic trenienfrt. der onormon Hitze dos olektrischen Bogens
aussetzt ; es bildet nich dabei Caiciumcarbid nach der Formel:
CaO + 8C = CaC« (Calciumcarbid) + CO,
wobei das grasfönnigro Kohlenoxvd in die Luft entweicht. Wird dieses Cnl-
ciumrarbid mit Wasser in RtMÜlirunfr irelirarht so bildet sich in lebhafter
Entwickiang Acetylen<?as nach folgrender Formel ;
Ca -f Hj O = Ca H, (Acetylenj + CaO.
Schon die Anfbewabrung grösserer Mengen des Calciamcarbld erfordert
besondere Vor8ichtsmassr(>}rehi seiner Feu(>r<refälirlic]iki'i1 wi^tren. Sobald das-
selbe feucht wird, findet nach dem Gesa*rten Ent wicklun;: von Acetylenjras
statt; wenn uisu z.B. bei einem Brande die das Calciumcarbid enthaltenden
QeSBaae dnrch die Einwirkung der Hitze undteht werden und mit dem LSsch-
wasser in Berührung kommen, kann die alsdann entstehende rapide Gas-
entwicklung die verheerendsten Folijen hul)en. Das Acelyicii ist bei ije-
wöhnlicher Temperatur i'in Gas von unangenehmem Gerüche. Sein speci-
üsches Gewicht ist = 0,91. Wird es comprimirt so yerflfissigt es sieh bei
1* C. and 48 AtmosphXren Druck, bei WC. und 63 Atmosphären, f>ei
.•^inC. und 103 Atmosphären. Unter Lnftabschluss auf 780» P. .'iliit/t. zer-
fällt das Act-tylcn in seine Compunenlen. in Kohlenstoff, welcher si !i atnorph
als Kuss abscheidet, und in W'asserstoffgas. welches so plötzlich i xpundirt,
dass es bei nicht genügender Festigiceit der GefSftswandungen diese zerstört.
Diese niedrige Zersetzungstemperatur bildet eine der jjrefiihrlichen Eigen-
schaften des Acetylens. Eine zweite Gefahr wird durch den Umstand be-
dingt, dass das Gas nur dann ohne zu russen brennt, wenn der Flamme
bedeutende Mengren Luft zagefBhrt werden. Mit Loft gemischt erh< das
Gas aber explosive Eiirenschaften. Das Maximum der Explosionskraft er-
reicht es bei (mimt MiscluuiL;- mit Ii' Thcilcn Luft Wälircnd das Gas, so-
lanyre es unter j;ew()linlichem Drucke steht, ungefährlich ist, nimmt es sofort
explosive Eigenschaften, die denen der gefälirlichstcn Sprenggemische nicht
nadistehen, an, wenn es dorch Comprimiren verdichtet wird.
Die.'^e explosiven Eigenschaften des Acetyb^nyases mnss<'n bei seiner
Darstellung: und Verwendunpr zu Keleuchtunirs/wecken entsprechende Berück-
sichtigung finden. In erster Linie muss unter allen Umständen verhindert
werden, dass eine B^rwärmung des Acetylens bis zu 780® stattfindet. Eine
Anzahl der in der letzten Zeit vorgekommenen Explosionen sind auf die
Ausserachtlassqng dieses Umstandes zurfickzuführen. Es sind .Apparate im
Gebrauch, in deren Entwicklern ein grösserer Vorrath von Calciumcarbid
aufgespeichert ist ; das zur Zersetzung nothwendige Wasser tritt in kleinen
Mengen hinzu und wird, wenn eine zu stürmische Oasentwicldung eintritt,
zurucktrcdrfinf^t. Dieses Princip ist zu verwerfen, denn bei der Beruhnmfr des
Carbids mit dem Wasser wird Wärme fi-ei. einmal infolire der chemischen
Zersetzung-sreaciion und zweitens bei der Verbindung dvs gebihleten Cakium-
oxyda mit Wasser, d. h. l>eiiD Ablöschen des KaU(s. Hiertwi tcann es leicht
vorlcommen. dass im Bntwicider die Zersetzungstemperatur des Acetylens
erreicht wird. Zur Gewinnnnij: des Acetylen.s in «rn'isseren Menjren dürfen
daher nur Apparate verwandt werden, in denen nur kleine Mengen Calcium-
carbid mit einer hinreichend grossen Wasswmenge in Verbindung treten, so
dass die Temperatur nicht über den Siedepunkt des Wassers steiL'^en kann.
Die Ent \virkliin<rsapparate sind ferner so zu constniiren. dass ein ir<reiidwie
nennenswert lier Ueberdruck nicht entstehen kann. Sull Aceiylengas z. B. für
die Beleuchtung von Eisenbahnwagen comprimirt werd<'n, so miis.sen be-
sondere Pumpen zur Verwendung kommen, die das Gas aus einem Gasbehälter
ansaugen imd in die unter Druck stehenden Transport irefässe hineindrQcken ;
es darf niemals der eigene Druck des Gases hierzu benutzt werden. Die
Explosionsfähigkeit des Acetylens wini wesentlich herabnesetzt, wenn es mit
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Aeetylen. — Aetol.
anderen, selbst mil brennburen Gasen g;eniisciil wird, da in diesen Geiuischon
die Zeraetzungrstemperatur des Acetylens steigt. So wird z. B. ffir Beleuch-
tunfi^szwecke ein Gemisch von 30°,, Aeetylen und TO" St cinkolden- oder
Fi'ftL'-as verwandt mul {rllt für gefahrlos: die Leuchtkraft dieses Geniisrhes
betragt noch über das Ureilacbe des gewühnliclien Fettgases. Ungleich ge-
ffthrlicher als das ^sförmige ist das flfissigre Aeetylen. Schon beim Fflllen
der Behälter kann durch zu sclinelles Comprimiren des Gases, wenn nicht
durch starkes Kühlen der Behälter für hinreichende Abieituntr der Wärme
gesurf^t wird, die Temperatur so ansteigen, dass die Zersetzung eijitritt. Ebenso
kann eine Explosion dadurch hervorgerufen werden, dass ein mit flüssigem
Aeetylen gefOUter Behftlter, der mit einem andern Oelftss von zu schwacher
Fnssuni^ in Vcrhinduns: steht, zu schnell geöffnet wird und infol-^e der ndia-
butistheii Conipression in dem vortrelojrten Behälter eine Temperatur ent-
steht, welche hinreichend hoch ist, um eine örtliche Zersetzung hervorzurufen,
die sieh rfickwftrt« bis zum Reservoir fortpflanzt Für die praktische Ver-
wenduti!? des Acetylens fQr Beleuchtungszwecke ist noch von Bedeutung,
dass feuchtes imd verunreinigtes Aeetylen. wenn es mit Kupfer oder seinen
Legiruugen, die bekanntlich vielfach in der ßeleuchtuiiy:stechnik \'erwendung
finden, in Berflhrun}? kommt, sich Acetylenkupfer (CujOCsH^) bildet, das
sehr heftig durch Stoss. Schlag oder durch Brw&rmen auf 200° C. explodirt^.
Die gefährlichen Eigenschaft cii des Acetylens. iiamenHicli in den Händen
nichtsachverständiger und unerfaiirener Personen haben bereits \'eranlassung
zu gewerbepolizeilichen Verordnungen gegeben. Eine solche Verordnung des
Berliner Polizeipr&sidenten vom 19. December 1896 macht die Darstellunf?
des Acetylens von der vorherigen Prüfung der betreifenden Anlage und Appa-
rate durch die Gewerbeaufsichtsbeamten und von der Erlaubnissertheilung
dt>r Polizeibehörde abhängig.
Literatur: Bbmthkuit und TniLu, Compt. rend. de l'Acad. des Seienees. October
1896. — Gkkpk.-;, ViTtrnj,' im Verein Deutscln r Mii.sohiiuiiiti^'rn'uMirr am 1. Soptfmlirr ISUd.
Abgedrackt in Glaskus Aanaleu. 1897. — Si-kehoku, Zeitscbr. der Centralstelle für Arbeitt^r-
wohlfahrtadnriclitiiafeD. 1887, Nr. 1 and 2. B. MbreehU
Actol I Argentum lacticum puriss., auf Anregung von Hohnth Crcd£
von der chemischen Fabrik von Heyden in Radebeul dargestelltes milch-
saures Silber. Cj H^, A^^O, -f H-, 0. weisses haltbares Pidver. 1 Theil in
15 Theilen Wasser löslich. Credit, der sieb durch bakteriologische LInt«T-
suchungen von der bakterleiden Wirkung des metallischen Silbers überzeugte,
machte hiebei die Beobachtung, dass das Silber mit einem Stoffwechselproduct
der pal liOL'^cnen Spall pil/.e. der Milchsäure, «dne Verbindunir ein'^'eht und in
milchsaures Silber übergeht, und dass dieser Stoff es ist, welcher den ver-
nidbtenden Sinfluss auf die Mikroorganismen ausObt. In einer Lösung von
1 : 1000 tödtet milchsaures Silber Spaltpilze in 6 Minuten ab. In 1 : 50.000
gelöst, hemmt es die Entwicklung derselben, im Blutserum soirar in einf'r
Lösuiiir von 1 : lOO.UOO. Bei länirerer Eiinvirkun".; }renü.u:en noch verdünn-
tere Lösungen. Das Actol wirkt nicht ätzend, nicht giftig, doch in I'ul ver-
form etwas reizend. Wegen seiner allmftlig erfolgenden Auflösung im Wund-
secret und im G(>wel)ssaft kommt ihm eine Dauer- uud Fernwirkung zu. Auch
geht das Actol mit der alkalischen Wundflüssi^'keit und dem Gewehssafte
keine unlösliche Verbindung ein wie das Sublimat. Subcutan in^icirt hat das
Actol ausser leichten brennenden Schmerzen an der Iniectionsstelle keine
tinangenehmen Nebenwirkungen. Das Actol kann bei örtlichen und allgemeinen
Leiden subcutan versucht werden und sollte nicht unter O.Ol produsi mul
pro die angewendet werden. Zwei hoffnun;>slose Fälle von Milzbrand und
fünf F&lle von schwerem Erysipel wurden durch subcutane Einfuhrung von
ActollÖHungen (bei Milzbrand 0.05:20,0 Aqua, bei Erysipel 0.3 — 1,0: 100 bis
200.0 Aqua) rasch coupirt. Die In|ectionen wurden stets in das Unterliaid Zell-
gewebe der Bauchdecke appiicirt, was allerdings etwas schmerzhaft ist und
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Actol. — Akromegatie. 9
daher nai h vDrlu'ry('y;aiig:ener Cofainisiruiitr oder in diT Narkose aiiMjrelülu t
werden soll. Actol eignet sich sehr zu G ur gel wässern und Spülungen
und kann 1 : 50,0 Aqua In brauner Flasche verschrieben werden, wovon dann
1 Theeloffel auf ein Glas Wasser zu nehmen ist. Die Fii tna von Heyden brinsrt
an Stelle der Sublimatpastillen Aclollabict icn in 0.2 in den Handel. Das Actol
löst sich schon im V'erhültniss 1:15 im Wasser. Cr£d£ hält für fast alle
FSIle LSsungren von 1 : 1000 — 8000 zur Wundbebandlunfr ausreichend. Die
Angaben von Cred^ wurden von Tilger und C.\kl Meybr bost&tigt. Beide
heben die antiseptisi-he und wundheih'nde Kraft des Actols hervor.
Literatur: Cbb»^, U«ber Silber in cbirargil^cb<:r and bakteriologiscbcr Ikziebuog.
Tortnir lo der GefleHsdi. für Natar- und Hellk. ni Dresden. 85. Januar 1896. — Tilokh
'Mailand), lieber Act<»l und Itrol. MdnolH iior iiit d. Wocheiischr. 1807. Xr. G. — Mkykh,
Lieber die autiseptiacbe Kraft der Ckkuk sehen Silbernaize. Aus dem hygieuiaclu n lustitut in
ZIfich. CentralU. L (Mr. 1897, 8. Leebiseh.
Alodln» Patentname für das von der chemischen Fabrik F. Hoff-
mann-La Roch e und Co. (Basel) in den Handel g-ebrarbte. dem Thyrojcdin
Baumann's entsprechende Schilddrüsenpräparat. Dasselbe enthält 0 4^0 Jod
und es soll 1 Qrni. Aiodin die wirksamen Bestandtheile von 10 Qrm. frischer
SehilddrOse enthalten. Es stellt ein lockeres, geruch- und geschmaclüoses
und in Wasser unlösliches Pulver dar. Schüttelt man dieses mit einer sehr
verdünnten Lösune: von Kalilaugre. so tritt deutliche Rosafärbung ein; kocht
man es jedoch mit verdünnter Kssig.säure, so coagulirt (gelatinirt) es, während
Minerals&uren dasselbe unter Abspaltung von Jod fast gans lösen.
Literatur: Pharm. Pott. 1887, pig. 456. £o«USseJr.
Akromegalie (vergi.Encydopäd. Jahrb.. V. pag.8). Die Casuistik der
Akroniegalie ist in den letzten Jabreti diiicli Mittheilung von einijren "JO Fällen
vermehrt — wenn auch nicht gerade wesentlich bereichert — worden. Die be-
treffenden Publicationen rühren her von Erb >), Kalinobro^') (2 Fälle), Ricardo
Jorgs*), Cahpbbll«), Pbrsbino^). Parsoks«), Stbrhbbro'), Nommb«), N.
SCHf.KSl.NGBR«), CaTON '"). MUKR.W " l T. Fälle !, BrI'NS '2). M.\X HOFFMANX "),
PiNELES'*!. Fr. SCHI LTZI: ' ■ ). WORCKSTEK " . H AXSEMAXX > ' ). SCH W( )XEK -°}. In
ätiologischer und symptumatologischer Hinsicht bietet sich nicht viel Neues.
Zttsanunenhangr mit Atfectionen des weiblichen Genitaltractus schien sich unter
Anderem in dem Falle von Ricardo Joriie zu ergeben, wo das l.eiflcn sich
wHlirend einer Gravidität entwickelte und nach Rückkehr der fast zwei Jahre
ausgebliebenen Menses eine Besserung zeigte, sowie vielleicht in dem Falle von
PiMBLBS"), der mit ausgesprochener Atrophie des Uterus einherging. Indem
ScHWOKER'schen Falle ^<>) entstammte die Patientin einer durch Riesenwuchs
ausgezeichneten Familie: sie litt anssiM-detn an i-incr (icschwulsl di r Hnist-
drüse : es bestanden bei ihr psychische Störungen und bitenipurale Hetni-
anupsie. In dem erwähnten Falle von Ricardo Jouui^^j bestand Amaurose, iu
dem Falle von Nokkb *) eine Complication mit den Erscheinun^n einer nicht
systematisch-tabischen Hinterstrangdegeneration (Miosis. herabgesetztePupillen-
reaction. WESTPHAL sches Zeit'ben) ; in dem erst postmortal diairnost icirt«'n
Falle von Hansemaxm '<) war ein massiger Kropf (Colloiddegeneraiion der
SdiflddrOse) und Olykosurfe vorhanden trewesen. Die von Fr. Schultzb
veranlasste RoEXTüEX-Untersuchung ei irab VerdickuuL-^ der Endphalangen ohne
0>te()pliyten. der distalen Epiplivsen der Mittel- und Grundphalanircn. sowie
Auftreibung der Diaphyse der ürundphainngen . Knickung der Läng.sachsu
der Orundphalanx am Zeige- und kleinen Finger in seitlicher Richtung. —
Zur Section kamen nur die F&lle von Worcbstbr i') und von Hansbaiaxk.
In ersterera (3<»iährige Frau, die vorher auch an Myxödem ^:elitten haben
sollte, das unter Thyreoidlx'liandlunir zurückging) wurde ein Tuujor diT H\ po-
physis gefunden, der 58 Grm. schwer und 4,ü Cm. lang war (^Sarkom mit
psammöser Degeneration). Auch in dem schon erwähnten HAXSBUANN'schen
Falle zeigte sich etai Tumor der Hypophysis; diese war gleichmässig vergrössert,
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Akroniegalie. — Alcariiose.
der Tuinm- niir (Inn Gi'liirn w»'ni<r vcrwnrhscn. hatte dalirr auf dieses keinen
besontleieii Diuik ausjjeQbt. sondern erstreckte siili nielir nach unten, so
dasB das Knochenlager ffir die Hypophysis in der Sella tnrrica eine Brwei>
terung erfahren hatte. — Auch noch in einijren anderen FäHen war intr»
vilam eine Vertrrössorunis: der Hypophysis diautiosticirt worden. So sicher
ein Zusaiumeuhung anzunehmen ist. so muss doch darauf aufmerksam ge-
macht werden, dass noch neuerdings Fftlle von Hypophysistnmor publicirt
wurden, in denen Akromepalie bei Lebzeiten nidit bestanden hatte (swei
Fnile von Beadi.ks . irj denen es sich um malftrne (ies« h\\ ülste handelte).
Es seheint also iedenfalls die Qualität der Veränderun}^ dabei auch — ähn-
lich wie es sich bezQglich der Nebennieren und Schilddrüse für dit> Patlio;j:enese
von ADDisoK'scher und BASBDOW'scher Krankheit verhält — eine wesentlich
mitwirkende Rolle zu spielen. Wir sind keinesweirs berecht ifrt . die Begriffe
von Akromeijalie und Hypophysistnmor als einfach sich deckend zu betrachten.
Dieser Umstand ist auch für die Tlierapie von Beian^i^, die in neuester
Zeit vielfach mit PrSparaten der Olandola pitnitaria, dann — wegen der
vorausgesetzten Analogie mit MyxSdem und SchllddrCsenerkranknng auch
mit Schil Idrüsenpräparaten. ini Ganzen erfolulns. in Anjrfif? frenommen wurde.
Eine Besserung durch Schilddrüsenpriiparate l»eobachtete PARSONä "j. durch
Hypophysis- und Thyreoidprä parate Caton i") ; gänzlich erfolglos fand die
letzteren H. Schlesingbr *) in zwei Fällen, während Bruks anch nur einen
vorQbertrehenden Nachlass der Parästhesien und Schm(»rzen dabei constatirte.
CaMI'BELL will in einem Falle durch Sol. Fowleri (bis zu ."o Tropfen friiilii lii
Besserung bewirkt haben. U. Schlesinger .'^j durch antiluetische Beliandlun;;,
die dagegen in einem anderen Falle vollständig versagte.
Das anfan^^s mit der Akromegalie vielfach zusammmigeworfene Krank-
heitsbild der >Osteoarthropathie hypertro|)hiant e pnenmique« (secun-
Uäre hyperplastische Ostitis Arnold s) — über das neuerdings. Ludwig
Tblbky ") wprthvolle Mittbeilungen machte — wird gegenwärtig ziemlich
allgemein von der Akromegalie scharf unterschieden; nur Max Hofkmann
trachtet auf Grund seines (wohl diairnostisch unsicheren, auch mit l)eträcht-
licher Hypertrophie der Weicbtheile u. s. w. einhei^ehenden) Falles eine Tren-
nung der Akromegalie von den Krankheitsbildern der Osteoarthropathie und
der Erythromelalgie für flberflQssig und vorläufig undurehfflhrbar.
Literatur: Krb. MUncheiier iiieil. \ViK-li<ii>.i-lir. 1S'.I4, \r. 27 f. — *> Kai.inukuo,
Koumanie med. 18U4, Nr. 3. — *) Uicahdo Jouuk, Arch. di psichiatria. XV. — *) Camphkli,,
Brit. med. Joarn. 17. Noremher 1894. — PnsHiKo, Joaro. of aerroa» and mental diaease.
ISfM. XXI, pap. im. — PvRsoNs, Ibid.. p.-ig. 717. — ^) Sterxbkko. Z.-itschr. f. kliii. Med.
XXVII. — "j NoNNK, Aerztl. Verein zu Hamburg. .Sitzung vom 5. Feliruar IS'Jö. — *» Sculk-
8IKQKB, Wiener med. Club. Sitxnng vom 23. Januar 1895. — " j ('aion, Brit. med. Jouro.
6. Februar 18ttö. — ") Hob«at, Ibid. — '*) Bkums, Versamnü. der Irrenärzte Nieder«acliBeas
nad Weatplialens xn Hannover. 1. YLA 1895. — ") Max HoPFMASir, Dentsdie med. Wochen-
Mhrilt IHtt.'x Nr. 24. — ") Pikelk«, Wi. n. r un d. Clnb. 12. .Fniii IS'.lf). - '^ Fi: S( uri.TXK.
Niederrhein. GeselUcb. f. Natnr- und Heilk. zu lionii. 10. Februar IHiMi. — Wouce«»tkk,
Boi^ton med. and sorg. Jonrn. 23. April 1896. — *') Hansemann, HurKtAND Sche Gesrlkch. sn
Berlin. Sitzung vom 21. Janaar 185)7. — '••) Beadi.es, Brit. med. Journ. 22. Deceniber 1894. —
'*) Lt'Dwio Teleky, Die Ooteoartbropatbie bypertrophiante pnenmique. Wiener med. Clab.
20. Jaanar 1897. A. Ealen^rg.
AlcanifMiey Patentnamc für ein von Dr. Hiller dargestelltes künst-
liches Nahninpsniittel, welches die Eiweissstoffe sowohl aniinab'n als pflanz
lieben Ursprunges, als auch die Kohlehydrate in direct reäurbirbarer Form
enthält. Neben Albumosen, Dextrin und Maltose enthält die Alcamose auch
die Salse, welche mit der natOrllehen Nahmng dem Körper sQgefQbrt werden,
so dass hier eino Zusammensetzung vorliegt, die das Redfirfniss des Körpers
an Nährstoffen vollstiindijr ersetzen soll. Nur das Fett ist aus der Alrarnose
weggelassen und wuss daher in Form von Kahm oder Butter eventuell
sugwetst werden. Die Alcarnose, von Hillbr als »kfinstllche Nabrungc be-
leichnet, hat folgende procentische Zasammensetaung:
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Alcarnose. — Alkaloide.
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1. Verdautes Eiweiss (Albnmoieil)
aus Fleisch 88 Gnu. 1 „ - - _
h) am Brot nnd Gemjtoe .... 24 » j "l™* - ^^'^
2. ExtracttTStoffe und Salse des Fleisches (Brfihe) 5,5 » = 2,3*/«
3. Verdaute Kohlehydrate (Dextrin und Maltose) . 160 » = 67,1Vq
4. Salze (Chlornatrium, kohlensaure, schwefelsaure,
phospborsaure und pfianzensaure Alkalien und
Erden, Sporen von Bisen) . . 16,3 » = 6,8Vo
Znsammen . 238.8 Grm. = 100*/»
Das von der t irtna J. D. Riedel (Berlin) dargestellte Prftparat bildet
in lufttrockenem Zustande eine braune und zähe Masse . ohne wahrnehm-
baren Geruch und von ancrenehmen, schwachsüsslichen, brot- und bonig-
knchenähnlichen Geschmack. Es löst sich leicbt in warmem Wasser unter
Opalescens auf. Da das Präparat an der Luft leicht nachthefllKe Verinde-
rungen erleidet und andererseits die Dosirung- durch die Zähigkeit der
Masse sehr erschwert wird, so hat die genannte Fabrik die Alcarnose in
Oelatinekapseln mit 12 Urm. Inhalt, welche ungefähr für eine Portionstasse
Wasser reichen, in den Verkehr gebracht. Bei Schwerkranken g^anbt Hillbr,
das ganze NährstorfbedOrfniss für l Tag mit 10 — 15 Kapseln decken zu können.
Zur Darreichung an Kranke eignet sich am besten eine Auflösung
der Alcarnose in warmem Wasser im Verhältniss von 1 : 10, welche durch
Znsfttse von Rahm in genügender Menge (welcher zugleich das im Präparat
fehlende Fett enthUt), oder von Kafffee mit Zacker, oder von Cacao und
Zucker u. dergl. schmackhaft gemacht werden kann. Zu einer Tasse Wasser
genügt 1 Kapsel ; zu einem Teller Suppe sind "2 Kapseln erforderlich.
Literatur: Abhold IIilleb, Privattiocent an der Universität iu Breslaa, ücbur kUnat-
Uehe EnUimiif nad kttnsüiehe Nahmog. Zdtaelir. L Kraakenpllege. 1897. Loebtteh.
Alkaloide* Die Möglichkeit, Alkaloide, die zur Ver{>:iftung eines
Menschen gedient haben, im Magen und Darmeanal und selbst In entfernten
Organen wieder aufzufinden, kennen wir s(>it dorn berühmten Bocarm e schen
Giftmordproresse. in wt^lchcm der bflyrisiht' Chnmiker Stas 1850 den Xarh-
weis von Nicotin in der Leiche lieferte. Die zahlreichen späteren L'nler-
snchungen, theils bei Oelegenheit von Vergiftungen am Menschen ausgeführt,
theils in Versuchen an Thieren bestehend, haben den Beweis geliefert, dass
es keineswegs erlaubt ist. von allen Alkalnidcn die Möirlirlikeit. sie im Orga-
nismus wiederzufinden, zu behaupten. Obsrhon es keinem Zweifel unterlieirt,
dass einzelne negative Resultate, wie sie z. B. in Bezug auf Strychnin von
verschiedenen Experimentatoren erhalten worden, auf mangelhaften Methoden
beruhten, ist es doch ebensowenig zweifelhaft, dass man auch mit den besten
Methoden beim Morphin mitunter kein positives Resullaf erhSIt. wahrend in
anderen Fällen ein nicht zu beanstandender positiver Nachweis geliefert wird.
Durch Skliii*s wichtige Entdeckung der sogenannten Ptomaine in Leichen
schien ein Grund gegeben, den Werth der Stas sehen Entdeckung herabzu-
setzen. Wiederholt ist namentlich hei der Veiibeidlgung des Giftmord(>s An-
geklagrter der Versuch gemacht, die Angabe der Experten, dass ein giftiges
Alkaloid in der Leiche gefunden sei, mit dem Hinweise darauf, dass einzelne
Ptomaine mit gewissen Substansen analoge Farbenreactionen geben, in Zweifel
zu ziehen. Obschon in den ersten Jahren nach Sblmi's Entdeckung, wo die
Eigenschaften der Cadaveralkaloide noch nicht genau erforscht waren, die
Möglichkeit einer Verwechslung nahe lag, und obsch(»n in der That eine
Ansahl FUle vorhanden sind, in denen eine derartige Verwechslung wirklich
stattgefiiiidefi hat. ist doch jetzt bei uns jeder mit einer di'rarliüen geri<-ht-
lichen Analyse betraute Chemiker auch mit den Kii:eii<(li:iften der Ptomnine
vertraut und wird sein Augenmerk darauf richten, auch die Anwesenheit dieser
12
Alkaloide. Amylnitiitverglftuiig.
sich 8t üt /enden Einwände u priuri beseitigen. Die Möglichkeit deis Nuch-
weises von ^ftigren Alkftloiden in den Leichen Verfrifteter Oberhaupt ist aber
durch die Pt omaine nicht aniretMstet worden, und der Wissenschaft bleibt
nur die Auftfabe. die g-enaiieren Verhält nisse zu studiren. inwieweit die Xach-
weisbarkeit der einzelnen Alkaluide im Tractus unter dum Einflüsse der
Fftttlniss und der Erreger derselben beeintrichtigt werde, wobei es slcli, da
der Nachweis thcils durch chemische, theils durch physiologische Reactionen
getOhrt wird, um eine doppelte Versuchsreihe handelt
Versuche, die von ()ttolen\;hi und Hossi -j über die Beeinfl us.su ng
der phy .siologischon Reactionen desAtropins und des Strycb nins
durch verschiedene Bakterien in Bonillonculturen unternommen wurden,
zeigen deutlich , dass die Verhältnisse bei den einzelnen Alkaloiden sehr
differiren. Unter dem F^influssc von Bacillus li(juefariens putriflus. B. mesen-
uricus, B. subtilis und B. diifusus. sowie unter demjenigen vun Bacillus coli
büssen Atropinlösungen von 1 : 100.000 schon in vier Tagen ihre Wirkung
auf das Raninchenaufre ein, ujhI « ine Losuntr von i : 10 OuO /i i<rt schon am
dritten Ta;r(' Abnahme ihrer Wirksamk<'i1 und am 1'». Tai:»' völlig;»' Aiifhchimjf
ihrer Actiou. Dagegen wird bei Slrychninlüsungen unter dem Einflusse der-
selben Bakterien die tetanisirende Wirkung in den ersten Tagen gesteigert,
und zwar dwartig. dass sie in der zweiten bis viert«n Woche das Dreifache
der gewöhnlichen betrSfrt ; dann folgt X'i rinindcruim; . die b(>i den meisten
Saprophyten bis auf ' a - '/s der urspriinti liehen Wirkunt,"-, l)ei Bacillus i-oli
im Laufe eines Jahres noch weiter zu gehen scheint. Die Zunahme der
Toxicitftt des Strychnins ist die Folge der Bildung toxischer Ptomaine, die
sich im Laufe der F'äulniss zwischen dem 10. und 20> Tage, wie auch frühere
Untersuchuntren lehren, in besonders grossen Meniren bilden ; doi b ist nach
ÖTTOtBNGHl ihre Actiun nicht tetanisireud, sondern deprimirend, und es kann
daher die Steigerung der Activitit des Strychnins nur dadurch herabgesetzt
sein, dass die Resistenz des Organismus herabgesetzt ist. In forensisch-
cberuisflier Beziehung- Lrestatten diese Versuche den Scbluss, dass man schon
nach wenigen Tagen das in einer zur Tüdtung «'Ines Menschens ausreichenden
Menge eingeführte Atropin möglicherweise nicht wiederfinden kann, und dass
zur Destrnction dieses Alkaloids keineswegs ein fibermissiger F&ulnissgrad
gehört, wogegen das Strychnin auch in sehr verfaulten Leichen wiederzu-
finden ist. wenn schon ein durch weitere Studien noch genauer zu bestimmender
Theil dieses Aikaloids der Zerstörung durch Fäuliiiss unterliegt. Dass übrigens
im Laufe der FlUilniss auch tetanislrende Stoffe entstehen können und der
physiologische Nachweis allein für den Nachweis der Strychninvergiftung
nicht ausreicht, ist eine Tbatsache, welche noch besonders zu betonen
sein möchte.
Literatur: 'i 8. Orroi.KNOHi. Wirkung der Baktriien anf diu ToxidtUt der Alkaloide.
Vicrti lialirstlir. f. grriclitl. Med. 1M',H;. Heft 3. pajf. l.'H. — M. Ho8,si , Azione del Hacilliis
coli aulla toxicitit delle stricDina e dell'atropiiM. K. Accad. dei Fisiocrit. di tiiena. Qiugno l^dö, <4<
Haaemmnu.
Amylnitrilver^iUuuig. Man ist gewohnt, das Amyinitrit uLs ein
Gift zu betrachten, das zwar leicht durch Inhaliren zu grosser Mengen Ohn-
mächten und Collaps herbeifOhren kann, jedoch im Ganzen wenig zu furchten
sei, da solche Zufälle meist unter dem Einflusse des Einathmens reiner Luft
rasch verschwinden. Dass schwere CoUapszulälle vorkommen können, die
selbst stundenlange Wiederbelebungsversuche erfordern, ist allerdings schon
vor iSnger als 20 Jahren durch Sauelsohn^) bekannt. Schwere Erscheinungen
sind auch nach länirerem Verweilen in einer amylnil ril halt iiicii At iiiuspliäre
Vorgekommen. So beobachtete \■E^ riekks -i nach länyferem Aufenthalte in
einer Amylnitritatmosphäre bei Darstellung des Präparates an sich selbst
Eingenommenseui des Kopfes, die ihn zur Arbeit unffihig machte, Brech-
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Amylnltritvergiftung. — Anhaloninm.
13
neigrung:. Schwäche. Kühle dor Extremität on . Pulsbeschleuni^^un^ . profus«
Sch weisse und schlechten Schlaf in der darauffolgenden Nacht Dass aber
durdi mehratOndif:«!! Aufenthalt in einer derartigen Atmosphäre selbst tddt-
liche Vergiftung hervorgerufen wird, lehrt der von Cadwallader*) raitge-
thoilto Fall eines 24jahricon amerikanischen Arztes durch das Schlafen in
einem kleinen geschlossenen Räume, in welchem sich aus einem Glasgefässe
mit defectem K<Nrke die D&mpfe von etwa 15,0 Grm. Amylnitrit entwickelten.
Der Kranke wurde 14 Stunden später in bewusstlosem Zustande mit dunkel-
rothem Gesichte. lan^:s;im und retj-elmässiir athmend. aber mit schwachem
und rapidem Pulse aufgefunden. Die Bewusstlosigkeit machte; nach 4 bis
5 Stunden einem Zustande von Halbbewusstsein mit Tendenz zum Schlafe
Plate, daliei bestand Maskelerschlaffong und Abgeschlagenheit, Schwellung
der Zunire und stark beeinträchtigte Articulation . auch kamen Anfälle von
Occipital- und Gesichtsneuralgie vor. Während anfnntrs die Respiration normal
(bei schwachem, beschleunigtem Pulse und subnormaler Temperatur) war,
Stellte sich am sechsten Tage nach der Vergiftung Aussetzen des A^mens
ein. das sich bei Zunahme des Koma htufig wiederholte und mehrfach kQnst-
lirbe Athmunc nöfhi<r machte, bis am zehnten Tage (nach vergeblicher An-
wendung von Ergotin, Strychnin und Atropin) der Tod durch AthemstiUstand
eiatrat. Der Fall fordert zur grSssten Vorstellt bdi Aufbewahrung von Amyl-
nitrit auf, das in grösseren Mengen niemals in Schlafr&umen aufbewahrt
werden sollte. Bei dem Manixel eines Sectionsberichtes lässt es sich nicht
mit Sicherheit entscheiden, o!) in diesem Falle Lungenödem vorhanden war
oder nicht ; doch spricht die Krankengeschichte dagegen, und jedenfalls waren,
wenn auch im Anfange die Hersaction schwach war und die Oefissi&hmung
durch das dunkehiolette Aussehen des Kranken sieh deutlich geltend machte,
zur Zelt des Todes die primären Circulationsstorungen nicht mehr vorhanden.
Von Asthma cardiaie, wie es bei Amylnitritvergiftung bei Thieren ^) infolge
des Ansteigens des Druckes im linken Vorhofe und Insufficienz des linken
Ventrikels und der daraus resultirenden Vermehrung der Blutföllung in den
Lungengefässen mit consecutiver Lungenstarre und LungenschweUung resul-
tirt, enthält die Krankengoschichte nichts.
Literatur: ') Samklsohm, Zur physiologischen und thcrapeiitiHchen Beurtheiliing des
AmylnitritB. Berliner klin. Wochenschr. 1876| Nr. 24, 25. — *) VEVRif-.RKS, ReclierclieB anr
le oitrite d^aioyle. Paris 1874. — ') CadwaUiAdbi, Poiaoning )>y »mylaitrlte. Ued. B«oord.
h. DeoMsber 1896. — *) Wn»us, Ncse ezpeiiaMaldlfl Beitrugu zw AmjAsitrltirtrfcaiMr*
Wieoer med. Woelieaaclur. 1896, Nr. 14. Hwnmmaa.
Amyloföruiy von Glabsbm dargestellte Verbindung von Formal-
dehyd mit Starke, bildet ein vollständig geruchloses. imt::iftiü:es Pulver von
weisser Farbe, in allen Lösungsmitteln unlöslich, welches sich selbst bei
180° nicht zersetzt, sich jedoch im lebenden Organi^mu-s unter Abgabe von
Formalddiyd zoiegt. Wegen seiner BestAndigkelt eignet es sich besonders
zur Imprignfrung von Verbandstoffen, die überdies in strömendem Dampf
vollkommen keimfrei «remacht werden können. C. Longard und auch F*. Mon-
GARTZ wendeten das Mittel in Pulverform als Ersatz des Jodoforms bei
^teraden Wunden, Osteomyelitis, Empyem an; Bbaücamp benfltaste 10%ige
Amyloformgaze zur Tamponade des Uterus und der Bauchhohle. Ob es auch
den tiif)erkulösen Process 80 gOnstlg beeinflusst wie Jodoform, Iftsst Loitoard
noch unentschieden.
Literatur: C. Loni;akd, Tcber den Worth des Amyloforms in der Cliirurgif. Therap.
Monateh. 18%, piag. 5ö7. — P. 1$onoaktz, Ans <ler chir. Abth. des Btildt. Uariabilfspitales
in Aachen. MUnchn«>r med. Wocticnschr. 1897, Nr. 22. Loebiacb.
Anhaloninm. Die Empfehlung des Pellotins als schlafmachendes
Mittel durch Jolly (vergl. Knryriop, Jalirh.. VI. png. r)3<)) macht es noth-
wcndig, auf die neueren amerikanischen Studien über die als Bcrauschungs-
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u
Anhalontum,
mittel gewisser, in den Grenzgebieten von Mexico und der Union wolinender
Indianerstimme bekannten sogenannten Ifeacal Buttons zurfici&zukommen,
umsomehr, als dies»« Dro-rc «'in narkotisches Genussmittfl zu sein srhcitit.
das oinc Wirkiini; sui gfoncris besitzt. Nai-h den neiu'sten Verüffentlichuuji-en
von Pkextiss und Morgan ^) einen^eits und vuu S. WEiu-MncHEtL -) anderer-
seits Ober dies ebekanntlich zuerst von Lbwin (Jahrb., I, pag. 4G; V, pag. 90;
pharmakolog'isch untersuchte Droge steht der Effect am n&chsten der Can-
nabis Itidica. indem sie einerseits eig:eiithrimliclie V'isionen erzetjgt. anderer-
äeitü das bekannte Schwinden der Beurtheilung der Zeit im Gefolge liat,
besitst aber auch manches an Coca und Cocain Elrinnerndes, insofern auf
den visionenreicben Rausch nicht Schlaf, sondern fQr die nachät<>n 12 bis
24 Stunden ireradezu Insomnie folirt und ausserdem constanf PupiHenervvei-
terun^ von '24 Stunden Dauer, niil Accommodationsstürungen verbunden,
eintritt. Die.se Specificatiou der Wirkung Iftsst sich theils aus den Beob-
achtungen abstrahiren, welche Moonby bei den Kiowa-Indianem, die trotz
des Verbotes der Regierung: noch immer Orgien mit Mescal Buttons leiern,
zu machen Geles:eJiheit hatte, theils aus Prüfungen des Mittels, die von
amerikanischen Studenten auf Anregung von Prentiss und Mokua.n und von
MiTCHBLL und einigen Freunden unternommen wurden. Die Kiowa-Indianer
\ « rsaaimeln sich in der Nacht (meist vom Sonnabend auf den Sonntag), um
ein Feuer sich lagernd und geniessen von Mitternacht bis zum Anbruche
des Tages etwa lu — 12 Stück jener Mescal Buttons, wobei zugleich gesungen,
gebetet und getronunelt wird. Im Anfange erhält jeder Indianer 4 Stfick nach
emem von dem OI>eriuiupte gesprochenen Gebete, befreit diese von den daran
haftenden Haarbüscheln, steckt sie in den Mund, speit sie \vi->(ler aus auf
die Handfläche und rollt sie in einen Bolus, der dann hinuntergeschluckt
wird. Später wird die Provision vervollständigt und nach Vollendung der
Ceremonien entlemen sich die Theünelmier, die bis dahin meist In Trftumerei
versunken gewesen, ohne |egliclu> Störung ihres Befindens. Nach den von
Prextiss und MoitGx\x veranlassten Prüfungen an Amerikanern genügten bei
diesen schon 3 — 4 Stück, um die eigentliümlichen Visionen herbeizulüluen, die
von einfachem Farbensehen bis zu dem Erschauen der schönsten farbigen
Aralieskeo, Figuren und Landschaften wech.seln, nur bei geschlossenen Augen
manifest und durch TronuiK'lsrhlair und Musik wesentlich ver-starkt werden
und in einer gewissen Abhängigkeit vom Willen und selbst von Suggestion
Anderer stehen. Schon nacli 3 — 4 Stück resuitirle Schwäche der Musculatur
neben Verstärkung und Verlangsamung der Herzaction, bei Binzeinen auch
Nauses und Erbrechen, bei den meisten partielle Anästhesie der Haut. Mitchell
sah bei seinen Selbstversuchen namentlich farbige Zickzacklini<'n und einen
förmlichen Regen von Silbersternen, doch traten diese Visionen nur bei ge-
schlossenen Augen ein und schwanden sofort nach dem Oeffnen. Einseitige
Migräne. Occipitalschnierz. den MlTOHRLL sowohl wie Prk.vtiss und Morgan
auf eine Einwirkung auf das Sehcentrum zurQckfCUiren wollen, traten bei
Mitchell als Nebenerscheinungen ein.
Es ist bei den relativ geringen Nebenaffectionen nicht unmöglich, dass
die Mescal Buttons zu dnem verbreiteten Berauschungs- oder Qenussmittel
werden, sobald einmal irrössere Mengen davon in den Handel irelaitLren Der
Veisu' hung die entzückenden Phantasmen wieder hervorzurufen, wird, wie
MiTCiiKLL sagt, Mancher nicht widerstehen.
Die bisherigen Untersuchungen fiber die aus der Mescal Buttons dar-
gestellten Alkaloide haben i^enugende Aufklärung über dasjenige Princip. das
den eigenthOmlichen Rausch hervorruft Iu-^Imt nicht L^'schafft. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass die in reichlicher Menge vorhandenen harzigen Stoffe
analog wie im indischen Hanfe wesentlich daran betheiügt sind. Das von
Lbwin zuerst aufgefundene Alkaloid Anhalonin ist in Tagesgaben von 0,2
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Anhalonium. — Arbeltorhyglene.
15
fOr den Menschen ganz indifferent. Eine zweite BaeU, das Alkaloid A von
Hbfptbr, tfldtet Kaninchen tn 0»12 pro Kilo und eraeugt bei Warmblütern
beschlouDigte und erschwerte Respiration, womit offenbar dio Convulsion«^n
und Pupillfinerweiterunj? im Zusaramenhaiiffo stehen, die bei schwerer Ver-
gütung beobachtet sind. Lucal bewirkt die Base keine Pupilienerweiterung,
wodnrob sie sich, von Cocain unterscheidet Bin drittes, von Bwbll dargo-
stelltos Alkaloid wirkt wie Strychnin ; der dadurch hervorfrerufene Tetanus
wird wie der Strychnintetanus durch Chloralhydrat gemildert oder gans
aufgehoben.
Literatur: Prantiss nnd Moboax, Meseal Bottons (Anhalonium Lewinii Henntn^,
Lophophora Willi.imsii Lewinii Coulten. Mt il. Hecord. 22- August, pa^. 238. — ") S. Weik-
MiTcacLL, RemarkB on tbe eflects of Anhalonium Levrinii (the Hoscal Battona). Brit. med.
Joam. 6. Deeember, pa^. 1685. HusemMa.
Arbelterliygiene. Der unverkennbare Furtschritt, der mit dem
Erlass der Novelle zur Gewerbeordnung des Deutschen Reiches vom 1. Juni
1891 und der Reorganisation der Gewerbeaufsicht in Preussen auf dem Ge-
biete der Arbeit erliyiriene in l)eut>?rbland und rückwirkend aix-h in anderen
Ländern platzgegrillen bat, erfordert eine erneute Behandlung dieses Gegen-
standes, die sich an die Artikel Arbeiterhygiene und Arbeiterschuts
der Real-Encyclopädie anlehnt. An dieser Stelle sollen namentlich eruränzend
zwei besondere Gesicbtspunkte Berücksichtigung finden, nämlich eiiunal der
Schutz der Arbeiter gegen die für sie aus der Beschäftigung im Üewerbe-
betrieb sich ergebenden Gefahren ffir Leben und Gesundheit und ilire Ver-
hfltung, und sweitens der Schutz der Umgebung gewerblidier Anlagen gegen
die durch letztere verursachten Belästigfungen luid Schadlichk(Mten.
I. Die Ursachen der den Arbeitern aus ihrer Bescli:ifti^:unf4' erwaclisemlen
Schädlichkeiten sind am angefülirten Orte hinreichend beleuchtet. Wu- iuibeu
uns hier nur noch mit den Mitteln zu Ihrer Abhilfe zu beschftftigen., und zwar
dürfen wir uns auf die speciell beruflichen Schädlichkeiten bescbränken ;
die aus «ier alliremeinen socialen Lag^e der Arbeiter sich «T^reljt'nden Scliiid-
liclikelten und die \ ersuche zu ihrer Abwehr liaben ebenfalls am angeführten
Orte Ber&cksichtigung gefunden. Wir betrachten gesondert : ») die aus der
gewerblichen Th&tigkeit f0r den Arbeiter erwachsenden, chronisch wirkenden
Schädlichkeiten und hl die durch ijefäliiliche Beruhrnnfren mit Maschinen oder
Maschinentbeilen oder durch andere in der Natur der Betriebsstätte liegende
Gefahren bedingten Unfälle.
•) Eine der wichtigsten Quellen fflr die Oesundheitsschädigungen
der Arbeiter, gleichviel welcher besonderen Betriebsarten, bilden die in jedem
Raum, in welchem viele Menschen länf^ere Zeit verweilen. auftreteniJen Luft-
verunreinigungen. In dieser Beziehung hat die Qcwerbehygienc keine anderen
Forderungen zu erheben als die Hygiene ganz Im Allgemeinen : der Arbeits-
raum muss einen der Zahl der in ihm beschäftigt (>n Arbeiter entsprechen-
den liUftraum erhalten, und es muss für ausreichenden I,.uftwechsel gesorgt
werden, üeber das Mass des für den Kopf zu fordernden Luftraumes gehen
die Ansichten der Hygieniker sehr weit auseinander. Wenn wir die ver-
Bchiedenen tiieorettsch begrOndeten Forderungen mit den Erfahrungen der
Praxis zusammenhalten, kommen wir zu dem Schlüsse, dass die Anforde-
runtren an den Luftraum {fewohnlicher Werkstätten und Fabriken, die be-
sondere künstliche Lüftuugseinrichtungen nicht besitzen, niemals unter das
Mass von 7 Cbm. fflr den Kopf sinken dflrfen ; wo es irgend mSglich er-
scheint, namentlich auch in allgemeinen behdrdlichm Verordnungen, sollte
unter keinen Umständen ein Mindestmass von wenijrer als in Thm. fi'st-
gesetzt werden, insbesondere dann, wenn in den Räumen während der
Abendstunden längere ^it bei Oaslieht, oder wenn in Naditschichten gear-
beitet wird, oder auch wenn jugendliche Arbeiter beschäftigt werden, die
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16
Arbeiterhygiene.
für die Entwicklung ihres Körpers eines besonderen Schutzes bedürfen.
Neben diesen Anforderuniren an den Luftraum ist aber vor Allem darauf
hinzuarbeiten, dass ein angreniessener Luftwechsel hinzutritt. FQr den Luft-
wechsel in Fabrikräumen grelten im Allgemeinen ebenfalls dieselben Grund-
sätze wie für andere zu ventilirondc Räume, nur dass in Fabriken die
durch mechanische Kraft bewegten Qeblftseconstructionen naturfremftss eine
grossere Rolle spielen, als die Benutsung von Tempt'raturuiitiTschicdcn zur
Bewepun? der Luft. Eine nicht zu vernachlässiLrt ii'lc Quelle für die X'er-
unreinigung der Raumluft liegt speciell für Fabriken und Werkstätten in
dem Mugel an Reinlichkeit, dem wir leider vielfach in denselben begegnen.
Bin unnachsichtiger Kampf gegen alleriei überflOssiges Oerfimpel, gegen den
Schmut/. der sich in K> ken und Winkeln ansammelt, ist eine der eijten
Fordeniiiiren der Fat)fikliyiriene.
Etwas eingehender müssen wir uns mit den Fällen besciiäft igen , in
denen es sich nicht melir lediglich um den Ersatz der durch den blossen
Anfnitlialt von Men.schen in den Pabrilcrftumen verschlechterten Alheraluft
handelt, sondern der Fabricationsprocess selbst der Rauinliifl Stoffe zuführt,
die entfernt werden müs.sen, wenn daraus nicht sanitäre Mis.sstände schlimm-
ster Art entstehen sollen. In erster Linie ist hier der Staub von Bedeutung.
Erfreulicherweise macht sich mit der wach.senden Kennt niss von der Gefähr-
lichkeit desselben immer mehr das Bestreben geltend, den Arbeiter mit alirn
im Bereiche des Möglichen liegenden Mitteln vor der Staubeinathmuug zu
schfltzen. Dies kann einmal geschehen, indem man versucht, den bereits
entstandenen und in der Umgebung des Arbeiters verbreiteten Staub un»
schädlich zu machen (Niederschlagen dos Staubes durch Besprengen und
feuchtes Abwischen des Fiiss!>nd«'ns . Zerstäuben von Wasser. Verhinderung
der Einatbmung des Staubes durch Respiratorenj, zweitens — und das ist
die wirksamere Methode — indem man den Staub verhindert, Oberhaupt
in die Umgebung des Arbeiters zu gelangen. Am vollkommensten wird dieser
Zweck erreicht, wenn es gelingt, an die Stelle von Fabricationsverfahren,
die bislang mit Entwicklung von Staub verbunden waren, andere zu setzen,
bei denen kein Staub mehr entsteht, d. h. wenn man k. B. das Trocken-
sdUeifen durch Nassschleifen ersetzt. Wo die Beschaffenheit des su ver-
arbeitenden Materials dies nicht zidässt. hat man die Stelle, an weh her
Staub entstellt, möglichst dicht ^'■egen den übrigen Raum abzuschliessen und
mit einem künstlichen V'entiiations.system in Verbindung zu setzen, welches
absaugend wirkt und krftftig genug Ist, den Staub mit sich fortzureissen.
Derselbe wird alsdann gesammelt und in der weiter unten zu be.schreihenden
Weise für die L'^mgebung unschädlich geniaeht Dieses Verfahren ist bei den
verschiedensten \ errichtungen — beim Transport von verschiedenen Materia-
lien, beim Verpacken, beim Sortiren und Reinigen, bei den mannigfachen Zer^
Meinerungsverfahren (KugelmOhlen). beim Sieben und Mischen, beim Schleifen
u. 8. w. — mit Erfolg angewandt. Nicht wesentlich anders gestaltet sich das
Princip, wenn es sich darum handelt, den Arbeiter vor der Einathmung in
Qas- oder Dampfform auftretender Substanzen zu schfltzen. Auch hier
wird es darauf ankommen, entweder die versdiiedenen Verrichtungen, bei
denen sich derartige Substanzen entwickeln, in dicht geschlossenen Qefässen
vorzunehmen — z. B. das Kochen des weissen Phosphors für die Zündholz-
fabrication in dichtschliessenden Kochern mit mechanischen Rührwerken —
oder, wo dies nicht möglich ist, die Oase oder Dftmpfe möglichst dicht an
der Entstehungsstelle durch Blechhauben oder ühnliche Vorrichtungen auf-
zufangen. iVio entweder mit einiMU stark ziehenden Schornsti'ln oder mit einem
mechanisch angetriebenen Exhaustor in \ erbiudung stehen. Durch zweck-
mässig eingerichtete Vorrichtungen dieser Art ist es in gut eingerichteten
Fabriken vielfach gelungen, Arbeitsverrichtungen, die frQher fOr in hohem
Arbeiterbygiene.
17
Grade gesandheitsschftdlidi angesehen werden mussten« zu nahesu gefahr^
lotet! zu g-fstalttMi.
Gewisse andoro ^i'werblichc Verrichtuns:on . welche z.B. die Haut mit
resorbirbaren giftigen Substanzen in BerQhrung bringen, erfordern noch andere
Massnahmen zum Sohatse der Arbeiter. Hier spielen namentlich auch die
Einrichtunffon zur Beförderuntr der individuellen Reinlichkeit fR;id(M) eine
grosse Rolle. Auf weitere P'inzeiheiten in dieser Beziehung einzugehen, ver-
bietet der zugemessene Kaum.
Wälirend nun in einzelnen, namentlich grösseren Betrieben bereits
heute allen Anforderungen Rechnung getragen ist , welche die Hygi«ie be-
rechtifjiler W«'ise an die Beschaffenheit einer Arbeitsstätte stellen kann, und
somit der Beweis erbracht ist, dass die Technik in dieser Beziehung in
lio£^m Grade ihren Aiilgahen gewadisen ist, zeigt es sich ganz al gemein,
dass das Gros der Fabriken und Werl^st&tten in (^resundheitlicher Beziehung
noch fast Alles zu wünschen ijbrijr lässt. Neben der Furcht vor den Kosten
solcher Einriebt unü:en trüirt vielfach auch Indolenz und Unkeimtniss der Ge-
fahren der Betriebsweise Ihren Theil dazu bei. Sollen daher die Grundsätze,
die im Vorstehenden kurz angedeutet sind , allgemeinere Verbreitung finden,
80 ist ein auf di<' Unternehmerkreise ausgeübter gesetzlicher Zwang unver-
meidbar. Die deutsche Gewerbeiresetzgebung betrachtet folireireniäss den
Schutz der Arbeiter gegen Gefährdung des Lebens und der Gesundiieit im
Betriebe als eine Verpflichtung der Untemelimer, und zwar als eine solche
öffentlich-rechtlicher Natur. Es hiess in dieser Hinsteht schon in der Ge-
werbeordnung vom 21. Juni ISG'.i (Jj 107):
»Jeder Gewerbennternehmer ist verboadeo, aal s^e Kosten alle diejenigen Einrieli-
tnafen bersostellen und zn anterbalteo, welehe mK Rflekriclit anl die beMttdere BeachnIIeB-
heit des Gewerbebetriebe» und der n* triebsst;itte zu thunlichater Sicherheit der Arbeiter
gegen Gefahren für Leben und (JeHUndheit imtliwendi«,' sind.«
Für die Lehrlinge galt noch folgende besondere Bestimmung 106) :
»IMb naeh den Lande^geaetaen snatMndige BdiOrde bat darauf an acbten, daaa bei
r.M hiiftignng der Ldirliqge febUhrende Rflckalefat aal Oesoadbeit and ffittUchlieit ge-
Doninien .... werde.c
Hieran anknüpfend verpflichtete die Gewerbenovelle vom 17. Juli 1876
die Unternehmer, bei der Besch&ftigrung von Arbeitern unter 18 Jahren (nicht
blos I^'hrlingen dieses Alters) die durch das Alter derselben gebotene be-
sondere Rücksicht auf Gesundheit und Sittlichkeit zu nehmen 12o. Abs. l).
Die Vorschrift des älteren § 107 wurde durch die Novelle mit unerheblichen
Aliinderimgen dem § 120 als dritter Absatz nebst folgender Bestlmmunir
hlnzugefOgt:
>D.irübcr, welche Einrichtungen für nlle Anlnfjen einer Itestinimten Art b(Tzn^t<'llen
Bind, können durch lienchluas dea Bundesrathes Vorsuhrilteu erlassen werden. Soweit solche
nicht eriansen äind, bleibt es den^naoh den Landeagesetien soatindigen Behörden flber-
laaaen, die erforderlichen Bestimmongen za treffen.«
Wer der Aufforderung der Behörde unii'eachtet den Bestininiungen des
§ 120 zuwiderhandelte, wurde mit Geldstrafe bis zu 3uO Mk. und im Unver-
m^ensfaUe mit Haft bedroht
Bine wesentliche Ausgestaltung haben diese Bestimmungen durch die
Novelle vom 1. Juni IS'.'l erfahren. Zunächst erhielt die Gewerbeordnung
bezüglich des Inhaltes der ächutzvorschriftun in den §§120a — c die fol-
gende Fassung:
§180«. Die Gewerbeuntemehmer sind verpfllclitet, die Arbeitsräuine , Betriebsvor-
richtangen, Maschinen und Geräthschaften so einzurichten und zn unterhalten und den Be-
trieb so zu regeln, dass die .Arbeiter petren Gefahren für Leben und Gesundheit soweit ge-
•ehfitzt sind, wie es die Natur des Betriebes gestattet.
Insbesondere ist lUr genügende« Licht, ausreicbeuden Luftraum und Lultwecbsel,
Beaeitigang dea bei dem Betriebe entatebenden Stanbes» der dabei entwickelten Dttnato nnd
GMe^ aowie der dabei entatebenden AblUie Soige sa tragen.
■nsrslap. 3sliiMMh«r. VII. 2
18
Arbelterhygieoe.
EbeiWO Bind dieienigen Yorrichtungen herzustellen, w.-lche zuiu Sohatie 4«r Arbeiter
fegi-n geBlirllobe BerUhmogen mit MMcliin«o oder Mascbinentbeilen oder gegen andere io
•dar Natv der Betriebsstitte oder des Betriebes lieg'ende Gefahren , nameBtlieh auch gegen
die Oelabreu. weich«- ans F^ihrikhriiinlrn erwachsen kiinni'n. rrrnnlerlich »iod.
Endlich sind diejenigen Vorttchriften über die Orduang des Uetriebefl and das Verhaltea
der Arlieiter zn erla»sen, welche rar Sichemng eiaes gefafariowni Betriebe« erfofdertleb eind.
S 120/'. Die Gewerbeuntemehmer «ind verpflichtet, diej«'nigen Einrichtungen zn treffen
und zu unterhalten and diejenigeo VorBCbriften Uber das Verhalten der Arbeiter im Betriebe
zu erlassen , welche erforderlich alnd , wa die Anfrechthaltutig der gntea Sitten a»d de»
Anstände« sn «icbern.
Insbesondere nrass, soweit es die Netar des Betriebes solisst, bei der Arbeit die
Treiiminpr «ler Geschlechter durchgeführt werden, sriferTi nirht die Aufrechthaltung der guten
43itten und des Anstandes durch die Elnriclituii}.' d« > Betriebe» ohnehin gesichert Ist.
In Anlagen, deren Betrieb ea mit »ich bringt, da.sH die Arbeiter sich nmideiden und
nach der Arbeit sich reinigen, nittsaen ansreichende, nach Geschlechtem getrennte Ankleide*
lind Waschräume vorhanden sein.
Die HcdUrfnissanstalten miissen so eingerichtet sein, dass sie fUr die Zahl der Arl)i iter
«nsreicben, das« den Anlordemngen der Oeanndheitspllege entsprochen wird nnd das« ihre
Benotsimg obae Yerietmng Ten Sitte md Anstand erfolgen Icana.
§ 120r. Gewerbeuntemehmer. welche Arbeiter unter 18 Tabren bt scbUftigen , sind
veriiflichtet , bei der Einrichtung der Betriebsstätte und bei der Kegelung de» Betriebes die«
jenigen besonderen liUcltaichteu auf Gesondbett nnd Sittüehkeit m nehmen, w«dcbe dnrdi
das Alter dieser Arbeiter geboten sind.
Die DurcliführuDg der obigen Schutzvorsciirifti'n ist durcii den § I JiJd
in Verbindung mit den Stntfvoradiriften dos §147, Abs. 1, Ziffer 4 und
Abs. 4 gr^regelt. Dieselben lauten :
§120'/. Die zuatändigren Polizeibehörden sind befugt, im Wi-ge der Verfügung für
einzelne Anlagen die Ausführung derjenigen Massnahmen anzuordnen , welche zur Durch-
führung der in § 120 a bis 120 f enthaltenen Grundsätze crfonlerlich und nach der Bcschaflen-
lieit der Anlage aoslfibrbar erscheinen. Sie Itdnnen anordnen, dass den Arbeitern znr Ein*
Bttae Ton Habiseiten ausserhalb der Arbeitsiiane angemessene, in der kalten Jahresieit
geheizte T?äume unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.
Soweit die augeordneten Massregelu nicht die Beseitigung einer dringenden, das
Leben oder die Gesundheit bedrohenden Gelihr benweeken, mnss die AMfObmag eine
angemessene Frist gelassen werden.
Den bei Erlus dieses Gesetzes bereits bestehenden Anlagen gegenüber- k5nnen , so-
lange nicht eine Erweiterung oder ein Umbau eintritt, nur Anfordenmgen gestellt werden,
weiche zur Beseitigung erheblicher, das Leben, die Uesundbeit oder die Sittlichkeit der
AAcAter gelUirdender Mlssstlnde erleiderlieb oder ohne miTerbiltnlasmlasige Aitfwendragen
•naiabrbar erscheinen.
Gegen die Verfügung der Polizeibehörde steht dem Gewerbeuntemehmer binnen zwei
Wochen die Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde zn. Gegen die Entscheidung der
bOheren Verwaltoqgsbebtfrde ist binnen vier Wochen die Beschwerde an die Oentralbehörde
mlifliiff I diese entseheldet endgiltig. Widenprldit die Yerfflgung den von der zostibidigen
Berali|geBOs»enschaft erlassenen Vorschriften zur Verhütung von l'nfiillen, so ist zur Eiu-
legmg der vorstehend bezeichneten Rechtsmittel binnen der dem Gewerbeunternebmer zu-
stehenden Fri.st auch der Vorstand der Bemfsgenosscnschaft befugt.
§ 147. Hit Gddstrafe bia su dteihandert Mark nnd im UnvermOgensfaUe mit Halt
wird bestraft
.... 4. wer den auf Grund des § 120'/ endgiltig erlasseaen Yorfligangen oder den
auf Grund des § 120 e erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt.
.... In dem Falle sn 4. kann die Poli>eibeb9rde Ms mr Herstellnng dee der Yer^
fUgung <n!i>r der Vorschrift entsprechenden Znstandes die Einstellung des Betriebes, soweit
derselbe durch die Verfügung oder die ^'orscbrift getroffen wird, anordnen, falls dessen Fort-
aetsnng «bebUehe Naditheile oder Gefabren herbeinfBbren geeignet sebi wttide.
Welche Behörden in ledetn Bundesitaate unter der Bezeichnung »höhere
Verwnltunfrsbcbörde^. »Polizeibehörde« u. a. w. zu verstehen sind, ist nach § I r>5
der Gewerbeordnung von der Central behörde des Bundesstaates belcunnt zu
machen. FBr Preussen Ist CentndbehSrde Im Sinne des § 120tf der Minister
fOr Handel und Gewerbe, höhere Verwaltungsbehörde der RegierungsprSsI-
dent . Polizeibehörde die Ortspolizeibebörde f Amtsvorst elier . Rürtrermeistor,
Poli/eiiliret'tor u. s. w.i. Neben den ordentllelien Polizeibehörden ist nber
durch § 139Z> der Gewerbeordnung autli den Gewerbeaufsichtsbeamten die
Aufsicht fiber die AusfQhruiif der Bestimmungen des§ 120« — e eingeräumt.
Das Verfahren bei der DurchfQhruog poUseilfcher Verfügungen richtet sidi
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Arbeiterliyglene.
19
nach den Laadesgesetzen. In Preussen sind die Bestimmungen des Landes-
Teriraltangsgesetaes vom 30. Juli 1888 massgebend.
Während die Bestimmungen des § 120 a — d die DurchfOtanmg gewisser
Grundsätze des Arbeiterschutzes durch polizeilirlip Vrrfncung an einzelne
Unternehmer regeln, gestattet § 120 e, entsprechend der \ orschrift des älteren
§ 120, Abs. 8, aueh nodi den Brlass allgemeiner, für ganie Betriebsnr^ge
geltender Vorsohrfften :
§ 120 e. Durch Heschluss des Bnndcf5rathcs künnon Vorsi lirifti n ilarübcr crlasson wt-rden,
weksbeo Anlordenutgen in beatimmten Arten von Anlagen zur Durcblfitamng der in dem
f ISO»— e enOidteineii Graadflltce m genegeo tat.
Soweit solche Vorschriften durch Beschhiss des Riindf^rathes nicht erlassen sind,
kennen dieselben durch Anordnuug der Landes-Centralbehürdeii oder dnrch Polizciverord-
nnu^en ilcr zum BritBS solcher berechtigten Behörden erlassen werden. Vor dem EAu»
solcher Anordnnnfen und PoUseiverordnuiies ist den Yontiiidea der betheiUgten Berol»-
^enoBsenschatten oder 6enifsgenomenMili«fli>8eeilonen Oelefenheit so efiier gntachtUeheD
Aeussenintr zu gebeu. Auf diusc finilt'n dii- Bestimnunpen des §79, Abs. 1 diM OflSCtSM
betrelleod die UnlaUverücberang der Arbeiter vom 6. Juli 1884 Anwendung.
Durah BewAdoM dw Bondearathes kOnnen Illr solche Gewerb«, in welchen dnnli
tIbermSflsige Daner der tiiglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird,
Daner , Beginn nnd Ende der zoläaaigen täglichen Arbeitszeit uud der zu gewährenden Pausen
Torgeschriebea mid die swr Dnrehfllhnuig dlewr Tonehriften erforderllobeB AneffdamfeB er-
luMB weiden.
Die dnrah Botehtai« des BondeanfheB erisweaen Tonohrihen lind dvrek das BelelW'
^">^"tzM;itt zu ven'iffentiichon oad deu Belebttag bei Ktaem lAohiten Zmamnentritt nr
Kenutuisänahme vorzuleben.
Es waren schon auf Qrund des älteren § 120, Abs. 3, vom Bundes-
rathe SchutsTorschriflen fflr Bleifarben- und BleizudLerfabriken (Bekannt-
machung vom 12. April 1886) und fQr Anlagen sar Antertigong von Cigarren
(Bekanntmachung: vom O.Mai 1888) erlassen worden ebenso schon früher,
zugleich auf Grund des Reichsgesetzes betreffend die Anfertigung und Ver-
zollung von Zündhölzern vom 18. Mai 1884, für Anlagen, welche zur Anfer-
tigung von ZOndhSlsem unter Verwendung von weissem Phesfiiior dienten
(Bekanntmachung vom 11. Juli 1884). Es war nothwcndip:. die älteron Be-
kanntmachungen auf den durch die Novelle vom 1. Juli 1891 treschaffonen
neuen Rechtsboden zu stellen ; zu diesem Zwecke sind sie nach dem Inkraft-
treten der Novelle unter dem 8. Juli 1898 neu veröffentlicht worden (R G. BL
pag. 200, 213 und 218). Hierzu sind neuerdintrs noch die Bundesraths-
bekanntmacliunpron vom 1. März 1806 betreffend den Betrieb von Bä<kereien
nnd Conditoreien , welche in erster Linie die übermässig lauge Arbeitszeit
In diesen Betrieben einschrSnkt, und vom 2. Febrnar 1897, betreffend die
Einrichtung und den Betrieb von Anlagen rar Herstellung von Alkali-Chro-
maten. hinzn^ekommen. Für andere Gruppen von Betrieben, so für die Buch-
druckereien und Schriftgiessereien , für Accumulatorenfabriken u. s. w. sind
entsprechende Verordnungen in Vorbereitung.
Die Landesoentrall>ehörden der Bundesstaaten, sowie die zum Brlass
von Polizeiverordnnngen berechtigten Behörden (In Preussen Oberpräsidenten,
Regierungspräsidenten. Landräthe. Ortspolizeibehörden), welche nach ij 120e,
Abs. 2, soweit nicht der Bundesrath Schutzvorschrifteu erlassen hat, dazu
berufen sind, hattmi schon firQher auf Grund Ihrer landesgesetzlichen Zu-
ständigkeit auf diesem Gebiete vielfach eingegriffen und haben damit bis in
die neueste Zeit fortgi'fahrcii. Ein näheres Kincrehen auf dl»« zahlreiclien
hierhergehörigen Erlässe und Verordnungen verbietet der zugemessene be-
schränkte Baum (vergl. hierzu die in der Literaturzusammenstellung aufge-
tflhrt« Schrift von Evbrt).
Während die Vorschriften des § 120« c fOr alle Arten irewerblicher
Anlagen gelton, bestehen für Fabriken und yleichuestellte Anhijren noch
besondere Vorschriften hinsichtlich der BeschäfLigung von iugendiichen
Arbeitern nnd Arbelterinnen. Sie lauten, nachdem die Gewerbenovelle
2*
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20
Arbeiterbygteiw.
vom 1. Juni 1891 «Rb In wesentlich!»!! Punkten erweitert, Insbesondere die Arbeit
von Kindorn unter i:^ ifrülD r unter li'j Jahren, sowie die Nachtarbelt erwach-
aener Arbeitorinnon vcihot* n hat. fok-^rniifi-masscn :
§ 13Ö. Kinder unter Iii Jahren ilürfen in Fabriken nicht beiwhältigt werden. Kinder
Iber 13 Jahre dttrten in Fabriken nur beseUftiirt wwden, wenn tie nieht mehr snm Be>
lOdhe der VolksHclmlc vcrpfliobtft sind.
Die Ik'Sfhaftigung von Kindt-rn unter 14 Jahrru dar! die DainT von t! Standen taglii li
■kht flbersebreiteD.
Junge Leute zwiBcben 11 und lü Jahren dOrfen in Fabriken nicht länger als sehn
Standen tiglieh beiebiftigt werden.
is 13*;. Dil' Arbettratnnden der lujfondlichen Arlx itor f!; lar») dürfen nicht vor fiinf. iii-
halb Uhr Morgens beginnen nnd nicht Ul>er achtt-inhail) L'hr Alicnds dauern. Zwi.schen den
Arheitsstonden niUsMen an jedem Arbeitstage regelniiisHitre I'au.si n gewährt werden. Für
logendliche Arbeiter, welche nar 6 Standen täglich besehiiltigt werden, masa die Pause min-
desten» eine halbe Stande betragen. Den übrigen jugendlichen Arbeitern muss mindestens
Mittags eine einstibi^fe, sowie Vormlttaga and Naehmittaga je eine balbatOndige Panae ge-
währt werden.
Wlhrend der Pansen darf den lagendtiehen Arbeitern eine Besehittlfrang in dem
Fahrikshetriebe Überhaupt nicht und der Anfenthalt in den ArbeitHränim n nur «I inii (jestatti-t
werden, wenn in denselben diejenigen Theile des Betriel»es, in weleben jugeudlielu- Arbeiter
beschäftigt »ind, für die Zeit der Pausten TÖllig einge»ttelit wj!rdeu, oder wenn der Anfenthalt
im Freien niolit thanlieh oder andere geeignete Aafenthaltsriame olue anverliiltniBsmJissige
Schwierigkeiten nicht besehafft werden kSnnen.
\u Siiiiii- mnl I^'i-tta^^' t), s<twii' \\:ihrend der von dem ordentlichen Si i'lsor^'cr für den
i^atechuuicuen- und Coufiruiaudeu- , liciebt- und Comuninionunterricbt bestimmten Stunden
dflffeo ingendliehe Arbeiter nicht be»eliiiftigt werden.
§ 137. Arbeiterinnen dUrfen in Fabriken nicht in der Nachtzeit von 8', , l'hr Abends
bia 6' ., Uhr Morgens und am Sonnabend , sowie au Vorabenden der Fe.sttage nicht nach
d*.,Uhr Nachmittags beHchältiKt werden.
Die Beachäftigong von Arbeiterinnen Uber 16 Jahre darf die Dauer von 11 Standen
taglich , an den Vorabenden der Sonn- und Festtage tob 10 Standen nicht flhendirdtiea.
Zwi'iclK n den Arbeitsstunden muss den Arbeitertoiwn eine mindeatena einstllndlge
Mittagspause gewährt werden.
Arbeiterinnen Uber l().Jabro, welche ein Hanswesen sn liesorgen haben, sind auf
Ihren Antrag eine halbe Stunde Tor der Mittagapaoae sn entlassen, sotem diese nicht min-
destens IVi stunde beträgt.
Wöchnerinnen diirfi u während vier Wuclim na< h ihrer Niederkunft überhaupt nicht
und wiUurend der folgenden sw«i Wochen nur beschäftigt werden , wenn das Zeugnis« eines
approMrten Arztes dies für nlisalg erklirt.
§ 138. Sollen Arlieitcrinnen Hd. r jugendliche Arbeiter in Fabriken beschäftigt werden,
so bat der Arbeitgeber vor dem lieginn der Beschäftigung der Ortspolizeibetiördc eine schrift-
Uehe Anzeige sn machen.
In der Ansrig« sind die Fabrik, die Wochenta«e, aa welehMi die BeschXttigaog statt-
finden soll, Beginn nnd Ende der Arbettscett und der Pansen, sowie die Art der Bmehiftigung
anzugeben. Kim- .Vi iuli riiii^' liii riu «larf. abgesehen von Verschietningen , welche durch Er-
setzung behinderter Arbeiter für einzelne Arbeitsschichteu nothwendig werden, nicht erfolgen,
bevor eine entspreehende weitere Anzeige der Behdrde gemacht ist. In jeder Fabrik hat
der Arbeitgeber dafdr zn sorgen, das.« in den Fabrikränraen, in welchen jugendliche Arbeiter
beschäftigt wcrib n, an einer in die Augen fallenden Stelle ein Verzeichnis» der jugendlichen
Arbeiter unter .\ngabe ihrer .\rbeitHtage, sowie des Beginnes und Endes ihrer Arbeitszeit und
der Pausen ausgehängt ist. Ebenso hat er dafür au sorgen, dass in den betreffenden Räumen
eine TafcÄ ansgehingt ist , welche hi der von der OentralbdiOrde so beatimnenden Faasang
nnd in deutlicher Schrift einen Auszug aus den Bestimmungen Ober die Beaelläftigang too
Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern enthält.
Dem Schutze von Leben, Gesundheit uiul .Sittlichkeit der Arbeiterinnen
nnd jugendUclien Arbeiter In Fabriken nnd irleiohgesteUten Anlagen dienen
endlich die Vorschriften des § 189«^ Abs. 1, Ziffer 1, weldie lauten:
»DiT B^nde^rath ist ermilchtigt. die Verwendung von .Arbeiterinnen, sowie vi>n jugend-
lichen Arlii'item für gewisse FabricationdZweige, welche mit besonderen üelahreu für tie-
snndheit und Sittlichkeit verbunden sind, ginsitoh sn untersagen oder von besonderen Be-
dingungen abhängig zu machen, c
Schon auf Grund der älteren Vorschriften hatte der Bundesrath für
eine Reihe von Fabricationszweigen entsprechende Bestimmungen erlassen,
die nach dem Inkrafttreten der Novelle vom 1. Joni 1891 nahezu sftmmtiich
eine neue Fassung erhalten haben. Ausser den oben erwähnten Beluuint-
Arbeiterhygiene.
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niachunjron für Bloifarbon- xind RIcizuckprfabrikfMi vom 8. .Iiili 18'^'^ (Vcriint
d«'s Aiif('nthalt<>s und (Irr Bcschäftij^uii}*' jugondlichcr Arbeiter in Anlai^en.
welche zur HtM-stellunj; von Bleifarben und Bleizucker dienen ; Zulassung
von Arbeiterinnen ausschliesslich in solchen Rftumen der betreffenden An>
Ia|^ und zu solchen Vornchtunpen, welche sie mit bleüschen Producton
nicht in Berührunsr brinyen) und Cifrarrenfabrikon vom 8. Juli 18'.t3 (Zu-
lassung: von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern nur unter der Bedin-
gung, dass sie im unmittelbaren Arbeitsverbftltnlss sn dem Betriebsunter^
nehmer stehen und dass für männliche und weibliche Arbeiter getrennte
Aborte mit besonderen Einiriiniren und {jetrennte Aus- im«l Ankleideräiime
bestehen;, neben denen für Zündbolzfabriken di(> Bestimmungen des Reicbs-
gesetses vom 13. Mai 1884 (Verbot des Aufenthaltes jugendlicher Arbeiter
in Räumen, in welchen das Zubereiten der Zflndmasse, das Betunken der
H51ser und das Trocknen der betunkten Hölser erfoltrt ; Verbot des Aufent-
haltes von Kindern in Räumen, welche zum Abfüllen der Hölzer und ihrer
ersten Verpackung dienen) zu nennen sind, gelten zur Zeit auf Grund des
§139«, Abs. 1, Ziffer 1, die fol^nden Vorschriften:
1. Die BekanntmaeliaDi; vom 21. Juli 18H8 (K. G.-BI. png. 2V.U untersagt die Be
ftchaftignng voa ArbdtcrinseD und JageDdUoben Arbeitern in QammUabrilten bei der Aafer-
tigirng so^renaanter PrSservatiTs und uderer sn i^eicbem Zwecke dienender OeireostSnde.
2 Di - HckanntiuaLlninK vom ll Mürz 1S'.)2 rR-C-MI. pag. 317 . l)t'treflena Arbei-
ti rinneu und ]u|;endliche Arbeiter in Glashütten, verbietet die Hesel) ältiguai; und den Aul-
eutbalt von Arbeiterinnen in solchen Rüamen, ia denen vor dem Ofen (Sehmeis-, KQhl-,
Cilüh-, Streckolen) gearbeitet wird, und in solchen Käiimcn, in denen eine ansserirewJiluilich
Lohe Wärme herrscht. Mit Schlcifarbeiten dürfen Knaben unter 14 Jahren und ju^fendliche
Arbei'erinnen nicht beschäftijrt werden ; weitere EinsHchränkungen gelten für die Beschäftigung
von Knaben in TaIelgla«bUtten. Jugendliche niäanUcbe Arbeiter dürfen jedenlalla in Qlaa-
Mltten nvr auf Orand eines dem Arbeitgeber anasnhtndlgeiiden Arsttiehea UnsdildUchkdtt-
attestes beHchäftigt werden, iiire Arbeitszeit ist abw^flhead TOB den YoraehfilteB to
§§ 135 und 13Ü der (iew. Urdu, geregelt.
3. Eine Bekanntmachung vom 11. März 1892 (B.><]1.-BL pag. 327) bestimmt, dass in
Drahtziehereien mit Wauerbetricb, in weichen wegen Wasaermangels , Frostes od^r Hoch-
flut die Eintheilnng de« Betriebes in regelmässige Schiebten von gleicher Daaer zeitweise
Lieht innegehalten werden kann, Kinder nnler 14 Jahren und Arbeiterinnen bei der Her-
stellung des Drahtes nicht besobältigt werden dürfen, und das» ihnen der Aufenthalt in den
rar HersteOnng des DrahteB beatimmten AfbeHaribimen nicht «i gettatten Ist Fflr die Be*
schäflignng juiitret freute männlichen (Jeschlechtes von 14- IC Jahren in jenen Anlagen
treten die He.sehranknngen der §■? 13;"), Abs. 3 und 1,3() der (Jew.-Ordn. mit der Massgabe
ausser Anwendung, dass die Gesaninitdauer der Beschäftigung innerhalb einer Woche ans-
schliesslicli der Pansen nicht mehr als 60 Stunden, in der Zeit von 6 Ubr Abends bis 0 Uhr
Morgens nielit raebr als lOStnnden betrage; die Pansen und Rnheaeiten stnd besonders geregelt
4. Eine Bekanntmachung vom IT Miirz 1S'.12 HJ. G. Bl. pnff. 327) verbietet die Be-
schäftigung und den Aufenthalt von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Bäumen von
Ciehorienfabriken, wlhrend daseibat Darren Im B -triebe sind.
b. Eine Bekanntmachung vom 17. März 18'J2 (U.-G. Bl. pag. 32S fordert für die Be-
schäftigung von jugi^ndlichen Arbeitern auf .Steinkohlenbergwerken ein ärztliches, dem Arbeit-
geber ausznhSndigeudes Unscbädlichkeitsattest und regelt die Arbeitaselt dendben thdl«
weise abweichend von den Vorschriften des § 136 der Gew.-Ordn.
6. Eine Bekanntmachung vom 24. Mlrs 1892, betreffend Arbeiterinnen anf Stein-
kohlenbergwerken, Zink- und Bleierzwerken und .'uif Kokereien im Kegierungsbczirk <»|i|,, ln
fordert für Arbeiterinnen zwischen IG und 18 Jahren, denen unter gewissen Voraussetzuugcn
Dispens von den Vorschriften des § 137, Abs. 1 und 3 der GeWvOrdtt. gewährt worden ist,
ein ärztliches UnschüdUcbkeitsatteat and giebt weitere Beatimunngen ai>er Daner and Art
der Beschäftigung.
7. Die r.ekui)ntmachnng vom 21. ^liirz ls'.i2 lI -G Iil. pag. 334). betreffend Arbei-
terinnen und jugendliche Arbeiter in Itohzuckerfabriken und Zuclterraffinerien verbietet die
Terwcndnng roo Arbeiterinnen nnd logendHcben Arbeitern rar Bediennng der Rtlben-
Rchwetiinien , der RUbenwäscben nnd der Fahrstühle, sowie zum Transport der Bülten und
Rübenschnitzel in schwer zu l)ewe;.'endeD Wagen, el)enso ihre Jfeschäftigung nnd ihren Auf-
enthalt während der Dauer des Betriebes Im FUllhanse. in den Centrif ogcorianen , den
Krystallisationsränmen , den Trockenkaouneni ond den Maiscbräumen , sowie an anderen
Arbeitsstellen, in denen eine anssergew{flinlb)li hohe Würme henraebt Die Beschäftigung der
Arbeiterinnen Uber 16 Jahre int abweichend Ton den Beatlmmoogen dcs § 187, Abs. 1 der
Oew.'0rdn. noch besonders geregelt.
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22
Arbeiterhygiene.
8. Die Bt-kanntiuachung vom 2ii. AprU 1892 (K. (J. Bl. pag. W2> verbietet für Metall-
wals> and Hammerwerke, die mit ananterbroehenem Fener betrieben werden , die Beschif-
tignng von Arbeiterinnen hei dem unmittelbaren Betriebe der Werlte und die Beschiiftigung
▼on Kindern unter 14 Jahren Überhaupt ; sie regelt ferner die BenchHftignng der Jungen
Leute mftnnliclien Genchleehte» abweichend von den Beijchränlcangen dt-s § IM\ der (;ew.-(Jrdn.
9. Eine Bekanotmacbaog vom 29. AprU 1892 (K.-0.-BI. pag. 604) verbietet die Be-
sehUtigung nod den Aofentiialt Ton ingendUebeii ArMtera wihränd des Betriebe« in Hechel»
räumen, «owie in Käumen , in welchen Masehiiu-ii zum Oelfnen , Lockern, Zerkleinern, Ent-
stäuben, Anfetten oder Mengen von rohen oder abgenutzten Faserstoffen, von Abfallen oder
Lunpen im Betriebe sind.
10. Eine Bekanntmacbnog vom 27. AprU 1893 (K.-0. B1. pag. 148} verbietet die Ter»
Wendung von Arbeiterinnen und {ngendUehen Arbeitern in Ziegeleien sar Gewinnnng md
«um Transport di r Hiihnciterialien , sowie zu Arbeiten in den Uefen und zum Befeuern der
Oelen, fUr Arbeiterinnen auch die Verwendung zur Ilandformerei der Ziegelsteine, mit Am-
■ahme der DaeMegd waA der Biaimaiiditelne ; sie regelt lenier die Beschäl tignng von pagm
Lenten zwischen 14 und IH Jahren, snwie von Arbeit6rlan«n theUweifle abweiekÜNid Ton de»
Bestimmungen der §§ l'dö, 136 und 137 der Gew.-Orda.
Die Gewerbegresetzgebung der flbrfiren Under verfolgt äbnlidw ZMn
wie die hier kurz skizzirte deutsche, welch' letztere indessen wohl heute
am weitesten in Ihren Anforderungren ^i ht. Ein noch weiteres Hinaufschrauben
der Forderunffen erscheint zunächst wenigstens im Interesse der durch die
sociale Gesetzgebung stark belasteten Industrie kaum ang&nglicb. Nur
mochten wir, wie bereits wiederholt an anderem Orte, auch hier ffir eine
grössere Einheitlichkeit in den AusfQhrungsbestimmungen der Gewerbeordnung
eintreten. Da die Landescenlralbehorde jedes Bundesstaates, ja soirar die
örtlichen Polizeibehörden in dieser Richtung selbständig vorgeben können,
liefen tbataiehlieh die VerhUtniese so, dass an einem Orte erlaubt, was am
anderen verboten ist. und unter Umständen braucht ein Industrieller seinen
Betrieb nur um wenige Meilen in einen benachbarten Huiuifsstaat oder den
nächsten Regierungsbezirk zu verlegen, um ihm lästigen Bestimmungen aus
dem Wege zu gehen. Das ffihrt su ganz unhaltbaren Znstinden, und in
dieser Besiehung ist die deutsche Oewertiegesetsgehung entsdiieden ver-
beaaernngsbed 0 rf t Ig.
b> Im Gegensatz zu der clironisch wirkenden Berufskianklieil steht
der Betriebsunfall, für dessen Verhütung neben den allgemeinen Bestim-
mungen d«r Gewerbeordnung in den Berufsgenossenschaften noch besondere
Organe gebildet sind, deren Rechte und Verpflichtungen nach dieser Richtung
hin das Cnfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1H84. wie folgt. r»'«r('lt :
§ 78. Die Genoftsenscbaften sind befngt, Ittr den Umfang des UenossenscbalUibezirkes
oder Nr beettmnte ladostriesweige oder Betriebiartea «der beetiiiiiiit «bsogreoseiide Beiirke
Vonchriften zu erlassen :
1. über die von den Mitgliedern zur VerhOtnog Ton UntSlIen in ihren Betrieben zu
treffenden Einrichtungen unter Bedrohung der Zuwiderhandelnden mit der EinnchUtzung ihrer
Betriebe bi eine bOhere OefahrenclaMe, oder laUs sieh die letxteren bereits in der höheren
GeMreaetaMe beRnden , mit ZmcUlgen bis zun doppeltea Betrage Uwer Beltrtige.
FUr die HerRteiittiitT der ToqieMlutobeiien Elnrichtitngen ist den MitgUedem eine an»
genieosene Frist zu bewilligen ;
2. Uber d.is in den Betrieben von den Versiehrrten zur Verhütung von Unfällen an
beobachtende Verhalten anter fiedrohoag der Zawiderhaodeladen mit Geldstrafen bis aa
sechs Mark.
Diese Vorschritten bedürfen ilt r (iciu limiK'iiiit: <li'^ l^■i^tls-^'e^.si('h^rungH:lmtes.
Dem Antrage anf Brtheilnng der Genehmigung ist die gutachtliche Aensserung der Vor-
siiade deifeB^ieD fleeHonai, fBr wddie di« Yersehriften OUtigkeit haben sollen, oder, sofern
die GteMMSeaichaft in Section<<n nieht eingetheilt ist, den Genossenschaftflvorstandes beiznfilgen.
§ 79. Die .... Vertreter der Arlteiter sind zu der Berathung und BeschlusHfassnng
der Geno»8enschaft8- oder Sectionsvurstände über diese Vorschriften zuzuziehen. Dieselben
haben dabei roUes Stimmrecht Das Ober die Verhandinngen anfinaeluaende Protokoll, aus
wdflhem die Absttmmung derYertreter der Arbeiter erafehtlfek sein rnnss, tst dem Itelehs-
Versicheninjf^amt vorzulet,'i'n.
Die genehmigten Vornehriften .sind den höheren Verwaltungsbehiirden , auf deren He-
sirke sich dieselben erstrecken, dnrch den Oenossenschaftsvorstand mitsathellen.
§ Kl. Die von den Landesbehörden für bestimmte Industriezweige oder Betriebsarten
zur Verhütung von Unfällen zu erlassenden Anordnungen sollen, sofern nicht Gefahr im
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Arbeiterhygiene.
23
YttSOfe i8tf dem bethdllgtes GeaosseaflcbaltovorsUüiüea oder iSectioasvorständen zur Begat-
aebtoag Dach Maaagabe dei 8 79 vorher nitgetiieUt werden. Dabei findet der $ 79 ent«
8preclM>nd(> Anwendnn^.
§ 82. Die Genossenschaften sind befugt, durch lieanftragte die Befolgung der zur
VerhütUDg von Unfällen za erlasHenden Vorsihriften ZQ ttberwacheu ....
Die einer GeooMeiuchalt «ngebürenden Betriebsonteinehmer sind verpfUobtet, den als
solchen legltlmtrten Beanftra^en der betheiHflrten Oenoasensehaft atif Erfordern den Zatritt
zu ihren Betrirbssfätti ii wilhrend der Betrirliszt'it zu gt st.itten Sir kfJnnen hierzu
auf Antrag der Btaoftr.igten von (h-r unteren Verwaltuiij,'Hl»ehiirde durch Geldstrafen im
Betrage bis zu dreihudert Mark angehalten werden.
§ 8d. Namen nnd Wohnsitz der Beauftragten sind von dem GenosscnschaftsvorHtnnde den
höheren Terwaltongsbehörden, auf deren Bezirke «ich ihre Thätitrkeit erstreckt, anzuzeigen.
Die Beauftragten sind verpflichtet, (Im .M.isssj.ihi' <l.s § der Gewerbe-
ordnung beatellteu ataatUchen Aafsicbtabeamten au! Jürfordem Uber ihre Ueberwaotaungs-
ÜiBtiigfctft und deren Ergebnisse Mitlhdlnnf xb naAen, nnd k9nnen dam Ton dem Releha-
Yenicberongsamt durch Geldstrafen bis zn einhundert Ifark angehalten werden.
Von der ihnen durch diesen 78 einüreriiuraten Befugniss. Unfallver-
hütUDgs Vorschriften zu erlassen, hallen Ende des Jahres 18i>4 von den dem
Reiehfl-Veraichemngsaiiit anterstellten 59 g:ewerblichen Berufsgenossenschaften
53, d. i. VtC/o^ Gebrauch gemacht.
Wir besitzen heute in der Unfallstatistik (]vy gewerblichen Berufs-
genossenschaften « welche das Keichs-Versicherungsamt im Jahre 1887 er-
hoben hat, sowie in den alllShrlich veröffentlichten Rechnungsergebnissen
der Berufsgenossenschaften ziemlich genaue Anhaltspunkte fOr die Beurthei-
lung der Erfolge, welche die auf dio Verhiituntr von Unfällen gerichteten
Bestrebungen bisiantr gehabt haben, und der (iefabrenmomente , auf welche
die weiteren Bestrebungen gerichtet sein müs.sen. Es ergiebt sich aus der
erwUinten Statteiik, dass 1887 In 319.453 versicherten Betrieben mit 3,861.560
versicherten gewerblichen Arbeitern 106.001 Unfälle gemeldet wurden. Die
Zahl der Verletzten , für welche Entschädigungen bezahlt werden mussten,
bellef sich auf 15.970. Von diesen hatten 2ü56 = 18,51% den Tod der
Verletzten, 2827 = 17,70Vo efaie dauernde vfillige, 8126 = 50.88% eine
dauernde theilweiso Erwerbsunfähigkeit de.s Verletzten zur Folge, während
die übrigen Unfälle weniger schwere Folircn hinlerliessen. immerhin aber eine
über die dreizehnte Woche hinausgehende Erwerbsunfähigkeit zur Folge
hatten. Auf 1000 versicherte Personen entfielen 0,77 Qetödtete und 3,37
schwer Verletste.
Die Verletzungen bestanden in 8.51 Fällen in Verbrennungen . Verbrfl«
hungen und Aetzungen. in ]4.8iO. also in weitaus den meisten Fällen, in
auf mechanischem Wege herbeigeführten Wunden, Quetschungen, Knochen-
brflehen o. B. w., in 114 Fällen erstickten, in 147 F&Uen ertranken Personen,
in 18 FUIen erlitten Arbeiter durch Frost. Blitz u. A. ra. Verletzungen. Die
Verbrennungen führten in 214 Fällen = '2r>.l,5" (, derselben, die Wunden in
2465 = 16,61% derselben den Tod herbei. Was die Art des Zustande-
kommens der Verletsnngen betrifft, so kommen auf Verletzungen durch
Ifasehinen 4287 Falle = 26,84 Vo, darunter 469 = ]0,94Vo Todest&Ue, auf
anderweitige Verletzungen 11.(583 Fälle = 73.10" darunter 2187 — 2l.2;t%
Todesfälle. Unter den Verletzungen durcli Maschinen nehmen der absoluten
Zahl nach die durch Arbeitsmaschinen verursachten — 2803 die erste Stelle
ein. Es folgen die Fahrstflhle, Aufsflge u. s. w. mit 899 Unfillen , die Trans-
missionen mit 369 und die Motoren mit 216. Von den Unfällen an Fahr-
stühlen u. s. w. föhrten 27.25% tler Fälle zum Tode; bei den Transmissionen
ergiebt sich eine Todesziffer von 26,02 und bei den Motoren eine solche
von 17,59%. Dagegen erwiesen sich die Unf&Ue an Arbeitsmascbinen als
verhält nissmässig weit unt^efährlicher : dieselben hatten nur in 8,21% der
Falle den Tod zur Folge. Unter den > andei \v( iiiL;<'ii Verletzungen nehmen
der Zahl nach die Unfälle durch den Zusammenbruch und Einsturz von Fels-.
Sand-, Erdmassen, Gerüsten u. s. w. die erste Stelle mit 3322 Fällen ein.
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Arbeiterhygiene.
Hioriiarh konimon die Unfälle durch den Sturz der Arbeiter von Treppen.
Lehern, Gerüsten u. s. w., in Vertiefuntj^en u. s. w. und auf ebener Erde mit
2313 Fftllen. Beim Gebrauch ▼on Handwerkszeufc und einfachen Gerät hen
ereigmeten sich 898 entschädiirunirspflichti^e Unffillo. Die schwersten Folfren
hatten, abg'e>'ehen von (!< ti riifälleii bei (h-r Scbifffnhrt . die uns hier nicht
interessiren. diejenij^en beim Betriebe von iJanipfkesseln, von denen 48,UU"/o,
und diejenigen beim Umgehen mit feuergefährlichen, heissen und ätzenden
Stoffen, von denen 34.3 l^o tSdtlich verliefen.
I)ns aujrenfäIUg:e in die Ersrhrinunirtreten des Bei riehsunfalles hat xcr-
häit nissniässii»- viel früher als auf dem Gebiete der Berufskrankheil cii auf
Mittel zur Verhütung sinnen lassen, und namentlich seit dem Erlass des
UnfallveraicherungsgeneteeB ist ein ausserordentlicher Aufschwunir in der
Technik nach dieser Hii htunjr zu erkennen {rewesen. Im Grossen und Ganxen
ist nach dem Urtheil ib-r berufensten Sachverst ändiir<'n bezriirlicli der Her-
stellung von Schutzvorrichtungen und der Durchführung von Sicherungs-
einrichtungen Oberhaupt wohl schon Alles gresehehen. was auf diesem Ge-
l)ieii' geschehen kann. Es handelt sich im Weseni Iii Inn nur noch darum,
das Erreichte zu bewahren. In einem um so auffalleiub'reii (i('ir»Mi^;il /. zu
dieser Thatsache steht die gerade in der letzten Zeit hervorgetretene und
mehrfach Gegenstand der Erörterung gewordene Erscheinung, dass die Zahl
der Unfälle, allen technischen Verbesseruniren xum Trotz, nicht abg:«iommen.
im Gegentheil zugenommen hat und dnss nur die schweren Unfälle, und
auch diese kaum nierklicli. weniger geworden sind. Nach einer Be'rccbiiiuiji'.
der die Zahlen zu Grunde liegen, welche in den amtlichen Nachricbten d«'s
Reichs-Versicheruniirsamtes Aber die RechnungsOTgebnisse der Berufsfrenossen-
schaften veröffentliclit sind, ist in den Jahren 1885 — 181»'J die Zahl <ler ge-
m<»ldeten Unfälle bei den gewerblichen Berufsgenossenscbaften im Verhält niss
zu den versichert (>n Personen von 26,9 auf 32,5°/oo gestiegen, und auch die
entschädigungspflichtigen Unfälle haben eine Steigerung von 2.8 auf ^.6^/oo
erfahren. Im Verliältniss su den fiberhaupt gemeldeten Unfällen sind die
enlscbridigungspflichtigen von lO.fi auf IT.S" ,, ncsl . wniirrrnl sich nur
in dem Verliältniss der schweren Fälle zu den entschädigungspflichtigen Un-
fällen ein Zurückgehen bemerkbar macht; erstere sind von 40,8 auf l6.7*/o
gefallen. Der Procentsais der schweren Unfälle im Verhältniss zu den über-
haupt gemeldeten ist von t.:i auf l'.'.i heruntergegangen, und auf 1000 ver-
sicheite Personen berecbnel. isl ein Hücksranir von J.l auf n.lt zu verzeichnen.
Hierbei dürfte zweifellos der Umstand eine Rolle spielen, dass den schweren
UnTIlIen sowohl seitens der Arbeltgeber als seitens der Versicherten von je
die volle Beachtung geschenkt ist, 80 dass diese Fälle schon seit drm In-
krafttreten des Unfallversirlicrunu'stresetzes ziemlich vollznbiig zur Meldiintr
gelangt sind, während bei den leichteren Unfällen die Zahl der Meldungen
mit der besseren Kenntnis» des Gesetzes gestiegen ist. Da mithin die An-
zahl der schweren Fälle sich ungefähr gleich blieb, die Zahl der leichteren
Fälle aber zunahm, so musste sich das Verhnil niss der ersteren zu den
letztrrcti trunsl i^rer treslalten. Hin Tbcil tier Verniindi-rniii; der schweren
Fälle wird aber sicher auf Rechnung der Massregeln zur Liifallverhiltung zu
stellen sein. Immerhin aber entspricht diese Verminderung nicht den Rr-
wartungen. die man allgemein gehegt bat und die man zu hegen wohl hr
H'chtigt schien. In den bet beiliirl eri Kreisen ist man geneiiit. diesen Umstand
einer Lücke zuzuschreiben, die noch in der Art und Weise besteht, wie die
Befolgung der ünfilllverhBtungsvorsehriften controlirt wird. Wie in den letzten
Jahren Alles darauf hingedrängt hat. eine Reform «ler siaatlicbrn (icwcrbe-
aufsicbt anzusl reiten und \n Aniiriff zu nehmen, so wird aucli bii-r die tiacliste
Aufuabe der Zukunft die Reorganisation der beruf.sgeno.ssenschaU liehen
Institution der technischen Beauftragten sein.
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Arbeiterhygiene.
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II. iJic Gf'wcrlx'liyfrit'iio im wcitcron Sinne iinifns>t iiclicii di-n s.niit ;ii-cn
Interessen der in (U'n Gewerben besclmftijflen Fersoni-n nun auih noch in
sweiter Linie die der Anwohner der Betriebe, soweit die Abwehr der von
letzteren ausgehenden SchSdlichkeiten in Frage kommt. Die Grundlagre fOr
diese Ahwehr bildet folgende Hestlmmunp der deutschen Gewerbeordnung:
§ 16 , Abs. 1. Zar Erricbtnng Ton Anlagen, welche dnrch die örtliche Lage oder die
Becebaffenbeit der BetriebsatHtte fOr die Besltier oder Bewohner der benaebbarlen Qntnd*
■ticke oder für das Pnblicnin ilbcrh.nupt crlifMiclic N:u lithi-ilc. (Jcfaliren oder IVlilstifjuiiiri n
berbeiführen künneo» ist die UciicbiniguDg der nach deu Laude8ge»ctzeu zuständigen ISt-hürdt:
ertorderlieb.
Damit ist den betreffenden Behonlm die Handhabe iretreben . l>"i der
Concessiom'runir (b'r in Frntre kommenden Gewerl)el)ft riebe die Ausfüln-imc
derjenigen Kinrichtunij;en zu verlangen, welche gesundheitliche Schädigungen
und Belästigungen der Umg^ebungr su verhindern geeignet sind. Die Gewerbe-
ordnungr griebt im % 16 ein Verzeichniss der genohmigun^rspflichtifren Anlagen
mit dem Znsnt7e. dass dassell)e durch Reschluss de-; Hundesrnthes, vorI)e-
halllicb der (i»-nebini'4iinL^ durch d«'n Heicbstan". abueändert werden kann. Das
\'erzeichniss enthält zur Zeit die folgenden Anlagen:
Abdeckereien, Albmnlnpapler (Anlagen rar HerateUnng davon ; so aneh bei den blgen-
dt ii , mir dnrch das Prodnct bfZeichni'ten AnlafjiMi zu Irscn); A^iplialtkorhcreien , Bancon-
Htructionen (i'isernf) , Hlfchjrefiisso (auch Vcruii ti ii i . ISrauiikühlenthetT (ausserhalh dek
GcwinnnngKortes de» Alatcrialsj , l<rlickcii und UrUckenconKtractiooen (elaeme), Cclluloid,
Cellulosefabrilten, Cbemiaclie Fabriken aller Art, Dacbfilxfabriken , Dachpappenlabrilten,
Danpfkesaelfabriken (aneh Yemioten), DarmsaitenfiibTiken, Damisnbereitiinig'sanatalten, Deirras-
labrikcn , Dun^pulvfifabrikcn, Erdöl tDcstillatioii) , FiniTwcrkircicii , l'iniisssicdcreifn , iJas-
beri'itung, Gasbewahrung, Gerbereien, Glaeblttten, Gypsüft-u, Hammerwerke, IiopIen-ächwefel>
dämm, Inpri^ining von Hole mit erbitsten Thecrtflen, Kalifabriken, Kalkflln, Knochen*
bleichen, -Brennereien, Darren inid Korbereien, Kokabereitunj; ausserhalb des OcwinminKS-
Ortes des Material!*, KunsUvullIalnikt ii, Lcnnaiedereien, Metalle, rohe i Anlagen zur (ir w inniiug;,
MetalJglessereien rausschlicsslich blosse Ticgdgiof'sercienj , Pechsiedereien (aus-crlmlli dea
Oewinnnngsortes des Materials), Poudrettelabriken , Köbrenlabriken (ans Blech durch Ver^
nieten), RSatSten, Rnssbfltten, PchicsspulTerfabriken , Bebiffe (eiserne, Baa), flchllehiereien,
Schnellbleichcu . Reifensii dereipn , Stau.iiil.ntr>"n für \Va>s('rtrieli\verki>. Stilrkefabriken (aus
genommen für KartoIIeltiitarkei , StarkeM rupfabrikeu , .steinkohlcntheer i ausserhalh des Ge-
winnnng^ortos des 3Iaterials), 8trohpapierstotffabriken , Talgschmelzen , Theer , Tliccrwasner
(De«>tniation oder Verarbeitung), Thierlelle (ungegerbte, Trocknen und Einsalzen derselben),
Thierhaare (Anlagen zur Zubereitung), Tbransiedereien, Verbleiongs-, Vcrzinnungs- und Ver-
Binknngsanatalten, Waehstndifabriken, Zleg«l(ifen, ZOndatoIIe.
Vom sanitären Standpunkte verdienen hier vor Allem zwei Gruppen
▼on Gewerbebetrieben iH-sondere Heacbtuny:. das sind ,v diejenigen, welche
durch staub- und gasförmige Kmnnalionen die umgebende Luft zu verun-
reinigen geeignet sind, und b) diejenigen, welche durch flOssige Abgänge den
Wasserläufen schädliche Beimengungen sulQliren.
<? Verhält nissmässig am V(dlkommensten gelöst ist die AufL-^abe da.
wo es sich um die Unschädliclimnchung staubförmiger Fabricationsabgänge
handelt. Hier hat in erster Linie nicht ho sehr das sanitäre, als ein wichtiges
wirthschaltliches Interesse cur Einffihrun^ zweckentsprechender Binrichtunffen
gefuhrt. In vielen Betrieben, so in der Bleifarbeninduslrie. der Cement-
fabrication, der Tbomasschlackennuillerei u.a.. biblen die s(aul»förmiy:en .Ab-
gänge ein werthvolles Product . dessen Wiedergewinnung die Anschaffungs-
und Betriebslcoslen solcher Anlagen reichlich lohnt. Indessen haben von
diesen, zumeist aus Xrit/!i( -bkeitsgrunden nngere<rt en Bestrebimgen auch
andere IndustriezwelL;»'. in welclien der durch den Aiheitsproi-ess erzenirte
Staub nur die Holle eines werthlesen Abfalles spielt, den Antrieb erfahren,
die von einer immer mehr vervollkommneten Technilc fflr diesen Zweclc zur
Verfa^mifr grestellten Mittel lediiplich von sanitären Gesichtspunkten aus für
sieb nutzbar zu machen. Das Princip der in Frag*e komm«'nden ICinrich-
tUBgen bestellt darin, dass die von den stauberzeugenden Masdiinen und
Vorrichtungen abgeführte Luft (vergl. I. ai. ehe sie ins Freie tritt, durch
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Arbeiterhygiene.
Filtt rstofle geleitet wird, die den Staub zurückhalten und in geschlossenen
Beiiältern sammeln, von denen er in Säcken oder Fissem abgenommen
werden kann. Da die Gewebe sich rasch terseUen, mnss in knrsMi Zwischen-
räumen eine Reinigrung derselben crfolercn. die in der Regel dutdi l incn
kräftijren Luftstrora l)ewirkt wird, der zeitweilig in einer der Siauhluft
entgegengesetzten Ridituug zugeführt wird ; um die Wirkung zu erhöhen,
werden die Filter selbstthltig durch mechanische Vorriditungen grerdttelt,
beziehungsweise g:ekIopft oder umgestQlpt. Verunreinigungen der Luft durch
austretenden Staub können durch derartige Einrichtungen in ziemlich voll-
kommener Weise verhindert werden.
Als ein vorläufig noch nicht gelöstes Problem ist die Verhinderung der
Bellstigung der Umgebung durch die Verbrennungsgase der Fabrikfeuemngen
anzusehen. Zahlreiche VorsclilStrc für »rauchvcrzpliifiulc«. ''r.nichv('rl)renn<*ndp«,
»rauehvermindernde«, »rauchverhütende« Einrichtungen sind gemacht worden,
ohne dass diese Anstrengungen bisher von einem durchschlagenden Erfolg
begleitet gewesen wlren. Diese Thatsache hat neuerdings dem preussisdien
Minister för Handel und Gewerbe Veranlassung gegc^bcn. eine aus Vertretern
der verschiedi'ncn Rcgierungsressorts und der Dampfkcssrlrovisionsvcreine
zusammengesetzte Commission zu berufen, welche systematische Versuche
nach dieser Richtung eingeleitet und darOber im Jahre 1894 einen Bericht
erstattet hat. der aber erst als ein vorläufiger SU betrachten ist. Nach den
bisherigen Eryfcljiiisscn ist zu hoffen, dass die Versuche nicht erirebnisslos
verlaufen werden. — Um der Lösung der »Hauchbelistigungsfrage« auf
anderem Wege näher zu kommen , hat der deutsehe Verein ffir öffentliche
GesundhettspHege auf semer Versammlung in Frankfurt a. M. 1888 die For^
derung nach einer ircsct zlichcn Handhabe aufgestellt, um von hrstimraten
Thoileii (li's Gcmeindebezirkes ^i worblichc und industrielle Anlatren. welche
durch Ausdünstungen, Rauch oder durch lärmenden Betrieb die Gesundheit
der Bewohner oder die Annehmlichkeit des Wobnens beefaitrftchtigen , fern-
zuhalten«. Eine Reihe von deut.sclien Städten, unter anderen Dresden. Frank-
furt a. M.. Altona, haben bereits durch Ortsstatut dahin zielende Äbgren-
Zungen vorgenommen.
Neben den Verbrennungsgasen der Kohle sind es dann weiter eine
Reihe von Huttengasen, in erster Linie die sauren Dämpfe, welche beim
Rösten der Schwefelmetalle, besonders in den Zink-. Blei- und Kupferhütten,
bei der Darstellung von Alaun aus schwefelkieshaltigem Alaunschiefer und
bei allen Industriezweigen, in denen Sulphate bei hoher Temperatur zersetzt
werden, in die Umgebung entweidmi, die zu sanltlren Bedenken Anlas»
geben. Auch die Hopfenschwefeldarren, in denen der Hopfen zu seiner Con-
servirung geschwefelt wird, verunreinijren die Luft durch entweichende schwef-
lige Säure. Zur Unschädlichmachung dieser Gase sind mit mehr oder min-
derem Erfolg die mannigfachsten Sinrichtungen getroffen, auf die wir hier
im Einzelnen natürlich nicht eingehen können.
h} Die durch flüssige Abtrünge gewerhiiclier Aiilaireii herlieiirefütirte,
in einigen Gegenden sehr hochgradige V^erunreüiiguug der öffentlichen Wasser-
Iftufe hat ebenfalls tu Missstftnden gefCthrt, die emsteste Beachtung Ter^
dienen. Dieselben bestehen zum Theil darin, dass das verunreinigte Wa.sser
die Gesundheit direct zu schädi<ren im Stande ist. zum Theil daiin . dass
die Anwohner durch die .Ausdünstungen di's Wassers belästigt werden, oder
dass die naturgemässe Benutzung des Wassers für den Trink- und Haus-
gebrauch , auch ohne dass das Wasser geradezu schädliche Eigenschaft^
angenommen hat, beeinträchtigt wird (R. Koch). Für die Beurtheilung der
Schädlichkeit der verschiedenen Abwässer und der Mitte] ihrer Unscbäd-
lichmachung theilt Jurisch die.selben in folgende drei Gruppen: 1. Abfall-
Wasser mit stickstoffhaltigen organischen Verunreinigungen ; 2. Abfallwaaaer
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Arbeiterhygiene.
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mit in der Schwebe gehaltenen festen Körpern; 3. Abfallwasser mit vor-
wiegend mineralischen Substanzen.
In die erste Gruppe irehören die Abg^änge folgpender gewerblichen An-
lagen: Abdeclcereien und SrhlSchtereien . Gerbereien und Lederrärbereien,
Milchwirt hschaften und Al])umiufabriken . Wollwäschereien und Walkereien,
Woll-, Baumwoil- und Seideäpinnereien und -Webereien, Industrie der Be-
kleidung nnd Reinigrung, Placliszabereitung, StlrkemeUfabriken, Zuckers
labriken, Bierbrauereien. Hrennereien und Spiritusfabrikettf Weinbereitung
nnd Essigfabrication. Ollulnse-. Holz und Strolistoff . Pappen- und Papier-
fabrication. Seifensiedereien, Industrie der Feltkörper und des Glycerins,
Verarbeitung der Knochen, Leimsiedereien und DQngerfabriken, Farbenfabriken,
Barbareien und Druckerei<rn. — Die hier au'gezShlten Abginge haben das
Gemeinsame, dass sie entweder schon in F'Kulniss begrriffen sind oder in
Fäulniss üb('rg:ehen könnf n. Alle Abfälle dieser Gruppe, welclio als infections-
verdächtig zu betrachten sind, müssen desinficirt werden, diejenigen, welche
nicht als inf^ctionstthig anzusehen sind, können verschiedenen Behandlungs-
woisen unterworfen werden, um einerseits die Verunreinigung der Gewässer
durch dieselben mofrlichst zu verhüten und andererseits, um dieselben fi'r
DQngzwecke lu verwerthen. lieber die zahlreichen Methoden ist die reich-
haltige, bei KOmo nnd JmuSGH (s. Literatunrerseichikias am Schlnss des
Artikels) angegebene Specialliteratur einzusehen.
Die zweite Gruppe iimfnsst folirfiidc Betriebsarten: Erzwasclien und
Pochwerke. Steinkohlenwäsciien, Braiinkohlenwäschen, Ammoniaksodafabriken,
verschiedene Betriebe der Textil- und Holzindustrie. — Diese Abwässer
können durch einlaches Absetzenlassen oder FUtriren Terh<nissmässig leicht
unschädlich gemacht werden und kommen andererseits sanitär wenig: in Be-
tracht ; ihre gemeinsame Schädlichkeit, wenn sie einer Reinijjunp: nicht unter-
worfen werden, besteht darin, dass sie ein mechanisches V^ersanden oder
Verschlammen der FlQsse verursachen können.
In die dritte Gruppe sind die Abwässer folgfender Betriebe zu rechnen:
Erzberffbau, Kupferextraction. Zinkextraction. SttMiikolilen- und Braunkohlen-
bergbau, Steinsalzbergfbau , Chlorkaliumfabriken, Kokereien, Leuchtgasan-
stalten, Thee^^'e^arbeitung, Petroleumreinigung, gewisse Abwässer aus Farben-
fabriken, Firbereien, Bleichereien und Gerbereien, Soda- und Potasche-
fabriken, Chlorfabriken, chemische Kleinindustrie, Metallverarbeitung. —
Die schädlich wirkenden Stoffe sind in diesen Abwässern in niebr oder
weniger vollständig gelöstem Zustande vorhanden, und ihre Schädlichkeit
richtet sich in jedem Falle nach dem VerdOnnungsgrade. Sie können da-
durch unschädlich iremacht werden, dass sie auf den entspredienden Ver-
dunnunpsprad . der für eine Reihe der betreffenden Substanzen annähernd
ermittelt ist, gebracht w^erden. Für eine Keihe dieser Abwässer giebt es
chemische Reinigungsverfahren, die tum Theil darauf basiren, die AbflUle
wieder nutxbar zu machen.
Literatur (s. auch die Literatur zu (U-n Artik« In A r I) ( i f r rh ygiene und Arl)piter-
schntz): Bericht Uber die allgem. deutsche Auästcllung auf dctu Gebiete der Hygiene und
des RettuDgBwesens. Breslau 1886, III. — Bericht über die deatacbe allgem. Anastellang fOr
UnfaUverhatung. Berlin WM). — Albbbcht, Handbuch der pralctiHchen Gewerbchrgiene.
Berlin 1894/95. — AtBRKCHT, Der gefletzHcbe Schutz gewerblicher Arbeiter gegen Gefahren
tttr Leben nnd Gesundheit. Schmollkk'ü Jahrb. f. GeKetzgeburig, Verwaltung und VoDcswirth*
•ehalt. löM), XIV, 1. Heft. — £tut, Die deutsche Gesetzgebung zum üchutze von Leben,
Oesandheft und flittllebkelt der fswerbllchen Arbeiter. ZVII. Abschnitt von Aubbcbt, Hand-
bnch der pral(ti.«ichen Gewerltehypicne. Berlin 1894 9ö. — Platz. Dii- riifallvcrhUtuncr*vor-
•cbrilten. Berlin 18sy. — Anitlielu- Nachrichten <le» Reichs- Versicherungsamtc!*. 1890, iS'r. lU
and 1^, Nr. 3. — Die Berufsgenodsenschaft. 1893. Nr. 5. — Bericht Uber die Sitinnfea der
Commlsslon zur PrOJang und Untersuchung von Kaucbverbrennungs- Vorrichtungen und Uber
die im Auftrage dieser Comraission ansgefilhrte Prüfung von Einrichtungen nnd Feuerungen
zur Kaui tiverminderung bei Dan)prke,>*seln. Berlin IS'.U. — Oertlielie Lage der Kabrilcen in
Städten. Verbaadl. der 14. Versamml. dea deutscheu Vereins lUr ülfentl. Ge»undheitspllege
S8
Arbeiterhygiene. — Arsen*
Itrauiitichwcig 1885). Kiixu;, Vfiunroiniguiig d»'r GewüKaer. Berlin 18f<7. — Jiuistu, Du«
V«ninreioiging der G«wlMer. Berlin 1890. H. Albneht.
Af^entoly eine x'on Franz Fritzsohb & Co. dargestellte Verbindung
des Silbers mit Chiiiosol . Cy ügN . OH . SO, . Ag: . welche bei Gefrenwart
scplisi-hcr Stofft' in ibrc ConipoiiiMil cn /rrfSlH und dadurrb desinficirend
wirkt- Das Präparat stellt ein tjelbliclies. fast {jeruchloses. in Wasser, Alkohol
und Aether sehr schwer, in heissera Wasser etwas leichter lüsliehes Pulver
dar, welche« beim Glflhen 32,07**/o Asche hinterlftsst. Erfaitst man das Pnlver
llngrere Zeit mit Wasser, so wird das Silber in höchst feiner Vcrt licihiog
al)tr('spalt('n und kann mit Hilfe eines Stäbchens zu t^lan/.enden Pläitchen
iferieben werden. Der Silberffehalt beträjjrt Jil,7^o. Ein äusserst enipfind-
lichee Keagrena auf Argentol ist das Biaenchlorid, welches In sehr verdflnnter
LSsungr (1 : 20.000) noch eine deutlich blauSTÜoe FSrhun^r verursacht. In
den von Ai'KRECHT aiisMcfiiiiri i ti ni'sinfectionsvfrsiir-hen zeigte sich dasArgentol
in LÖHiun}>-en von O.ö ^ dem Sllhernitrat überlegen.
Literatur: Pharm. Ztp. 18!>7. Nr. 2H. Lo,-hisrh.
Arsen» Die Fraye. oh im Falle des Auffindens von Arsenik in einem
auf einem Kirchhofe, dessen Erde arsenhaltig ist. längere Zeit begraben ge-
wesenen Cadaver das Arsen ans der Kirchhotserde in den Leichnam
dringen könne, ist in älterer Zeit insgemein nach dem Vorgange von Ohfila
neuativ beantwortet worden, weil man annahm, dass in der Erde das Arsen in
einer nicht in Wa»8er löslichen Form enthalten sei. Diese Antwort kann
ledoch nicht mehr als völlig zutreffend betrachtet werden, seitdem der Be-
weis geliefert worden ist. dass in einigen Erdproben das Arsenik in einer
wns><erlnslichen Vi'rbindnim" vorliaiidcn war. Dass die Mögliclikfit «'Ines Ein-
dringens von Arsen aus derart i^r^r Kirchhofserde in die darin l)e;:rabenen
Leichname unter Umständen gegeben ist. l^ann nicht zweifelhaft sein, und
es wird deshalb IGr die gerichtliche Expertise sich stets die Aufgabe stellen,
in jedem Einzelfalle nicht allein die Frage, ob das Arsen in wasserlöslicher
oder nicht wasserlöslicher Form in der Kirclihoferde vorhanden war. tlurch
chemische Untersuchung festzustellen, sondern auch die Umstände zu erwägen,
welche das Eindringen In den Leichnam ausschliessen, unwahrscheinlich oder
denkbar machen. Auf die wesentlichen Umstände dieser Art hat der Wiener
Chemiker Schnfipfr ') schon lHr»2 hingewiesen, doch sind noch mancherlei
neue 'I hatsachen durch eine aus der neuesten Zeit stammende Untersuchung
Kratter's*) hinzugekommen. Man sieht daraus, dass die Frage nicht all-
gemein, sondern von Fall zu Fall beantwortet werden muss.
Der Nachweis, dass die Erde eines Friedhofes Arsen enth<. Ist för
die forensische Benitlieiliing der Frage, inwieweit sdIcIk-s ans der Friedhof-
erde in den Leichnam eines dort Begrabenen eingedrungen sei. für sich allein
ganz unzureichend. Er begründet selbst nicht einmal die Wahrscheinlichkeit
eines solchen Eindringens, weil das Arsenik in der That nach Walchnbr*)
und SoNNEXSCHKlN '1 Heslaiidt heil aller an Eisenoxyd reichen Erdarten (Thon,
Mergel. Ucker) ist und die auf solchen Bodenarten angelegten Kirchhöfe so-
mit sämmtlich arsenhaltig sind. Wahrscheinlich handelt es sich hier um
arsensaures Eisenoxyd, das sicli /war leicht in kochendem Wasser, aber nicht
in kaltem löst und deshalb auch von dein in den F^odeti eindrinireiulen Regen-
was.ser nicht zu den Leichnamen bingefOhrt werden kann. Nach G.ar.\ibr
und ScHLAGDBNHAUFFEN wird nicht allein das im rothen Sandboden der
Vogesen vorhandene Eisenarsenlt durch R^nwasser nicht tiefer in den Boden
geführt, sondern es geht auch aus Lösungen von arseniger Saure, von arsenig-
snurem und nrsensaurem Alkali das Arsen in kalk- und eisenhaltigem Thon-
boden nach und nach in unlösliche Verbindungen über, so dass in der Tiefe
von 1,6 — 1.9 Meter unterhalb der mit den Solutionen benetzten Stellen selbst
uiym^L-ü Ly Google
Ara«n.
29
nach 14monatlicher Infiltration von Regenwanfler keine Spor Arsen zu finden
ist. Neben den Friedhöfen, deren Erde eine solclu» in kaltem Wasser unloe^
liehe Verbindung enthält, kommen al)er auch sob iie vor iti denen das Arsen
zwar in einer in kaltem Wasser selir schwer, aber keineswegs völlig unlos-
Uclien Verbindung existirt. In der Kirchhofserde von Ekieisbach bei Feldbach
in Steiermark eonstatirte Rbinitzrr einen so erbeblichen Arsengrehalt^ dass
dieser quantitativ mit dem in (Mnem fünf Monate nacli dem Tode exhumirten
Leichnam gefundenen ültereiiistimmtc i'M Mirrm. in liioO Grm.K Di«' darin
enthaltene V'erbindung war in kaltem Wasser und auch in Kulilensüure- und
ammoniakhaltigem Wasser In so getingeta Hasse lOslich, dass aus 2S0 Gnu.
Erde nicht mehr als etwa ' M}rrm. arseniper S&ure auffidüst wurde. Da-
gpjren ergab sich, dass durch f()r(ir<'s<'tzt(> Auslauirung der Erde immer wieder
auf's Neue derartige win/.i<;e Mengen Arsen in Lösung gingen, so dass also
die Möglichkeit nicht aus^reschlossen ist, dass durch wiederholtes Eindringen
von Regrenwasser ali*>rdin<>:s kleine Mengen von Arsen zu den Leichnamen
gelanfren konnten. In difsem Falle ist allerdinirs die Klrchhofserde nicht in
der Tiefe von l — 2 Metern untersui iit worden ; es ist daher nicht ausge-
schlossen, dass in tieferen Schichten der Arsengehalt ein noch beträcht-
licherer war.
In Fällen, wo die Kirchhofserde eine Arsenverbindung von der ange-
gebenen Beschaffenheil hat. wird ubriu-ens in erster Linie die Fratre zu ent-
scheiden sein, ob überhaupt hinreichender Feuchtigkeitsgrad vorhanden ist^
der eine solche Imprägnation veranlassen könnte. Sdion Schnbidbr wies
darauf hin, dass bei fehlender Feuchtigkeit Oberhaupt an Ablagerung fremder
gelöst ei- (xlei- Mufireschwemmter Stoffe nicht zu denken sei. und dass nur, wenn
der Feuchtigkeitsgrad der entfernteren Umgebung den der unmittelbar mit
der Leiche in Contact stehenden überwiegt, eine Strömung arsenhaltigen
Wassers ansunehmen ist. Stehen hreiUch, wie in Edelsbach, die Sftrge wegen
der Schwerdurchlassiffkeit des lehmigen Bodens zeitweise im Waaser« 80 ist
die Möglichkeit der Durchtränkung an sich nicht ausgeschlossen.
In solchen dubiösen Fällen können Zustände des Sarges und des Leich-
nams von wesentlicher Bedeutung werden, um zu einem bestimmten Ausspruche
zu gelangen. Ist der Sarg unverletzt und der Leichnam noch oinigermassen
gut erhalten, sind namentlich Körperhöhlen nicht eröffnet, so ist liöchstens
ein Niederschlag auf die äussere Oberfläche, nicht aber ein Eindiingen von
Arsen in die inneren Theile möglich. Schon Schnbidbr wies darauf hin, dass
bei momlenartiger Vertrocknung der Leichname, wie man sie frOher mit Un-
recht als eine liäufiq: bei Arsenicismus vorkommende ansah, ein Arsengehalt
der inneren Partien nicht von der Kirchhofserdc herrühren kimn«'. Ganz anders
gestalten sich aber die V'erhältnisse, wenn die Leiche im Zustande der Fäul-
nisB sieh befindet und der Sarg nicht mehr intact ist Richtig ist bestimmt
der Ausspruch von Schneider, dass, indem die Fäulniss nur hei Gegenwart
von Feuchtitrkeit möglich ist. bei gleichzeitiger Trockenheit des Bodens die
Imbibitionsrichtung von faulendem Cadaver zur Erde zufolge der einfachen
Gesetze der Capillarwirkung weit st&rker sein mOsse wie umgekehrt Ist
aber der Sarg so zerfallen, wie dies ja bei Exhumationea oft vorkommt, dass
die die Knochen verschliessende schmierige Modermasse von der darüber ge-
fallenen Erde nicht zu trennen ist, so kann selbst das etwa in den Knochen
nachzuweisende Arsen aus der arsenhaltigen Kirchhofserde stammen. Kiiatter
fand in Knochen, die olme Sarg Decennien in der Erde gelegen hatten, und
zwar sowohl in den Maschenräumen der Spongiom von Wirbeln und Rippen,
als in den Markhöhlen der Röhrenknochen eine ungemein feine, wie ge-
schlämmte Masse, die sich mikroskopisch als feiner, anorganischer Detritus
von gleidier Art wie der Süssere erdige Belag auswies. Dies liefert den
Beweis, dass bei weit fortgeschrittener VerwittM-ung eine mechanische Ver-
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Anen. — Autoekopl« «kr Luftwege.
mengang d«r tiin(ir«b«ndeii Erde mit den Leidtenresten stattfindet In eolehen
Fällen kann von der Mög^lichkeit eines Nachweises einer Arsen Vergiftung
selbst dann nicht die Rede sein, wenn das Arsen in Form einer in Wasser
und ammoniukalischer Flüssigkeit unlösUchea Verbindung in der Kirchhofs-
erde sieh vorfindet. Sehr riehtig weist Krattbr auf die bei jedem Falle
von Exhumation bestehende Gefahr der Verunreinigung dw Leichenreste mit
Kirchhofs^^rdc hin. die sohr leicht dureh die mit £rde venureinigten Hftnde
des Obducenten geschehen kann. ")
Literatur; ') Scbheider. Gerichtl. Chemie. Wien 1852. pag. 221. — ») Kkatter,
Ueber das Eindringeo von Arsen auH dtT Krit ilhoJ»t'rde in deu Leiohnatn. Wiener klin. Wochen-
schritt. 1896} Nr. 47. — *) WALcamB, Ubaerration aar le enivre et rarttenic, qui proaveot
qae eea deox n^nz lont r^andos partout. Compt. read. 1846, XXVI, pag. 612. — *} flomna»
8CHSIN, Ueber die Verbreitung des Arseniks in der Natur. Vierteljabrschr. f. gerichtl. Med.
N. F. 1870, Xill, p:\g. H)9. — *) 8cBLAOi>KimAurFKN nnd Oakhisb, L'arnenic du hoI des eime-
titires, an point de vne toxicologique. Compt. rend. 1886| C, pag, 188H. — «) Weitere Lite-
rator findet sieb in der unter *) erwähnten Arbeit Ton KaAm». Gutachten ttber einxelne
Oerlehtami«, In denen die Frage des Ueberganges von Arsen ans der Kirchhofserde erOrtert
wurde, bahoii M.kvki (Sur reiiipDisonm-ment par rarsenic. .\iiiial. dliyg. publ. 1879, I,
pag. 148), BaouAKDu. und Pomcbkt (Emp. par l'ardönic. Ibid. 1885, XIV, pag. 73) nnd Leo-
wio oad MADTBKn (Ueber du YorlnaiBen von Anen in FriedluttiMrde. Wiener klin. Woeken-
•chrtlt 1890, Nr. 86) TerOttSntiieht Xuaemmnu.
Antoskople der Luftwcse* Die im vorigen Bande der Bncy-
clopädisclien JalirbQcher gegebene Darstellung erfordert einige Veränderungen
und Krtränzuntrcn Ks lii<»ss damals : >Zur Ausübung der Autoskopie des
Kehlkopfes und der Luftröhre genüget in ganz günstigen Fällen (statt des
sogenannten Autoslcopes) irgend ein gewöhnlicher knietSrmfger ZungenspateLc
Nach dem ietzigen (im April IBUG erreichten) Stnnde der Technik können
wir sagen: Die Autoskopio ist reine Spa t ol t cc !i nik geworden, zur aiilo-
skopischen (totalen oder partiellen) Besichtigung des Kehlkopfes und der
Luftröhre genQgt bei Erwaohsenen in allen Fällen, in denen (und soweit
bei Omen) die Methode fiberluuiiit ausfahrbar ist, ein knieförmiger Zungen-
spatel — freilich nicht irgend ein beliebiger (etwa (\rr FRANKEL*sche\ son-
dern der von W. A. Hirschmann in Berlin geferiig^te Km.'=?TF.t\ sche Zungen-
spatel (Fig. 1). Dieser Spaltel ist flach, d.h. nicht rinnenfürmig wie die
im vorigen Bande beschriebenen sogenannten Autoskopspatel, denen er aber
wiederum durch die endst&ndige Delle ähnelt. In allen seinen F'orm- und
Grössenvorhültnissen ist mein Zungenspatel aufs Genaueste berechnet und
abgepasst. Einen ganz besonderen Werth lege ich auf die richtige Biegung
des vorderen, auf die Zunge aufzusetzenden Endes. Die Spatelfläehe erleidet
hier einen Abfall von 1 Cm., weldier auf 5 Cm. Länge vertheilt ist ; die Curve
bildet das Segment eines das gerade Spatelstück tangirenden Kreises von
13,5 Cm. Radius (Fig. 2).* Die gesammte Länge des Spatels bis zur vorderen
Begrenzung des Handgriffes beträgt 1Ü,8 Cm. Die Breite beträgt am her-
untergebogenen gedellten freien Bnde 1,8, am geradlinigen Abschnitt 1,9, an
der dazwischen liegenden talllenförmigen Verschmälerung (vergl Fig. 1 b)
1,4 Cm.** Das Metall der Spatelplatte ist durchweg gleichmässig dick. 2..') Mm.
Der Handgriff des Spatels hat eine Vertiefung, in welche das Endglied des
Daumens so gelegrt werden kann, dass swisehen der Hand des Untersuehers
und dem Niveau der oberen Spatelfläclie kein Metall unbedeckt bleibt (vergL
Fig. [. ■'). (1); auf diese VV'cise sind slöreiidf Reflexe beim Auffallen grellen
Lichtes vermieden. In letzterer Hinsicht i.st es am be.sten, wenn der Spatel
mattirt ist. — Ein primitiveres, ebenfalls völlig leistungsfähiges, freUloh wohl
nicht ieder Hand gleichermassen gerechtes Modell meines Zungens|»atels vor*
* Die beachriebene schwache KrUrnnrang genügt lOr alle Fllle; von stärker ge<
krümmten 8patda bin 1^ anmllig gans ahgekomnen.
** Mein aeneites Modell ist von von bis hinten gtoidunlsrig 1,6 Cm. brdt (Jud 1897).
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Autoikopic der Luftwege.
81
fertigt H. Ppav in Berlin. Das Instrument bestellt blos aus einem passend
ingescihnlttenen nnd spitiwinkllg gebogenen Stfiek Nenailberbledi (Fig. 8).
Die Anwondungswcisp nipinos Zunirmspatols zur autosknpischen Be-
sicht i^unff dos tioft'ii Pliarynx. dos Larynx, dor Trachea und der Broiu-hialein-
gänge bei Erwachsenen gesciiieht in der Weise, dass zunächst der Patient
eine cweckm&ssige K9rp«iialtang elniunehmen hat (vergl. Fig. 4, 5 und 6,
Fl». 1. Kig, 2.
KlRSTKIxVcber Zangenip»lel.
* SeltCMnuicbt. A Aniicbt des
Tordaran Endes Ton oben.
DiMwSpat«! ii<t nicht ein blon»«
Aotoskopir-lnKtrumen'. , sondern
er dient aanimtlichfin Vpr-
riehtnnffen, alten Tind neuen, il-r
g*mnmt«n ZDiig»iiii|>*«><lt"i')iuik
nd macht den BeHitz luidanr
Ztingenrpatel antbehrlicb
KrUmmangtlinie di-s KiusiiciN'echea /angeospatets.
»f.«.
■owie die eingehende Erörterung im voriprcn Rande), dann wird unter Be-
leuchtung (durch meine elel<.trisciie Stirnlampc oder, weniger wirl^ungsvoll
und technisch schwieriger ! durch mit dem Stirnspiegel reflectirtes Gas-
lifliit ete.) das Spatelende in die Vertiefung swlaohen Zungengnind und Kehl-
deckel eingesetzt und dabei der Griff des Instrumentes stark angehoben, so
daas die obere Spatelfläche sich dem Oberkiefer (beziehungrsweise den oberen
Zälinen) nüliert und dazwischen nur der zum
Hfndurchsehen n5thige Abstand gewahrt bleibt.
Icli pflege mit der freien Hand den Kopf des
Patienten zu diriiriren und mit dem Daumen
die Oberlippe (respective den Schnurrbart) nach
oben hin aus dem Wege zu halten. Meine Art
so untersuchen erhellt am besten aus den Fig. 4,
5 und G. welche nach Momentaufnahmen den
Hereranjr bei der Autoskopie der liinteren I^aryiix-
wand, der Bifurcution und des vorderen Glottis-
winkels darstellen. Uebrigens kann man auch
im Sitzen oft recht gut autoskopiren, wobei
dann der Patient sich weiter nach TomOber
beugen muss.
Handelt es sich nidit darum, selbst eu untersuchen, sondern anderen
Personen die autoskopisoh eingestellten Theile zu demonstriren, so ist das
alte sogenannte »Autoskop (bestehend aus dem rinnenförmiiretK vnrne «jo-
krQramten Autoskopspatel , dem Aufsatzkasten, dem Klektroskopi immer
noch sehr gut brauchbar. Indessen empfand ich es bei Demuiistrutionen .stets
peinlich, vor den Belehrung Ober die Methode suchenden CoUegen mit einem
KlKSTKlX'iehar Ziuig*D«|>at«l in rer-
L.iiju,^cci by Google
32
Autoskopie der LtiftweRe.
nndoroii Wvrkzcuuro hantiron zu sollen als mit ilem «jcwöhnliclHMi. beim «'iir<'iij'n
L'ntiTsijclu'n ausschliosslich bcnuttton Inslrumonti' . dorn «'infat-hen Ziinyrcn-
spatol. Endlich ist «'s mir. tranz kürzlich, ffclunsen, eine elektrische Spatel-
Via. 4
A»t(Mkopi* der binterao KcbllcopiwHnd.
lampe zu construircn (Fabrikant: W. A. Hirschmaxx), welche meinem {re-
wohnlichen Zunjrenspatel (Kiir. 1) jederzeit im Moment ani^efö'rt werden
kann, wodurch bewirkt wiril. ilass das Licht strin«litf über den Spatel hinweg
und an ihm entlang: streicht, so dass die Bedin^unyren zu einer erf<)lu^r«'ichon
. ..j , ..oogle
Autoskopie der Luftwege.
33
Demonstration {rejreben sind. Damit sind wir dem von mir seit Jahresfrist
verfoltrten Ziele, das <^Autoskop< schliesslich ui&nz abzuschaffen, um ein
tüchtiges Stück näher grekomraen.
Aulosko|iie der Bilurc»liou.
Autoskopische Operationen werden entweder unter Leitung meines
einfachen Zuntrenspatels (mit Slirnlampe oder Spatelhirapr i oder aber des
completen Autoskops vollzofren — ji> nnrh der im «'iiizcln«'» Falle abzu-
schätzenden Bequemlichkeit und Sicherheit. Das Autoskup hat da, wie ich
Eacjrelop. Jahrbücher. VII. 3
Digitizei. , ^ .oogle
34
Autoskopie der Luftwege.
nicht bestreiten kann, vorläufiia: noch pewisse VorzQpro vor dem einfachen Spatel,
vor Allem jrewHhrleistel es durch seine doppelte Anhebeluns: pepen harte
Widerlatrer (unten nach vorn gegen das Zungenbein und oben nach hinten
Fte. •.
Autockopi« ite« vurdaraii Ulott>««rliik«lt.
gegen die obere Zahnreihe) grosse Ruhe und verleiht dem Kehlkopf eine oft
ganz erstaunliche Fixation. - Eine wesentliche Neuerung hat J. SOLis-CoHEN
elngi'führt. indem er gezeigt hat. dass die alt«Mi. katheterförmig gebogenen,
den Spiegeloperationen dienenden Operalionsinstrumente auch für autosko-
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Autuskopie der Luftwege.
35
pisrhe Operationen brauchbar sind, wahrend ich frühor glaubte, dass die
Anwendung geradliniger Instrumente für die Autoskopie obligatorisch sei.
(Diese Leistung Solis-Cohbn'b Ist^ nebenbei bemerkt, der einig-einzige Gewinn,
den die autoskopische Methode aus anderen Mitteln als aus draen des Er-
finders l)Pzo<ren lint ) Das Operiren mit den alten Spic^-elinstrumentr'ti nach
SOLIS-COHEX empfiehlt sich nicht etwa blos aus Gründen der Ersparniss,
sondern es ergiebt. gegenüber der Handhabung gestreckter Instrumente, be-
sondere Vortheile hinsiclitlicli der Perspeetive — der Versneh lelut es. Zn
einer volligen Emancipntion von den geradlinigen Instrumenten habe ich es
noch nicht gebracht . aber sie treten zurück. Combinirt man das katheter-
förmige Operatiousinstrument mit dem (completen) Autoskop, so ist das ur-
sprQniflloh von mir gelehrte, sosnsagen intrsnaotoskopale Operiren nicht
möglich, da das Instrument nicht durch den Anfsatzkasten zu bringen ist;
es bleibt dann nur übrig, am Aufsatzkasten reclits vorbei einzugehen, daliei
aber die optische Controle durch den Aufsatzkasten hindurch auszuQben —
das geht leichtMr nnd sicherer, als man denken sollte.
Der an! das Operiren bezQglicIie sechste meiner »Sieben Hanptsfttse
zur Autoskopie der Luftwenfor (vcrgl. vorigen Band, pag. 41) hat die Form
einer Prophezeiung. Indem ich ihn dem Sinne nach vollkommen aufrecht
halte, ziehe ich es doch vor, ihm eine Form zu geben, die gleichwie bei den
aeeha andren Sfttsen einfach das Thatsächllche rasammenfasst mid die M5g-
lichkeit des Widerspruches ausschliesst. Er laute fortan :
»6. Endolaryngeale und endotracheale Operationen sind in
vielen Fällen bequem und sicher autoskopiscii ausführbar.«
In 99 von 100 Fftllen, In denen man b« &waohsenen avtoskopirt, wird
es sich weder um Demonstration, noch um Operation handeln, sondern nm
einfach»» Inspection - — in diesen trebrauche man zum .\utoskopiren
grundsätzlich nie das Autoskop ! Autoskopiren heisst heutzutage gar nichts
weiter als : den Zungenspatel (unser altvertrautes, von mir blos etwas modi-
fldrtes WeilcieQg) so gebrauchen, dass seine (frilher nur Äusserst mangel-
haft gewürdigt en) Kräfte voll zur Geltung kommen. Die autoskopische
Technik ist di(» Kunst, in die Zunge mit dem Spatel, unter mög-
lichst reizloser Hantirung, eine möglichst weit nach hinten unten
reichende Rinne einsudrflcken, deren Richtung sich der des
Tracheairohres möglichst annähert.
Es üriebt Menschen, welche die für die Autoskopie wesentliche, zur
Kegio hyoidea geradlinig abfallende Zungenrinne bei sich activ zu formiren
TermSgm PSade sich diese vollkonunene Herrschaft des Willens über die
Znngenmusculatur bei einem Individuum von sehr hohem anatomischen Auto-
skopirbarkeitsworthe ♦ und criinstig gestalteter, leicht sich aufrichtender Epi-
2-lottis, so müsste es im Stande sein, sein Kelilkopfinneres ohne ieglicho
iustrumentelle Hilfe der dirccten Besiclitigung darzubieten. Einen Menschen,
bei dem alle Erlordwnisse dermassen xusammentrftfen, habe ich bisher noch
nicht auslIndHp graiaoht ; der belcannte ToeoLD'sche Fall aus dem Jahre 1864
ist aber gewiss auf diese Weise zu erklären.
Das Anlaufen der Brille des Arztes kommt bei der ietzt regulären Art
zu autoskopiren. mit dem Zungenspatel, wohl kaum noch in Betracht« da
der Athem des Patientoi sich dabei frei nach allen Richtungen ausbreitet.
Vollkommen schützt vor Störungen das neuerdings von mir (Deutsdie med.
Wochenschr. 1897, Nr. 8) beschriebene Einseifen der ürillengläser. Man
tupft eine winzige Spur Seife (am besten Schmierseife) auf das trockene Glas,
verreibt sie mit einem trockenen Tnehe und polirt solange, bis das Glas
wieder hell ist, dann ist es vor dem Beschlagen gesichert
a
• -T-, vergleiche die Definition der >Aittu!,koi>irbarkt'it« im vorigen Bande.
a
8*
86
Autoskoi^« der Luftwege.
Dass die autoskopische Procedur unter gewissen Umstaiidcn e nv Heil-
wirknngr ausQben kann, habe ich {AUg. med. Central-Zt^. 18115, Nr. 90) fest-
postollt; ich erwähnte ParSstheslen und Neuralfrien. Danach berichtete
H Meyer i Allsr. med. Cciilral-Zl'j: IS'».'., Ni- dass es ihm srchmtren ist,
einen l^jährigen Knaben durcli wiederholte Einfülirunj; des »Autoskops«
von hysterischer Aphonie zu befreien. Zu Pfingsten 1806 habe ich in Heidel-
berg mindestena 40 Collegen hintereinander autoskoptsch in den Kehlkopf
eines hysterisch-aphonischcn jiiniren Madrliens (Patientin von Prof. JuKASZ)
schaiii'n lassen, ohne da^s de im ürhciraen tjenälirte Hoffnunjr sidi erfüllte,
die l'atientin würde danach ilire Stimme wiedergewonnen haben. Seitdem
habe ich mehrere, theilweise schwere Fftlle von hysterischer Aphonie durch
einen einzigen kurzdauernden autoskopischen Druck auf die Zungenwurzel
geheilt: eine iun<re l'atientin wurde später noch zweimal recidiv , je<lesmal
gelang die Heilung durch den Zungenspatel wieder im Moment. Das Mittel
verdient in einschlägigen Krankhettsfillen probirt su werden.
Die vielfache Besonderheiten darhi(>tende Technik der Kinder-Auto-
skopie ist noch nicht in all<Mi Kinzelheiten dermassen aiis<rereift. dass ein
abschliessender Bericht jetzt (Februar Iti".*7) «fegehen werden könnte. Jedenfalls
habe icli ermittelt, dass die durchschnittlich günstige Autoskopirbarkeit des
Kindeaalters eine Ausnahme erfUurt im atlerFrQhesten Lebensabschnitt: SBng-
linge sind oft schwer oder irar nicht autoskopirbar , hauptsächlich wegren
stairer F'ixation ihres Zungen<rrundes.
Literatur. 1. Vollst iludij,' es Vc rzeiclinisH meiner VtTof fcntlichnntfen über
die Autoskopie der Lu f t w e>,M- , nach der Zeit der A))(:is»unif geordnet: AUg.
med. Central-Ztg. 1895, Nr. 34. — Berliner klin. Wooheoscbr. 1895, Nr. 22. Al»gedruekt in
den Verhandl. d. Berliner med. Gesellsch. XXVI. — Arcb. f. Laryngol. und Rhinol. III, 1. und
2. Helt. Abgedruckt in den Verband!, d. laryngol. Gesclisch. zu Berlin, VI. II, pag. 33; .'^chluss-
wort der DiscoMion. Ebenda. I , pag. 20. — lnt4>raat. Centralbl. I. Laryogol. aad Jibinol.
189C, Nr. 8f paff. 1S7 unten vnd 199 oben (Antoreferat). — Beliebt Ober die 2. Tenrnrnml.
stlddeutBcher L.irynjroloci n zu Heidellteip. — Allp. med. Centr.-iI Ztg. 1S95. Nr. 4*^ und .'il —
Therap. Monatah. .hili ISU.'). — Auto^opy ol the iarynx and the trachea u-xauiinafion
WltkOttt taiyngeal mirror). Als Manii^x ript geilruekt im Juli 1895. — Medicinalkalender, ber-
aasgegebea von Dr. H. Lonxmni. 1096, pag. öl. — Allg. med. Central-Ztg. 1895, Nr. 69. —
Deutache med. Woehenitcbr. 1896, Nr. 38. — Allg. med. Central-Ztg. 1895, Nr. 89 und 90. —
Die Autoskopie den Kehlkopfe» und der Luttiühre (Besichtigung ohne .'^iiifui l i Berlin ISilH
Verlag Ton U. Coblentz. — Allg. med. Üentral-Ztg. 1895, Nr. IUI. — Liter.itarbeiluge Nr. 2
der Dentsdien med. Woebenachr. 1886, pag. 11 (Ueterat). — Ebenda. Nr. 4, 1896, pag. 28
iRiehtigs'tellung*. — Allg. med. Central-Ztg. 1896, Nr. 12. — Ei-t inia. IS'.Ml, Nr. 14. p:»g. 168
(Notiz I. — Annal. des maLidie^ de l oreillc, du laryn.v, du n« z et du pharyn.v. Marz und
April IS'.)*). p:ig. 441 (Erratii. Eneyelopäil. .lahrb. d. ges. Ileilk. VI. — Monatssehr. für
Obrenheilk. 18%, Nr. 3, pag. 139 (Eingesendet). — Allg. med. Central Ztg. 18^6, Nr. 25,
pag. 294 (Befemt Uber Brök«). — Ebenda. 1896. Nr. 25, pag. 301. — Monat«««br. f. Ohren-
heilkunde. 1896, Xr. 4. — Allg. med. Centr.il-Ztg. ISlüv Nr. 31. - Munat.Hsehr. f. Ohrenheilk.
1896, Nr. 6, pag. 272 (Berichtigung). — Mlinelu ncr med. Woehensi lir. 1896, Nr. 31. pag. "19
und 730. Abgedruckt in dem Beriehtc über die ."i. Veraamml. süddeutscher Laryngolu^jen zu
Heidelberg. — Internat. Centralbl. t. Laryng. und Rhinol. 1897, Nr. 1, png. 40 und 41 (Anto-
referat). — Therap. Monatsh. Juli 1896. — Annal. de» mnladies de Toreille , du larynx , da
nes et du iihurynx. 1S',I6, Aoiit. — Wiener klin. Woehensclir. 1896, Nr. 38 (Eingesendet ). —
Therap. Monat^ii. iSepteniber 1896, pag. 526 (AntwoM). — Auloscopy ol tb« laryni iind tb«
trachea (direet examination wlttont minror). Antboriaed tnmalation by Max Tnonmnt , A. M.,
H. D. (Cincinnati O.i. Hbiladetphia, the V. A. Davis Co., puhlish.-rs, 1S97. — Encyclopjtd.
Jahrb. d. ges. Heilk. VII. — Berliner klin. Woehensclir. 1H97, Nr. 12. \r.i<: 262. — Allg. med.
Central-Ztg. 1897, Nr. 49, pag. 626.
Angeaicbts der roratebend regiatrirteo umlänglicben literariacben Production enehehit
die Bemerkung am Platze, daM die beiden AafsStze (»Aotoakople der Loftwege«) in Eoudi»
Bi-Ko'ä Eneyclopädisc hm .1 a h r i> il e Ii i' r n lH9ß md 1897 sUea Aber dl« Avioakopie
biaber ermittelte \viH.seu8u-erthc Material enthalten.
II. Die Autoükopie hat die professionelle Reception in anffiillig 8chn(>llem Tempo er-
langt (ausserhalb des deutschen Sprachgebiete» zeigt vornehmlich Nordamerika ein regea
Interesse, demnächst Frankreich). Freilich wurde im Beginne, zur Zeit als noch keine
>Autrirität< Sil h ölfentlieh »pro« » rkliirt hatte, der Versuch gemacht, den F'in<lru( k meiner
Mittbeilnngen ubzuscbwüchen und der Bewegung womüglicb einen Dämpfer aufzusetzen, durch
etaiea »w der kdnigl. Univeraitita-Potikllnik für Uala- and Nasenkrankheiten
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Alltoskopie der Luftwege.
37
in Berlin herrorgegangenen Aulaatz in der AUg. med. Ccntral-Ztg. 18dö, Nr. 100, mit ener-
giaehen Wmdmgen, wie: »gtns w «Inlftdi, wie Berr Knnvni e* hinstellt, Ist die anto-
skopische Untersnchnng für den Patienten entHchleden iiirhtc — »ich bestreite, daas
die Autoskopie eine Vereinlachung der operativen Technik darstellt« — und diin sehr be-
kannt gewordene« Vefdletf dass nach dem elnstloinilgeB UrOeOe der Patienten >daa
Antoslcopiren eine grosse Qnal darstelle« — ; aber sduni wenige Woclien danach er>
Sellien der fOr die allgemeine Werfihsehltzung der Methode grondlegende Aoteats Ton P. Bncns:
Ueber die K iK ST K 1 N s < ]i e directe Laryniiroskopie und ihre Verwendung l) e i en do-
laryngealen Operationen, üerliner klin. Woobenschr. 1896| Mr. 8 ; abgedruckt in den
BeiMfen cnr kUn. CMrmgle. XY, 3. Heft. — Unter den weHerea Knndgebnngen der Antoran
sind die folgenden heroerkenswerth : Wagnieb, De la lar yn ?08Copi e directe (mtithode
de KiRSTEiN). Revue hebdom. de laryngol., d otol. et de rliiuol. 1896, Nr. 27. — G. Killiam
in der DiHcnssion Ober meinen zweiten Heidelberger Vortrag. MUnchener med. Wochcnschr.
1886, Nr. 31, pag. 780. J. 8ous-Cobb>, Introdactory lectnre on examination ol
the larjnz and trnehen withovt nlrror. The Flrihidelphta Polydiole. 1696, Nr. 48. —
F. Klkmpkbkr, Vereinabeilage Nr. 30 der Deutschen med. Wochensrhr. 1890, pnp. 208. —
M. Tbormbb, Preface of the translator, in der Uehersetxung meiner Monographie. — T. Heryso,
Die Antoslcopie des Kehlkopfes und der Luftröhre nach Kikstkin : ihre Ent-
wicklung, Technik und diagnostische Bedeutung. Medycjma. 1897, XXV, Nr. 11
und 12 (in polnischer Sprache). — V. Baxtobpb Stbim, Om Antoskopi. Hosp. Tid. 1897,
Vr. Ift. — Ueber den VenwA, «ntoekopisiAe Bilder zu photographircn, berichtet T. S. Flatau
im Arch. f. Lanmgol. und Bhiaol. T. — Als
nv.T* Coiiomm TenrnkBe ioh den Titel eines fai
den AreblVCt tatenationales de laryngologie,
d'otologie et de rhlnologie, März- April 1896,
enehienenen ausführlichen Olostriiten Rele-
ratea: »Ii'nntotoopie do eanal laryn-
gotraeh^al et la suppression do mi-
TOir laryngoscopique.«
Berichtigungen. 1. Im Arch. 1.
Laryngol. nnd BUneL in, png. IM, habe Uh
Krause als den ersten Laryngologen bezeich-
net, der (1884) direct (ohne Spiegel) in den
Keiilkopf des Hundes geschaot hat. Das ist
nnriehtig. Der erste Laryngoioge, der an Hand
nnd Kntne Avtoskopie Übte, ist E.NATKATrL
(Berliner klin. Wochenschr. 1871, Nr. 33 i
2. Im Autoskopie-Artikei des vorigen
Bandes der Eocyclopäd. Jahrb., pif. 81, In
der Fussnote, lies »glfaMtigsten« statt »gta-
stigen.«
Nachtrag. Combinirte Laryngo-
skopie. AUg. med. Central Ztg. 1897, Nr. 23
ud 38. ~ Annal. des nialaffles de rorelUe^
da larynx et da ncz, Juni 18!>7.
Princip der Verfahrens: Verle-
gvng des optisch zn überwindenden Winkels
von der Staadardstelle (Zäpfchengegend) weit
<.iüttstoUuog«D »ni du ToviUrea uiottUwinkel und aal nach abwärts, In die Tiefe des Rachens.
dM Miotas apiflottldta.) Technik des Verfahrens: Ein-
stellung mit dem Zungenspatel wie zur Auto-
■keple, SnlOlining des Spiegels hinter die Epiglottla. BlnUiek Ton oboi her. (Bei Operationen
Ult der Patient den Spatel.)
Leistung des Verfahrens: Günstigster Ueberblick Uber die Kehldeckeirtickfläche
ud den Torderen Olottiswinkel, bedeutende Erleichteroaf mancher endolaiyigealen Qirimel-
opeiationen, beaaiders im vordenten Kehlkoplabsohnitt.
Anwendbarkelt desYerfabrens: besebrlnkt.
>Dle fast universelle Verwendbarkeit, die ziemlieh sichere Schaffung des TotaUiber-
blickes sind Eigenschaften, die der alten, TüBCK'sohen Laryngoskopie nach wie vor den ersten
Platz, den Rang der Norma]metho<ie sichern. Immerhin giebt es genug Menschen, bei denen
die Normalmethode durch meine, auf vollwirksamer S|iate!haudhahiing beruhende Special-
methoden ausgestochen wird: tfenschen, bei denen der hintere Abschnitt des Kehlkopfes
aatoekopisch , der vordere comliinirt unvergleichlich besser zu besichtigen und zn betasten
ist als nnter der classischen Anlegoog des Spiegels an das Zäpfchen (ganz abgesehen von
den In TeUen Uaaluge antoakopirlMuren Indliidaen).c Kirsuia.
L.iyu,^cd by Google
*
B.
Betriebannfall, a. Arbeiterhygiene, pa«. 22.
Blase (Physiologie). I. Blasenverschluss. Bevor wir die Art und
Weise betrachten, in der nach unserer Anschauuntr der Blasenverschluss sn*
Stande kommt, ist es nöthijr. dass wir uns vorher alle dieienijren Gebilde
anatomiscli n.'ihfr ansclicn. die für diesen Thcil der Blasenthatipkeit in Frage
kommen. Bekanntlich hat man die Musculatur der Blase in ein Schema von
drei Faseriflgen untersobringen versncht imd demgemäss drei Schiehten von
Muskeln unterschieden. Erstens die äussere Längsfaserschicht, die vim alters-
her den Namen Detrusor vesicao führt, zweitens eine innere Gruppe rirrulär
verlaufender Fasern, die man Sphincter vesicae genannt hat, und drittens
eine innere LängsfaserschicM. Ffir uns kommt iüer zunächst die innere cir-
eidlre Schidit in Betracht Wenn diesdbe anfangs in ihrem obersten Theile
auch etwas sehrfig zum Langsdurchmesser der Blase angeordnet i.st . ver-
läuft sie doch schliesslich, etwa von den Hohe des Trigonum Lieutaudii an,
kreisförmig um die Blasenmündung. Aliein diese Hingfaserschicht findet an
dmn Orlficium intemnm der Blase keineswegs ihr anatomisches Ende. Viel-
mehr setzt sich dieselbe, wie ich mich an einer Reihe mikroskopischer Serien-
Bchnitte überzeugen konnte, auf die Urethra fort, so dass die Musculatur
des Anfangstheiles der Urethra und des Sphincter vesicae ein anatomisches
Ganses bilden. Hier in der Urethra jedoch tritt dieser Ringfaswmuskel tn
dnem neuen Organe in Beziehang, und zwar zur Prostata. Wie es entwick-
Inngsgeschichtücli nachgewiesen ist. entsteht dii' Drüse der I'rnslata aus einer
AusstQlpung aus der Urethralwand. Im Verlaufe ihrer Entwicklung ist schliess-
lich die nach innen gekehrte Fläche der Prostata derartig mit der Wand
der Urethra verwachsen, dass sie nicht mehr von einander getrennt werden
können. Ks Itildct somit die der Harnröhre zugewandte Fläche der Prostata
einen intcLt irenden Bestandtht'il der Harnröhrenwand. Im Gegensatz nun zu
diesem Spliincter vesicae internus, der also nicht nur der Blase angehört,
sondern sich auch anf die Urethra fortsetzt und glatte, kreisfdrmig ver-
laufende Fasern enthSlt, steht der Sphincter v(>sicae externus. Es ist dies
jener der Prostata angehori<re musculnse Theil. der gleichsam den äusseren
Abschnitt dieses Organs bildet, während der zwischen beiden Sphinkteren
gelegene TheO lediglich ans drQsigen Elementen besteht. Dieser Sphincter
extemns enthält mm im Gegensatze cum intmius quergestreifte Muskel-
fasern, die anfangs zwar nur dii- Harnröhre in ihrem direct unter der Sym-
physe gelegenen Theile spanirenartig umfassen, an dem unteren Tlieile der
Prostata aber und specieli an ihrer Spitze die Urethra ringförmig umgeben. Es
bUdet somit der Sphincter vesicae externus einen wesentlichen Theil der
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Blase.
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unteit'u Schicht der Prostata. Als dritten Muskelcoinplex, der für den
BlasenverachlasB in Betracht kommt, mQssen wir schliesslich lenen muscu-
lösen Apparat betrachten, der zumeist unter dem Schamboitren gelegen, den
Nnmon Musculus compressor urethrae föhrt. Es ist dies naturgremass kein
einheil licher Muskel, vielmehr verstehen wir unter ihm jene Muskelgruppcn,
die unter dem Angruins pubicus am Beclsenaus^range gelegen und von der
Beckenfascie bekleidet sind. Den wesentlichsten Theil hierzu liefert wohl der
M. transversus perinei profundus. Ob nun die einzelnen Muskeln, wie z.B.
der M. transversus urethrae. der WiLSON'sche Muskel und andere von den
einielnen Autoren, wie Luschka, Holl, Lessuaft, Merkel, Kohlrausch u. A. m.
nach ihrem Faserverlaul herauspr&parirte Muslceln wiriclich eigrene, ana-
tomisch von einander zu trennende Muskeln sind, oder ob sie zwar in dem
Verlauf ihrer Fasern von einander verschieden, im L'ebrigen aber zumeist
doch als zum M. transversus pcrinci profundus gehörig zu betrachten sind,
ist eine anatomisch noch nicht ganz gelöste Frage. Wir folgen fflr unseren
Zweck am besten der Eintheilung von HOLL. Nach ihm umgreifen die Fasern
der unter dem Namen Compressor urethrae von uns verstandenen Muskel-
platten die Baruröhre in vier verschiedenen Kicbtungen, indem sie theils
sagittal, circulär und transt'ersal veriaufoi, theils indem sie die Urethra in
flftchenhafter Ausdelmung schief kreuzen.
Wenn wir niinnichr nach dieser nnatomischcn U<'bersicht uns die Art
und Weise zu verge^renwärlijren sucht n. in der der Biasenverschluss zustande
kommt, so ist es nicht uninteressant, an dieser Stelle auch den älteren An-
scliauungen Raum zu geben. So glaubte Hallbr, dass der Urin deswegen
nicht aus der Blase abfliesse, well er sich, abgesehen von den eitremen
Fallen der BlasenfOllung . am Blasengrunde befinde und sein Spiegel einen
tieferen Stand hätte als das Orificium internum.. Allein abgesehen davon,
dass in stftrkeren Fflllungsgraden die Blase bis weit über die Symphyse
hinaus reicht und somit die Urinoberfläche das Oriticlum internum tief unter .
sich lasst, nicht nur bei liorizontnler Tjatre, sondern auch in der aufrechten
btelluug des Menschen, verräth diese Vermutliung von Haller nichts über
den Mechanismus des Blasenverschlusses. Ebensowenig befriedigt aber die
Annahme von Barkow und Kohlrausch, dass es die in dem Trigonium Lieu-
taudii befindlichen Schleimhaut wuIste seien, die als Ventile fungirten. den
Blasenausgang, d. h. das Orificium internum verschliessen und frl<'i<"hsam die
ganze Last der Uriumeuge tragen. Abgesehen von dem einen Scbleimhaut-
wulste, Aer sogenannten MiRCiBR^schen Uvula, ist die Existenz der flbrigen
Schlcinihautfalten ausserordentlich unbeständig; unter 18 Fällen konnte BORX
nur Tmal derartige Schleimhaut protuberanzen nachweisen. Zu einer cranz
anderen, der Wirklichkeit näher stehenden Anschauung über den Blasenver-
sehlnss fflhrten dann die Untersuchungen von Rosbmthal, HBiDBRHAtiff und
COLBBRG, Wittich u. A. m. Indem sie durch den freigelegten Ureter Wasser
unter hohem Druck so lange aus einem hoher stehenden Gefasse in die Blase
laufen Hessen, bis sich das Orificium internum öffnete und die Flüssigkeit
aus der Urethra abfloss, und indem sie gleichzeitig vermittels einer CanQle,
die durch den anderen Ureter bis in die Blase vorgeschoben und durch einen
Gummischlauch mit einem Manometer verbanden war, den Druck massen, der
nöthig war. um den Biasenverschluss zu sprengen, kamen sie zu (Ut An-
schauung, dass es lediglich die elastische Kraft des Sphincter internus sei,
die die Hammenge ertrOge, indem sie die Blase verschlossen halte.
Diese Versuche, die sowohl an Hunden als auch an Kaninchen ausge-
führt waren, ergaben als Resultat erstens, dass die Sphinkteröffnumr unter
den verschiedensten Druckwerthen stattfand ; zweitens, dass der angewandte
Druck sehr schwankte, |e nachdem an einem weiblichen oder männlichen
Versuelistliiere ezperimenthrt wurde, und drittens, dass awischen den Ver-
40
BlaM.
Bachtn an lebenden und todten Thieren eine gewaltiKre Druckdifferenz herrschte.
Gerade die letzten in die Auiren sprinipenden Unterschiede swisclien todten
und lelu iiden Versudisthieron führten sodann zu dor Vermuthungr, das» es
doi li nicht die olastisrhe Kraft des Sphincter internus allr-in sein könne, die
den Biasi>nverH( -hlus8 bilde. Hondern. wie dies auch von Bldue und später
von Born betont wurde, dass es sich hierbei wohl auch noch um einen
reflertdi li(>n Tcmus des ScIiliessmuskelH handeln müsse. Bevor wir ]•■•!« n h
dieser lei /leren Ansieht nälicr treten, müssen wir in der Gescliidite über
die Anschauungen des Blasen verschlusseH noch auf eine Ersclieinunj; zurück-
kommen . auf die sunidifrt^ KosniPLÄNm in seinen Vmrsachen anfanerkaam
fremadit hat. Spritzte er nämlich durch den einen Ureter Wasser in die
Blase, so öffrifle sieh der Sphinkter naturpremäss bei einem bestininit en. vom
Manometer ablesbaren Drufke. Allein es floss nicht sofort der «fanze Blasen-
inhalt ab. H(mdern der Sphinkter schloss dann wieder, sobald nicht weiter
Fiassiirkeit iniicirt wurde. RosbnplXntbr nannte jenen Druck, bei dem der
Sphinkter nachliess. den Froffnuntrsdruck. und jenen Druck, bei dem der
Sphinkter wieder schloss. den Scliliessimtrsdruck. Ks erjrab sich ferner, dass
erstens diese beiden Druckwerthe ausserordentlich verschieden von einander
waren, und dass zweitens der Schliesaune'sdruck bei demselben Versuchs«
thiere fast c(mstant blieb, wäliretid der Krüffnuns:sdruck ausserordentlich
schwankte, so dass z. B. in zwei auN'inniKiei- fdliicnden Versuchen das erste
Mal ein Eröffnungsdruck von 700 Mm. Wasserhöhe, das zweite Mal ein solcher
von 14A0 Mm. am Manometer abzulesen war. Die Schlussfolgerung aus
diesen Versuchen, die auch ich in grösserer Anzahl an Hunden angestellt
habe, ist die. dass wir eij^entlich nur die Wert he des SchliessunK:sdruckes
verwenden können. Sie zeiiren uns an. welchem Iiun>ndrucke der Blase der
reflectorische Tonus des Sphinkters das Gleichgewicht hallen kann. Gleichzeitig
bildet dieses Phftnomen der Differenz «wischen Bröffnungs- und Schliessungs-
druck auch einen Beweis für den reflectorischen Verschluss des Sphinkter.
Denn wäre es nur die elastische Kraft desselben, die den Blasenverschiuss
besorgte, dann würde er schwerlich bei wiederholt angestellten Versuchen
fast constant denselben Druck ertragen. Den deutlichsten Beweis |edoch, dass
es nicht so sehr die elastische Kraft des Sphinkters, als vielmehr seine reflec-
torische Contraclion sei. die den Blasenverschiuss bilde, triaiibe irh aus dem
Umstände ableiten zu müssen, dass ich auch in meinen \'ersuchen eine so
grosse Differenz zwischen den lebenden und den sofort darauf getödteten
Thieren constatiren konnte. W&re es. wie man annnglich anniAm, nur die
Elasticität des Sphinkters, dem man den Verschluss zu verdanken hätte, so
dürfte dieselbe nicht sofort nach dem Tode so ausserordentlich nachlassen,
Wäiuend nun Bokn, Uffelmanx, Sauer. Büdce annahmen, dass vielleicht bei
geringer BlasenfOllung die elastische Kraft des Sphinkters fQr den Verschluss
ausreiche, für stärkere jedoch der reflectorische Tonus eintrete, glaube ich
aufOrund eigener Beobacbtuniren fast nur let zteren anerkennen zu dürfen Im
Uebrigen wird ein weiterer Beweis dafür auch noch aus später zu erwähnen-
den Motiven «rbradit werden.
Eine ganz neue Vermuthung Ober den Mechanismus des Blaaenver-
schlusses wurde vor wenigen Jahren von Finger in die rroloirie eingeführt.
FiNGEK und andere .\uloren scheinen der .\nsiihl -/n sein, dass die Bedeu-
tung, die der Sphincter vesic^e internus für di-n Blasenverschiuss hat, eine
sehr minimale sei. während fär dieselbe ThStlgkeit der Sphincter eztemus
und der Compressur ur«'tbrao eine weit wichtigere Rolle zu spielen hätten.
li li Lrab mir daher Mühe, gerade diesen Anschauuntren durch das Experi-
ment näher zu treten, und will in Kurzem über die an Hund und Mensch
gewonnenen Resultate berichten. Vorher muss ich iedoch darauf hinweisen,
dass FiNGBR gans speciell betont, dass sich die Ergebnisse der Versuche am
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Blase.
41
Hunde nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen lassen, und zwar aus
dem einfachen Grunde, weil die anatomischen Verhftltniase aneserordentlieh
verschieden seien. Während sich an den prostatischen Theil der Urethra des
Mannes sofort die Pars mombranaroa ansrhliosst mit dorn Convolnt von
quergestreifter Muscuiatur. die wir unter dein Namen Compressor urethrae
zusammengefasst haben (übrigens ist zu bemerken. das.s immerhin der dem
inrostattschen Theil der Urethra folgende Abschnitt der Pars membranacea in
etwa Vj Cm. Ausdehnung: wirklich jeder Wuskclhölle baar ist), foljft auf die
Pars prostatica dos Hundes ein etwa 3 — 4 Cjii. Ians:es Stück der Urethra, das
nach Finger ohne Muscuiatur sein soll. Erst dann tritt die l'rethra in das
Diaphragrma nrogrenitale ein und ist hier von der quergestreiften Mascnlatnr
des Dammes utnucbon. Allein die Anschauung, dass dieser auf don prosta-
tischen Tlicii (lor l'rethra fol{i-ende Abschnitt der Harnröhre des Hinuics in
einer Ausdehnung von etwa '6 — 4 Cm. von Muscuiatur entblösst sei, ist doch
nicht ganz richtig. Gerade dieser Theil der Harnröhre des Hundes ist von dem
sogenannten WiLSON'schen Muskel umgeben ; dersellM ist, wie ich mich mikro-
skopisfh überzeupren konnte, querg-ostroift und gewahrt Ix'i einer Contraction.
die von dcni Willen ahhäniri^r ist. eine ausserordentliche Fähitrkeit. den Blasi-n-
verschluss zu erhöhen. Insofern liegen also die anatomischen Verhältnisse für
Hnnd und Mensch durchaus gleich, wenn man nicht gar behaupten mSchte, dass
gerade der WiLsoN sche Muskel dym Hunde eine l>esondere Möglichkeit gewahrt,
den Verschluss der Blase noch nach Belieben zu verstärken. Den besten Be-
weis hierfür liefert auch die Art der Harnentleerung des Hundes. Derselbe ist
im Stande, seinen Blaseninhalt durch fortwAhrendes, wiUkQrlidies Untorbre^en
auf weite Strecken hin zu zersplittern« Da es mir nun bei meinen Versuchen
sehr darauf ankam, die isoiirte Wirkime: der drei Muskelgru[)pen. des Spliincter
vesicae internus, des Sphincter e.\t<'rnus. welcher der Prostata anirchört. und
des Compressor urethrae zu untersuchen, so exstirpirte ich in acht Fällen
die Prostata des Hundes. Naturgemftss konnte nicht die ganse Prostata
entfernt werden, da sie unmittelbar mit der Urethralwand zusammenliSngft)
vielmehr begnutrte ich mich, etwa zwei Drittel derselben zu eliminiren. Dies
geschah in der Weise, dass zunächst die Kapsel gespalten wurde, aus der
das Prostatagewebe iförmlich hervorquoll. Hierauf wurde soviel von der
Prostatasubstanz abgetragen, als ohne Gefahr einer Hamrdhrenwandverletzung
geschehen konnte. Sodann wurde die Prostata, die aus der Tiefe des Beckens
nicht ohne Mühe hervorgehoben werden mussle. um ihre Läntrsachse ge-
dreht, um auch das Gewebe an ihrer hinteren Fläche zu entfernen. Diese
immwhin sehr eingreifende Operation ertrugen die Thiere zum Theil selir
gut, sogar Monate lang, andere dagegen starben schon nach wenigen Tagen.
Nun war es klar. dass. wenn die Muscuiatur des Sphincter vesicae externus.
der doch der Prostata angehörte und wirklich Alles, für den Blasen verschluss
bedeutete, entfernt war, und dies war in. der That durch die Operation
geschehen , sich irgendwie ein Grad von Incontinenz bei den operirten
Hunden hätte einstellen müssen. Allein trotz sorjrfältiarer Beobacht unir der
Hunde konnte in keiner Beziehung eine \ on der Korm abweichende Biasen-
emtleerung CMistatirt werden. Allein ich ging in meinen Versuchen noch weiter.
In sehn Fallen wurde Hunden durch den Bauchschnitt die Blase freigelegt,
der eine Treter mit einer Handdruckspritze in Verbindung gebracht, während
in dem anderen (>ine MessinirciinOle soweit vorgeschoben wurde, dass ihr
Ende in das Bluseninnere hineinragte. Diese Canüle stand ihrerseits durch
einen Gnmmisdilauch mit einem Manometer in Verbindung. Nun wurde durch
die Urethra ein Katheter in die Blase eingeführt und soweit zurückgezogen,
dass sein blasenwärts tr<'ri(litetes Kode innerhalb des prostatischen Theiles
der Urethra zu liegen kam. Jetzt wurde durch den einen Ureter Wasser in
die Blase eingespritzt, bis der Sphinkter sich dffnete und der Blaseninhalt
42
Blaft».
durch den Katheter sich entleerte. In dem Munieut. in dem der erste Tropfen
aus dem Katheter abflosSf wurde die H8he der Qaecksilbersäule in dem
Manometer abjrelespn. Es zeigrte sich nun. dass d(>r Druck, der nötJiig war,
um den Sphinkter zu eröffnen, sofjar bei domscllx n Thier»', wie schon oben
erwähnt, sehr verschieden war, das» aber jedesmal nur eine geringe Menge
Wassw abfloss, bis der Sphinkterverschlnss dem Innendruck in der Blase
wieder das GbM(b|s:ewicht halten konnte. Nun wurde der Kntbficr noch
weiter aus der Urethra herausfrezojrpn. so dass s«'in P^ndo statt in ilnii pro-
statiscben Theile der Harnröhre nunmehr in dem|enigen zu liegen kam, der
Bwischen Prostata und Symphyse sich befindet und der von dem WlLSON-
Bcben Muskel umgelien ist Wenn es richtig wfire, dass der Sphincter
extemus der Prostata ein wesentliches Hilfsmittel für den Schlussa|)i)arat
der Blase nb-räbe, dann niü.sste jetzt ein viel y-rösserer Druck ang^ewandt werden,
um die Blase zu eröffnen, als in der ersten Versuch.sreihe, wo der in dem
prostatischen Thell Urethra gelegene Katheter den Spliincter extemas
Immerhin an einer stärkeren Contraction verhindern konnte. Allein die Ver-
suche hier erpraben fast «renau dieselben Di uekwertbe wie in den ersten
Fällen. Schliesslich wurde der Katheter soweit vorgezogen, dass sein Ende
in der Pars pendula urethrae sn liegen kam. Jetzt hatte elwnfalls fflr die
ErOtTnong der Blase ein viel grösserer Druck aufgewandt vrerden mDssm,
da nunmehr nach der herj2rel>rarbten Anschauun": auch der Conipressor
urethrae den Verschluss hätte verstärken können; aber es zei^fte sich, dass
in allen drei Versuchsreihen, gleicbgiltig wo sich das Ende des Katheters
befand, immer fast der gleiche Druck nöthig war, um den Sphinkter tu
sprengen. Erst als die Thiere getödtet waren, und dann noch einmal die
Versuche angestellt wurden, da zeif^te es sich allerdings, dass nunnudir viel
geringere VVerthe ausreichten, um den Blasenverschluss zu öffnen. Allein
noch viel stringenter als diese Versuche, die ich an lebenden und todten
Hunden anstellte, sind jene Beweise, die ich aus meinen Untersuchungen an
lebenden Menseben erhielt. Aucb hier wurde diircli einen eintrefiibrten ela-
stischen, aber starrwandigen Katheter die Blase mit circa äUÜ — 400 Ccm.
wvmer Bors&ure gelOUt. Ich zog nun den Katheter soweit heraus, dass
sein Ende, wie ich midi durch rectale Untersuchung Qberzeugen konnte»
direct in der Pars prostatica urethrae zu liefren kam. Ich Hess die Leute, an
denen ich die Liitersuchunj^en anstellte, die Blase entleeren und forderte
sie sodann auf, die Entleerung zu unterbrechen. Dies gelang ihnen in fast
allen FUlen. Der Hamstrahl sistirle sofort Obwohl nur wenig Blaseninhalt
abgeflossen war, vermochte der Sphincter internus trotzdem eine Menge von
circa 300 Ccm. vrdlständiir zu versebliessen. Dass diese Krnltilusserune: lodigf-
lich auf Kosten des Sphincter internus stattfand, erhellt daraus, dass durch
den eingefOhrten , siemlich weitcalibrigen. starrwandigen Kathete jegliche
Conlractur des Sphincter extemus und auch vor Allem des Compressor
urethrae aiisireschlossen war. Diese beiden Muskeln konnten sich wohl um
die Wand des Katheters herum zusammenziehen, ahvr niemals wären sie
im Stande gewesen, das Lumen des Katheters irgendwie zu verengern. Aus
diesen Untersuchungen g^ube ich, kann man mit einigrer Sicherheit schliessen,
dass es doch wohl in der Hauptsache der Sphincter internus der Blase
ist, dessen Contraction den Verschluss besortrt. eine Anschaminir. die wohl
seit ieher zu Hecht bestanden hat, aber gerade in den let/len Jahren viel-
lach angesweifelt worden ist Es kam mir nur noch darauf an, die Bedeu-
tung des Sphincter externus in's rechte Licht /.ii setzen. Zu diesem Zwecke
eignete si li folgendes Kxiieriment. wie ich {rlaube. sehr {jut. Spritzte man
durch einen eingeführten Katheter, dessen Ende sich in dem prostatischen
Theil der Harnröhre befand, irgend eine PlQssigkeit ein, so floss dieselbe
ohneweiters in die Blase; zog man den Katlieter noch weiter xurQck, so tritt
Blase.
43
während des ZurQckziehens der Moment ein, wo die Flüssigkeit nicht in die
Blase, sondern ▼om ans der ürrthra abfliesat Dies geschieht dann, wie
ich mich durch genaue Untersuchung per rectum fiberzeugen Iconnte« wenn
der Katheter bis vor dorn CompreHsor urethrao zurOckpczotren war. d. h.
mit anderen Worten, durch die anstürmende Flüssigkeit zieht sich der Com-
pressor urethrae reflectorisch zusammen und verhindert das weitere Ein-
dringen derselben, es sei denn, dass ein flbennlssig starker und schnellw
Druck anerewandt wird. Der Sphincter externus daffe^en leistet der Flfissig-
keit gar keinen Widerstand . sondern wird von derselben ohneweiters über-
wunden. Hieraus geht hervor, dass diesem Muskel für den Blasenverschluss
eine hScbst untergeordnete Rolle sufillt, wihrrad wir wohl annehmen IcSnnen,
dass der Compressor urethrae, der dem Willen unterworfen ist, im Stande '
ist, den vom Sphincter internus g-eleisleteii \'< i s( liliiss eiieririsch zu verstärken.
Wenn wir somit den Sphincter internus gleiclisam in sein altes Recht
wieder eingesetzt haben, fragte es sich nim, in welcher Weise wir uns den
SphinkterenversoUusB au denken haben. Da wir unmöglich die EiaatidtSt
seiner Gebilde für diesen Verschluss allein verantwortlich machen, andererseits
aber eine constante Contraction eines Muskels nicht ixui annehmen können,
80 sind wir gezwungen, den Versdiluss der Blase als einen Effect des reflec-
torisdien Tonus des Sphincter internus su betrachtm. Diese physiologische
Anaehauunt; wird am besten, abgesehen von noch anderen, an spült km Stelle
zu erwähnenden Gründen, durch il'w Untersuchnnifen von Mossf) iiml Pellan-
CANI gestützt. Diese Autoren haben nacbgowiesen . dass Sphinkter und
Detrusor vesicae auf denselben Reiz gleichzeitig reagiren , d. h. wenn der
Detrusor infolge irgend eines Reizes gezwungen ist. sich zu contrahirai, wird
auch zu j:;Ieicher Zeit der besleluMuh» reflectorisi he Tonus des Sphincter in-
ternus verstärkt. Ist wenij; Urin in der Blase enthalten, so wird der Tonus
nur schwach zu sein brauchen, um ein Ausfliessen zu verhindern, steigt aber
der Blaseninhalt und zwingt den Detrusor, sich zu contrahiren, so wird auch
gleichzeitig ein erhöhter reflectorischer Tonus des Sphinkters dadurch ausgelöst.
II. Blasenentleerunjr. Bot schon das Problem des Harnblasenver-
schlusses nicht unerhebliche Schwierigkeiten, so steigern sich dieselben ganz
wesentlich bei der Betrachtung der Blasenentleerung. Bisher war es gang
und gäbe anzunelunen, dass lediglich durch die Contraction des Detrusor,
d. h. der Längsmusculatnr. der Sphinkter, d. h. die Ringmuscniatur ausein-
andergezogen werde. Diese Anschauung wurde speciell von Bknle vertreten,
der annahm, dass die Fasern des Detrusors zwischen denen des Sphinkters
inaeriren, so dasa eine Contraetitm der ersteren ein Auseinanderterren der
letzteren zur Folge habe. Allein Zuckerkandl hat nachgewiesen. das.s die
Mehrzahl der Fasern des Detrusors an dem oberen Rande der Prostata
inseriren, also gar nicht die Möglichkeit besitzen, auf den Sphinkter zu wirken.
Nun glaubte man, es genfige, wenn der Detrusor allein sich contrahire und
durch diese Contraction den Sphinkter überwinde. Diese Vermuthung ist so
sehr Gemeingut Aller jreworden. dass sich bis in die letzte Zeit hinein kaum
ein Widerspruch dagegen vernehmen liess. Erst Stone hat nachgewiesen,
daas der Detrusor unmöglich diese Kraft entwickeln könne. Nach seinen
Messungen betrigt die Oberfi&che des Orificium intemum der Blase etwa
* im fl*'^ Oosnmratoberfläche dieses Orirans. Erwäpfen wir aber, dass sowohl
nach anderen Untersuchungen, als auch nach denen, die ich an anderer Stelle
niedergelegt habe, eine Wassersäule von circa 2U Cm. Höhe bei mittlerer
BlaaenfflUung auf dem Orificium intemum lastet, so ergiebt sich nach einiger
Berechnung, dass bei einer Contraction des Detrusors nach den Gesetzen
der Hydrostatik der Druck sieb na<-b allen Richtnnsren hin in gleicherweise
fortaetzen mfisste, d. h. der Detrusor nicht nur den Druck überwinden müsste,
dw auf dem Orificium intemum ruht, und den wir, falls wir die PUche des
44
Blase.
Orificiuma Va Qcm. schätien, auf 10 Ccm. taxiren mOsseii (Gewicht g:emessen
aus dem Prodnct der Orundflftehe und Höhe), sondeni, da Jeder grleieh groiee
Thcil der Blasenoberflfiche clonsolbcn Druck erfahren wörde, mflsste eine
5t)(»inal so irrossc Krafi ausy:eül)t werden, um den Sphinkter zu sprengen.
Mit anderen Worten : der Delrusor mOnste 560 X 10 Ccm. oder 5,ti Kg:rm.
flberwindeB, um die Blase tu eröffnen. Daas sieh dasu die scliwache Muscu-
latur des Detrusors nii-ht eiizrnet. int wohl leicht ersichtlich. AUein es ist
mir noch auf anderem We{j:e der Beweis lafelungren zu <'rkläre!i wr-shalb der
Sphinkter nicht rein mechanisch vom Detrusor überwältigt werden kann.
Denken wir uns die Kraft des reflectorisehen Blasmverschlusses einer Grösse
X grleieh «resetzt, so h&It diese Grösse dem Innendmcke der Blase das
Gleichtfewicht. Soll diese Kraft durch eine Contraction des Detrusor uber-
wunden werden, so niuss derselbe eine urrössere Gewalt ausüben, etwa die
Summe der Kräfte von x 4- z repräsentiren. Denken wir uns jetzt die Con-
traction des Detrusors als Curve, ansteif^nd vom Werthe x. dem der Sphinkter
noch erewachsen war. bis «um Werthe x 4- z. ao wird bei diesem anprewandten
Drucke der Sphinkter nach}j:el>en und sich öffnen. Diese Curve würde
somit eine steigende Richtung annehmen, um bei x 4- z ihren Gipfel zu er-
reichen. In dem Moment der Kraftentwicklung: von x + z wird sich nun
der Sphinkter offnen. Soll nun. wie es im Leben geschieht, der Urin weiter
aus der Blase fliessen. so mOsste nothwendiffer Weise der Sphinkter weiter
durch die Kraft x + z der Contractionen des Detrusors eröffnet bleiben,
d. h. die Curve durfte nicht fallen, sondern mOsste sich in einer Horizontalen
in der Höhe von z + i weiter fortbewegen. Allein diese fOr das medianische
Princip der prewaltsamen Sphinkterdffnung- geltenden theoretischen Voraus-
setzungen treffen in natura nicht zu.
Zunächst einmal hat Genouville den Nachweis fQhren können, dass von
dem Momente der Blaseneröffnung an der Druck in der Blase dauernd bis auf
Null sinkt Sodann aber habe ich vermöge eines complicirten physikalischen
Versuches zu eruiren versucht, welrhcn Stand die Curve in dem Aujrenblicke
hat, in dem sich der Sphinkter eröffnet. Diese Versuche sind in extenso in
dem ViitCB0W*8chen Ardkiv beschrieben worden. Ich habe nun constatiren
können, dass der Moment der Blasenöffhung nicht immer mit dem Gipfel
der Curve zusammenfrilll , sondern sowohl die ansteijrende, als auch die
fallende Curve treffen kann. Es ixehX also sowohl ans den GKXOUvn.LKscben
Versuchen, als auch aus den meinigen zur Evidenz hervor, dass die Eröff-
nung des Sphinkters unabhilngig sein kann von der Contraction des Detru-
sors. da sonst nach der GBMOOVILUl'schen Beweisführung die Curve nach
der Eröffnung nicht sinken, sondern auf der Höhe der maximalen Grösse
sich weiter fortbewegen mösste, nach der meinigen aber der Moment des
Nachlassens des Sphinkters eldi weder auf der ansteigenden, noch auf der
sinkenden Curve. sondern auf ihrem Gipfel befinden mOsste. Den wichtigsten
und die angeführten Versuche am meisten stützenden Beweis liefert jedoch
der Umstand, dass wir im Leben im Stande sind, den Urin willkürlich fast
zu jederzeit zu lassen, ohne dass wir Drang verspüren, was, wie wir noch
weit«r unten sehpn werden, Detrusorcontraction bedeutet Hieraus ergiebt
sich, dass die Eröffnung des Sphinkters in anderer Weise erfolgen mflsse.
Diese Krage würde schwerlich gelöst werden können, wenn nicht neben
Anderem vor Allem die Resultate der Untersuchungen über die Physiologie
der filasennorven von Skabitsohbwsky und Nowraokt und v. Zbissl be-
kannt geworden wären. Um dieselben jedoch besser heurthellen su können,
ist es nötbig. Einiires über die die Blase versortrenden Nerven mitzutbcilen.
Dies^Ibo wird von zwei Seiten her durch Nervenzüge versehen. Zunächst
einmal von oben her durch die vorderen 3 — 5 Lumbaiwurzeln. Die aus ihnen
heraustretenden motorischen Fasern geben in die Bami communicantes fiber
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Blase.
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und von da in den Lumbaltheil des Sympathicus vermittels der drei Nervi
mesenterici (super., med. und inferior), wo sie im Ganglion mesentericum in-
feriua ihr vorlftuHges Ende finden. Von da setzen sie sich als Nervi hypo-
jra.strici. die auf dem Pronunitnrium selefren sind und der Excavation des
Beckens foltren. fort, irelien in den Plexus hypog-astiicus über und von da
auf die Blaüe. Sodann aber treten auch von beiden Seiten Nerven an die
Blase hentL. die sowohl von den vorderen, als auch von den hinteren 1 — S
Sacralwurseln stammen, frleiehfalls snnftchst in dfn Plexus hypoftastricus und
von da in die Blaso <rt>lan<ren. Diese von den Seiten her tretenden Nerven
werden nach ihrer von Eckakd entdeckten interessanten Finntidn aiuii
Nervi erigentes genannt. Während die von ober her stammenden, aus den
3-4 vorderen Lumbalwunceln heraustretenden Fasern ursprOng^lich natur-
geroäss nur motorischer Natur sein können, zeigen sie. sowie die Versuche
von NovvRACKY und Skabitschewskv Ixnviesen haben, sobald sie sich dem
N. Sympathie! beigesellt haben und in die N. hypogastrici übergegangen sind,
Cremischten Typus, d. h. in den N. hypogastrici befinden sich sowohl moto-
rische als auch sensible Fasern. Ebenso scheinen aber auch die N. erigentes
beide Arten von Fasern zu enthalten. Allein die wichti^rste Entdeckung
haben wir sicherlich v. Zeissl zu verdanken. Derselbe konnte nachweisen,
dass in der N. erigentes Fasern verlaufen, deren Reizunj^: sowohl eine Con-
traetion der Lftng^sfaaem der Blase sur Folire hatte, als auch den bestehen-
den reflectorischen Tonus des Sphinkters aufzuheben im Stande war. Ebenso
vermochte er durch das Experiment festzustellen, dass in umgekehrter Weise
eine Heizung der N. hypogastrici sowohl eine Rei2ung des Sphinkters er-
slelte, als auch eine Brschlafruag der LftngsmuRculatur der Blase vennr^
sachte, v. Zeissl deutete es so, dass er annahm, dass in den N. eri-
gentes motorische Fasern für den Detnisor und Henimnnirsfasern fiii- <\<^n
Sphinkter enthalten sind, während in den N. hypojrasirici motorische Fasern
fflr den Sphinkter und Hemmungsfasern für den Detrusor verlaufen. Da wir
jedoch in der Physiologie nicht irewohnt sind anzunehmen, dass es Fasern
gäbe, deren Reiziinir ein Nachlassen einer bestehenden Contraction eines
Muskels unter der Voraussetzung zur Foljre lialien könne, dass diese Fasern
direct zum Muskel führen, so müssen wir annehmen, dass zwischen den von
V. Zbissl beseichneten Hemmnniersfasem und der Blase Qansrtiensellen inter-
polirt sind, die durcli den auf die Hemmungsfasern ausgeübten Reil Im
Stande sind, den bestehenden reflectorischen Tonus abzuschwächen, respec-
tive aufzuheben.
Was nun noch dio Centren fOr die Blase anbetrifft, so haben wir im
Lendenmark ein Centrum f8r die reflectorische Thlltii^keit der Blasenmusou-
latur und im Gehirn, und zwar nach Bkchtekkw und MiEsr.wvsKV im fJyrus
sigmoides ein solches, von dem wir durch Reizung Blasencontractionen aus-
lösen können.
Unter dieser Voraussetsunfp und grestGtxt auf die v. ZBissL*schen Ver-
suche können wir es zunächst einmal verstehen, weshalb bei einer graphi-
schen Darstelhmg von Curven. die die Üetrusorencontraction und irleich-
zeitig den Moment der Eröffnung der Bluse angeben, es nicht nothwendig
ist. dass das Nachlassen des Sphinkters nicht mit dem Qipfel der Curve.
d. h. der höchsten Contraction des Detrusors xusammenzufallen braucht. Wir
sehen eben daraus, dass der Sphinkter von selbst auf irirend einen Heiz
bin erschlafft ist. Den besten Beweis aber liefert die lügliche Erfahrung,
die uns lehrt, dass wir notorisch im Stande sind, willkürlich den Sphinkter
KU erschlaffen. Diese nicht wegzuleu^rnende Thatsache, dass wir in der That
betihigi: sind, willkürlich den ITrin zu entleeren, ohne den Drangt dazu xu
verspüren, hat zu den verschiedensten Conlroversen Anlass gegeben. Es bot
immer eine gewisse Schwierigkeit anzunehmen, dass wir im Stande seien,
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46
Blase.
einen glatten Muskel, wie den Detrusor, durch unseren Willen zu innerviren.
Denn nur dnreli eine Contraction des Detnisora glaubte »an, k(iiuie der
Urin aug der Blase gepresst werden. Da bisher aber in der Physiologrie kein
Beispiel dafür vorhanden wnr. dass man willkürlich frlatt^resl reifte Muskeln
innerviren könne, wenn auch der umgekelirte Fall bekannt war. dass die
quergestreifte Musculatur des Herzens dem Willen nicht unterworfen ist, so
suchte man sidi den willkürlichen Act der Hamentleening anders su er-
klftren. Man benutzte als Aushilfsmittel die Bauchpresse.
Da dieselbe aus querfrestreifter Muscuhitur besteht, so nahm man an. es
werde diese durch unseren Willen zur Contraction veranlasst und treibe dann
durch ilire eigrene Zusammenxiehung den Urin aus der Blase. Allerdings
{glaubten Einig^e, dass die Contraction der Bauchmusculatur zwar nicht den
Urin vollständijr aus der Blase, sondern nur in den Anfantrstheil der Urethra
treiben könne. Hier würde dann der Harndrang erzeugt, und nun entstiinden
die Detrusorencontractionen, die den Urin zwingen, die Blase zu verlassen.
Dass aber In der Tliat die Bauehpresse nicht im Stande sei, den Urin aus
der Blase zu pressen, solange der Sphinkter nicht eröffnet ist, geht ans mehr-
fachen Erwägungen hervor. Zunächst einmal war es nicht verständlidi. wes-
halb die Bauchpresse den Urin nur in den Anfaugstheil der Urethra und
nicht ebenso gut durch die ganse Harnröhre fortbewegen könne. Sodann
aber leigte das Bild der BlasenlUunung am deutlichsten, dass die Bauch-
presse absolut unfähig war. Urin aus der Blase zu treiben. Ohne Zweifel
würden diejenigen, die an einer Lähmung der Blase leiden, sich mit Leich-
tigkeit der Bauchpresse haben bedienen können, um ihren Urin zu entlewen,
falls sich dieselbe zu diesem Acte eignen wBrde. Allein ich glaube, auch
durch ein physikalisches Experiment den Nacliweis liefern zu können, dass
in der That die Bauchpresse nicht im Stande ist . den Urin zu entleeren,
solange der Sphinkter geschlossen ist und dass sie auch denselben zu er-
öffnen gar nidit in der Lage ist
Wir nehmen eine weite Flasche a, an deren Boden sich eine Ausfluss-
öffnunir befindet. Durch den weiten Hals dieser Flasche führen wir ein^n
üummiballon c, der nach oben und unten in einen schlaffen Quuimischlauch
ausmündet. Den unteren Schlauch d fOhren wir durch die Ausflussöffnung
der Flasche hindurdL und bringen da, wo er vom Gummiballon abgeht, swei
Klammern so an, dass sie einen leichten Verschluss für sein Lumen bilden,
doch so, dass noch mit Leichtigkeit Luft durch diese verengte Stelle hin-
durchgeblasen werden kann. Den oberen Schlauch g des QummiballODs fQhren
wir vennittels einer Olasröhre durch den doppelt durchbohrten Korken, der
den Hals der Flasche verschliesst , und sperren ihn durch einen Hahn ab.
Oberhalb dieser Flasche, etwa in einer Höhe \ on ' o Meter, briii^^'n wir ein
zweites kleines Qefäss m au, das gleichfalls eine durch einen durchbohrten
Korken yerschlossene Ausflussöffnung hat Dorch diesen Korken fflhrt ein
Schlauch h nach der weiten Flasche a. und zwar vermittels eines Glas-
röhrchens. das in den doppelt durchbohrten Korken des Flaschenhalses ein-
gelassen ist Glessen wir jetzt aus dem höher stehenden Geiässe m durch
den Sehlauch b Wasser in die Flasche a» nachdem wfar vi»li«r den Oununi-
ballen c reichlich mit Wasser gefüllt haben, so comprimlrt das aus m ein-
strömende Wasser in gleicher Weise den Gumitiiballon c wie seinen unteren
Schlauch d. Es kann somit kein Wasser durch d ahfliessen. weil eben das
Wasser nach allen Hichtungeu bin in gleicher Weise comprimlrt. Verbinden
wir dagegen Jetzt den Sehlaudi h des oberen Oefisses m mit dem Schlaudie g
des Gummiballons, nachdem wir die ihn verschliessende Klammer abgenommen
haben, und lassen jetzt aus m nach dem Ballon c Wasser fliessen. so öffnen
sich die Klammern // und das Wasser Iiiesst aus d ab. Dies geschieht des-
halb, weil der in c harschende Druck durch die aus dem höher stehenden
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Blase.
Gefässe fliessenHe Wassersäule beträchtlich erhöht ist und diese Druck-
Bteigerung ausreicht, um den saDften V'^erschluss der Klammer ff zu lösen.
Uebertragren wir diese Verhältnisse auf die Beziehung: der Banchdecke tur
BUuM, HO bedeutet a den intraabdominalen Raum, bindet durch ZuHuss
von m nach n eine intraabdoniinale Druckst eifferunp: statt . wie es bei der
Äction der Bauchpres.se der Fall ist. so vermai? derselbe wohl die Blase zu
comprimireQ, d. h. in unserem Versuche den Ballon c, aber gleichzeitig auch
das Abflussrohr der Blase, die Hamrfthre, in unserem Versuche den Abfluas-
schlauch d. Mit Erhöhunjj des abdominalen Druckes wird eben, da sich der
Druck nach allen Richtunpren hin prleichniässig- fortsetzt, sowohl die Blase,
als auch der in der Bauchhöhle .sich befindliche Anfangstheii der Urethra
gleichseitig eomprimirt. Verbinden wir ds^egren in unserem Versuche m mit a
und lassen Wasser einfliessen, so erhöhen wir den Druck in c. d. h. in der
Blase. Diese Krhöhunf? des intravesicalen Druckes erenufft a!>er. um bei
nöthiger Stärke den Sphinkter, dessen Tonus in unserem Experimente durch
die Klammer tt angedeutet ist, zu überwinden.
Sorsdien wir also, daas die ErhShnngr des abdominalen Druckes, wie
er durch die Bauchpresse zustande kommt, keineswegs im Stande ist, den
Blaseninhalt auszutreiben, und sind nunmehr zu der Ansicht frezwunt^en. dass
eine Entleerung des Urins ohne willkürliche oder reflectorische Erschlaffung
des Sphinkters nicht gut möglich ist. Diese Vermuthnng, daas es sich auch um
eine willkürliche Erschlaffung handeln kann, konnte natOrlieh solange nicht
festen Fuss gewinnen, als nicht der Beweis erbracht war. dass wir in der
Thal durch directe Reizung einzelner Nervenfasern im Stande sind, einen
48
Blase.
bestellenden Muskeltonus aufzuheben. Dieser Beweis ist aber durch die
V. ZsissL'schen Untersuchungen geliefert worden und hilft uns in ganz her-
vorra|f«nder Weise fiber ienee Dilemma in der Physiologie weg*, das durch
(lio Tli.itsaclie jrehildet wird, dass wir im Stande sind willkQrlicli den Urin
zu entleeren. Während wir früher keinen Au.swejr fanden, wie wir diese
Erscheinung erklären sollten, du wir glattgestreifte Musculatur nicht gut
innerviren sa können glaubten, die Bauehpresse nach unserer Beweisführung
aber nicht ^ut in der Lage ist., den Urin auszutreiben, hat sich insofern der
Standpunkt in dieser Frape verschoben, als es jetzt nicht mehr darauf an-
kommt, den Detrusor durch unseren Willen zur Contraction zu bringen und
so den Urin su entfernen, was, wie ja oben bemerkt ist, auch nicht gut
möglich wäre, da dem Detrusor diese Kraft nicht innewohnen kann^ son-
dern den bestehenden Keflextonus des Sphinkters aufzuheben. Dass wir
nicht nur im Allgemeinen wohl befähigt sind, eine bestehende reflectorische
Contraction zu unterbrechen, lehrt die l'liysiologie zur Genüge, da wir wissen,
dass wir einen Lach-, Wein- oder gar Gfthnkrampf durch unseren Willen besei-
tigen können : dass wir aber auch hier im Speciellen die Contraction des
Sphinkters aulheben können, geht ebensowohl aus den v. ZeisSL'schen Ver-
suchen, als auch aus meinen eigenen Beobachtungen hervor, die mich noch
nebenbei lehrten, da^s wir auch willkOrlich den Sphinkter zur Contraction
bringen können. Wie schon oben erwähnt, hatte ich in einigen Fällen einigen
Personen «inen ziemlich dicken starrwandigen Katheter in die Blase einge-
führt und denselben nachher su weit zurückgezogen, dass das Auge des
Katheters gerade in der Pars prostatica urethrae an liegen kans. Die Blase
war mit circa 800 — 400 Orm. Borsäure geffillt. Auf Commando waren diese
Leute ebensowohl in der Lajre. den Urin zu entleeren, als auch aufrenl)lick-
lich den Urinstrahl zu unterbrechen. Diese Unterbrechunir konnte nui- da-
durch erfolgt »ein, dass sich der Sphinkter geschlossen luule. da ja der
wesentlichste Theil der Pars prostatira, die ganze Pars membranacea und
die Pars bulbosa urethrae, sieh wegen des dazwischen liegendtn Katheters
nicht si lilitssen konnte. Ebenso prompt konnte alxr auch wieder der Hlasen-
inhalt auf Verlangen entleert werden. Diese in der That überraschenden
Beobachtungen haben sur GenOge bewiesen, dass wir notorisch im Stande
sind, einmal willkOrlich den Sphinkter erschlaffen su lassen, andererseits
aber ebenso willkOrlich seinen Scbluss herbeizuführen.
Kommen wir nunmehr zu einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung
Aber die physiologischen Aufgaben der Blasennuisculatur, so müssen wir
Folgendes annehmen. Durch die Ureteren wird der Urin in die Blase ent-
leert. Durch den sich ansammelnden Harn wird der Reiz auf die sensiblen
Blasennerven auso-eübt. Dieselben trairen die Erregung zunächst nach dem
Keflexcentrum im Lcndenmark. Hier wird der Heiz auf die motorischf^n
Nerven der Blase nbertragen. Es konamt sowohl zu einer Contraction des
Detrnsors als auch zu einem verstärkten Versdilusstonus des Sfdlillkters, de,
wir schon oben erfahren haben, dass na«li den l'nt ersuchuntren von Mos.«;o
und Pellakca.ni sowohl die Längs- als Bingmusculatur der Blase auf den-
selben Reiz gleichzeitig rengiren. Bisher haben wir jedoch über die Vor-
gänge in unserer Blase nicht die mindeste K^nntniss, da es sieh um rein
reflectorische Erscheinungen bandelt. Denu'nl sprechend ist auch in dem
ersten Kindesalter die L'rinentleerunfr ein leiii reflect urisclier Vorf^ani:. Wird
jedoch die Menge des in dir Blase sich ansammelnden Urins immer grösser,
SO wird auch naturgemSss der auf die sensiblen Nerven der Blase ausge-
fibto Reiz umso stärker. Deiselbe dringt nunmehr weiren seiner Intensität
Ober (las Keflexeentruin des Rückenmarks hinaus nach dtin Gehirn, und
zwar, wie es scheint, nach dem Gjrus sigmoides. in dem Büchtkuew und
MiBSLAWSKY ein Centrum fQr Blasencontraction nachgewiesen su haben glauben,
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Blase,
49
während es Rinr.F. mir nrelungren war. von den Corpora qnadrigenuna ans
eine Zusainmenzielum^'^ der Blase zu erzielen.
Da aber infolge der stärkeren Reize auch stärkere Contractionen des
Detnisors stattgefnndeii haben, so werden dieselben nunmehr im Gehirn als
Harndrang: empfunden. Denn die an zahlreichen Beobachtungen von Dubois
und Gknouville gewonnenen Resultate haben zur Genuqre bewiesen, dass in
dem Augenblick, in dem ein Harndrang verspürt wird, der Detrusor sich
BtSrker eonirahirt, was an den schneller und bis m einer grewissen H5he
anst(>i<renden Cnrven deotiich sichtbar war. In dem Moment aber, in dem
der Harndrang nachliess. sank auch die Curve der Detnisorcontraction. Hier-
aus geht hervor, dass das, was wir als Harndrang verspüren, seinen Grund
in einer stäricwen Ccmtvactioit des Detrns«»* findet, wie ja auch Uterus-
contractionen als Wehen empfanden werden. Sobald uns also der Harndrang
infolge verstärkter Blasencontraction zum Bewusstsein kommt, haben wir
es in der Gewalt, entweder dem Drange Folge zu leisten und den Urin zu
entleeren, oder aber, falls wir durch äussere Umstände verhindert sind, die
Bntleenm^ anfsoschieben. Im ersten Falle schicken whr ▼om Oehim aus
mit unserem Willen eine Erregung nach dem Centrum des reflectorischen
Blasenverschlusses und veranlassen eine Aufliebung der bestehenden Sphinkter-
contraction. Der Urin kann nunmehr abfüesseu. Jetzt zieht sich auch der
Detmsor über seinen Inhalt snsammen nnd treibt denselben durch seine
Contraction aus der Blase heraus. Von da an, d. h. von der ESrSttnung des
Sphinkters an, kann aber auch die Bauchpresse in Wirkung: treten und für
die schnellere Entleerung der Blase sorgen. Sind wir dagegen, wie in dem
sweiten Falle, nicht Willens, dem Drängen der Blase nachzugeben und den
Urin ra entleeren, so sehieken wir gleiehfslls eine Enregnnir nach dem SpUnk-
terencentrum , die dieses \Tnl aber andere Bahnen wandelt und eine Ver-
stärkung des schon bestehenden reflectorisclKm Blasenverschlusses zur Folge
hat. Um diese erhöhte Thätigkeit zu unterstützen, bedienen wir uns noch
der gesammten Darmmosciilatiir, d. h. dee Bnlbo mid Isdiio cavemosos nnd
vor Allem des Compressor nrethrae, der jetit erst seine Thfttigkeit voll
imd ganz entwickeln kann.
Hieraus geht hervor, dass in dem frühesten Kindesalter der Act der
Harnentleerung ein rein retleetorlschw Vorgang ist, bis die Muskeln es ge-
lernt haben, dem Willen zu gehorchen. Im späteren Leben jedoch kann der
erste Theil der Thätigkeit der Blasenniusculntur ebenfalls reflectorisch sein,
und zwar bis zu dein Augenblicke, in dem uns die Detrusorenrontractionen
unter dem Gefühl des Harndranges über die Zustände in unserer Bluse
erientiren, von dnn Moment aber ist die weitere Blasenarbeit der Controle
nnseren Willens unterworfen. Dass aber der gesammte Vorgang der Harn-
entleerung auch rein willkürlicher Natur sein kann, ist bereits oben erwähnt
und durch die Thatsache bewiesen worden, dass wir jederzeit Harn ent-
leeren kOnnen, vorausgesetst dass die Blase gesund ist
Literatur (die bereits bis zam Jahre 18B7 bei Bonn angegebene Litentar ist hier
nicht erwähnt) : Borh, Zur Kritik Uber den gegenwSrtigen Stand der Frage von der Blasen-
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Bleislcllt (Arthritis saturnina). Die Beziehung^en vun Bieiintoxi-
cation und Gicht sind suerst von en^lischon Aerzten erkannt worden. Schon
in der dem vorigen Jahriiundert angehöritj^en Literatur über die Kolik von
Devon.'^liire . die man spater als eine (iurch bieihaltisren Obstwein hervor-
gerufene Colica saturnina erkannte, finden sich Angaben über Podagra und
giehtische Affectionen, die auf die ipenannte Kolik zur&ckgefQhri werden.^)
Auch aus der waten Hftltle des 19. Jahrhunderte Itegren mehrere Beschrei-
bungen von Arthritis bei Bleikranken vor.-) Mit Bestinuntheit wies 1854
Garrod auf den Zusanunenhang von Gicht und Satumisnitis aitf Grund seiner
tbeils im University College Hospital, theils in der Privatpraxis gemachten
Beobachtungen hin, wonach etwa der vierte Theil der von ihm behandelten
Gichtkranken frQher an irgend einer Form von Bleivergiftung gelitten habe.
Garrod jrebfllirt auch das Verdienst, zuerst an die Ergrundung der Ursache
dieses Zusammenhanges herangetreten zu sein, indem er durch Blut- und
Harnuntersuchungen den Binfluss des Bleies auf die Absch^dung der Harn-
s&ure nachsuweisen suchte.*) Seine Anschauungren fanden in Bngrland all-
gemeine Anerkennung und weitere Bestätigung diircli andere Apiv,te. unter
denen insbesondere Dyce DuCKWORTH *; zahlreiche neue An^-aben ^rebrai-iit hat.
Auf dem Continente, wo zweifelsohne auch schon früher Gicht bei Blei-
kranken beobachtet war, s. B. von Tanqvbrbl des Planohbs wies 1863 suerst
Charcot^) auf das Vorhandensein der Arthritis saturnina hin. An seine
Arbeit schliessen sich später zahlreiche andere Mittheilungen hervorragender
französischer Aerzte, wie Ollivier, Guhleu. Bucvi'Oi, Potain, Lancj^reau.v u. A.
Eine ausffihrliche Beschreibung des klinischen Verlaufes der Bleigicht gab
1876 Halma Gra.nü. ") In Deutschland, wo mehrere Aerzte noch bis auf den
heutigen Tag die Kxislenz der Arthritis satmnina bezweifeln, hat erst 1884
Pedell ausführlich über Fälle von wahrer Gicht bei chronischer Bleiver-
giftung und Nierenschrumpfung berichtet und sich auf den von Garkod und
den englischen Aerzten vertretenen Standpunkt, dass Imprägnation mit Blei
eine der Ursachen der Gicht sei. gestellt.'*) In der neuesten Zeit hat Lüth.ie '•')
aus der Charite zwei Fälle mitirotbeilt und gleichzeil it: die Theorie der Blei-
gicht wiederum auf Grund von Experimenten festzustellen sich bemüht.
Der Grund, weshalb die saturnine Gicht von vielen Aerzten und be-
sonders Imufiu- in Deutschland angezweifelt ist. liegt in dem bestimmt in
einzelnen Geirenden ausserordent iicli seltenen Vorkommen dieser Affeciion.
Selbst in England giebt es Districte, in denen Bleikranklieit aussei ordent-
lieh h&ttfig Ist, ohne dass die Aerzte dort iemala ehien Fall von satuminer
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Bleigieht.
61
Gicht beobachtet haben. So ist nach übereinstimmenden Ang:abea von Dki m-
MOMD (bei Dyck Dookwortb) und von Oliver in. und bei NewcasUe upon
Tyne, wo die Bleiweissbibriken zahlreiche FWle und mannigteche Fonnen
von Saturnisnius erzeufren. Blei^^ichf nicht vertreten. Wenn ausser den
Aerzten von Newcaslle upon Tyne auch Hospitalärzte in I.iverpool, Birming-
ham und Belfast die Affection nie gesehen zu haben erklären, wenn Frbrichs
Roter 163 FftUen von BleivergiltuRff keinen Fall von Blef^dit befanden,
wenn Wbickirt (bei Lüthje) bei einer 42iahngen Praxis als Hfittenarzt an
den fiscalischen Hütten in Preibersr niemals einen Fall von Arthritis satur-
nina zu Gesicht bekommen, wenn französische Aerzte, wie Fibssingbr, in
einer mit iSIei inficirten Bev5tkerungr alle m&grlichen Bleiaffectionen, nur keine
Arthritis satumina beobachteten: so zeijsrt das allerdings, dass diese Fonil
des Saturnismus chronicus im Allijeineinen selten ist. Derartige P^requen«,
wie sie Garrod unter seinen Gichtkranken hatte, ist ein Unicum. Spätere
englische Autoren haben sie nie wieder gehabt. Dyck Duckworth hatte unter
3S Qiciitkranken nur 25 (ISVoX welche Symptome Ton Bleierkrankonir selipten.
Das Nicht vorkommen von Bleifriclit in bestimmten Disti-iclen hewpisf inMessen
bestimmt nicht, dass diese nicht oxistirt oder dass andere Schädiirhkeiten vor-
handen sein müssen, um bei Bleikranken wirkliche Gicht zu erzeugen. Ala
solche sind von verschiedenen Seiten erbliche Belastung und Alkoholismus
betrachtet, die freilich schon f flr sich liinreidien , um das Auftreten der Gicht
in nicht bleikranken Individuen zu veranlassen. Indessen giebt es unzweifel-
haft in der Literatur Fälle saturniuer Gicht, in denen Missbrauch spirituöser
Getränke und Hereditftt vollkommen ausfirescblossen ist, und wenn man nicht
auf eine bisher nicht namhaft gemachte oder unbekannte Schftdlichkeit recor-
riren will, wie dies in Frankreich mitunter geschehen ist, so wird man mit
LCTH.JE zu der Ansicht gelangen, dass »das Blei in der Reihe der ätiolo-
gischen Momente den gegohreuen Getränken vollständig gleichwerthig zur
Seite steht und ohne Hinsutreten anderer ftusserer Ursachen Gicht machen
kann«. Alkohol ist dabei sicher mehr im Spiele als erbliche arthritische Be-
lastung, die z. B. von Lorixser in 107 Fällen von Bloigicht nur 9mal nach-
zuweisen war. Französische Autoren haben sogar die Ansicht ausgesprochen,
dass eine hereditSre satumine Belastung bestehen könne, die ihrerseits tum
Auftreten von Gicht prädisponiro; indessen sind die daffir angefGhrten Beob-
achtungen von gichtkranken Srihnon l)leikranker Väter so wenig zahlreich,
dass sie auch dann nichts bedeuten würden, wenn nicht die Arthritis der
heredit&r belasteten Söhne ausschliesslich durch die professionelle Beschäf-
tigrung dieser ihre Brkllrunir finde.
Man wird durch die Betrachtung der bisher veröffentlichten Casuistik
zu der Ueberzeugung gedrängt, dass eine sehr lany:e Einwirkung des Bleies
statt£^efunden haben muss, um Bleigicht zu erzeugen. Möglicherweise liegt
hierin der Grund fOr die Seltenheit der Affection bei gewissen Beschlfti-
grungen, die sehr frühzeitig zu schweren Bleiaffectionen Aiilass geben. Nament-
lich gilt «lies für Newcastle upon Tyne. wo das Blei in den Bleiweissfabriken
oft sogar in wenigen Wochen zu letal verlaufender V'ergiftung führt. Dass
die Etowirknng Iftnger sein muss, als man gewöhnlich annimmt, seigt die
Angabe von Lüthje . dass in 20 Fällen . in denen die Länge der Beschilli-
«rungszeit mit dem Blei nniregehen ist. die Durchschuittsieit 20 Jähre, ver^
einzelt nur 5, mitunter seihst 48 Jahre betrug.
Dass die Bleigicht zu den saturninen Spätaffectionen gehört, wird auch
durch die Thatsache angedeutet, dass ihrem Auftreten in den meisten Pillen
andere Formen der Bleivergiftung vorausi>-ehen. Bei 29 Kranken, bezQglieh
deren sich Angaben finden, war 11 mal Kolik (meist mehrmals, mitunter so-
gar 9 — lümal j vorausgegangen, je 2mal Arthralgia und Encephalopathia
satumina, 8mal Apoplexie, 11 mal Albuminurie und ISmal Bleiparalyse (Lüthje).
4»
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BMgieht.
Man hat das Recht, von saturniner Qicht zu reden, amsomehr, da nach
d«i Qberrinatiinmendeii Zeugniiaen dw «wsehiedeiisteii Beobaciiter die ArtJiritis
iatarnina verschiedene charakteristische Besonderheiten darbietet.
Von der Mehrzahl der Autoron wird hervorpehobon, dass die saturnine
Gicht in einem früheren Lebensalter als die gewöliniiche Arthritis aufzutreten
pflegt Dies ist ledooh nicht in solchem Masse der Fall, dass es sieh nm
«ine grosse Dttbrens luuidelte. Man wird dies von vornherein auch nicht
erwarten können, wenn man bedenkt, dass als Durchachnittsdauer der Blei-
einwirknng 20 Jahre erforderlich sind, um Arthritis satumina zu produciren.
Nacb einer ilteren Zneammensteilnng voii Souoamore mit das Auftreten
des ersten Oichtanfalles bei annähernd derHSlfte (260mal unter 515 Fällen)
vor das 36. Jahr. Nach LCth.ie's Daten über '25 Bleiirichtkranke war das-
selbe bei 18 (also fast bei drei Viertel) der Fall. Lorknser fand das erste
Auftreten in 107 Fällen von Bleigicht TOmal (somit etwa zwei Drittel) vor dem
85. Jahr. Die Beredmnngen Über das mittlere Atter rar Zeit des ersten An-
fall es differiren nicht anerheblich (LOtbjb 84, Oarrod 88, Dycb Duckworth
44 Jahre).
Von verschiedenen Autoren, neuerdings besonders vonLABADiE-LAGRAVE^-)
i|rt als ofaarakterfstiseh fOr satumlne Oicht das Fehlen in^dromaler Erschei-
nungen, namentlich von Hautausschlligren . Ischias, Hamgries und Hämor-
rhoiden angegeben. Schon G.\RROD betonte, dass der Anfall von Bleifficht
plötzlich bei relativ oder absolut gutem Wohlbefinden sich eiostelie, was
Aber bestimmt nicht f&r alle BUle antrifft. Auf das Pehlra vtm Hautaus-
sehlifen bei Arthritis satumina wies sdion Lorinsbr hin, der bei 107 Kranken
nnr je einmal Ekzem und Psoriasis constatirte.
Französische Autoren (Halma Grand. Lemoixe) vindiciren der Arthritis
satumina mit Unrecht längere Dauer der Anfälle und heftigeres Fieber in ihrem
Verlaufe. Dagegen sind charakteristische Momente sweif^lsohne einerseits die
raschere Wiederkehr der Gichtanfälle, andererseits das von Halma Grand und
Labadie-Lagravk betonte rasche Uebergreifen der HnrnsRureablagerung auf
die grossen Gelenke, wodurch in späteren Anfällen das Bild grosse Aehnlichkeit
mit einem acuten Gelmikrikeumatismns erhalten kann. Es ist fibrigens keines-
wegB nothwendi(r. wenn auch gewöhnlich, nach Durand 28mal in 88 FUlen,
dass der Anfall in einer grossen Zehe beginnt, und nach LÜTHJE kommen sog'ar
bei der Bleigicht sehr häufig Loc^lisationen vor, die bei gewöhnlicher üicht zu
den Seltenheiten gehören. So kommen Anfälle im Hüftgelenke, das bei Gicht
sonst ausserordentlich selten affidrt wird (in 516 FlUen bei Socdamorb ist
keine oinzifre derartifre Erkrankung vermerkt), im Schultergelenk (bei Scupa-
MoRE 1 unter 51t>), der Halswirbelsäule, den Sternocostalgelenken und den
Verbindungsstellen von Nasenrücken und Nasenwurzel (Cuarcot) vor. Auch
die Urethra wird, wie ein Fall von S(»iuosri*) zeigt, mitunter xuerst affi-
cirt Als Paradigma der Bleigicht beseidmet LOthje einen der v(m Halma
Grand beHchriebenen Fälle, in welchem nach 14jähriger Beschäftifjun^r mit
Blei im 28. Lebensjahre des Patienten der erste Gichtanfall im Tibiotarsal-
felenk eintrat» diesem folgte 8 Monate sfAter ein Anfall im linken Bllbogen-
gelenk, 4 Monate darauf in beiden Tibiotarsalgelenken, unmittelbar darauf
in den Grosszehenballen, dann anschliessend in den Finu-ern, den Knien, den
Hand-, Ellbogen-, Schulter- und Halswirbelgelenken, nui Ii 5 Monaten ein An-
fall in den nämlichen Gelenken, auch in den Hüftgelenken und Fussknöcheln.
Diesen vier AnttUen innwhalb eines Jahres folgten analoge AnfUle in den
folgenden Jahren. Der Ueberg^ang der acuten Oicht in die chronische Form
ist wie in diesem, so in vielen anderen Fällen von Arthritis satumina weit
ausgesprochener aU in genuiner Gicht. Lüthje betont auch die grosse Neigung
zur Tophusbildnng, die nadi Soodamorb bei gewölmlicher Oidht nur in lO^o»
bei Bleigicht nach den bisherigen Zusammenstellungen bestinmit bei nahezu
Bleigicht.
58
der Hftlfte der Kranken vorkommt. Schon Cuarcot wies aaf die Häufig-
keit d«r Tophusbildmig und der Defomitftten hin, die ron aaderen Aiit<n«ii
(Vbrdugo, LäcoRCHä) bestritten wird.
Nach BucQUOiR ist die satnrnine Gicht ausgesprochen articulär. während
bei der gewöhnlichen Arthritis andere Erscheinungen (dyspeptische Störungen,
Berzaffectionen u. s. w.) neben den Qelenkaffectionen häufig vorkommen. Fälle
▼on PerikardHia oder Bndokwdids im Verlanfe von Arthritis aatnmina bilden
hSchst seltene Ausnahmen.
Dass die asthenische Form der Gicht bei Arthritis saturnina prävalirt,
ist bei dem geschwächten Zustande, in welchem die früher an Bleiaffectionen
heruntergekommenen Patienten sich befinden, selbstverstSndlldL
Die Differentialdiagnose der gewöhnlichen Gicht nnd der Arthritis
saturnina unterliegt koinon [grossen Schwierigkeiten, da bei den an der letzteren
Erkrankten anderweitige Bleiintoxicationserscheinungen Vorhandensein mfissen.
Mit Recht wird man die Bleigicbt nur da als erwiesen iMtmchten, wo kein
anderes fttiologisches Moment nachgewiesen werden kann. Irrig würde es
sein, wollte man das Vorhandensein von saturniner Schrumpfniere als eine
nothwendiire Vorbfnlintriinff nnd als ein für die Diatrnose verwendbares Moment
ansehen. Lüthje hui mii Sicherheit in drei der von ihm zusammengestellten
BleigichtfSlle die Abwesenheit Jeder Nephritis nacl^wiesen.
Schwierig Ist in einzelnen Fällen die Unterscheidung vom acuten Ge-
lenkrheumalisnnis , für welchen die Bleipricht z.B. in dem oben erwähnten
Halma Grand sehen Falle gehalten wurde. In manchen Fällen dieser Art
schliesst das primäre Brgriffensein der Zehen den Oelenlcrfaenmatlsmns ans,
in anderen der Nachweis frCherer gichtischer Erscheinungen oder das Vor-
handensein von Tophi. Audi <>ine gewisse Irregularität in dem Befallen der
Gelenke und das Auftreten in der Nacht sprechen für Gicht. Auf der anderen
Seite sind, wie Lüthje richtig hervorhebt, ein jugendliches Alter, mitunter
anch epidemisches Anftreten von Polyarthritis rhenmatiea, das Befallenwerden
grosserer, symmetrischer Gelenke, Conipliration mit Endokarditis oder Ent-
zündung anderer seröser Häute, hämorrhagi.sche Erkrankungen der Haut und
die eclatante Beeinflussung der Gelenkaffection durch NatriumsaUcylat Momente,
die ffir die Annahme von acutem Oelenkrheumatismns in Betradit kommen.
Von Arthralgia saturnina ist die Bleigicht dadurch sicher zu unter-
scheiden, dass bei ersterer alle entzündliche Reizung der Gelenke (Schwel-
lung, Köthuog, Desquamation der Haut) und jedes Fieber fehlt.
Einige Schwierigkeiten der Diagnose bietet die von Oublbr 1868 als
Dorsaltnmoren der Hände (Tenosynovltis hyperplastica) beschriebene, übri-
gens schon im vorigen Jahrhundert von dk Haen gekannte Affectifin. die
sich durch Schwellung an den Selinrn und Sehnenscheiden der Hand- und
Fiogerstrecker charakterisirt, welclie iui Anschlüsse an eine Bleilähmung
sieh im Laufe von wenigen Tage oder 2—8 Wochen entwi^eln. Nach OuBLBt
besteht der Haupt unterschied darin, dass die hamsauren Abscheidungen bei
Jenen vollständig fehlen und die Entzündung in relativ kurzer Zeit ver-
schwindet. Beachtenswert!! ist ausserdem die Angabe Qubler's, dass der
Sitz gichtiseher Bntztlndungen die Synovialmembran, die Gelenkbänder und
die Oeleokknorpel, nicht aber der Sehnenapparat ist, und dass diese Ent-
sfinduDgen sich auf die oberflächlichen Schichten der betreffenden Gegend
und stets mit Hautröthung und phlegmonöser Entzündung des Unterhautzell-
gewebes und gleichzeitig mit mehr oder minder spontan auftretenden acuten
oder anhaltenden Schmersen und mit DmekempHndliclikeit verhnnden sind,
wogegen bei den Dorsaltumoren diese Symptome nicht gleichzeitig vor-
kommen. F>wngt man. dass die Hände bei Bleigicht fast niemals allein affi-
cirt sind, sondern erst nach dem Ergriffensein der Zehen oder anderer Ge-
lenke, so wird man anch bei dieser Affection selten lange zweifelhaft bleiben;
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Bl«lgteht.
doch kSniieii die Donaltamoren nach Qüblbr In einielMii FUlen mit einem
Giehtanbille eoincidiren.
Halma Grand bozeichnot dii- Proirnctso dor Bloisricht als »infaust«.
Si«' ist «'S in der That. wenn auch durch diätetische Massrejjeln der Ausgang
sich oft noch Jalire lang hinauHschiebea lüsst. Jedenfalls ist die Proj^nose
weit nngOnstiieer als die der gewSlinlidien Gidit, weil dabei die BinflQsse des
Bleies auf tias Gefftsssystein (Atherom) und auf die Nieren (Schrutnpfniere).
welche <He saturnine Gicht nuM'st rompliciren , schwer in's Gewicht fallen.
Der Ausgang ist zuletzt ein urämischer Anfall, der dem Leben ein Ziel setzt.
Das« infolgre des schlennigen UebererreifenB auf eine grössere Reüie von Ge-
lenken und der Tendenz zu deformativen ProcesMen auch die BemfsfUiigrkeit
der Bleigichtkranken rapide reducirt wird, lietri auf d<»r Hand.
Eine sichere Theorie der Arthritis saturnina lässt sich gegen-
wärtig aus dem Materiale, das die englische, deutsche und fransösisclie
Literatur darbietet, nicbt geben. Die ursprOngUctae und am weitesten ver-
broitete Hypothese, wonach das Vorhandensein relativ grosser Mengen von
Harnsäure im Blute die Ursache der Gicht und auch der Bleiiricht s<m. lässt
sich gegenwärtig nicht melu* aufrecht erhalten, mag man nun mit Gakkud
aniMlmien, dass es sieh um eine durch Herabsetanngr der Function der Nieren,
Harnsäure auszuscheiden, Ijedingte Hams&urereaction handle, oder dasB wirk-
lich eine Ueberproduction von Harnsäure, wie z.B. von Boi("HARr>. anpre-
nommen wird. Qarrod stutzte sich auf vergleichende Untersuchungen des
Hams&aregelialtes den Blutes und Harnes bei Bleikranlten, wobei abnorme
VeraMlirungr des Gehaltes im Blute und dementspreehende Verminderung im
Harne cnnstatiii wurde, und auf Versuche an eineiii Kranken, hc'i dem
sich infolge nielirläiritrer Darreichung: von HIeiacelat Vei uiinderunjr der Harn-
saureausscheiiiuDK nachweisen Hess. In den letzten Versuchen war die Wr-
mindemng nur l>ei dem einen Versudie wiiidich erheblich, in dem anderen
aber so gering, dass sie auch unter ganz normalen Verhältnissen wohl zu-
stande kommen konnte. Die Versuche Garrod's sind aber aucli deshalb nicht
concludent, weil in dem Versuche, wo sich edatante Abnahme der Harnsäure
herausstellte, StSmngen der Digestionsthfttigkeit (Uebelkeit, Erbrechen) ein-
traten, welche die Harnsäureverminderung durch Verringerung der Nahrungs-
mittelaufnahme erklären lassen. In den von LPthjr mit verbesserter Methode
(Harnsäurebestimmung nach LuDwiu - Salkowski) an Thieren angestellten
Versuchen mit steigenden Dosen von Bleiacetat trat selbst bei Verabreichung
von im Ganzen 5,3925 Grm. in 44 Tagen keine Verminderung der Harnsäure-
ausscheidung eilt, obschon es zu Bleiepilepsie und auch zu Albuminurie kam.
Einen vollgütigen Beweis dafür, dass es mit der vermindernden Action des
Bleies auf die Fähigkeit der Niere. Harnsäure auszuscheiden, nichts ist,
lietem weitere Versuche von LOtrjb , wonach bei Ffltterung mit Thymus
ung'eachtet der Bleizufuhr seihst die 3' ^fache Menge der l)ei normaler Fflt-
terung producirten Harnsäure zur AusscheidimLr irebracht wurde. Eine Kinbusse
des Fermeabilitätsverniügens der Miere führt daher das Blei nicht herbei
Ist somit von einer eigentlichen Harnsftureretention nicht die Rede, so
kann es dies noch viel weniger sein von einer Retention infolge einer durch
Blei verursachten N'epliiitis. Obschon es ja ganz zweifellos ist. dass Blei-
intoxicatiim zu Schnimpfniere füluen kann, so ist es docii ebenso unzweifel-
haft, dass derartige Bleischrumpf niere nicht zur Bleigicht zu führen braudit,
und dass Bleigicht ohne gleichzeitige Schrumpfniere vorkommt.
Wäre aber auch wirklich bei BIcikranken die Harnsäure im Blute ver-
mehrt, so würde sich die Fraire aufwerfen, warum denn nicbt bei jeder Intoxi-
cation dieser Art Gicht eintrete r Indessen ist die Unterlage der Garruü-
nehen Hypothese sehr defect, weil einerseits der abnorme Hamsäurereichthum
des Blutes in zwei Untersuchungen von Garrod nicht nachgewiesen werden
Bltfigicht.
55
konnte und andererseits das Verhalten der HuvsAnremengen des Urins nach
neueren Untersuchunpron bei Bleikranken nicht (liojpnifre Cnnstanz bietet,
welche zum Atifbau einer Theorie n<)thwendi«?e Vorbedintrunir isl. So eiiiabi'n
Olivers Untersuchungen an vier Bleikrunken in Newcastle u. T., dass nur
bei einem die Hams&ure unter der Norm, bei den flbrigen dagegen vermehrt
war. In keinem dieser Frille war Bleigicht vorhanden, die ja überhaupt bei
Newcastle fehlt. Jedenfalls aber zeig-en die Untersuchuntren Oi.iver s . dass,
da Bleikranke harnsüurereichen Urin absondern, von einer Hetention der
Harnsäure nicht die Rede sein kamt, die ja überdies, sei es durch compen-
satorisehe Abscheidung durch den Darm (Wbintraud), sei es durch Ver^
hrennunp:, beseitigt werden kann. Auch die neuesten französischen Unter-
suchungen über die Uarnsüureausscheidung bei Bleikranken lassen die Ab-
hängigkeit der satuminen Gicht von Harnsüureretention verwerfen. Sürmont
und Brunellb 2<^) fanden die HamsSureabscheidung bei Bleikolik bald ver^
mehrt, bald normal, bald vermindert ; dagegen ergab sich bei ihren Versuchen
constant eine» bedeutende Verminderung des Harnstoffes und der Stickstoff-
auhscheidung, und zwar so stark, dass sie niclit durch Fehler der Methude
zurfickgeffllut werden icann. Man sudit daher auch neuerdings in Frankreich
fast allgemein in der hieraus gefolgerten Herabsetzung des Stoffwechsels
das Wesen der Hleiintoxicntion im Allgemeinen und die Ursache der Blei-
gicht im Besonderen, wobei man dann wieder auf die Ueberproductiou der
Harns&ure snrfickgreift >^
Immerhin ist, wenn man bei Bleigicht wirklieh Vermehrung der Ham-
sfiure im Blute durch Ueberproduction annehmen will, diese allein als Ur-
sache des Entstehens der Tophi nicht ausrtM'chend . da auch bei Leukämie
und anderen Krankheiten Hurnsäurev ermebrung im Blute sich findet, ohne dass
es zu Abscheidung von Uraten konunt. Man hat offenbar örtliche Processe
mit in Betracht zu ziehen, und zwar« wie dies Epstein zu(»rst hervorhob,
das Auftreten von Gewebsnekrosen . ohne deren Vorhandensein die Ab-
lagerung von harnsauren balzen nicht uiöglicb ist. Diese Nekrosen, die bei
der gewShnliehen Gicht als Folge der Einwirkung unbekannter Stoffe anzu-
sehen wftren, würden bei der Bieigicht auf das Blei selbst surOckgefübrt
werden können, das in der That wie bereits Dyce DrrKwoRTH und L.\n-
CEREAUX hervorhoben, auf die tropbischen Nerven störend einwirkt. IA'thje
weist in dieser Beziehung besonders auch auf die häufige Complication der
Bieigicht mit Bleiparalyse hin, deren Begflnstignng für die localen Oicht-
erscheinungen übrigens sich recht wohl durch die Verlangsamung der Säfte-
strömuna: infolge der aufgehobenen Muskelbewegung erklJlren lässt. Der
Umstand, dass die Zehen nicht ini;ner den Sitz der ersten Erkrankung
bilden, lässt sich darauf zurückfflhren, dass bei dem lugeodlichen Alter der
von Arthritis saturnina Ergriffene die bei filteren Individuen häufig vor-
handene einfache Panarthritis der Gmsszehen, welche ZU gichUschen Ent-
zündungen prfidisponirt. nicht existirt. '^j
Literatur: ') Mcsokave, De arthritide symptomica. 1703. Falko.vkk, Kssay on the Bath
waters. 1772. — *) Z. B. Todi>, Practit al reniark.s <>n pont. London 184:-$. — Vergl. GAnsoo,
Tb« natore ol goat aod rbeiuuatic gout. London 18ÖU. — '> Duckwobth, A treatiite on goot
Lsttdra 1889. — *) Ittmvwm dm Plasosss, Maiadles de plomb. Paris 1889. — ") Cbabcot,
Oaz. helirtoni. de m<'d. 1863, Nr. 27. — Halma Cuand, Ktiule cliiiunir >nir di iix i-a» de
KOQtte satiiriiine. Orleans 187ü. — •) Pedkll. Wahre tialit mit NiereiischrninpfiuiK l>ei Blei-
intoxication. Deutsche med. Wochenschr 1S84, Nr. 9. — ^) Lütujk, feber Hleigicht und den
EioUnas d«r Bleüatoxieation aal die Harnsäureansscheidnng. Berlin 1895. — Ulivbh, An
analytieal and eliniea! ezamlnatlon ol lend poisoninf;. Med.-chir. Tran^nctions. 1890, liXXIII. —
",) ScrDAJioHF, A trr:iti--r 11)1 ihe natiire and ciin- of gout. Loiiiliai liSlO. — I.auauie-
Laobavb, La goutte saturninu. Union lued. 1892, Nr. 36, 37. — öcubadku, Ueber Arthritis
urica bei ehroniseher Bleivergiftniif . Dratscbe med. Woclieuclir. 189S, Nr. 9. — ") Qoaum,
De la tiimenr dorsale des inains drni> I i i)ara!ysie satnnune des exteni^curs des doitrt-*. Union
med. 1808, 78. 79, 80. Nicalhc, Du gunflement du dos dei maina chez k« Baturuinü. Gaz. med.
1868, Nr. 20, 21. — **) Sobmoiit und BHunixa, Kecberchea sor relimination de l'axote
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56
lileigicbt. — Bromosin.
urinaire an cours et danH la convrteacent't» de la « oliquc saturniin'. Arch. {?ön. de mvd. Juillct-
Aoiit 1894. — EustKiN. Die NatOT nud üeliandlung der üicht. Wiesbadeu 1Ö82. — NoBi-
roi-BT, Rapports de riutoxieatiou saturnine i t de la gontte. Senaiae uM. XVII, Nr. 7. —
**) HüKii!:, Klinik der Gclenkkrankheiten. 2. Aufl. 1877. Hiiaem*iw.
llleitveiss. Man hat in En«:land seit vorfrl. Encyolopäd.
Jahrb., IV, pag. 4Ü) ein angeblich ungiftiges Bleiwt'iss in den Handel ge-
bracht, das auch als »The new Bnglish non poisonous white leadc in Deutsch-
land vertrieben wird. Nach der Analyse von Bernhard Fischbr ist dies
nicht ganz reines Bleisulfat, doch betragen die Venmreiniffiingen nur 2° q.
Die Tbat»acbe, dass auch Bleisulfat chroniBche Bleivergiftung herbeiführen
kann, ist unbestreitbar. Nach Versuchen , die Kiohka mit dem englischen
Producte anstellte, ruft es. in grösseren Mengen in den Magen gebracht,
bei WatMtblütrtn locale Verät/unfj: und. selbst wenn ein Thoil des Giftes
durch Kibi-erhcn riitfernt wird. allt;omeine Intoxication hervor, die post
mortem durch subpieurale Extravasate, hämorrhagische Nephritis und Ver-
fettuDir der Leber und Nieren sich su erkennen griebt. Es ist selbstver-
ständlich, dass dieses neue »ungiftige« Bleiweiss medicinal-polizeilicb wie
anderes Bleiweiss behandelt werden muss und dass es im Interesse der
allgemeinen Wohlfahrt liegt, wenn die dem Producte beigegebenen (iut^chteUf
wonach es ungiftig sei, unterdrflckt werden, da sie geeignet sind, bei Ver-
wendunST *B Stelle von Bleiweiss die nöthigen Schutzmittel und Vorsicbts-
massreffeln zu vernachlässijren. Indessen hat das Präparat doch einen hvijie-
nischen Vurtheil ; wenn man erwägt, welch grosse (iefahren die Ubiirbcn
Metboden der Bereitung von Bleiweiss für die Arbeiter haben, so bietet
für diese der Ersatz durch Bleisulfat, die keine solche Gefahr involvirt,
allerdings einen nicht zu unterschätzenden Fortschritt.
Literatur: Kioska, Ueber ein aogebUch nogütigeB Bleiweiss. Deutsche med. Wochen«
idlriK. 1896, Nr. 18. Hus. mam,.
Bromosin y Bromalbumin, Er omei weiss. F. Blum, welcher
mit Apotheker Humrath in Caasel das Verhalten des Biweisses den Halo-
genen gegenüber studirte, fand, dass. wenn man Chlor. Brom und Jod auf
feuchtes Kiweiss in der Kälte oder mässiger Wärme einwirken lässt, diese
Halogene theils dem Eiweissmolecül Wasserstoff unter Bildung von Halogen-
wasserstoff entstehen, wonach sich die entstandene Siure dem Biweiss bis sur
Erschöpfung der Bindungsfähigkeit anlagert; theUs bildet das Halogen mit
dem Eiweiss auch Substitutionsproducte. 0 Lofw. der die so erhaltenen \'er-
bindungen studirte, fand, dass das Bromeiweiss nach Entfernung des locker
(gebundenen Broms noch 16,1 6^ 0 Brom in fester Bindung und nach dem
Ldsen in Ammoniak und Fällen noch 13,10Vo snthält Eine Sehwefelabspal-
tung findet heim Kochen des Bromeiweisses mit Alkali nicht mehr statt,
auch wird bei der Hydrolyse mit Säuren kein Tyrosin gebildet und Mili.on s
Reaction erzeugt keine Rothfärbung mehr, während die Biuretreaction noch
deutlich g^lin^
Apotheker Hunrath bringt das Bromeiweiss als Bromosinum mit 10
Procent Brom in den Handel. Www bat es bei Epilepsie mit Erfolg versucht.
Literatur: F.Blum, Lelji^r Ualugenciwfissderivate aud ihr phyMologiscbv« Verhalten.
Alünclu uer med. WoebeBBchr. 1886, Nr. 45. — O. Losw, Ueber Bromalbnmiii. Chemiker'Ztg.
1897, paff. 264. £oeW*e*.
c.
Ciliuaplltol, C,0 N, 0, . (Cje H« OH . SOj H,) , nach seiner Zu-
sammeDMtsnng ^-Naphtol-«>monotalfo8«ares Chinin (42<*/o Chinin ent>
haltond), wurde von E. Ribglbr (Jassy) dargestellt, um in einer Substaos
die antipyrptische und antiaeptische Wirkung der betreffenden Componenten
zu vereinigen. Die Verbindung krystallisiit in charakteristischen rhombi-
tehen gelben Prismen, sie schmed^t bitter, ist nnlOeUeh In kaltem, etwas
löslich in heissem Wasser und Alkohol, sie wird durch Säuren nieht,
sondern erst durch den alkalischen Darmsaft in ihre beiden Componenten zer-
legt. RiBGLER empfiehlt sie daher in erster Reihe als Darmantisepticum bei
Typhus abdominalis, Darmtuberkulose, Dysenterie, aber auch bei acutem
Gelenkrheamalismns nnd bei Pnerperalsnstftnden wurde sie mit gutem Br^
folge versucht.
Das Mittel wird in Pulverform in Oblaten in Einzelgaben von 0,5 bis
zur maximalen Tagesdosis 5,0 verabreicht. Für gewöhnlich, wenn nicht
selir hohe Temperaturen su bek&mpfen sind, retoht man mit 2,0 — 3,0 pro
die. RiBGLER hat ausser dem Chinaphtol auch die analogen Verbindungen
des Chinidins, Cinohonins und Cinchonidins mit der ß Napbtol-a Solfosftnre
dargestellt.
Literatur: Prof. Dr. £. Bieoler (Jasey), Cbioaphtol, ein MnflS Aatipyreticnm and
Aatiisptteiim. Wiener med. Blatter. 1896, Nr. 47. Xo^AiteA.
Ctalnosolf H« N . 0 . S0| K, oxychinolinschwefelsaures Kali, wurde
von Emmerich, Beddies und Fischer als kräftiges und reizloses Antisepticum
empfohlen. Es stellt ein krystallinisches gelbes Pulver von zusammen-
ziehendem, aromatischem Geschmack und aafran&lmlichem Gerüche dar.
Das Präparat ist in Wasser in Jedem VerhUtnlsse IBsIIeb , unlöslich jedoch
in Alkohol und Aether, Nach den Untersuchungen von Bonnema verhindert
es die Fäulniss von Fleisch in höherem Grade wie Sublimat ; hingegen
wirkt es auf den Staphylococcus pyogenes aureus in geringerem Grade
baetericid als Sublimat Desgleiehen ergiebt sieh aus den Versuehen Boh-
hbma's, dass das Mittel keineswegs ganz UDglftig ist. Subcutane Iniection
von 1 Grm. tödtet ein kleines Kaninchen, andererseits wurden von einem
grösseren Kaninchen, 3 Grm. per os innerhalb ^/^ Stunden gereicht, ohne
siebtbare Wirkung vertragen.
KoBBHAim, OsTBRMANN empfehlen das Mittel zur Deslnfection der Hftnde
der Hebammen an Stelle des giftigen Sublimats. Hin|2:ee:f'n berichten Ahl-
FEi.n und E. Vahle, dnss es ihnen seihst mit Ii'* ,jiger Chinosdllösuns nur
in den seltensten Fällen gelang, keimfreie Finger zu schaffen. Auch ist das
Mittel nicht reldos, denn es erzeugt, in SulMtans angewandt, bei Wund>
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Chinosol. — CyaDverUndungen.
höhlen nnd Oesehwfireo intenslT bvMiiiende SohmerMii. Bi whrd ala Ver-
bandwasser in 2 — 1 pro Millo LöRunßren, bei eiternden Wunden in 0,5%iger,
bei alten Geschwüren in oiger I/ösung empfohlen.
Literatur: H. Ostermakn, Chinosul als Antisepticuui in Geburtähilfo und Gynükolo^ritf.
Therap. Monatsh. 1896, pap. 154. — Kossmahst, Centralbl. I. Gyn. 1895, Nr. 52. — Ahlkelo
mid £. Vahls, Ebenda. 1896, Nr. 9. — Bsdolies and Tischu, Alig. med. Central-ZtR. 1896,
Nr. £9. — A. A. BoirmMA (Apeldorn, Holland), tJeber Chinosol, ein neues Antisepticum.
Therap. Honatth. 1896, pag. 668. Lo^taeb.
Combinlrte Laiynsaskopley vergL pag. 37.
Cosaprin, die AeetyWerbtndnng des paraanlfanUinsaiiren Natriams,
wird als Antipyreticum von der Firma Hoffmann. Laroche und Comp,
in den Handel gebracht. Das Mittel stellt eine weisse, krystallinische Masse
dar, welche in Aetber nicht, schwer in Alkohol, sehr leicht in Wasser lös-
lich lat^ bei Anwesenheit von Alkohol Baaigftther bildet and bei anhaltendem
Kochen mit Säuren nach dem Erkalten unter Essigsäureentwicklong Snlt-
anilsäure abspaltet. Den Zusammenbang zwischen Antifebrin, aalfanilaaorem
Natrium und Cosaprin zeigen folgende Formeln :
Die therapeutischen Versuche sind bis ^etzt noch nicht abgeschlossen.
Creosotal) ein analog dem Guaiakolcarbonate dargestellter Kohlen«
sfiureäther des Creosots. Um die bekannten irritironden Wirkungren des
Creosots auf die Magenschleimhaut zu umgehen, wurde von der chemischen
Fabrik ▼. He7den*s Nachfolger in Badebenl das Creosotal als ein Mittel
dargestellt, welches vermöge seiner ehemlachen Constitution erst im Darm
in Creosot und Kohlen.säure zorIeg:t und resorbirt wird. Der Spaltuntrs-
process und ebenso die Resorption geben langsam vor sich, der Organismus
befindet sich daher unter einem continuirlichen Einfluss des Creosots. Die
Ansaeheidung de» Creoaotala erfolgt dnreh die Nieren, nnd daaselbe kann
alsbald im Harn reichtich nachgewiesen werden ; ein Theil des Creosotals
wird durch die Lungen ausgeschieden, daher der Geruch desselben im Athera
bemerkbar ist. Das Creosotal bildet eine zähflüssige, bonigartige Substanz
▼on dunkel* bis hellbranner Farbe, ist in Wasser nnlöslioh, mit Aetber nnd
Alkohol mischbar, löslich in fetten Oelen. Durch Erwärmen oder Verdünnen
mit Alkohol wird ps dünnflüssiger, bat einen leicht bitteren Geschmack
und schwachen Geruch nach Buchenholztheer. Chaumieh. der seinen Pa-
tienten das Creosotal entweder rein theelöffelweise oder empfindlichen Pa-
tienten mit Milch, Sllsawein, Lebertbran, anch in Leimkapseln oder In Form
von Emulsionen verabreichte, hat scllisl über 20 Grm. pro die gegeben,
ohne dass die unanpenebmen Nehou\virkung:en des Creosots auftraten.
ÖiEüFK. Keiner, der das Creosotal in einer grösseren Anzahl von Fällen
▼ersuchte, giebt das Mittel auf V« — 1 Tbeeldffel pro die beginnend bis zu
2—3 Theelöffel. — Nachtrinken von Milch oder Kaffee verdeckt den öligen
Geschmack desselben — hält das Creosotal für ein ausjarezeichnetes
Mittel zur symptomatischen Behandlung der Tuberkulose, denn es vermin-
dert nnd desodorisirt den Auswarf, hebt den Appetit nnd ist wegen seiner
milden Wirkung dem Creosot vorsaiiehen.
Literatur: Snora. Rnim, Zur therapestiaehen VerweDdasg des Oreowtals. Therap.
WocheiiMchr. 189.5. Nr. 37. i.... his, h.
CyauverblndmiKeii« Ais Gegengift bei Cyankali um Vergif-
tung ist neuerdings Morphin empfohlen worden, allerdings nur auf Grund
von Beobachtungen an weissen Mäusen, die, wie wir durch die Dntersachungen
von Falck und Tubbbn (Encyclop. Jahrb., VI, pag. 85) wissen, sehr unempfind-
C,H,.NH(C0.HC8), C„H4<
Antifebrin
Cosaprin
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CyanverMudungen.
lieh gegen Cyanwasserstoff sind, so dass die relativ tödtlicbe Doais fast 2 Y,mal
so liodi wie beim HeDschen ist Die Annahme von Hbhc'), der bei anti-
dotarischer Behau dhrnir von Cyankaliumverf^iftiin}!: mit Morphin nach lotalon
Dosen theils VViedcrhcistdlunpr. theils LobcnsvorlänLrci-uno: beobachtete, dass
es sich um eine cbeiiüscbe Wirkung im Blute handle, wubei Oxydimorpbin
and Berliner Blau im Blute gebildet würden, ist zweifelsohne nicht richtig;
waturseheinlich handelt es sieb um einen physiologischen Effect des Morphins
auf das hochgradig- erregie inspiratorische Centrum.
Allerdings zeigen die Versuche von Lang (vergl. £ncyclopäd. Jahrb., V,
pag. 32) Ober die antldotariseiie Verwendbarkeit der IntMvenOseB Appllcaticm
von Schwefelnatrium und Natriumthiosulfat bei Blausäurevergiftung die
Möglichkeit einer chemischen Neutralisation von Cyanwasserstoff im Blute.
Was aber bis ietzt von der WirkuDtr dieser Antidote bei BlausiiureN er^rift ung
bekannt geworden ist, beweist nur, dass man bei vorheriger Appiication von
Natriumthiosulfat in die Venen die letale Wirkung der Blausftnre, die dann
also im Blute bereits ihr Gegengift vorfindet, verboten kann. Ein antido-
tarischer Effect bei wirklich vorhandener Vergiftung ist aber nicht zu er-
warten. Anders ist dies iedocb bei Vergiftung mit Stoffen, welche durch
langsame Abspaltung von BlausSure im Blute giiftig wirken. Wie Lang bereits
angab, findet die gleiche Bildung von Sulfocyankalium , die ihn zu seinen
antidotarischen Versuchen mit Schwefelnatrium und Natriumthiosulfat bei
Blausaure Vergiftung bewog, bei den sogenannten Nitrilen statt, eine That-
sache, die nicht nur für die bereits vielfach untersuchten Cyanverbindungen
der einwerthigen Alkoholradicale, sondern auch nach Hbymass und M Asonr
für die entsprechenden Verbindungen der mehrwerthigen Alkoholradicale trilt.
Nach den genannten Forschern ist das Auftreten von Schwefelcyan im Harne
bei Vergiftung mit den Cyanverbindungen der Oxalsäure dadurch bedingt,
dass die betreffenden Verbindungen im Organismus sich spalten und CN
abgeben, das sich dann mit Schwefel zu Schwefelcyan verbindet. Diese Ab-
spaltung- findet nur beim Oxalsäurenitril (Cyan. Dicyan, CN-CN) mit grosser
Rapidität statt, langsamer beim Malonitril (Apfelsäurenitril , CN-Cäj-CN)
und noch weit langsamer beim Succinylnitrtl (BernsteinsäurenitriL, CN-CH,-
CH-GN) und beim Pyrotartrylnitril (Olutarsäurenitril, CN CH,-CBa<
CHj-CN). Beim Pyrotartrylnitril ist die Spaltung so langsam, dass die to>i-
schen Kffefte sich oft erst nach einigen Tagen zeigen, wo es dann zu
Krampfanfälien von kurzer Dauer kouuut, an welche sich ein Stadium der
Paralyse und die charakteristischen Krftmpfe schliessen. Bei diesen lang-
samen Intoxicationen lässt sicll E priori veinuithen. dass die Bindung des
CN an S weit leichter pelinß:on werde, als hc\ Blausäure Vergiftung oder bei
Vergiftung durch Cyankalium und Cyannietalle. Das stimmt denn auch zu
dem Resultate der Versuche, wonach sich Natriumhyposulfit nicht allein
pr&ventiv. sondern auch geradezu antidotarisch bei Malon-, Succinyl- and
Pyrotartrylnitrilvergiftung verw(>nden lässt. Der antidotarische Effect ist so
bedeutend, dass bei intravenöser Einführung angemessener Dosen bei Hunden
und Kaninchen die 9fache, bei weissen Ratten sogar die 14facbe letale Dose
überwunden wird, gleichviel ob letstere innerlich, bypodermatisch oder intra-
venös applicirt worden ist, nur unter der Voraussetzung, dass die Athmung
noch einige Minuten nach der intravenflsen .Application «les Gegengiftes fort-
dauert. Bei Malonitrilvergiftung verschwinden die sämmtlichen Störungen
des Kreislauf^ der Athmung und der Ken'encentren in 5 — 10 Minuten voll-
ständig. Hier kann die Wirkung durch Anwendung gleicher moleculärer Afengen
des Gegengiftes erzielt werden, durh ist es imnu'rhin zweckmässig:, einen
üeberschuss. etwa das 1' jfache. zu benutzen. Beim Succinyl- und beim Pyro-
tartrylnitril sind noch grössere Dosen (Sfache) erforderlich, weil bei der späteren
Spaltung dieser Verbindung ein grosser Thell des Natriumthiosulfats bereits
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60
CyanverbindangeD.
eliminirt ist, ebe die Einwiikunp des Antidots saf das abgespaltene CN statt-
finden kann. Weit wenige grünstige Resultate werden mit dem Antidot bei
Vergiftung: mit Cyanpas erzielt; hier hat man. wie bei der Blausilure. nur
Effect bei präventiver Darreichung, und auch dann nur höchstens gegen die
3 — 4fache letale Menge.
Leider haben diese interessanten Versacbe fast ansschliesslieh theore-
tisches Interesse, da ja keines der Nitrile aus den Werkstätten der Chemiker
und Pharmakolügen hinauskommt. Indessen wäre es immerhin inriplich.
dass man bei den selteneren Vergiftungen mit Ferrucyunkalium, die ja auch
auf langsamem Freiwerden von Cyanwasserstoff beruhen, mit dem Antidote
Erfolge erzielte.
Ein physiolop^ist her und cheinischer abschwächender Einfluss auf Cyan-
wasserstoffvergiltungen wäre übrigens denkbar, wenn man an Stelle von
Morphin die ebenfalls berahlgend auf die HednUa oblimgata wirkenden Bro-
mfire anwendete. Versnebe von Falck nnd Wbkhbr Mbybr >) fiber die Wir-
kunp des Bromeyans zeigen, dass diese nicht allein von drr des Alkali-
cyanats und der aus dieser freiwerdenden Cyanwasserstoffsäure . sondern
uuih vuu der des Jodcyans erheblich abweicht, so da»s eine Betheiligung des
Bromcomponenten an der Action mit Bestimmtheit angenommen werden mnss.
Dieser setzt die Giftwirkung der sich aus Hromcyan abspaltenden Cyan-
wasserstoffsäure so sehr herab, dass dit« (ielctärf .Action bei Tauben erst
nach 4,G — 5.3-, bei Mäusen und Kaninchen nach 1,6 — 3,4 mal so hohen Gaben
wie nach Alkalicyaniden hervortritt und das Bromcyan mit ROcksieht anf dto
Menge der abspaltbaren Blausäure um etwa 62'*/o schwächer als Jodcyan
wirkt. Dil' Hrrabst t/uniir der krampferregenden Action der Blaus&ore ist
noch ausgesprochener als bei Jodcyan.
Von sonstigen Verbindungen des Cyans, die in den letzten Jahren
neueren PrQfangen unterworfen wurden, sind nur wenige als durch Abspal-
lung von Biausruire rasch todtliche Gifte zu nennen. Ein derartiges Gift ist
Aethy Ichiora Icyn nhydrin */. doch ist auch hier die kranipferregeiide Wir-
kung der Blausäure etwas abgeschwächt. Ganz der Blausäure gleich wirkt nach
Falck und Kastbw das ans Acetaldehyd und wasserfreier Blanslnre darge-
stellte Mi Ichsänrenitril , indem es bei Gegenwart von Wasser unter Frei-
werden von Blausäure /ersetzt. Dii' 7.-Cyan- und z-M i 1 c Ii s ä u r e. die sich zum
Milchsäurenitril gerade so wie Benzoesäure zum Benzol und äalicylsäure
Bum Phenol verhftlt, und aus ihm durch Anlagerung von OH nnd Carfooxyl
entsteht, ist nicht gans ongiftig, wohl aber bedeutend weniger giftig als
Blausäure, von der sie sidi in ihrer .\ction auch dadurch unterscheidet, dass
die paralytischen Effecte iii»erwiegen und die Biausäurekrämple bei Kaninchen
und Taulien ganz fortbleiben. ")
Jedenfalls zeigt das Milchs&urenilril , dass die Wirkung der sftnunt-
lichen Nitrile keineswegs eine gleiche ist. So ist reines Propionnitril nach
den \'ersiichen von F.\LCK und Stkrnueim ') ein rein lähmendes Gift, das nur
bei letalen Dosen durch Athemsiorung Krämpfe hervorruft; die Wirkung
auf das Brecbcenirum ist ausgesprochen und stärker als bei GyK, dagegen
bewirkt Propionitril keine Veränderim»;: der .\tbemzahl und tödtet nicht in
Minuten, sondern erst in einigen Stunden, Tauben zeigen kolossale Immu-
nität gegen Propionitril. so dass es fast 4UUmal schwächer als die in CyK
enthaltene Blausäuremenge wirkt; bei Mäusen und Kaninchen ist seine Toxi»
citftt 2,89 — 2J5mal geringer.
Auch die Nitrile der mehrwerthigen Alkoholradicale weichen in der
Syni|)toniatologie der Vergiftung von der typischen Blausäurevertrift ung: in
einigen Punkten, namentlich aber in Bezug auf die Dauer ab, Nach Hky-
MANS und Masoin charakterisirt sich die Intoxication mit Malonilril durch
eine bei kleinen Dosen isolirt bleibende Periode der Excitation, mit Athem-
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CyanTerMndttngen. — Cytisiu.
61
beäcbleunigung und Verstärkung und Acceleration des HerzHchlages, woran
deh bei grosseren Dosen eine mit starkem Absinken der Temperatur ein-
hergehende Periode der Paralyse scbliesst, die zuerst die motorischen und
coordinatorischen Centren des Gehirns, dann die Centren der Medulla oblon-
gata, und zwar zuerst das Athmungscentrum und später das vasomotorische
Centmm, schliesslich das Rückenmark l&hmt. Das Blnt der mit den Nitrilen
vergifteten Thiere nimmt niemals die hellrothe Farbe an, welche man bei
der Vergiftung mit Blausäure wahrnimmt ; nur bei dem Cyan ist dies der
Fall. Dagegen ist die charakteristische Dyspnoe, während deren die mittlere
respiratorische Stellung sich der maximalen inspiratorischen nähert, unver-
kennbar. Der Hensohlag flberdanert stets die Athmung, das Blnt im linken
Ventrikel und Vorhof ist arteriell, im rechten venOs. Active Brweitemng
der Ohrgefässe ist constnnt.
Die Toxicität der Nitrile der Oxaisäurereihe differirt bei den einzelnen
Thierelassen. Bei Hunden nnd Kaninchen ist Malonitril am giftigsten, bei
Tauben und Fröschen Oxalonitril, Sm cinyliiitril steht dem Pyrotartrylnitril
2 — 3nial an Giftig^keit nach. Auf das Moleciilargewicht berechnet . ist Sur-
cinylnitril beim Kaninchen 5-, heim Frosche 9-, beim Uunde 19- und bei der
Taube sogar lOOmal schwächer als MalonitriL
Eine bedeutend geringwe Giftigkeit als die Blansftore nnd die elgent-
lidien Nitrile zeigt nach Falck und Wedekind ^) das zu den Isonitrilen g:o-
hOrlge Ac'thylisocyanid. Die älteren An^-aben von Gautier und Calmels,
wonach diese Verbindung in Gasform blitzähnlichen Tod bewirkt, müssen
anl Vemnreinignngen ihrer Präparate surflokgefflhrt werden« Abw auch
die Angabe von Maximinowitsch , dass sie ganz ungiftig Bei» ist irrig.
Aethylisocyanid bewirkt wie Blausäure und Cyansalze Lähmung-. Dyspnoe
und Tod durch Lähmung der Athmung, bei Tauben auch Erbrechen, dagegen
fehlen die tmiiieh-UoniMlien Kribnpfe und hSehatens kommt es anmittelbar
vor dem Tode sn schwachem Maskeisneken. Der Tod erfolgt nicht in wenigen
Minuten, sondern erst nach 15 — 76 Minuten und erst nach Dosen, die der
8 — 28fachen Blausäuremenge entsprechen, die nach stöchiometrischer Rech-
nung aus dem Aethylisocyanid entstehen kann. Dieses ist somit wesentlich
sehwioher als ProplonitrlL
Eine von der Blausäure in ihrer Wirkung ganz abweichende Verbin-
dung ist nach Falck und Cobster **) das Cyanamid. Es stellt ein rein
lähmendes Gift dar, das niemals direct, sondern nur secundär durch StÖ-
mng der Athmung Krämpfe hervorruft; die breehenerregende Wirkung bei
Tauben fehlt, dagegen ist eine speichelflass- and pnrgtrenerregende Action
hei Kaninchen vorhanden, die der Blausäurevergiftung nicht zukommt. Auf-
fällig ist der unmittelbare Eintritt der Todtenstarre nach Cyanamidver-
giftnng. Bei minimal-letalen Gaben erfolgt der Tod erst in einigen Stunden.
Der Unterschied In den snr Tödtnng erforderllehen Mengen Ist so gross,
dass von einer allmäligen Blausäurewirkung nicht die Rede sein kann;
denn die deletäre Wirkung ist bei Mäusen 48-, bei Tauben 84- und bei
Kaninchen llSmal schwächer als die der in CyK und CgNa enthaltenen
BlansEnremengen.
Literatur: ') F. ELeim, Morphinchlorid t^egen Ver^'irtiniij^ mit Kaliamcyanid. Mttnchener
med. Wocheaaehr. Nr. 37. — ') Hbthavs and Masoih, Etüde pbysiologiqae Bor les diaitril««
nomuMB. Areh. de Pharmaeodynainie. m, pa^. 77. — *) Wsuibb Mktbb, Beitratr zur Kennt-
nl»9 der Wirkung des Bromcyans. Dias. rt. Kiel. — *) LAirooBAFr. Hciträge zur Kenntuiss der
Wirkung des Aethylchloraloyanbydrina. Disaert. Kiel. — ^) Stbbmhkui , Uciträj^e zur Kcnnt-
idM der Wirkung des Propionitrils. Dineri. Kiel. — *) KAsrani, Beitrag zur Kenntnis» der
Wirkung der «-Cyan-, a-Milchsäure. Dissert. Kiel. — WxDBKi!n>, Heitr.ig zur Kenntni.ss
der WirkUDj^ des Aethylisocyanid». Dissert. Kiel. — *) Cosstbk , Beitrag zur Kenntaiss des
C^snanlds. DInevt. Kid. Btueauuui.
CytlSUS« Dass das ffiftige Alkaloirl Cytisin sich nicht blos in Arten
der Gattung Gytisus findet, sondern auch in den Gattungen Qenistat Uiex,
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62
GytisiM.
Sopbora, Baptisia und Euchresta, ist durch Untersuehungeii von Pluggb
(vergL Bneyelop. Jahrb., VI, pafr. 579) featgestellt. Aasser ▼ertehledeDeii
Sophoren, deren Samen 2 — "».5** ;, enthalten, enthalten auch die Samen von
Genista monosperma 1^2,065" „) mehr Cytisin als (Hf^jeniiren von Cytisus
Laburnum (1,56—1,808%). während die von Baptisia australis (l,i>G%) diesen
siemllch gtoleh stehan and die von Ulez earo|»a«nB (1,08*/«) etwas wenfger
enthalten. Neuere Uatersuchungen von Plügge and Rauwbrda, die unter
Anwendunjj: der van de MoER'schen Reaction und Versuchen an Fröschen
über das Vorhandensein von Cytisus in 38 Arten Cytisus, 10 Arten Qenista,
4 Arten Ulex, 10 Arten Baptieia und 11 Spedea vob Sophora angeeteHt
wurden, xeigen die grosse Verbreitung des {giftigen Stoffes in den geoaDBten
Geschlechtern, doch fehlte es auch in einzelnen Arten, wo selbst unter An-
wendun«- von 10 Grm. Samen kein Cytisin aufzufinden war, z. K. in Cytisus
purpareus, C. racemosus, C. sessjiiifiorus, C. glabratus. G. capitatus, C. hir-
sntoa, während In anderen, wo weniger als 1 Grm. angewendet war, mög*
Hcherweise positives Resultat erhalten worden wäre, wenn mehr Samen
lur Verfügung- gestanden hätte. Die abweichenden Krprebnisse. welche bei
einzelnen Cytisusarten von früheren Untersuchern erhallen wurden, erklären
sieh mm TheU, wo Plügge und Rauwbrda positives Resultat erhielten,
aus der grSsseren Sehärfe der van db MoBR'sohen Reaction, snm Thell
auch daraus, dass verschiedene Arten unter gfleichera Namen untersucht
worden, wie dies bei der bunten Nomenclatur der Cytisusarten leicht mög-
lich ist. Manche Cytisusarten sind übrigens bestimmt nur Varietäten, ebenso
sind von den vier Ulezarten iwel sleher nur Spielarten von Ules enropaens.
Unter den cytisinhaltigen Qenisten ist auch Genista germanica, während
Genista canariensis kein Cytisin enthält. Cytisin fand sich auch in Sophora
anguBtifolia, und die frühere Angabe über das Vorkommen eines besonderen
Alkaloides Matrin in dieser iapanlsehen Püanse seheint durch Analyse einer
lupinenartiKcn Pflanze veranlasst zu sein, da ein dem Matrin gleiches Alka-
loid in den Lupinen vorkommt. Gefunden wurde Cytisin auch in Enchrosta
uod Anagyris, dagegen in keiner Art von Coronilla, Ononis, Lathyrus,
Robinia, Wistaria, Albizsia, Amorpha, Anthyllis, Arthroloblum , Caragana,
Desmodium, Gleditsehla, KMnedya, Psoralea und Tetragonolobus. Weitere
Unter8urhunp:en , die positives Resultat versprechen, wurden sich auf An-
gehörige der Gattungen Pittaria, Arthrosolen und Podaiyria. die den Genera
Cytisus, Genista und Sophora botanisch am nächsten stehen, erstrecken.
Literaturs Ptvoes und B&owbbm, Voortgetette oadenoeklogeD over het Toorkomen
vaa eytiaiae In TersehtUende PapiUimaeaae. Kederl. TfidwMur. voor Pham. Till, pn^'. :^31.
Hu^emiiaa,
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D.
Darm (Darmentzandung:, Appendicitis, Darmparasiten n. a.)-
Einige Untersuchungen, physiologische Fragen betreffend, seien voraus-
geschickt. Hon IG MANN bringt Beiträge zur Kenntniss der Aufsaugungs-
und AaBseheidnngsTorgrftDgre im Darm. Die BeobaetatunipeD wordm «n
einer Patientin mit einer Fistel des unteren Ileume gemaelit, aus der sieh der
gesammte Chymus entleerte, üie Reaclion dessen, was hier abfloss, war
Stets sauer, allemal fehlte der typische Kothgeruch, gleichgUtig, ob Milch
oder Fleiaoh genossen wurde. Die Fettresorption war eine vollkommen
normale. Die Grösse der Biweissresorption steht hinter dem Normal*
mass, beim Gesunden aus der Thätigkeit des gesammten Darms berechnet,
erheblich zurück. Daneben fällt auf, dass der N-Verlust durch die
Nieren verbältnissmässig spärlich ist. Bemerkenswerth war die grosse Zu-
rflekbahoDg von Kalk, fast Örm. täglich, offenbar weil die Anssdiddnng
des Minerals dnreh den Diekdatm g^emmt war. Dieser hier ausgeschaltete
Organabschnitt scheint auch vorwiegend bei der Ausscheidunjc: des arznei-
lieh eingeführten Olsens in Betracht su kommen i der Dünndarm nahm
«neh hf«r rdatlv and ahsoint grosse Mengen Elsen ani Ueber die Bedeu-
tung von Athnrang nnd Peristaltik f&r die Resorption im Dünndarm hat
H. J. Hambürgbr-) Untersuchungen angestellt. Steigerung des intraintesti-
nalen Druckes befördert die Resorption in bedeutendem Masse. Dieser
Druck ist abhängig von der Athmung, von der Peristaltik und von dem
Gewidit der Dftrme. Sinkt der Druck nnter einen gewissen Werth, so hört
der Resorptionsstrom auf, doch kommt dies intra vitam nicht vor.
Die Frage der Aufsaugung der Albumosen im Mastdarm wird von
KouLBMBBRGER 3) dahin beantwortet, dass sie vollständig resorbirt und des
Welteren im Elwelsshanshalte ausgiebig verwerthet werden können. Eine
Nachprüfung des GROTZHRR^schen V'^ersuches über die Wirkung der Koeh-
salzklysmata (s. frühere Jahrg.) bringt E. Wendt. *1 Niemals wurden
in|icirte Substanzen im Magen und Dünndarm bei Thieren und im Magen
b^bn Menschen angetroffen. Man kann deshalb nicht annehmen, dass Klys-
mata in geringer Mmige die BAUHW^sche Klappe passiren. Schliesslich vbt*
dient die Beobachtung alimentärer Albumosurie durch Chvostek und
Stuomayr •) besondere Hervorhebung. Bei normalen Individuen oder solchen,
bei welchen schwerere Lösungen des Darms nicht bestehen, gelingt es nicht,
AlbuBOse im Harn nach Verffttternng grosserer Quantitäten (40 — 60 Orm.
Somatose) der Snbatans naehinwelsen, wohl aber ist dies der Fall, wo
schwere ul ceratiTS Darmprocesse bestehen. Der Harn wurde nach
Verabreichung des Priparates in Abständen von 2 — 3 Stunden aufgefangen
und auf Albumosen nach Divoro untersucht Verwerthet wurden nur Fllle
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64
Dana.
(neun), bei denen keine Albuminurie bestand. Ein negativer Befund
spriolit nlehl gegm dM Vorhandensein nloeratlver Processe im Darm.
Von diagnostischem Interesse ist eine Mlttheilangf von Gbrsuny *), ein
Symptom bei Kothtumoren betreffend. Dasselbe beruht darauf, dass bei
intensivem Fingerdruck die Darmsohleimbaut an der den Tumor bildenden
iShen Kothmaase anklebt nnd beim Nachlassen des Druckes sich davon
wieder ablöst, nnd besteht darin, dass man dieses AblSsen der Darm-
schleimhaut von dem Kothtumor tastet. Vorbedingung für das Zu-
standekommen dieses Klebesymptoms ist ein gewisser Qrad von Trocken-
heit der Darmschleimhaut und von Eindrückbarkelt der Oberfliohe des
Kothtnmors; endlich gehOren dasn die Darmgase, die beim Dmck anf den
Tumor weggedrängt werden, beim Nachlassen des Druckes wieder zurück-
treten und so die Darrawand von der Oberfläche des Tumors von Neuem
ablösen. Das Vorhandensein des Klebesymptoms bedeutet somit, dass in einem
glattwaadlgen Sack eine feste, etwas knetbare Masse nebst Gas efaigeschlossen
Isti Das Klebesymptom manifestirt sieb ; wenn man die Bauchwand an einer
prominenten Stelle des Tumors mit den Fingerspitzen Innfrsam tief ein-
drückt, den Druck allmälig vermindert und die Finger sehr langsam wieder
abhebt Das Phftnomen wurde in swei Fällen beobachtet, bei einer Fran
von 32 Jahren und bei einem Sj&hrigen Knaben. In bdden FUton bestand
seit frühester Kindheit Darmträisrheit und Kothstauung, durch Abführmittel
und Irrigationen vorübergehend gebessert, sich gelogentlich zu einem Obstruc-
tionsanfall steigernd. Allmälig entwickelt sich eine Hypertrophie des Dick-
darms, der welter, linger und didcer wird, sieh kriftlg oontrahirt, aber das
Hindemiss (stagnirende Kothmassen) nur theilweise fibervrindet. Die Kranken
bleiben in ihrer Entwicklung zurück. Am wirkungsvollsten ist das Kneten
der Tumoren nach Oelinjectionen. Die übergrosse Länge und Wette
des Dickdarms ist ein Hindemiss für die danemde Heilung, vielleicht ist
in diesen Fällen der Dickdarm von Geburt an zu lang. Hofmokl ') hat das
Klebesymptom nie beobachtet. Er meint, dass für dasselbe ein gewisser
Grad von Hypertrophie der Darmwand nöthig sei, wodurch sie starrer wird
nnd dem Tnmor nicht mehr so genau anliegt, so dass dünne Gasschichten
swisohen Tumor und Darmwaad sleli ansammeln kSnaen. Das wichtigste
Symptom für die Erkenntniss der Kothtumoren ist ihre Eindrfickbar-
keit, aber auch diese ist nicht pathognostisch . denn sie findet sich z.B.
bei retrouterinen Hämatokelen, andererseits kann der Kothtumor sehr hart
sein, so dass er eine Oesehwulst Tortiusoht.
Die Diagnose betrifft auch das» waaHBRZ^) über das Erkennen der
Insufficienz der Valvula ileocoecalis sagt. Die Klappe wird durch Auf-
lockerang ihres bindegewebigen Stromas, hauptsächlich bei Potatoren, un-
dlehl Wenn man adt d«B ffleinflngerrand der Unken EmmH das Colon
ascendens comprimirt und dann ndt der rechten Hand die im Cöcum ent-
haltenen Gase in das Ileum presst, so entsteht alsdann ein lautes Gurren.
Hat man vorher percutirt, so überzeugt man sich von einem Schallwechsel
in der Regio iliaca. Die Insufficienz verräth sich durch Schmerzen über
dem Cdeam oder an den Fleznren, Obntipatiloni Flatulens. Die Therapie
besteht in Abführmitteln, Blektricitftt, Massage.
Von speciell anatomischem Interesse sind die Untersuchungen von
0. Hbubnek über das Verhalten des Darmepithels bei Darmkrankheiten
der Sftuglinge, benoaders bei Cholera Intentum. Die Pathogenese der meisten
bieher gehörigeii Erkrankungen wird durch die anatomische Betrachtung
nicht erschlossen. Epithel und Drüsen sind stark verschleimt, sonst gering-
fügig verändert, in gar keinem Verhältnis zu der Schwere der klinischen
Erscheinungen: Gewisse Metamorphosen am Protoplasma werden erst be>
obaohtet bei clironischer Dyspepsie, die mit dholerlformen Erscheinungen
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Darm.
65
endigt, und bei der schweren, acut einsetzenden Cholera infantum zeigt sich
das Epithel der Zotten und Drüsen bis zur Unkenntlichkeit verändert. Es
Ist in ein Lager glandoier, rauchig getrfibter, kenüoBW Schollen verwandelt,
ehie Schädigang, die wohl durch ein gelöstes Oift hert>elgelQhrt sein dürfte.
W. QERr.ArH bringt kritische Bemerkungen zu der gegenwärtigen
Lehre von der Darmatrophie. Er findet, dass der mikroskopische Zu-
stand eln«r L(ridion>I>anDS6hleimlurat abhftngig ist vom Contraetlons-
zustande der Mneculatur, so dass, wenn diese aas irgend einem Qrunde
dQnn und zart war, auch die Mucosa ein pseudoatrophisches Aussehen
annehmen muss. Namentlich ist es der Meteorismns, der die Bilder der
Atrophie vortäuschen kann: Dünnerwerden der Darmwand, Seltenerwerden
der Zotten, Schwund und Pseudontrophle der Darmdrflsen.
Von Interesse sind dann die Angaben Hansem akn's ^i) Ober die Ent-
stehung falscher Darmdi vertikel. Bei einem SBjährigen Manne wurden
im Datme etwa 400 Divertikel gefunden, die niemals irgend welche Er-
scheinungen gemacht hatten. Die Divertikel Bassen im DOnndarm dicht
neben dem Mesenterialansats, desgleichen die meisten des Koion, Blind-
darm und Colon ascendens waren überhaupt frei. Nur eine Minderzahl war
auf der convexen Seite des Daims gelegen, solche gingen öfter in die Appen-
dices epiploicae hinein. Am Mesenterium bestand eine gana bestimmte Be-
siehung su den Gettesen, sie traten dort auf, wo die Vene die Musenlatur
durchsetzt. Darmmusculatur hatten die Divertikel nicht, es bandelte sich
also um Schleimhauthernien, die durch die V'enenscheiden hin-
durchgetreten sind. Anatomisch bemerkenswerth ist auch ein Fall mul-
tipler Primirkrebse des Dünndarms, den v. NoTRHAPr i*) beschreibt.
Im Jejunum wurdMi drei nicht sehr weit von einander entfernte Carcinom-
knoten gefunden, die in Bezug auf Form, Farbe und Consistenz ganz gleich-
werthig waren. Wahrscheinlich sind diese Knoten vollständig unabhängig
von einander entstanden. Als gemeinsamer Boden dflrfte eine sehr ausge
dehnte Atrophie der Schleimhaut anzuspredien sein.
Die Frage, ob Darminhalt in die menschliche Brusthöhle ein-
heilen kann, ist von allgemeinstem klinischem Interesse. Askanazy'^i weist
auf Qrund pathologisch- anatomischer Studien nach, dass die Einbeilung nach
Perfmation bis snr Bildung fibröser Knötchen, die ihren Ursprung nicht
mehr erkennen lassen, vorschreiten kann. Kleine compacte Kothpartikel,
die an circumscripter Stelle fixirt werden können, geben die besten Chancen.
Von entscheidender Bedeutung ist immer der Qrad der Infectiosit&t des
Darminbslts in specie der Vimlens der Kolonbakterien.
Von grösster praktischer Bedeutung sind diejenigen Arl>eiten auf dem
Gebiete der Darrapathologie, welche der Aetiologie der Darmaffec-
tionen vornehmlich Rechnung tragen. Hierher dürften wir zunächst eine
Mittheilung von Opplbr^*) über die Abhängigkeit gewisser chronischer
Diarrhoen von mangelhafter Seeretion des Magensaftes redmen.
Oppler stützt sich auf sechs F&Ue, Personen höheren und mittleren Alters,
bei denen der Mangel eines guten Gebisses , der Abusus von Alkohol und
Tabak schwere ciironische Gastritis cum Atrophia verursachte; von Seiten
des Magens bestanden keine nennenswerüken Beschwerden; hauptsächlich
wurde über Diarrhoen geklagt. Es treten 3 — 5 Durchfälle unter Unbe-
hagen täglich auf, saure und fette Speisen werden besonders schlecht ver-
tragen. Oppler vertritt nun die Ansicht, dass nur die ungenügende
Vorarbeit im Magen bei unsweekmSssiger Auswahl der Kost die Diarrhoen
verschuldet. Das Magenübel ist also das Primäre und recht eigentlldi der
Angriffspunkt der Behandlung. Einen Beitrag zur Aetiologie der Gastro-
enteritis acuta auf Grund einer Endemie bringt Kolomax Szegoe.
Es handelt sich um zahlreiche Krankheiten bei Säuglingen, die in einer
XBCjrclop. JiMMbu. VII. 5
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66
Darm.
Anstalt hintereinander vorkamen und groasentheils tödtlich verliefen. Ab
Krankbeitaerreger wurde das Bacterlum eoll naehgawieaea, daa bareita
für den Erreger so vieler unrl heterogener Leiden angesehen wird. Der
Umstand, dass hier das Bacteriuni coli vier Stunden nach dem Tode im
Leichenblut ausscblieBslicb gefunden wurde, spricht ebensowohl dafür, dass
68 dort bereits sebon wibreod des Lebena Torhaaden war, wie daas es mit
der Krankheit in einem gewissen Zusammenbange stebt, samal die gefandene
Speeles sich äunserf virulent erwies.
Vor Allem hat die ätiologische Forschung sich bemüht, die Patho-
genese der Darmkraakhalten nlebt bloa dnreb rtadringenderae Stüdlnm der
Bakterien, sondern ancb.der bSber organisirten Parasiten za fördern. Ueber
einen Fall von Amöben dysenterie und Leberabscess berichtet F. Manner.
Der histologische wie der anatomische Befund und auch das klinische
Krankheitsbild sind in dem vorliegenden Falle dieselben wie bei der Amöben -
dysenterie. Bei dem erst dOJibrlgioB Manne entwiekelten sidi seideiebend
Diarrhoen, er kam immer mehr und mehr herunter und ging schliesslich
fieberhaft zugrunde, wobei der üble Ausganff offenbar durch complirirende
Leberabscesse verschuldet wurde. Amöben fanden sich in grossen Mengen
in den Ausleeningen, in der Snbmnoosa des Darms, in den Abscessbötalen.
Die Amöbe erzeugte bei Katien schwere Dysenterie. Der Fall ist dadurch
henierkenswerth , dass er eine echte Amöbendysenterie <larstellt, die nicht
in den Tropen, sondern in Wien aoquirirt wurde. Auch in zwei Fällen
von Boas*') waren hartnäckige oonsumirende Diarrhoen durch Amöben-
infeetion liwfingt Hier scheint aber^ wie In dem einen Palle von QuiirOKB nnd
Roos (s. Jahrg. 1894), die nicht auf Katzen ubertragbare Amoeba colimitis das
pathogene Agens gewesen zu sein. Auch Boas bestätigt das gelegentliche
Vorkommen von vereinzelten Amöben bei Gesunden, doch scheint ihm dieses
nicht gegen die pathogene Bedentnng der Mikroorganismen su sprechen.
Dbhio^'*) theilt einen Fall mit, in dem schwere hartnäckige Diarrhoen bei
einem GOiährigen Manne seit einer Reihe von Wochen bestanden und die
Ausleerungen, 10 — 15 an der Zahl pro die, neben Botriocephaluseiern —
Patient leidet seit 15 Jahren am Bandwurm — ungeheure Mengen von
Balantidinm coli enthielten. Bxtractnm filicis marls bewirkte einmal,
dass der Bandwurm abgetrieben werde und dann dass dip Balantidien sich
sammt und sonders encystirten und in dieser Form den iJurni verliessen.
Als der Patient später nach einer tödtlichen Darmblutung zur Section kam,
fand man eine geschwürige Colitis, tiefer greifende, annähernd runde
Oesohwfire von Erbsen- bis Thalergrosse , die wohl auf die verderbliche
Wirkung der Infusorien zurückgeführt werden dürfen. Zinn und Jacobv >»)
machen auf das regelmässige Vorkommen von Anchylostumum duo-
denale ohne secundftre Anftmie bei Negern aufmerksam. Gewöhnung
an das von den Würmern erzeugte Qift und RasseneigenthOmlichkeit helfen
diese Widerstandsfähigkeit erklären. Sonst wurde noch bei den Negern
Anguillula und Trichocephalus dispar häufiger gefunden. Mit absoluter Con-
stanz Hessen sich die CiiARGOT-LEYDEM'schen Krystalle neben keinem Para-
siten nachwdsen, womit ihre diagnostische Bedeutung nicht besweif^t
werden soll. Askanazv spricht den Peitschen wurm als blutsaugen-
ili'u Parasiten an. da constant in seinem Darmopithel eisenhaltiges Pigruenl
nachweisbar ist. Der Parasit durchbohrt das Gewebe der Darmschleimbaut
und gräbt sich hier In die oberflächlichen Schichten ein. Endlich berichtet
Hbnschen von einem Falle chronischer Enteritis pseudomembranaoea, in
dem Fliefrenlarven die Ursache waren, die durch Bachwasser. das beim
Baden verschluckt wurde, in den Darm gelangteo. Nach 'J — ö Wochen be-
gannen Diarriioen aufsutreten (7 — 8 pro die); Filix mas hatte Erfolg,
wenigstens ffir Wochen. —
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Darm.
67
Seitdem durch die zahlreichen operativon Befunde kein Zweifel mehr ist,
dass fast aasoahmslos der Wurmfortsatz der Ausgangspunkt der entzQndlichen
Affectiooen der DeooSealgegend und die alleinige Ursache der in ihren Sym-
ptomon, Ihrem Verlaafe und AnsgaD^e so weobselvollen Krankheit tot, kSoneii
wir alle sich hier abspielenden Processe. die einfachen und complicirten,
wohl unter den Sammelnamen Appendicltis zusammenfassen. Die Appen-
dicitis ist eine gewöhnlich langsam sich entwickelnde, verschiedene Stadien
und AbetafDngeii der Entsflndongr seigende, oft auf JaJire sidi erstreekenda,
manchmal spontan heilende, meist aber fortschreitende Erkrankung des Warm-
fortsatzes ; charakteristisch ist das Auftreten immer neuer Recidive. Ange-
borene Prädispositionen (abnorme Lage oder Länge des Appendix) spielen
eine Rolle, daber kommt es, dass lelebte Attaqaen verbältniasmftssig b&ufig
aebon im jugendlichen Alter beobachtet werden. Das rechte Verstftndntos
fQr das Wesen des uns hier interessirenden Processes verdanken wir den
Chirurgen, die auch im Laufe des letzten Jahres sich besonders ausgiebig
wieder mit diesem Thema beschäftigt haben. Von Sonnenbürü s grund-
legender Bearbeitung der Patbologlo nnd Tberaple der PerltyphlMs Ist die
zweite Auflage erschienen : Es sind nicht weniger als 130 Krankenge-
schichten in seinem Buche verwerthet. Ausserdem finden wir von dem-
selben Autor in den Verhandlungen der Deutschen Qesellsohaft für Chirurgie
einen sasammenfassenden Anfaats Aber Operationen am Prooesaaa vernd-
formis. Weitere Monograpbieo bieten Fowlbr»), der sein flberana relebea
amerikanisches Material verwerthet, und Rottfr-'^i, der sogar 213 Fälle
anaiysirt, die allerdings zum grossen Tbeil nach internen Grundsätzen be-
bandelt wurden. Weitere chirurgische Erfahrungen werden von Laubnsi sin
von SnrasL**), yon Bbok*'), von Düplay**), von KOhmbl") und Rosbr**)
mitgetheilt.
Die einfache Appendicltis ist ein acut oder chronisch verlaufender
Katarrh, der sich unzweifelhaft oft an andere acute oder chronische Darm-
atBmngen, besondere des Blinddarms, anscbllesat Bei Ungerem Bestand
des Katarrhs Ändert sich der Charakter desselben und geht mit Hämor-
rhagien, Nekrose und Geschwörsbildung einher, dann sind vollständige
Spontanheilungen schon seltener. Stricturen, Wandverdickungen, abnorme
Fixationen infolge Adb&sivperltonitis sind dann die gewShnlieben Folgoi.
EHeser Prooese verlftoft ebronlsch, kann aber jeden Angenbllek acate Er-
scheinungen machnn durch Kiterung, Peritonitis. Gangrrän. Fowler macht
darauf aufmerksam, dass die primären Schmerzen bei den acuten Attaquen
gewübnlich in die Nabelgegend verlegt werden, und Hosbr glaubt dies
damit erkUren so mfiesen, dass das C5eum beim Pötoa vraprflnglleb in der
Nabelgegend liegt Haitnäckigkeit der Beschwerden. Neigung zn Recidiven
werden von Sovnknbürg , Fowler und Kümmel übereinstimmend durch
mechanische Störangen, die Secret- und Blutstauung bedingen, erklärt
Letaterer Antor konnte bei der Mehrzabl von 51 im anfallfreien Stadium
exstirpirten Appendices eineStrictur nachweisen. Wesentlich unterhalten
auch Kothsteine, indem sie die Schleimhaut fortpresetzt reizen, den chro-
nisch "entzündlichen Process. Nach Duplav ist «las sogar bei der über-
wiegenden Mehrzahl der Kranken der Fall. Die anderen Chirurgen finden
Indesa nur etwa in der Hälfte der P&lle Kotbsteine. Von entseheidender
Bedeutung für den Verlauf ist natürlich immer die Virulenz der Bakterien.
Gesteigert wird dieselbe ganz unzweifelhaft durch den erünstipen Nährboden,
den das gestaute abgeschnürte Organ bietet. Unter diesen Umständen ist
es aneb möglich, dass sie die Darmwand durobwandem nnd auf das Baneb*
teil gelangen, ohne dass es zu einer Perforation kommt. Es kann
aber auch die an der Basis des Appendix liegende Lymphdrüse die Quelle
der Abscedining werden. Nur in den allerseltensten Fällen bricht der Eiter
5*
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68
Dann.
fn die freie BanctabSUe durch, Sowhenbürö seibat hat dies nie beobachtet.
Fast immer kotumt es sanächst zu Verlothungen mit den beDachbarten
Dünndärmen. Der Uebergang der Krkrankung: vom Apppndix auf die I'ni-
gebang vollzieht sich, wenn überhaupt, dann meist am vierten oder
fünften Tage nnter Neoansteigen der Temperatur und vermehrten Be-
sdiwerden. Bs kommen aber aoeh Fllle vor, wo berrits fra Laufe des ersten
Krankheftfitages eigentliche Perityphlitis sich hinzugesellt hat, ohne dass
besonders schwere Allgemeincrschüinungcn oder auffallende Localsymptome
die bedrohliche Complication anzeigen. In solchen Fällen wird also schon
in den ersten 24 Stunden die Frage der Operation, wie Beck meint,
an den Chirurgen herantreten. Dass das Opium das Krankbeitsbild etwas
maskirt, indem es die Empfindlichkeit herabsetzt und Euphorie erzeug:!, ist
zuzugeben, deswegen braucht man aber noch nicht soweit zu gehen wie
FowLSR, das segeosreidie Medioament gans su perhorresclren. Die Probe-
pnnctionen haltM zur Sicherstellung einer Diagnose die meisten Chirurgen
für uberflussip:, manche für schädlich; Lauenstein empfiehlt sie, denn die
Diagnose des Absceises erscheint ihm von entscheidender Bedeutung. Wo
diese gelungen ist, da liegt die unbedingte Indication vor, den Eiter durch
Binsohnttt so entfernen. Ob man den Processus vermiformis im gege-
benen Falle mit entfernen soll, ist bei den Chirurgen strittig. Adbärlrt
er so stark der Abscesshohlenwand, dass seine Entfernuns' die (lefahr einer
Perforation naherückt, und das ist oft genug der Fall, so wird man von
seiner ExsUrpatlon , wie Lauimstbik und Bbck gegenfiber Sonnbübdro und
Siegel verlangen, Abstand nehmen.
Eine Sonderst ellunpf unter den Publicationen nimmt die von Rottbr
ein, der der einzige unter den Chirurgen ist, der interne Erfahrungen aus*
giebig verwerthet Er findet, dass nnr in 21 — 27% ^Uer Fälle überhaupt
Beeidlve auftreten, hat bei tseinem eigenen Material nielit gans 9% Morta>
lltät und glaubt nicht, dass man auch bei noch so glficklichen und raschen
Eingriffen weniger als S^/o ^'-u erzielen vermag. Er befürwortet, wenn irgend
möglich, das Operiren im anfallsfreien Stadium, und zwar nur dann,
wenn wenigstens drei AnAUe, die leichten mitgerechnet, vorausgegangen
sind, oder wenn nach einem Anfalle starke Schmerzhaftigkeit andauert, den
Lebensgennss und die Arbeitsfähigkeit des Patienten aufbebt. Vom rein
internen Standpunkte geschieht die Betrachtung der Appendicitis durch
KLBmwXoanR si) , er berichtet (Iber die Erfolge der Inneren Behandlung
(Ruhe, Opium, absolute Diät), wie sie vor der operativen Epoche an der
Breslauer medicinischen Klinik erzielt wurden. Von 170 Kranken starben
in der Behandlung 8 = 5,o5%» 126 wurden als völlig geheilt entlassen,
gebessert 13. Das durchschnittliche Alter betrug 22 '/a Jahr, die Verpfle-
gnngsdauer 27 Tage. Von 84 Personen bekamen 24Recldlve, alle bis auf einen
in den ersten zwei Jahren. Zwei Patienten erlagen noch später dem Leiden ;
darnach würden nachweislich 10 Personen unter den 147 Kranken
an Perityphlitis zugrunde gegangen sein. Man sieht, diese Resultate
sind durchaus nicht schleeht. Von dem gleichen Internen Gesichtspunkte
ans bespricht H. Herz das therapeutische Vorgehen bei dw verschiedenen
Typhlitiden, wie er alle diese verschiedenen Processe zn.snmnienfassend zu
nennen räth ; denn der Blinddarm sei durchaus nicht so unbetheiligt, wie die
meisten Chirurgen glauben. Auch die Typhlitis stercoralis kommt, wenn
auch seltener, als man sie früher dlagnosticirte, als ein mit Koprostase
verbundener Blinddarmkatarrh vor, der in Ausnahmsfällen ohne jede Be-
theiligung des Processus vermiformis zu den schwersten Eiterungen in der
Umgebung führen kann. Ist auch zuzugeben, dass die grosse Mehrzahl
aller Perityphlltiden einen eiterigen Kern besltst, so Ist doch die Menge des
Biters oft sehr gering und Ist es nicht nöthig, dass um |eden Pr^ ffir
Dann.
69
jeden Eiterherd sofort Abfluss geschallt werde, vielmehr ist es In vielen
FSIIen erlaubt abniwartmi, ob der OrgmlnDtis nteht spontan im Stande
ist, der Eiterung Herr an werden dnreh Abkapselung, dnroh Perforation,
z. B. in den Darm. Von 110 Fallen, die nach diesen Gesichtspunkten be-
handelt wurden, starben 7; davon 3 mit, 4 ohne Operation. Von den
7 Todesfällen sind ö einer diffusen Peritonitis zuzuschreiben, 2 Kranke
starben an ErsehOptang. Indieationen ffir den operativen BIngriff sind : allzn
rasches Anwachsen des Exsudates, Vorwolbung der Haut und Oedem der
Bauebdecken Ober dem Exsudat, deutliche Eitersymptome in der zweiten
oder dritten Woche, Wanderung der Abscesse, Auftreten derselben hinter
dem CSenm. Diese Indieationen werden wobl vnter aUen Umständen aner-
kannt werden und manche Internisten (s. die VerbandL des Congr. f. innere
Med. 1805), wie z. B. Sahli. concediren dem Chirurgen noch erheblich mehr.
Mir scheint der oben citirte RoTTsa'sche Standpunkt durchaus annehmbar.
Klar muss man sich allemal darüber sein, dass der chirurgische Eingriff
in sofaweren Fillen keine absolute Garantie der Genesung giebt, und dass
auch in leichteren, recidivirondon Fällen, selbst wenn in der reactionslosen
Periode vorgegangen wird, nicht allemal die l\ranken ganz beschwerdefrei
für die Zukunft werden. Einen sehr instructiven Fall, der die letztere
MSglicbkeit iilustrirt) theilt Gbrbardt ■*) mit Hier traten nach dem ersten
operativen Eingriff vier weitere Anfälle auf, dann worden bei einem neuen
Eingriff Dnrmschlingen gelöst und der Processus vermiformis vollständig
entfernt. Kach einigen Wochen bekam der Patient von Neuem heftige
Scbmersen mit Ueasartigen Erscheinnngen, die sieb unter interner Behand-
lung Terloren.
Nächst der Appendieitis ist es der Ileus in seinen verschiedenen
ÄlBnifestat Ionen und Ursachen, der das grüsste klinische Interesse verdient.
Eine Fundgrube für den, den die pathologisch- anatomischen Verbältnisse
itttereeslreD, sind die Mittheilungen von BuoBBRO^BONiNGBADaiN und W. Kocb **)
über Darmchirurgie bei nngewühnUchen Lagen und Qestaltungen
des Dar ras. Einen weiteren Fall von Ileus, durch Gallonstein bedingt,
der spontan durch Abgang des Steines heilte, berichtet Hölzl^'^), in einem
anderen Falle stenoslrte der Gallenstein den Mastdarm, erzeugte Stuhldrang
und Koprostase. Von ganz hervorragender Bedeutung erscheint mir eine
zusammenfassende Arbeit von Naünyn über Ileus. Es wäre unraoglich,
eine erschöpfende Inhaltsangabe zu geben, da Naunyn in allerknappester
Form und mit pr&cisester Fragestellung so ziemlich alle wesentlichen Punkte
der Pathologie und Therapie des Dens würdigt Nur Einiges mag In Kttrae
recapitulirt werden: die Laparotomie giebt beim Ileus im Allgemeinen
am ersten oder zweiten Tage ein viel besseres Resultat als am
dritten, an dem die Ueilungsziffer auf die Hälfte sinkt, und die Prognose
wird dann aueh für die folgenden Tage nicht sehlechter, als sie es fflr den
dritten Tag ist. Ein überaus gunstiges Ergebniss (72''/o Heilung) geben
die Fälle von Ileus in denen eine Inguinal-, Crural- oder Umbilicalhernie
besteht oder bestanden hat; denn hier weiss der Operateur immer gleich,
wo er das Hindemiss zu suchen bat. Die wichtige topographisch- anatomlsehe
Localisation der Lage der Undurcbg&ngigkeit im Bauche gelingt nur selten.
Die Diagnose des Sitzes des Hindernisses im Darm gelingt mit rinitrer Sicher-
heit nur dann, wenn sie im Duoiieruitii oder oberen Jejunxim oder im S ro-
manum oder im Colon descendens siut> sonst wird man meist nur zu mehr
oder weniger bestimmter Vermuthung kommen, dass die Undurchgingigkeit
(im DQnndarm) hSher oben oder tief unten (im Dickdarm) sitze. In vielen
Fällen ist das wichtige Bestehen einer Strangulation diagnosticirbar ;
sie verlangt gemeinhin sofortige Operation. Beim Ileus durch Fremd-
körper (Gallenstein) erscheint die Operation nur unter ganz bestimmten
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70
Darm.
Umst&nden angezeigt, auch betau Voivulus des S romanum übereile man
•ie nicht, es sei denn, dass ganz besonders bösartige Symptome bestehen.
Dagegen gehört die Intussusception von Anfang an dem Chirurgen.
Aas der intemea Therapie werden empfohlen : grosse Wassereiogiessungen
mit dem Triebterapparat oder Oelldyetlere (200 — 500 Onn.)i Opium in nicht
zu grossen Dosen. Magenausspülungon, Ernährung: spftrllch und flOssig: Die
Function <ier Dünne, solang-e noch die Moglirhkeit der Laparotoinio in Frage
Steht, unterbleibt besser, da die IStichstelien Ausgangspunkt einer l^eritonitis
werden können.
Von Duodenalstenosen bringt Herz vier nene Beobachtungen. Den
bereits bekannten Kriterien der Krankheit werden neue nicht hinzugefügt.
Die Enteritis membranacea wird eingebend von Sven Akerlund^*^)
gewQrdigt ; seinen kllnledien Studien liegen sieben Beobaohtungen zngrande.
Dass diese Pralle gelegentlich ganz schwere Erscheinungen machen können
und dass die Membranausscheidung ausserordentlich harfnrirkig besteben
kann, ist bekannt; dass unter Umständen zu dem heroischen Mittel einer
Kolotomie übergegangen werden muss und dasi auf diesem Wege dann
den Kranken ein ertrigliches Dasein Tersehafft werden kann, beweisen die
Fälle von Hale White und Holding Bikd und F. Franke ") In beiden
Fällen wurde die heftige Colitis membranacea, die mit schweren Schmerz-
anf&lien verlief und die Kranken herunterbrachte, durch Anlegen eines
kflnstlioben Afters anseheinend lieseitigt ; in dem Fall der englischen Antoren
Uess die Bildung der Membranen sofort nach und der kunstliche After konnte
nach 5 Wochen zum Verschluss gebracht werden, in dem anderen Falle
bestanden Schleimabgänge ohne Schmerzen weiter.
Landerbr und GlOcksuann*') berichten fiber die operative Heilung
eines perforirten Dnodenalgeschwflrs. Dem Eingriffe stellten sich
ganz besondere Schwierigkeiten entpr<^fren, so dass nur eine Uebornahunp'
der Perforationsstelle möitrlich war-. duLCPgeii eine Kesection nicht ausgeführt
werden konnte. Es darf daher nicht Wunder nehmen, dass der Patient drei
Monate später, nachdem er bereite geheilt entlassen worden war, an einer
neuen Perforation zugrunde ging. Heilung eines Falles von hartnackiger
Dysenterie, bei dem alle internen Hilfsmittel erschöpft waren, durch Kolo-
tomie theilt Stephan*''; mit. Aus dem Gebiete der internen therapeu-
tiseben Bestrebungen erwähne ich, dass Follatsobsk *<) warme Darmirri-
gationen zur Bekämpfung häufiger flQssiger Stuhlentleemngen empfiehlt.
Die Infusion wird täglich 1 — 2niai gemacht, man kommt meist mit einer
Menge von 100 — 200 Grm. aus, Temperatur 42 — 45*' C. Wo die Diarrhoen
mit Obstipation abwechseln, sind grosse Mengen kalter Flüssigkeit, even-
tuell Zusats von Karlsbader Sals indleirt Das Tann Igen hat gegen Durch-
fälle auch Bachus**) nützlich gefunden, es wurde auch bei Kindern mit
Brechdurchfall mit gutem P>folge gegeben. Tannalbin, eine Eiweissver-
bindung des Tannins mit 50";, Gerbsäure, hat sich R. v. Engel ^'') in acuten
nnd ehroniscben Fällen als Darmadstringens ohne Schädigung der Magen-
function bewährt. Man giebt Erwachsenen mehrmals täglich bis zu 1 Grm.,
Kindern entsprechend wpnio:pr : auch Vikrordt"'') rühmt das >fittpl. Orphol
Naphthol-Wismuth), ein graue.s Pulver mit leicht aromatischem Geschmack,
enthält 26V', Vo {^-Naphthol, 73'/s% Wismuth und wird als Darmdesinficlens
bei acuten nnd chronischen Entsündungsprocessen in Dosen von 5 — 10 Grm.
pro die (ffir Erwachsene) von Chaumibk *') empfohlen.
Literatur: ') HomoMAMN, Biitrüfre zur KenntnisH der Auljeauganffs- nnd An»»cfaeidaDg8-
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gescbwUr. Mittb. a. d. Grenzgeb. d. Med. und Chir. 1. — **) Stsphav, £iu durch Kolotonüe
geheilter Fall hartnickiger Dysenterie. Berliner kHn. Woehensehr. 1896, Nr. 1. — ^ Pob*
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schrift. 1896, Nr. 11. — *') v. Ehgri., Therapeutische Erfahrungen Uber die Anwendung dOB
Tannalbina als Darmadstrlagens. Dentaehe med. Wocbenschr. 1896, Nr. 11. — *^) Vibbobdt,
Ueber den klhUaiAen Werth dea TmnwlUaa. Ebenda. 1896, Nr. 25. — ") Chavmikb, Tberap.
Wochenaohr. Wien, Deeemher 1896. RoMtabaim.
Diarrhoe 9 von maagelhafter Seeretion des Magensattea, vergL
Darm, pag. 65.
Dnodenalgescliwary operative HeUung, pag. 70.
Dysemterley durch Amoeben, pag. 66.
Digitizeu l> ^oogle
E.
Kntwicklungjfmecliatilk der Orj^anisinen. Mit (lios(>m
Namen bezeichnet W. Roux - '), der Begründer methodischer entwicklungs-
meehantsoher Foraehung anf dem Gebiete der ZooMoiogle^ die »Lehre von
den Ursachen der organischen Gestaltmigen, somit die Lehre von
den Ursachen der Entsiehung,Erhaltunp: und Rückbildung: dieser Ge-
staltungen«. -') Da alle Gestaltungen der Organismen durch Bewegungren
ihrer Thetle und Thelletaen stattfinden, nnd da die Lehre von der Bewegung:
die »Mechanik« ist, welche ilireraeits die Grandlag:e für alle phyeiluliscben
und auch chemischen Anschauungen bildet, so ist der Name »Enfwick-
lungsmecbanik« für das gestaltende Geschehen der Organismen be-
rechtigt. In dieser Bezeichnung liegt also schon eine Charakteristik ihrer
Aufgabe. Diese Aufgabe besteht in dem ZarQekfQhren der organisehen
Gestaltungen auf die von den Physikern und Chemikern allgemein anM*-
iLannten Wirkungsweisen der anorijaniscben Gestaltung.
Die anorganischen Gestaltungsfactoren werden als »einfache Cooi-
ponenten« in die Bntwieklnngsmeehanik der organisehen Gestaltungs-
vorgän^e eingerührt. Consequenterwelse lieseicbnet dann Rocx die speoifisch
organischen GestaUun^sfactoren als >complexe Compononten« der orga-
nischen Gestaltungsvorgänge. Als solche führt Roltx »zunächst die elemen-
taren Zellfunctionen an : die Assimilation, die Dissimilation, die Selbstbewe-
gnng der Zeilen im Allgemeinen, die Seibsltheilong der Zelle als eine
bestimmte Coordinaf ion von Selbsfbewejrunt^en : dazu kommen die typische
formale Selbst Gestaltung und die qualitative Selbstdifferenzinmg als noch
höber zusammengesetzte Wirkungen« ; ferner z. B. die trophische Wirkung
der fnnetionellen Reise, der Gytotropismus nnd andere Arten der Cytotazis etc.
(vergl. nnten).
Es stellt sich demnach die Kntwickiuivirsmechanik die Aufgabe, die
FQlIe der organischen Gestaltungsvorgänge ursächlich zu er-
forschen, sie auf allgemein vorlcommende compleze Componenten snrQelc-
zufQhren und diese allmälig durch die einfachen Componenten, die dem Ge-
biete der Physik und Chemie entnommen sind, verstehen zu lernen. Doch
nicht nur die strenge Präcision ihrer Aufgabe charakterisirt ihr Wesen,
sondern fast noch mehr ihre Methodik, jene Aufgabe zu lösen. Die Eni-
wieklnngsmedMUiik snoht das organische Gostaltnngsgesehehen auf causal-
nnalytisohem Wege mit Hilfe des entsprechenden Experimentes sn er-
forschen.
Die Werthigkeit und deshalb die Existenzberechtigung der
Entwiclelnngsmeehanik ergiebt sich aus ihrer Leistnngsf&higlceit;
um Ober diese, wie über ihre Arbeitsweise ein Urthell sn gewinnen, be-
trachten wir vorerst einige ihrer Ergebnisse.
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EntwlcklangflineGbaiiik der Organlmien.
73
Eine Reihe von Biologen, wie Berthold Bütschli^;, Quincke^*},
Rhuhblbr **) ete., ist bemflht, die »eomplezeii ComponenteD« Roux's experi-
mentell auf anorganische QeBtalttingsvorgäD^e d Ire et zurückzuführen.
BCrscHt i stellte aus einem Gemenge von Oel und Pottasche oder Rohrzucker
Schaumstructuren dar, die den Structuren des Protoplasmas verschiedener
Zellarten optiseh vollkommen gleiohen. BOtsohli md QumOKB aahen bei
solchen anorganischen Versuchen Bewegungalormen, die sie mit Lebens-
eracheinungren zu identificiron geneigt sind.
Dem entgegen warnt Roux an der Hand nachstehender eigener Ver-
suche vor einer vorzeitigen Uebertragung der Ergebnisse anorganischer Ver-
enehe auf orfanisehes Oestalinngsgescbehen. Bs gelang ihm, die Selbst-
eopulation zweier rhloroformtropfpn in trüber, gesättigter, wässeriger
Carbollösung unter den bekannten Radiationserscheinungen zu bewirken,
und so eine Parallelerscheinung zur Copulatiun des männlichen und weiblichen
Kernes In der Dottermasse der Eizelle bei der Befruchtung sn demonstriren
(G. A. 14).* Weiterhin rief er-') die typischen, frühesten Furchungs-
bilder einer Eizelle an einer in alkoholisirtoni Wasser schwimmenden
und durch den Rand des (Becher-) Glases zusammengehaltenen Oelmasse
hervor. — Eine solche, gewissermassen biologische Anwendung des an-
organisebon Experimentes wird die Entwicklnngsmedianik unter vorsiehtiger
Prüfung ihrer speciellen Anwendbarkeit auf das Organische vor Allem als
heuristische Methode fructificiren.
Die Entwicklungsmechanik entfaltet ihre experimenteile Thütig-
keit natfirlieh vorsngsweise auf dem Gebiete der organisch en Entwick-
lung. Der Begriff der »Entwicklungsgeschichtet gewann dadurch an Deut»
lichkeit. dasH Roux den Begriff der »Vorentwicklung« aufstellte. Die
Vorentwicklung des Individuums ist die Entwicklung der männlichen
nnd weibilehen Eeimselle bis zum Angenblieke der Befraditang, die phylo-
genetisohe Vorentwieklung hingegen hefssst sich mit der Entstehung des
ersten Organismus der betreffenden Art.
Die verjrleichend ariuloniischen und entwicklungsgeschichtlichen Begriffe
der Variation und Vererbung, der Palin und Caenogenese werden
durch das analytische Experiment an Ümfang and Inhalt genauer pridairt
werden. Bemerkenswerth sind hier die Versuche BovBRi's') und Sbbliger'S **),
in welchen durch Befruchtung entkernter Seeigeleier mit dem Samen einer
anderen Seeigeiart Organismen ohne mütterliche Eigenschaften erhalten
wurden. Das Gelingen dieser Versuche macht es sehr wahrsehoinlich, dass
die Zellkernsubstanz der Träger der elterlichen Eigenschaften Ist. Der Frage
der Variabilität wird durch künstliche Veränderung der äusseren Lebens-
bedingungen der Organismen (z. B. der Wärme, des Lichtes, der Luft) näher-
getreten, wobei, wenn nöthig, auch die statistische Methode zu Hilfe ge-
nommen wird (vergl. db Vribs, eine »sweigipfellge Variationscurve« —
Darwin's Lehre von der Zuchtwahl erhielt in einem seiner wichtigsten
Theile eine tiefere Begründung durch das von Rorx (G. A. 4 und 5) ge-
fundene Princip des züchtenden Kampfes der Theile im Organismus
und insbesondere durch das Princip der in dieson Kampfe gezfichteten
Gewebsqualitftten, welche durch den functionellen Reiz zugleich trophlsoh
erregt werden. Durch diese Principien werden viele Kinzelfi'a<;en der ver-
gleichenden Anatomie und Entwicklun^'^sgeschichte in ursächlicher Weise
beleuchtet, denn sie erkl&ren die Möglichkeit einer >directen functionellen
Selbstgestaltnng des ZweokmSssigen, d. I. Danerffthigenc.
* Hnrx's > Gesammelt«' Al»h;iii(Uun(jen über Entwifkhingsnifclianik der Ors^aniMiien",
Leipzig ISI^t Bden hier mit >G. A.< citirt; die beigefügte Zahl bedeute die Nummer der
JeweUs In Betneht m itehenden Abbamllaag.
74
EntwfokluDgsmechaolk der OrgantomeD.
Von den causal* analytischen Experimenten über Ontogenle be8chäftig:t
sieh eine Reibe mit der Unaohe und snkOnftiseii Bedentnnif der mit der
Befruchtung berlnnenden OestaUnngen nach Ort, Zelt, Örösee und
Beschaffenheit.
Durch künstliche, localisirte Befrucbiuog des Froscbeies gelang Roux
(O. A. 20 und 21) der Naebwefe, daas «ugteleh mit dem Anfeng des Be*
fruchtungs Vorganges auch schon die Oriontirung des sp&teren Embryos
im Ei beginnt. Ks ergab sich, dnss durch die Kintrittsstelle des Sperma-
kernes in die Eizelle die Öcbwanzseite des späteren Embryos am Ei be-
stimmt wird, und dnsft die polar entgegengesetste Stelle sich zum embryo-
nalen Kopftheil entwickelt. In dem verticalen Meridian durcb die Bewe-
gungsrichtung dos Spcrumkernt'S ontsfoht dio erste F'iirrhungsel^ene und
dipst' fällt mit der Medianebene des Embryos zusammen (vergl. bezüglich
letzterer Coincidenz auch Pklüger und Bokn *').
Damit war sugleleb die qualitative Versebledenbelt der beiden ersten
Furehungszellen erirfesen. Diese Wabmebmung bestätigte Roux aueb durch
seine fundamentalen Anstich versuche G. A. 2J). Wurde eine der beiden
Furehungszellen des erstgefurchten Froscbeies durch Anstich mit der heissen
Nadel iretSdtet, so entwickelte sieb ans der anderen anhaftenden, unver-
letsten Furchungszelle meistens ein typischer, seitlicher Halbembryo (even-
tuell ein Hemiembryo anterior) [vergl. auch Exdres '2) und Waltkk "il.
Dieser Hemiembryo lateralis ergänzte sich erst secundär durch Organisation
der todten Eihälfte zu einem ganzen Embryo von normaler Grösse. Die
Ansticbversuehe gewannen noch mehr Interesse durch nachfolgenden Um-
stand. Wurde durch Driesch, Morgan U.A. die eine der beiden ersten
Zellen entfernt, so nahm die unverletzte halbkugelige Zelle Kugelform an;
aus ihr entwickelte sich ein ganzer Embryo von halber Grösse: ein
»Mlkroboloblast« (Roux). Aus diesen Ergebnissen folgt mit sehr (grosser
Wahrscheinlichkeit, dass für die Entstehung von Ganz- oder Halbbildungen
aus den isolirten beiden ersten Klastomeren verschieficnt r- Thieroier die
Anordnung der Theile des Zellinnern, sowie die Zellgestalt mass-
gebend ist (Roux Bleibt die ursprüngliche Dotteranordnung trotz Isolation
gewahrt, so entstehen Halbgebilde; folgt aber der Isolation eine Um-
Ordnung des Zellinhaltps, so entwickeln sich von vornherein Qanzgebildo
iwie z.B. in den Versuchen von H. Driesch i"! und T. H. Morgan "'^i. Hierin
liegt auch die Ursache, weshalb 0. Schultzk bei Versuchen am erst-
gefurchten Froschei Doppelmissbildungen erhielt. Durch wagrechte Com-
presslon der Eier wurde der Bildungsdotter beider Furehungszellen unvoll-
ständig isolirt und durch die gleich nachfolgende Drehung um 180" wurde
die Isolation der beiden Bildungsdotter durch Zwiscbenlagerung von Nabrungs-
dfrtter ▼ervoilstftndigt und suglelch tn Jeder Zelle eine Umordnung der Dotter-
massen veranlasst.
Rorx (G. A. 23) vervoUständiirte seine Versuche über die Orientirung
des Embryos im Ei noch weiter. Kr zeigte durch üompressionsversu che
am Froschei, dass das Material der Medullarplatte des Embryos am ge-
furchten El rings am Aequator der pigmentirten oberen HUfte zu suchen
ist. und dass dieses Material von hier im Laufe der Gastrulation bilateral-
symmetrisch auf die untere helle Hälfte öberwandert.
Es giebt fernerbin eine Reihe von entwicklungsiuechaniscben Versuchen,
aus denen hervorgeht, dass die Entwicklung eines Jeden Organismus In
Bezug auf äussere Verhältnisse (Wasser, Luft, Wärme. Licht ') eine ganz be-
stimmte »abhängige D i f f«' r en z i r u ng ist. Nach C. Hf.hi5st".s ' •' / Unter-
suchungen entwick»'ln sich Seeigeleier in NaCl-, LiCl-, Ba Cl- (etc.j Lösung zu
Missbildungen, die dem Concentrationsgrad der Salzlösung entsprechen und
nach der Art des verwendeten Salses typisch verschieden gestaltet sind. Dies
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Entwicklungsnitichanik der Organismen.
75
ist zugleich ein Beispiel für Versuche ril)er Variabilität auf Grund von Cor-
relationen, die im Org:aDismus »züchtende Thei lauslese« bewirken. Die
Gestalt der Blutgefässe entsteht, wie Rüüx (G. A. 1) fand, in Abhängigkeit
von der hydrodynamlMkeii 6«Btalt doB Blotstrahles, das tot niehta Andere«
als »abhängige Differenzirung« mit >f unctioneller Anpassung«.
Wenn wir weiterhin sehen, dass sich die Form des Gehirns in Abhängigkeit
von der Bildung der vorderen Amnionkappe, des neuro pialeo Gelässnetzes
und des knSehemen Sehideto entwickelt, so tritt nne hier eine Combinatlon
von dif ferenslrenden Correlationen entgegen, unterweichen die »mecha-
nische Massencorrelation« (Roux, G. A. 4) im Vordergrund sieht (vergl.
auch V. Ueukelom, »Encephalocele« "^). — Wenn sich hingegen, wie oben
dargestellt, die nnverletxte Zelle der beiden ersten Fnrehungszellen des
Froscheiee snm Hemlembryo entwickelt, so tot das ein sprechendes Beispiel
dafür, (lass jede der beiden ersten Purchungszellen in Bezug auf das Ganze
des P>ohcheies in hohem Grade die Fähigkeit der »Selbstdiflerenzirung«
(Kuüx ^"j besitzt.
In den vorstehenden Beispielen entwlcklungsmeebaalseher Ergebnisse
liegt noch Folgendes bewiesen. Die Ursachen der den Organtomus typisch,
d. h. der Species entsprechend gestaltenden Wirkungen sind von vorn-
herein im befruchteten Ei nach Qualität und Quantität bestimmt gelegen,
woneben die aosseriialb des Organtomns befindliehen Oestaltungsarsachen
an zweiter Stelle ato indirecte in Betracht kommen. Diese kann man
auch als änssere und allgemeine Entwicklnngsbedingangen, {ene
aber als innere und specifische bezeichnen.
Eine weitere Art der ontogenetischen Versuche betrifft die causal-
analytlsche Erforschung der gestaltenden Eigenschaften and Besle-
hnngen der Zellen im f rQhembry onalen Organismus.
Durch Versuche an isolirien Zellen der Frosch- Morula, -Blastula etc.
entdeckte Roux folgende fundamentalen Vorgänge: »Cytotaxis« (Selbst-
ordnung der Zellen unter sich), »Cytotroplsmusc (aetive, gegenseitige
Annäherung an oder Entfernung getrennter Furchungszellen von einander),
»Cytarme« (flächenhafte Zusammenfügung der Furchungszellen), »Cyto-
chorismus« (Selbsttrennung der Furchangszellen) und» Cytolisthesis«
(Zellgleiten).
Die btoher erwfthnten Ergebnisse der entwieklangsmechanischen For-
schungsweise beleuchten causal - analytisch die erste entwickiungs-
geschichtlicbe Periode des Orpanismus. die Periode der selbständig'en
ersten Anlage und Entwicklung der Organe. Ihr folgt die Periode des
Anthelto der AusObung der Fnnetion an der weiteren Ausgestaltung und
sdillesslich die »Periode rein functionellen Lebens«, innerhalb deren
zur weiteren Ausgestaltung und in geringerem Masse auch zur blossen
Erhaltung des Gestalteten die Functionirung oder die functionello Reizung
der Organe ndthig ist (Roux, O. A. 4).
Ausser der Function als »morphologische functionello Anpassung«
(Roüx) ist noch die R ejreneration als wichtige Gestaltungscomponente
namhaft zu machen. Zur Erläuterung folge ein Beispiel, das den Unter-
suchungen JuL. WoLFF S 3('), Köster s, Roux's u. A. entlehnt ist. Ein seiner
Function genau entsprechend arohitektonlsch aufgebauter Knochen sei frac-
turirt : danach bildet sich durch Regeneration ein Ueberschuss von knochen-
bildendem Gewebe: ein ('allus, der beide Bruchenden verbindend fixirt.
Der geheilte Knochen wird wieder in Gebrauch genommen. Ist die Knochen-
form wieder die frfihere geworden, atoo auch die aufs Nene ausgeflbte
Function der ursprunglichen gleich, 80 wird aus der groben Callusmasse
durch functionelle Anpassung die ursprüngliche Knnchenstructur selbst
bezQglich der feinen Spongiosatheilchen wieder herausgearbeitet. Wenn hin-
76
EntwteklnngBmecliaiilk der Organtemen.
gegen die Inansprnehnahme des Knochens nach der Fractur durch schiefe
SteUnng beider tnaammoDgeheilter Theile ra einander von der ursprfing^
liehen verschieden ist, so wird nicht nur der Gallus, sondern auch jeder
andere durch die schief geheilte Fractur statisch in anderer Weise ge-
brauchte Theil des Skelettes der neuen Functionsweise entsprechend um-
gestaltet Bin weiteres Beispiel bieten bier die osteoplastiseben Vorgftnge
bei knöchernen Gelenkankylosen dar (Roux, O. A. 9). Bei diesen Vorgängen
spielt sich |ini Wesentlichen dasselbe functionelle Gestalturgsgeschehen ab,
das nach Houx's Theorie aach bei der Activitätshypcr trophie und der
Insetlvltfttsatrophie, sowie ferner bei den functiunell gestaltenden Cor-
relationen der Organe vor sieb gebt.
Das gnnze Wesen der Entwicklungsmechanik, wie es sich ans der
kurzen Betrachtung: ihrer Aufgabe und der erwähnton Ergebnisse darstellt,
ist dazu angethan, die Wissenschaftszweige der pflanzlichen und
tbieriscben Gestaltungen ra ISrdem. Des besohr&nkten Ranmes wegen
sei hier nur des Einflusses der Entwleklungsmechanik auf die Physiologie
und Pathologie thierischer Gestaltungen und der sich hier anschliessenden
klinischen Wissenschaf ten kurz gedacht. Besieht man sich die Arbeitsprobleme
der Physiologie, so findet man, dass sie die gestaltende Bedeutung der
Lebensvorg&nge im Organismus Gberbanpt kanm berGcksichtigt, selbst nicht
die von Rorx als »functionelle Anpassung:* bezeichnete formbildende
Wirkung der functionellen Leistungen der Organe, Organtheile, Gewebe
und Zellen. Für die ursächliche Ableitung dieser Leistungen bietet die Ent-
wioklungsmeobanik bereits mandies Paradigmaf wie t. B. in den Untere
suchungen über die Anpassung der Gestalt der Blutgefässe an die hydro-
dynamische Form des Blutstrahles, der Knocbenstruotur an neue Arten der
Beanspruchung des Knochens.*
Bntwicklnngsmeobanlsobe üntersnchungen Aber die postembryonalen
Gestaltungsconipunenten der Function und der Regeneration sind es,
die in dem causalen Streben der Pathologie und der klinischen Wissen-
schaften oft wichtige Lücken ausfüllen. Von diesen Wissenschaften scheinen
|ene der Entwicklungsmecbanik besonders nahe zu stehen, die sich an erster
Stelle mit makroskopischen Deformationen, Im Besonderen des Skelet-
Systems liofassen, wie z. B. die Gynäkologie, die Thirurgie. vor Allem die
Orthopädie und speciell die »functionelle Orthopädie« (Roux).
Besondere Schwierigkeiten entstehen für Pathologie und klinische
Wissenschaften dort, wo es sich um die causale Deutung oongenltaler
abnormer, makroskopischer wie mikroskopischer Gestaltangen handelt. Denn
der Organismus der Säuger, mit dem sich ja die genannten Wissenschaften
befassen, ist während des intrauterinen Lebens experimentellen Eingriffen
nur wenig zugänglich. Hier also bewährt steh besonders deatUdi die Viel-
seitigkeit der Entwicklungsmechanik, die alle Organismen in den Kreis ihrer
Verwendung zieht. Versuche an niederen Vertebraten, wie auch an Averte-
braten sind, wie wir oben sahen, im Stande, die Genese z.B. eines Acar-
diacus (cfr. Hemiembryoj, einer Mikrosumie (cfr. Mikroholoblast) und eines
Monstrum duplex (efr. Doppelmissbildnng, O. Schültzb ") und J. Lobb**)
dem Verst&ndniss näher sn bringen. In der Asyntaxia medullaris (Roux)
lernen wir am Froschei eine künstliche Parallelerscheinung der Kranio-
Rhacbischisis mit ihren verschiedenen Graden kennen. Den mannigfachen
Zug- und Dmekdeformatlonen des Embryos infolge amniotischer Ver^
wachsungen und Strangbildungen können zur Erklärung gleichfalls
entwicklungsmechanische Versuchsergebnisse an die Seite sreslellt werden,
so z. B. der natürlichen >fötalen Amputation« die künstliche durch Ab-
* Vergl. den Artikel »Fanctionelle Anpassung« im Jabif. 1894 dieser £ncfolopäd.
JahrbOelicr.
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Entwicklunguneelianlk der Oi^nismeii.
77
■chnQrung and der congenitaleii »Polydaktyliec eine kflnBtliohe durch
Spaltung eines Bztremlt&tentheiles (D. Barfdrth > >X TomnBR Dte ent-
wicklungsmechanisch hoe^rundete Lehre von den Extra- und Intraovaten
(Dislocation von Eitheilen über die Oberfläche des Eiganzcn oder Disloca-
tioD von Zellen oder Keroen innerhalb des cellulirten Eies — Roux [G. A. 24],
Barfurth^, Bndrbs^*) ▼ermag die Frage der eongenttalea Tumoren und
der Tumorenkeiine zu beleuchten.
Doch stehen auch jene Thelle der Patholog-lo und der klinischen Wissen-
schaften, die sich mit mikroskopiachen Gewebe- und Zelldeformationen
befassen, in enger Beslelinng rar Entwieklungsmeeliaaitlc, denn diese be*
sdiBfÜgt sieh natürlich andi mit dem cellulären Geetaltungsgeschehen.
Man vergleiche die experimentellen Untersuchungen über die gestal-
tende Wirkungsweise der »complexen« und weiterhin der leinfaehen Cotn-
ponenten« im einzelligen Organismus und in den einzelnen Zellen
sowie Im ZellTerbande (Beispiele bieten hier die üntersuehungea Ober
die »Cytotaxis«, Ober den Einfluss eines chemisch veränderten Mediums auf
die Gestaltung der Zelle, über den Einfluss der Schwerkraft auf die Ent-
wicklung des Organismus etc.). An dieser Stelle kann auch der congenital ab-
normen Gewebe und Zellen gedadit werden, die In Ihrer Abnormität Triger
der sogenannten Disposition zu constitutlonellen Krankheiten sind.
Hieröber werden vielleicht die entwicklungsmechanischen Versuche über
Vererbung und Anpassung Aufklärung bringen. Eine Fülle von neuen, inter-
essanten Gesichtspunkten liefern die mikroskopischen Untersuchungen, die
Böhm«) an seinen yerwadisenen Amphibienlarven anstellte.
Bei allen bis jetzt angeführten Fällen zeigte es sich , dass die Ent-
wickluDgsmechanik an dem Zustandekommen und Gedeihen einer »ver-
gleichenden Pathologie« wesentlichen Antheil bat und haben wird.
Fragt man sieh nun nadi der ürsaehe der in TorstelieDden Zeilen
dargdegtrai hohen Leistungsfähigkeit der EntwioUailgsmeclianik , so
muss an erster Stelle ihre Vielseitigkeit namhaft gemacht werden. Es ist
dies einerseits die Vielseitigkeit der Entwicklungsmechanik in der plan-
m&ssigen AusnQtznng aller intellectnellen, wie instrnmentellen
wissenschaftlichen Hilfsmittel uod andererseits ihre Allseitigkeit, mit
der sie zielbewusst alle pflanzlichen und thierischen Organismen
snr causal-analytischen, experimentellen Behandlung iiirer Probleme
heranzieht
Den planmissigen , entwicklnngsmeehaDiscfaen Versuchen liegen die
ausserhalb des Organismus gelegenen einfaehsil Componenten der vom
Typus abändernd gestaltenden Wirkungswelsen (Schwerkraft, Tera-
peraturverhältnisse etc.) als variable Grössen, die dem Experimentator
direet zugänglioh sind, sugnmde. Durah Variation oder durch Auf-
hebung einzelner derselben sudit sie die im Organismus direet und typisch
gestaltenden Componenten abzuändern, beziehungrsweise aufzuheben (z. B.
durch quantitative und qualitative Variation des den Organismus umgebenden
Mediums, Verminderung oder Aufhebung der O-Zufuhr etc.). Sie bewirkt
auf diese W^Ise eine ungemein maoniglaltige Variation der »oomplezen
Componentenc des Gestaltungsgeschehens. Auf diese Weise vermag die
Entwicklungsmechanik eine und dieselbe Frage von mehreren, sehr
verschiedenen Seiten experimentell in Angriff zu nehmen.
Man sueht hierbei nach dem von Roux aufigestellten analytischen
Arbeitsschema von den eomplexen Gestaltungscomponenten eines zu er-
forschenden Gestaltungsvorganges erst deren zeitliches (Anfang, Geschwin-
digkeit, Ende) und räumliches (Ort, Richtung) Verhalten klarzulegen,
ehe man an die Frage nach der specifiscben Beschaffenheit (Qualität)
derselben herantritt
78
Eotwicklungsniechanik der Organismen.
Bei allen diesen Versuchen ist sie bestrebt, die zahlreichen Gestal-
tungen auf ihre ursächlichen »beständipren Wirkungsweisen« von erst
beschränkter und diese unter steter Verminderung ihrer Zahl auf »bestän-
d!g:e Wirkangsweisenc von immer allgemeinerer nnd tcbllesslloli allgemein*
ster Bedeutung zurückzuführen. Die Entwickluogsmechanik hat hei der
Durchführung: des soeben kurz dargestellten allgemeinen Arbeitsplanes-
die schärfste Kritik in der Auffassung von der Natur und Werth igkeit
der Ure»ciien Im Allgemeinen and der Uraaehen des organisehen Ge-
pehehena im Besonderen in Oben. Dies aber setzt voraus, dass sie mit den
allgemein anerkannten theoretischen Ergebnissen der Physik und
Chemie in engster Fühlung steht.
Wir glauben auf Grund der in den vorstehenden allgemein orientiren-
den Zeilen niedergelegten nnd anf Orond vieler anderer besflgUcher, wegen
Raommangels hier nicht wiedergegehener Thatsachen sagen zu dürfen: Die
Entwicklungsniechanik wird durch ihre Arbeitsweise das durch
sichere Ergebnisse gekennzeichnete Voranschreiten der Gestal-
tnngswissensebaften In hohem Masse besohleanigen.
Literatur: '> D. Barfi-kth, Die expt* rimt-ntcllc Rogeneration Ul»er.<»chÜH8iger Gliwd-
maMentlielle (Polydaktylie) bei den Ani|»biblen. Arch. f. Entwicklan^mecbanik. 1. — *) D. Bab-
FüBTS. Sind die Extremitäten der FrSsche KgenemtionsfMhii;? Ebenda. I. — *) D. Bastcbth,
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MlHEKL-BoMNET H Aiiut. Hfltt'. 1893, Heft 9. — *) G. HKaTBOLu, .Studien Ubur Protoplasma-
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Arch. I. Entwickliingsmechanik. IV. — •) 6. Born, IJcber den Einflu»» der Schwere auf da«
FroHchej. Breslauer Urztl. Zeitschr. 1884. — ') Th. Boveri, Ueber die Befrachtung^- imd
Entw irklungsfähigkeit kernloser Seeigeleier und über die Mögliehkeit ihrer Bastardirnn^.
Arch. I. EntwicklnngsmecbaDik. II. — ü. BOticbu, Unteraucbuogen Uber mikroskopiache
Schinme imd das Protoplaama. Leipzig 1898. — *) 0. B. DAvnvoar and B. T. NcAt, Sta-
diei in Morpliogenesis , V On the Acclini.itisatinn of Organismus to jtoissonou«* Clifmikal
Snbfltancet«. Areh. f. Ent%vickluugsinechanik. 11. — *') H. Driesch, Betrachtungen über die
Organisation des Eies nnd ihre Genese. Ebenda. IV. — ") H. Ekdbis and H. E. Waltbb,
AoBticbversacbe an Eiern von T{ana fnsea. 1. Tbl. — '*) H. Exdbks, Anstichversncbe an Eiern
Ton Bana fuRca. 2. Thl. : Er).',iii7.iiii(,' durch An^etaTenuche an Eiern von Rana escaipnta,
sowie (lieorelisehe Folgerunt;:t'n au.-« beiden Versuehsreiheu. Arch. 1. Eiitwicklungsmccliaiiik.
II. — ") U. Ekdbss, Ueber Anstich und ScboUrrersocbe au Eieru von Triton taeniatus.
Bifarangsber. d. ReMei. Oeiellieb. f. Tateittad. Ooltor. 1805. — '*) C. Hbmt, Experimentelle
Untersnehnngen Uber den Einflnss der veränderten cbemischrn Znsammenietzung des um-
gebenden Mediums auf die Entwicklung der Thiere. Arch. f. Kiitwicklungsmechanik. 11. —
'*> BsDKKLOM, VAN SiKOKNBKCK, Ucber die Encephaloccie. Ebenda. — ''i J. Lokh. Ifeiträge
zur Entwicklongsmecbaoik der aas einem £1 entstehenden Doppelbildungen. Ebenda. I. —
**) J. Lora, Bemerkungen Aber Regeneration. Ebenda. IT. — **) T. R. Moroait, HaVf-Eabryos
and Whole-Embryos from one of the first two Blastomerfs of the frot: .s Kt,'j:. .\iiat. Anzeiger.
X. — £. PwhCoaif lieber den Einllnsa der Schwerkraft auf die Tbcilung der Zellen nnd
auf die Entwlekhrag der Zellen. PrLOona's Archiv. — O. Quincke, Ueber Protoplasma'
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•*) L. Kruhbuoi, Versuch einer mechanischen Erklärung der indirecten Zell- und Kernthei-
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zum Archiv für Entwicklniitfsniechanik der Orpanismen. — '*) W. Rof.x. rclu r den »Cyto-
tropisrouB« der Furchuiigszellen des Gra.-^f rösches (Hann fusca). Arch. f. Entwit kluntrMiiechanik.
L — ") W. Uoux, Ueber die verschiedene Entwicklung isolirter erster BkaHtoiin ri n. Ebenda.
I. — *') W. Boux, Ueber die Selbstordnung (Cytotaxis) sich »berührender« Furchungszellen
des FroscheleB durch Zellenznsammenfügnng, Zellentrennnng und Zellengleiten. Ebenda. III. —
\V. l'ui X . Febt r ilic llrili iitiiiit.' >t.'eringer« Verschie<ienheiten der relativen Grösse tler
Fnrcbungi>zelle für den Charakter des J^lurebungsschemas, nebst Erörterung über die nächsten
Ursaeben der AnofAnmig nnd Gestalt der ersten FnrehnngaielleB. Ebenda. lY. — *^ W. Ronz,
Pr"j.'rainiii und ForMhnigiuethoden der Entwicklungsniechanik di r Ortranisiiv n I.eipzifi: 1897.
lAiu h in liaiid V des Arch. I. Entwicklungsmechanik abgedruckt iinti r deni l itel : Für unser
Programm und seine Verwirklichung.) — "MG. .Schultz«, Die künstliehe Erzeugung von Doppel-
bildungen beiProscblarven mit Hille abnormer Oravitationswirknng. Ebenda. I. — **> C. baabieaa,
Oiebt es geschleehtlleh erzengte Organismen obne mtltterllclie Elgensdiatte&P Ebenda. —
•*) S. .'^TRoiiiMASN . Dil' .\iip i>suut.' der Cyanophycren an das pelagische Leben. Ebenda. I. —
**) <i. ToitsiKK. I i Im i- liyticrdaktylie, Regeneration und Vererbung mit Experimenten. Ebenda.
III und IV. — llt oo i>K Vbiks, Eine zweigipfelige Variationscorre. Ebenda. IL — **)Jm..
Wourr, Das Gesetz der Transformation der Knochen. Berlin 1892. s, gadn».
EoMt. — Euealn.
79
Bosoty Creosotmii valerianieam, eine ölige Flfleslgkett, in Alkobol
und Aetbtr leicht löslich, wurde von E. Grawitz auf der GERHARDT^adien
Klinik gegen Tuberkulose und zur Desinfection des Intestinaltractes ver-
sacht. Das Mittel wurde anfänglich 3mal täglich 1 Kapsel (zu 0,2 Qrm.)
mit reidilidi Milch gegeben, spatM" wurde auf 6— 9 Kapseln, also bis fast
2 Grm. Kreosot pro die gestiegen. Nur bei sehr wenigen Patienten moMte
das Mittel nach mehrwochentlichem Gebrauch wegen Verdauungsstörungen
zeitweilig ausgesetzt werden. Ob die im Präparat befindliche Valeriansäure in
irgend einer Weise die Wirkung des Kreosots beeinf lusst, ist noch nicht entschieden.
Als Vorzflge des Priparates beseldinet Grawitz, dass es 1. ohne Widern
willen als gerucb> und geschmackloses Mittel in Kapseln genommen wird ; 2. dass
es auch in grösseren ^fengen g:ut vertragen wird und 3. dass es billig ist.
Literatur: E. Gbawitz, ErlalintngcQ Uber aia ueuüs Kreosotprüparat : Creoootum
Tdeiianienn. Tbersp. Uomtoh. 1896, pag, 384. Lathitek,
BrgfOtlnoly ein von Dr. Vosswinkel dargestelltes neuen Mutter-
kompriparat. Es wird gepulvertes und entöltes Mntterkom mit Wasser
erschöpft. Die erhaltenen Auszöge werden mit Säuren versetzt und der
Hydrolyse unterworfen; ferner wird die Säure abgestumpft und die alko-
bolisebe Oähmng eingeleitet. Nseh Beendigung derselben wird das Prodact
dialysirt und so weit eingeengt, dass i Ccm. 0,5 Grm. Extr. Secalis cornuti
der deutschen Pharmakopoe entspricht Abel versuchte das Präparat durch
längere Zeit an Stelle des Kxtr. Secalis cornutum bei allen Indicationen,
welche für dieses gelten, und rühmt die prompte W^irkung und grosse Halt-
barkelt desselben. Hingegen maoht er anf die grosse Sehmersbaftigkeit der
Injectionen aufmerksam, welche durch einen geringen Znsats von Morphium
oder Cocain vermindert werden soll.
Literatur: Ahel, Herüner klin. \Vo(h<'nsohr. 1897, Nr. 8. Lofhisch.
Erytliromelall^e (vorgl. Encydopad. Jahrb. III , pag. 252 ; IV,
pag. 152). Pezzoli'), der an die 1894 erschienene zusammenfallende Dar-
steUung von G. Lew» vnd Bsrda (vergl. IV, pag. 152), sowie an einige
neuere Falle aus der Literatnr anknüpft, thfilt einen selbstbeobachteten
typischen Fall bei einer 46jährigen Patientin mit (mehrmals tfiulich Anfälle
von Röthuug und Schwellung der £ndphalangen siimmtlicher Finger, nebst
Sehmersbaftigkeit, Parästhesien und Herabsetzong der taetilen Empfindung;
die einzelnen AnfiUle dauerten 30 — 60 Minuten, nachli* i wieder ein normales
Aussehen der Finger, nur eine leichte Anschwellung der Weichtheile bemerk-
bar). Der Fall ist in U ebereinst immung mit der von mir und Q. Lew in
gegebenen Deutung als reine Angioneurose aufzufassen. In &hnlicher
Weise betrachtet auch DSHIO') einen von ihm beschriebenen typischen Fall,
in dem die Erscheinungen im Gebiete des Uliiarnerven nach Resection dieses
Nerven verschwanden, als Foljre einer Reizung der Vasodilat atoren. Eine
hysterische Form derRAYNAi u sehen Krankheit und der Erythromel-
algie will LftVY^ auf Grund seiner selbstbeobachteten FftUe unterschieden
wissen ; dieselbe soll nach ihm auf autosuggestivem Wege entstehen und durch
hypnotische Suggestion zur Besserung, ja selbst zum Schwinden gebracht
werden können !
Literatur: C. Pmou, Bio Fall von Erythromelal^t«. Wiener klin. Worhennebr.
WM'>, Xr. .'):?. — ») Dkhio, Über BiTthronielalffil'. Husäisches Archiv für l'.ith., klin. M. il. und
Bactehglogte, I., pag, 14ö. — *) LSrr, D*aae lormu bjrstvrique de la maladie de üax.nai-» et
de VirjÜrnmüM^ Areh. de Nearol. 1886, XXIX, Nr. 96—97. a. Euieaburg.
£ncalii« A, C„H,7N0«, Bensoylmethyltetramethyl-Y-Ozyplperidln-
carbonsäuremethylester, ein auf chemisch-synthetischem Wege dargestelltes
Ersatzmittel des Cocains. Nach Versuchen von Gart.xmo Vinci wirkt das
£ucain analog dem Cocain, doch ist Eucain weniger giftig und retardirt
den Puls (CociUn besohleunigt den Puls zuerst und verlangsamt ihn erst
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Eucain.
sp&ter). Die loeale Wirkvngr ist bei beiden becüglieh der Inteneitftt und
Dauer der Anüsthe.sie eine gleiche. Subcutane Einspritzungen bewirken an
Ort und Steile Anästhesie, die mit F^ucain benetzten Schleimhriuf e werden
anftstbetisch. 2 — 5 Minuten nach Application einer 27oigen wässerigen Eucain-
Ifonng am Auge tritt locale An&sthesie ein, welche 10 — 15 Minuten andaueit,
Wfthrend Cocain Iscbftmie, Mydriaaie and Aecommodatlontparese ersengt,
bewirkt Eucain leichte Hyperämie, nach Vollert sogar stalle FQUnng der
Coniunctival- und Ciliargefäase und erweitert die Pupille nicht. Weitere
Vorzüge des Eucains sollen seine Unzersetzlichkeit beim Kochen und der
billige Preis bilden.
Die freie Base, das Eucain, ist ebenso wie das freie Cocain in Wasser
unlöslich und es kommt für die therapeutische Verwendung nur das salz-
saure Salz, Eucainum hy drochloricum, Cx» H,? NO« HCl + Us 0, in
Betracht, welches sich bei 15» G. im Wasser 1 : 10 löst (Cocain, hydroehi,
löst sich 1 : 0,7 Wasser).
Aul dem yeracbiedenen Grad der LüsHchkeit beider Basen in Waaser beruht die Me-
tliode ihrer Erkennunf?, heziehunffsweisc des Nachweises einer Fälschuni^ des theuren
Cocains mit dem viel büli^'i-ri u Kiieain. Zu diesi ni IJrliufe werden z. 1!. 0.1 Coeuin. muriat. in
50 Ccm. Wasser gelüst, 2 Tropfen Ammoniak zugefügt and geschüttelt ; ist das Cocain rein,
10 bleibt die Utkmg mindeateDi 1 Mliiiite dnrobfliehtiff irad dM selbst dna aeeli, wenn spiter
einige Coeainkrystallc ansfalleii ; ist jedoch zugleich Eucain in der Lösnn;: , so tritt schon
bei 2" „ der Beimischung au! Zusatz von Ammoniak eine niilchige Trübung auf, die erst bei
weiterem Zu.satz von 10 Ccm. Wasser Schwindel; beträj;t aber die Beimischung von Eucain
5*/«! ao mnas man 20 Ccm. Waiaer iunsafOgea, um die FlttBtigkeit (bei 16— SO** C.) durdi-
■fliÜBlneiid sn liaben.
Seit Jahresfrist wurde das Eucain in der Augenheilkunde, Ghiror*
gie. Larynpologie und Zahnheilkunde in seiner Wirkung geprüft,
wobei die anästhesirende Wirkung des Mittels allgemein anerkannt wurde.
Allerdings fanden Vollert und WOstbpsld, dass das Hornhautepitbel nach
Bncaineintrinfelnnff bei nicht geschlossenem Ange rasch eintrocl^ne und In
grossen Stöcken abgehoben werden kann. Drneffe theilt mit, dass durch
Eucain die Gewebe derartig gehärtet werden, dass die Nadeln beim Anlotron
der Naht nur schwierig eindringen. Das starke Brennen, welches einige
Kranken nach dem Bintrlnteln des Encains in's Auge fflhlten, wird daraat
zarQckgeffihrti dnss ein aus Methylalkohol nmkrystallisirtes Pr¶t ange-
wendet wurde; es soll nicht eintreten, wenn ein aus wässeriger Lösung
erhaltenes Eucain lienutzt wird} letzterem widersprechen aber die Erfah-
rungen von WOSTBüTBU». VoLLBRT boobaditete Überdies eine wenn auch
geringe Beeinflussung der Pupille, welche sich erweitert, und demgemftss
auch Accommodationsstorung-. Görl injicirte das Mittel zu 2 Grm. in die
Blase, worauf sich als Folge der hyperümisirenden Wirkung des Eucains
starke Blutung einstellte, jedoch die anästhesirende Wirkung blieb lange
anhaltend. Uan wird es fOr die Blase dem gilligen Cocain ▼orslehen dfirfen,
mit Ausnahme der PUle, in denen man öfters am Tage die Harnröhre
an&sthesiren mnss, sowie in denen su Blutungen neigende Läsionen oder
ein Tumor vermuthet werden.
Nach SoBLBiCB bedarf man sur Anästheeinmg von Schlelmhiaten ebier
Ib'^/oigen Lösung, zur Anästhesirung durch Infiltration einer 2*' q igen, doch ist
letztere Operation mit Eucain, im Gegensatze zur Cocainanwendung, etwas
schmerzhaft. Sowohl Schleich als Prof. Warnekros und Zahnarzt KiesbIi
wddi* letsterer das Eucain in Ib^^igen Lösungen zur Zahnextraction verwen-
dete, betonen die Unscbidllöhkeit des Mittels fClr das Hers. F. Toucharo
erreichte he! Zahnextractionen mit Injection 1 — 2<'/oiger sterilisirter Lösungen,
und zwar mit 0,01 — 0,02 Eucain. schmerzlose Operation. Bei schmerzhaften
Hautkrankheiten wirkt es nach Saalfbld in Form von Salben und Com-
proMon schmerslindemd.
Nach französischen Antoren (Pouchbt, Hkrnette) ist das toxische Aequi-
valent des Eucains ebenso gross wie das des Cocains, ja weil ersteres ohne
Encain*
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Prodrome mit der Oiftwirkang einsetzt^ ist die Gefahr bei der Anwendung
umso grösser, aaeb die HenwirknngeD treten raeeher und stirker aof als
beim Cocain. Bei Kalt- und Warmblütern bewirken gröeaere Gaben erböbte
Reflexerrepharkoit nii( folgfender Parese der Athmungsmuskeln . sowie
Beschleunigung des Pulses. Nach 0,1 — 0,1') Grm. auf 1 Kgrm. Kaninchen
tritt starke Reizung des Centralnervensystems, darauf tödtlicbe Paralyse
des AffamnngBcentrunw ein, das Hera scblftHrt noob einiii^e Zeit fort Mitt-
lere Gaben, 0,02 — 0,03 pro Kilogramm Thier, bewirken anfangs Unruhe,
spfitpi- kurze klonische Krämpfe, denen kurz andauernde Paralyse folgt;
dabei wird der Puls verlangsamt, der Blutdruck sinkt erst nach grösseren
Gaben.
Dem gegenüber ballen aneb fransöslsebe Kliniker (Bbrqbr, Vogt) die
eingangs erwähnten, von Vinci angegebenen Elgenscliaften des Bueaina im
Vergleiche mit dem Cocain aufrecht.
Dosirung. In der Augenheilkunde: 2" ^ige wässerige Lösungen.
Bei Anwendung der folgenden Formel: Eucaini hydrochlorici 0,1, Cocaini
bydrocbl. 0,05 , Aq. destlJl. 5,0 soll dorcb die Coeainwirknng keine Hyper>
ftmie eintreten und Papillenerweiterung erst spät und in geringem Masse
folgen. Berof.r, dem auch diese Lösung noch zu irritirend wirkt, bedient
sich der Formel: Cocaini hydrochl., Eucaini hydrochl. aa. 0,05, Aq. destill. 5,0.
FQr Nase und Hals: 5— lOVoise Lösungen (s. anoh oben).
Enealn B. Ausser dem oben erwftbnten Euoain bringt die Sebe-
ring'sebe Fabrik ein neues Präparat in den Hnn<lel , welches durch seine
Constitution als Benzovl-Vinyl Diacetonalkamin dem Eucain A nahe steht
und als Eucain B bezeichnet wird. Die freie Base stellt ein weisses krystal-
linisches Pulver dar, welcbes in etwa S^g Theilen kalten Wassers IGsllcb ist.
Den meisten Alkatoidreagentien gegenfiber verhält es sich dem Eucain A gleich,
nor mit 5% Chromsaure gieht es nicht wie dieses einen krystallinischen,
sondern einen gelben, amorphen, sich zusammenballenden Niederschlag. In
der Augenheilkunde gelangt das salzsaure Salz in 2°:o\ger wässeriger Lösung
snr Anwendung. Auch die Lösungen des Eueains B können dureb Kooben
Steiilisirt werden, ohne dnss Zersetzung eintritt. Eucain B wurde von P. Sir.EX
an der Universitätsklinik zu Berlin in zahlreichen Fällen , namentlich bei
Operationen des Altersstaars, mit gutem Erfolge angewendet. Besonders
günstig war die Wirkung bei SebleloperaÜonen. IMe dureb Bueain B er-
sengte Anästhesie ist eine vollkommene, die Oefässiniectiun eine massige.
Hornhauttrübungen scheinen nicht einzutreten, doch ist es nöthig, dass nicht
zu lange vor der Operati(m eingeträufelt wird. Es genügen 4 Tropfen inner-
halb 5 Minuten vor der Operation. Durdi l&ngere Zeit fortgesetzte Instil-
lationen der gewöhnlich gebrauchten 2Voi9en Lösungen bringen meist eine
sehr starke Conjunctivalgefässfüllung hervor, die beim Schnitt durch die
Coniunctiva durch die abnorme Blutung die Uel)ersicht über das Operations-
terrain stören kann. Es gelingt damit auch, die Iris durch Instillation einiger
Tropfen in die vordere Augenkammer (nach Anlegnng eines Hornbaut-
scbnlttes) aaisthetlscb zu machen.
Literatur. Eucain A: Gaetaxo Vinci (aus Messina), Ut-ln-r i-iii ik-iich loralis An-
ästheticom, das Eacsia. Vwcuow's Archiv. CXLV, pag. 1. — Vollebt, Nucii einmal du
Eucain. AUS der Ümvers.-Aiigenkliiük in Heidelberg. Hflnebener med. Wocbenscbr. 1806»
jjf. 37. Berobk, Revue de thrrap. Heft 12. — fiOiiL (NdrnbtTtr). l'« her Eucain in
der urologisch-dermatologisclien Praxis. IH'.K). — Fk. \Vi stefkld iWilrzliurgj. L < btT ili»- V«t-
wendbarkeit des Eucain« in der Auk' "'" '"^"'»''^ Miiiielieni-r med.Wochensclir. 1SU6, paff.
DENr>-rK. Bcalpel. 13. September lü^ü, Nr. 7. — F. Toocbard, De leacaine en chirurtfic
dentaire. I.e8 nouveaax rcmftdes. 1897 , Nr. 10. — Voot , SodÄt«^ de th^rap. , Si'anc« du
11 Ft vr. 1M1)7. Ttiirap. Monat;»h. 1S97, pag. 330. — Eucain H: Zwi i mut Iceal'' .\n;i>the-
tiea. Therap. Monatsb. ISUT, pag. 210. — P. Sil«, Weitere Mitthciluutfen über Eucain U.
Ebenda^ pag. 328. Loeblaeh,
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EuchtniiK — EurythroL
£ucllillilly ^^\0^ H N, 0 ^"^^ seiner chemischen Constitution
Chiniiicarbonsaurorithyloster. von don vereinis-ten Chininfabrikcn in Frankfurt
a. Main als Präparat empfohlen, weichj's die curative Wirkung des Chinins
ungeschwucht, hingegen dessen störende Higenscbaften, schiechten Qeschtuack,
BrcetigODg von Obrensauseii nieht mebr besitseii soll. Das durch Einwir-
kung von chlorsaurem Aethyl auf Chinin erhaltene Euchinin bildet weisse
Nadeln vom Schmelzpunkt 95 <> C , schwer löslich in Wasser, leicht in Alkohol,
Aetber und Chloroform. Die Lösung reagirt basisch, mit Säuren bildet sie
gut krystalHsirende Salxe. Die Löann^ in Sohwefelsftnre nnd Salpetersäure
naorescirt wie Chinin. Das salzsaure Salz ist In Wasser leicht löslich. Die
Base Euchinin ist geschmacklos, erst bei längerem Verweilen auf der Zunge
tritt eine leicht bittere Geschmacksempfindung ein. Carl v. Noordex , der
das Euchinin bei einem grösseren Krankenmateriale versuchte, fand die
Base im Verhftltniss ihres Gehaltes an reinem Chinin l»ei allen Krankheiten,
hei welchen dieses von jeher angewendet wird, ebenso wlrksanif und swar
waren l'/g — 2 Grm. grleichwerthig 1 Grm. Chinin.
Bei den intermittirenden oder remittirenden Fiebern der Lungentuber-
kulose, der Sepsis, des Typhus et& bewihrte sieh die Darreichnngr von
2mal täs:Iich 1 Grm. Eneliinin. Die Darreichung des salzsauren Salzes bietet
keinen Vortheil vor dem Chinin, weil es schlecht schmeckt und einen bitteren
Nachgeschmack entwickelt; hingegen ist das gerbsaure Salz wegen seiner
Gtoachmaoklosigkeit empfehlenswertb. Das Euchinin wird Erwachsenen In
Oblaten, Kindern, welche Oblaten nieht sehlueken können, in MOdi, Soppen
oder in Cacao verabfolgt.
Literatur t Gabi. v. Moomn», Ueb«f Eochmio, tu« der internen Abtheiloog des städt.
KrankMibaaBe« in Frankfurt a. IL OentrslU. L famere Med. 1896, Nr. 48. — M. Ovbbuach,
Ueber das EaeUnfai. Dentscbe Medichial*Ztv. 1897, Nr. 15. Loebtaeb.
Ennatroly Beseiehnnng: der ohemisohen Fftbrik von Zimmer & Co.
für das von ihr dargestellte chemisch reine Ölsäure Natron, welches von
F. Blum auf Grund experimenteller und klinischer Erfahrungen als Chola-
gogum empfohlen wird. Das Eunatrol wird in Pillenfonu zu Ü,2ö Inhalt
mit einem ChocoladeQbersug abgegeben und soll zu zweimal 4 Pillen t&g-
lioh im Ansehluss an die Mahlzeiten, namentlich bei GaUensteinerkrankungen,
Wochen- und monatelang fortgegeben werden.
Literatur: F. Blum (Frankfart a. M.), Ueber eine neue Methode der Aureg^antr des
GallennaBBes. Der irztl. Praktiker. 1897, Nr. 8. Lorbisri,.
Eur^'tlirol I ein von W. Coh.nstein aus Kindermiiz dargestelltes
Extract, wird von der chemischen Fabrik Grünau in Form von Tabletten
& 1 Grm. mit Ueberzug von Cacao oder als retner Extract In den Handel
srebraeht. Max David, der das Eurythrol in Fällen von Anämie und ihren
Folgezuständen versucht«, fand es von guter Wirkung auf die dysmenor-
rholsehen Besehwerden und auf die Appetitlosigkeit
Literatur i Uax Davis, Ueber EoiTtbrol. Deotscbe med. Ztg. 1896, Nr. (>9.
Lotblseb.
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F.
Kerrosol ist ein von der chemischen Fabrik F. Stahlschniidi
dargestelltes Eisenpräparat, eine Üoppelverbindung von Kison und Chlor-
Datriumsaccbarat. Es soll sich durch seine vollkommene Löslichkeit und
UnflUlbarkeit daroh S&aren, Alkalien und SalsIOsuiigeii von dem Ferrain oxyd.
sacch. solub. der Pharm. Germ, unterscheiden. Das Ferrosol enthält 0,77^0
Eisen und wird gregen Chlorose. AnSmie und alle Zustände, welche die
therapeutische Anwendung des Eisens erfordern, empfohlen. Es soll mit
gleichen Theilen Waeser gemengt unter etwaigem Znsats von Cognac,
TInet aromat. in Smal tftglioh ein Esslöffel Terordnet werden.
Literatur: Oabl Boom (Bannen^ FerroBol. Der prakt Ant 1897, paf.27.
LoebtMcb,
Fllixvei'S'itailc* Man sieht bis letzt allgemein die Fiiixsäure
(FUioin) ^s den|enlgen Beetandthell de« Extraetnm PUiels aetherenm an, auf
welchem die eigenthumliohe toxische Wirkung des bekannten Bandwurm-
mittels beruhe. Auch die interessanteste Form der Filixvergiftung, die Filix-
amaurose, ist auf Fiiixsäure bezogen worden, da sie ausser ihrer Action auf die
Medolla sphaalis^ aneh eine solehe auf den Sympathieus und die Vasomotoren
besitze, woraus Pupillenerweiterung und Zusammenziehun»: der Arteria cen-
tralis retinae erfolgen.') Wenn in letzterer die rrsiiche der Amaurose 7.u
suchen ist, so dürften die verschiedenen Nitrokürpcr, welche Gefässdilalation
bedingen, insbesondere Amylnitrit und Nitroglycerin, als physiologische Gegen-
gifte anzuwenden sein.
Indessen ist durch die neuesten Untersuchunp:en über die chemischen
Bestandtheile des Filixextracts die Bedeutung: der Fiiixsäure für die Ver-
giftung etwas zweifelhaft geworden. Nacli Boum -j enthält manches Filix-
extract überhaupt keine Filixsfture und ist es namentlich fraglich, ob sie
Im frischen Herbstext racte Oberhaupt Torbanden ist und nicht erst bei län-
gerer Aufbewahrung der Dropre aus anderen, nahe verwandten Körpern ent-
steht. Jedenfalls sind neben ihr noch andere toxische Sioffe, und zum Theil
selbst in grösserer Menge vorhanden.
Man erhält »olclie bei AtnvciKluii!; eim-r luiu n I ntcrsnchunKsmcthtxli- . Im i w, 1 i har
dag ätherische Extract zuerat luit 2 Theilen Magnesia bearbeitet und das Magneisiuiiigi'uiiseh
wiederholter Extraetlon mit Waner iiiitenof(«n wM, um die in dem Extracte enthaltenen
85 — 90% Fett and Chlorophyll zn iK-scititrt'ii. Die nach L'fhpirführcii der Mat'ii'-sia in
Magneaiumsttlfat durch Zuhuiz dihiirtcr Schwefelsäurt! sich ausscheideii leii Nieiler^chlä^e, die
das Wirksame des Extracte» enthalten, werden als Kohfilicin bezeichnet. Uel)erf:i< -^nt man
dieses mit gerade so viel Aether, wie zur Lüaung erlorderiicli ist, trennt den entütehenden
Krir«tallt»rpi von der Mntterlanfr« und ltf«t die dnrcli Icalten Alltohol von Allem Farbstoffe
ht fr>-itcn Kryst.illo in licir*sem Wasi^i r auf. so bleibt Filix?«äure t»ei der cr^ti i-. I'. liiindlung mit
siedendem Alkohol uiiu'<'l<»st niid «eheidet t.ieh ans heiaseni EssiKather kry^t-iUinisch ab. Die
siedende alkobolische L'iiiung liefeit dann bei fractlonirter Kry.stallisatisn zwei von der
FilixsUure vernchiedene und theihveiHe ^'ifti;;-^ Körper, welchen Uöhu die Nnmeu Anpidin
und Albaspidin gegeben hat. üeheit mau die Mutterlauge des zuletzt auskryätalliMrcndea
uiym^L-ü Ly Google
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Filixvergifkimg. — Fisehverglftung.
Kfirpcrs Ton Alkoliol und 18Rt den htnsrtifrpn. rotlien, Hnnierat klebrijfen ROckstnm! in Aethcr
odiT PctroläthtT, si liiitti It dif Liimin;.' so lan^'>- mit ;.'< >;itti::t< r Natriiiml»icarl»onatliisunir aus.
bis sich letztere nur schwach röthlichgelb färbt, uml schüttelt die vereinigten wässerigen
nowlirlceiten nnvertOglieli mit Aetber bia cur Erscböpfnng, so Uuaeii iMt noeh drd weiter«
neae Fiiix:<tnTr>- (;t>winBen, wdohen <tte Nameo Flavaspidtiiire, Aspidinln und Aspi-
dlnol Itt'i^'i'leyt sind.
Der am reichlichsten (2 — 8*/o) im FiUxeztracte Torhandene nene Filix*
Stoff ist das snerst auskrystallisirende Aspidin, CjsHjsO;, das bei Fröschen
zu 1 Mffrm. zuerst Unregelmässickeit der Athmunp, dann Aufhebung: dfr
Willkürbewegunffen und einen Zustand allgemeiner Paralyse, dann fibrilläre
Muskelzuckungen und ' im Anscbluss daran tetanische Streckungen und
typische TetanasanflUle mit nachfolgendem Tode herbeifOhrt. Das Hen steht
frühzeitig diastolisch still. Intravenös wirkt schon 0,025 auf Kaninchen
durch Lähmung des Respirationscentrums tödtlich, während subcutane und
interne Application viel grösserer Dosen bei Kaninchen und Hunden keine
VergtftaBgserBcheinnngen erxengt Blienfalls giftig ist das nach dem Aspidin
anskrystallisirende , aber nur zu 0,3° ^ vorhandene Albasptdin, C««Htg07,
das zu 4—5 Mtrrni. Frösche unter Lähmungserschoinuntron tn ltf^t , aber
weder Kr&mpfe hervorruft, noch das Herz afficirt. Der bei der Bebamllung
mit Natriumbicarbonatldsung in Aether aufgenommene Stoff, die Flavaspid-
sftnre, CajHssOs, von welcher l'/o aus Flllxextract gewonnen werden kann,
ist nur schwach giftig, indem o.r bei Fröschen erst zu 10 Mtrrni. die Motilität
l&hmt und fibrilläre ZuckutiKPn i^mfl Spreizung der Sclnviuinihäute bt'wirkt.
Der nicht von Uicurbonatlösung aufgenuroniene Theil liefert einen sehr giftigen,
aber auch sehr leicht sersetslichen Körper, das Aspidinln, welches auf
Frösche zu 1 — 2 ^^grm. toxisch wirkt und wie Aspidin ela ans Paralyse
und Krämpfen gemischtis \'er^iftiingsbild liefert. Der fOnfte neae Filixetoff,
das Aspidinol, Cj^ H^, O, ist ungiftig.
In ihrer Constitution scheinen diese oenen FiÜxstoffe anter einander
und mit der Filixsäure sehr nahe verwandt su sein. Flavaspidsäure und
Aspidinin liefern dassoll)^ Spaltungsproduct. nnmlich i'int» früher von Gra«
BOWSKI unrichtig für Monobutyrylpliloroglucin gohaltencj eigentliüinlicbe Säure,
welche bei der Oxydation Dimetbylmalonsäure liefert, die Filicinsäure, und
verschiedene krystallinlsche Phenole, welche wie Phloroglucin einen mit
Sal/.säure befeuchteten Fichtenspan intensiv roth färben. Filicinsäure hat
die toxischen Wirkungen der Filixsäure und des Aspidins nicht.
Literatur: ') va.<( Acui:!. . Des principcH aetifd de la fuugere male et de leur mode
d'admini8trati<m. Semalne med. 18i)5, Nr. 4i), p:ig. 425. — ') Borx, BeitTife aar KenntnU»
der Filixsäaregmppe. Areb. t, ezperim. Path. XXXVIII, pag. 85. Satemiutu.
Fllmosfeiiy ein von ß. Schipp dargestelltes nnd sar Application von
thor.'ipoutischon Substmzpn in der Derraatoloirie empfohlenes Vehikel. Das-
selhe besteht aus einer Lösung von Nitrocellulose in .\ceton, der ein wenig
fettes Gel zugesetzt wird. Das Filmogeu ist in Wrisser unlöslich und bildet
eine Art Oberhaut Ober die damit bestrichene Hautpartie. Die Vorx&ge
desselben sind die Elasticität, wodurch ein .Aufbrechen des kunst liehen
Ueberzuges vermieden wird und zugleich ermöglicht winl. dass die medica-
mentösen Substanzen mit der Haut möglichst lange in Berührung bleiben,
Die mit dem Präparate bestrichene Hautpartie kann, ohne welchen Nach-
theil SU erfahren, mit Wasser gewaschen werden. Kaposi, Lassar, Unna
bestätigen die Vorzüge des neuen Präparates.
Literatur: £. Scuirr (Wien), Ueber Filnioiceo. Vortrai; am 3. iutcniatioualen Derma-
tologi'n-ConfrreHs zn London. Dentschc med. Wochenschr. 18915, Nr. 36. Lu. hisch.
Fisch ver}>[if tu njj^. Ueber Fiscbvergiftuni: lit gen jetzt auch aus
den deutschen Schutzgebieten, und zwar von den Marschalls lnseln , Mit-
thellangen vor. Nach Stbinbach Ist Fischvergiftung dort sehr selten, obsehon
Fisehvergiftiuig. — Frakturi'erband«. 85
eine grosse Anzahl Fische, und zwar vorzugrswetse aus der Abtheilnny
der Physostomi (Edelfische) und der StachelHosser (Acanthopteri), in
li'tzterer besonders Angehöri<re der Percidae und Squamipinnes, von den
Eingeborenen fQr giftig gehalten werden. Die in Japan so überaus ge-
fOrchteten, wiiiclieh giftigen Tetrodonten scheinen auf den Marschalls Inseln
zu fehlen und es ist sehr wahrscheinlich, dass in Fällen, wo es sich um
wirkliche Intoxication und nicht, wie os meist der Fall ist, um acuten
Magendarmkatarrh durch Gonuss unglaublicher Meng;en von Fischfleisch
handelt, verdorbenes Fiscblleisch im Spiele ist, zumal da die in tropischen
L&ndeni ui sich rasehe Zersetzung durch die bei den Eingeborenen der
Marschalls- In sein übliche Bereitungsweise, das Braten der Fische mit dem
ganzen Darminhalte auf heissen Steinen nach vorherigem Lienen im frlühend-
sten Sonnenbrände, sehr gefördert werden muss. Indessen weist das Krank-
heitsbild in drei von Steinbacu selbst beobachteten Fällen auf eine Analogie
mit der Fuguvergiftung der Japaner und auch mit der Mytilotoxin Vergiftung
bin. insofern dabei Störungen der Motilität und auch der Sensibilität vor-
walten. In zwei von diesen Fällen wurde die durch IJebelkoit, heftiges
Prickeln und lähmungsartige Schwäche der Beine, unsicheren Gang, Accom-
modationslähmung, Pulsbescbleunigung und lelehte Benommenheit des Be-
wusstseins charakterisirte Affection durch Brech- und Abführmittel rasch
beseitigt. Im dritten P'alle, wo erhebliche l\aralyso beider Extremitäten und
Verlust der Hautsensibilität, Mydriasis, complete Aufhebung des Bewusst-
seins and CHBYivB-STOKBS'sche Athmnng bestand, bedurfte es der mehrmaligen
Injection von Liq. Ammonii caustici zur Besoitip:unf!: des CoUaps. und die
vollständige Heilung erfolgte erst in einer Woche. Auch bei Hunden und
Katzen wird läbmuugsartige Schwäche nach Genuss von Fischen constatirt.
Sieher hängt die Verdächtigung muncher Fischarten mit abergläubischen
Vorstellungen, wonach bestimmte Fische einen bSsen Geist (anid|) in sich
haben, zusammen, da wenigstens einzelne dieser von den Fnropaern delieat
tmd ungiftig befunden werden. Ganz unbpgrQndet scheinen die Angaben
über die Giftigkeit einzelner Fische in bestimmten Localitäten zu sein.
Eine besondere Giftigkeit der Stacheln verschiedener Acanthopteri, die
von den Blarsch allanern behauptet wird, konnte Steinuach nicht bestätigen;
denn wenn auch nach Verletzungen dieser Art leichte Lyniphgefässentzün-
Uungen und selbst Abscesäe vorkommen, so zeigen diese Erscheinungen niemals
Abweichungen von analogen Verletzungen durch Holzsplitter oder Nägel.
Literatur: Stbihbach, Bericht lilier die Oc^nndheiUverliUltni.süe der Eingeborenen der
Marschnll Tnneln nod Bcmerknngcn aber FischgUt MUtkeil. aus den deatscbea Schntzgcbieten.
1895, VIII, Heft 2. Husewann.
Frakturverbäude. Der G eh verbau d, die Behandlung der Brüche
des Ober^ und Unterschmkels im Umhergeben, hat sich allmäUg mehr und
mehr einufebfirgert, wenn schon zumeist nur - und das mit vollem Rechte —
In den Krankenhäusern und Kliniken. Ei.rocen ') un i Ri'pingek -t bestätigen
die von Kkause, KOrsch, v. Bardeleben u. A. angegebenen Vortbeile: die
fQr das Allgemeinbefinden, zumal bei alten Leuten und Potatoren, so schäd-
liche anhaltende Be'.truhe fällt weg: die ( onsolidation erfolgt rascher und
kräftiger: Muskelschwund Gelenksteifigkeiten. Decubitus werden vermieden.
Da, wo Druckbrand, Atrophien, Gelenkst eifigkeiten eintreten, sind sie
nicht durch das Verfahren an sich, sondern durch seine nicht richtige An-
wendung bedingt. Daraus schon erglebt sieh, dass eine stetige und sorg-
fSltige Beobachtung seitens des Arztes absolut nothwendig Ist
ELBdCKN folgt im Allgemeinen den Vorschriften Kk.m^sk's; bei Knochel-
brücben wendet er bis zur völligen Kesorption des Ergusses, d. b. etwa
3 — 4 Tage lang, Massage und elastische Compression an und dann den Gyps-
verband ; bei Oberschenkelbrfiohen 3 — 4 Tage Extension, dann Gypsvorband.
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Frakturverbände.
BOdikgbr stellt als eiflrentllehes Ziel der Behandlnnff mit dem Geb-
vprbande dio Aufgrabe hin. gleichzeitig mit der Consolldalion des Bruches
auch die üebraucbsfähijrkeit des (Jliedes herbeizuführen. Bei der bisher
ausschliesslich geübten Behandlung mit dem Kuhverbande fielen beendete
KnooheneoiiBoIIdatioii und wiedergewonnene Leistnngsfftblgkelt zeitlich so gut
wie nie zusammen, und der Gehverband kann diese Gleichzeitigkeit beider
nur dadurch erreichen, dass Gelenk und Muskeln in fortwährender Thäfiirkeit
bleiben. Während luan früher möglichst vollkommene Ruhe der Bruchenden
als nothwendige Heilungsbedingung ansah, hat man jetzt eriunnt, daw be-
sehrftnkte Beweglichkeit der Fragmente eher die Heilung fördert als sebftdigt
Rpi den sul>cutanfn Fracturen legen die meisten Chirurgen den Oeh>
verband unmittelbar auf die vorher rasirte. «lesinficirte und gefettete Haut
an, weil sie annehmen, dass so die Knochen sicherer in ihrer Lage erhalten
werden. BOdingbr bedient sich als Unterlage einer Watteschieht und geht
dabei von der ErwSgung aus, dass die Watteschicht etwa die gleichen Ver-
hältnisse schaffe wie ein starkes Fettpolstei-. Auch zeit^e sich Ihm inittei-
starken und bei mageren Menschen in Bezug auf die Heilung kein Unter-
schied. Die StQtzpunkte an den Kondylea der Tlbla oder am Tnber ischii
einerseits und an den Knochein, sowie am Fnsse andererseits ergeben sieh
bei jedem richtig angelegten Verbände Ton selbst, und der Verband darf
hier keinesfalls fester liegen.
Der Verband wird sofort angelegt bei nicht starker Schwellung, er
kann aber auch bei starker Schwellung sofort angelegt werden, vorausge«
setzt, dass der Verband in 8 — 14 Tagen erneuert wird. Dazu kommt, dass
nach den ersten 8 Tagen die Reposition sich ebenso leicht und selbst
schmerzloser ausführen lässt als am ersten Tage. Büdinger wünscht ge-
schulte Gehilfen, damit die Haltung des Fusses in rechtwinkeliger Beuge-
stellung und das Hinhalten der Linie: zweite Zehe, Mitte der Patella,
Austrittsstelle der Femoralis unter dem PotTARTschen Bande, sowie der
Gegenzug am Oberschenkel oder Becken gesichert ist.
Die Polsterung geschieht durch Umlegen einer ganzen Tafel geleimter
Watte, darauf folgt eine kräftig sngesogene Tour von Calieotbinden und
dann, ohne jeglichen Zug, die Einwickelung mit Gypsbinden. Die Endpunkte
des künftigen Verbandes werden durch einen handbreiten feuchten Leinwand-
atreifen bezeichnet, dessen oberer, mehrfach eingeschnittener Rand zunächst
ftrei bleibt und erst nach der zweiten Oypsbindentour umgeschlagen wird.
Diese »Umschläge«, die sonst auch Manschetten heissen, schützen die R&nder
vor dem Abbröckeln. Bei Oberschenkelbrüchen reicht der Verban<l von den
Knöcheln hinten bis zum Tuber, während er sich vorn über dio Hüfte als
Spica coxae aseendens fortsetzt Der Fuss bleibt also frei und wird nur
bei SchenkelhalsbrQchen mit eingeschlossen. Die Ojrpstouren nm's Becken
sollen rotirende Bewegungen des Verbandes hindern. Die Gehversuche, zu-
erst mit zwei Krücken, beginnen nach 1' J Stunden. Die meisten Kranken
lassen die Krücken bald fort, bedienen sich eines Stockes oder gehen ohne
Stütze. Ueber heftigen Schmerz an der Bruchstelle wird nie geklagt Das
in den ersten Tagen, zumal bei hochgradiger Schwellung, häufig auftretende
Oedeni schwindet bald , wenn der Verband nicht SU fest ist, SOnst macht
man Einschnitte in den unteren Rand.
Der erste Verband bleibt nicht über drei Wochen liegen, weil sich
etwaige Dislocationen dann noch ausgleichen lassen. Der zweite Verband
gleicht dem ersten, doch kann man l)ei Brüchen im unteren und mittleren
Drittel des Oberschenkels den Verband im Laufe der fünften Woche knapp
über dem Knie wegschneiden und die untere Kapsel entfernen, um dem
Gelenke Bewegungsfreiheit zu geben. Nach 5 — 7 Wochen wird jeder Ver-
band weggelassen.
uiyiii^Cü by Google
Frakturverbäad«.
87
Dia Gedanken, die den Geh verbinden bei den BrQchen der unteren Glied-
massen zugrunde liepon, haben in sinngemässer Aenderunpr auch für die Rruche
der oberen Gliedmassen eine zunehmende Geltung erlaugt und in der i'raxis
mehr und mehr Verbreitung gefunden. Auch bei diesen Verletzungen sieht
man in der gleichseitigen Heilnng des Bruches und der Wiederherstellung
der GebrauebsHUiigkeit des Gliedes das eigentliche Ziel der Behandlung.
Im fönften und sechsten Han<le dieser .lahrbücher sind die zu diesem
Zwecke bis dahin ersonnenen Verfahren gebührend besprochen worden : sie
und die neuerdings hinxugetretenen sollen alle daxu dienen, die möglichst
genau eingerichteten Bruchenden in richtiger Stellung su erhalten und dabei
fiühzeiticre Reweprung und Massajje zu gestatten. Sind besondere \'(»rbändo
erforderlich . -- und das ist ja in dvr Regel der F'all — , dann müssen sie
sü beschaffen sein, dass sie leicht abgenommen und leicht wieder angelegt
werden kSnnen.
Merkwürdig ist die von HRWEguix den Gehverbänden gegenOber ein-
genommene Stellung, er kennt das Verfahren aus eigener Erfahrung nicht,
verwirft es aber.
LiBRHAinr >) behandelt alle BVaeturen der oberen Bxtremitftt mit einem
»Modellverbande«, d.h. mit einem Verbände, »der sich überall an die Con-
tourpn des (iliedes eng anschmiegt und hierdurch nicht extendirend, sondern
auch distrahirend auf die Fragmente wirkt«. Diesen »Modell verband« be-
reitet er aus Pappe von mittlerer St&rke, die er in Streifen zurecht schneidet
und Ober ein dflnnes Wattepolster feucht Miwickelt
FQr das Collum humeri (oder wie es ietzt heisst: umeri) benutzt er
eine Nachahmung der Kragenschiene von Albers ( vergl. ICncycl. Jahrb. VI) ; er
schneidet z. B. für Erwachsene aus Pappe einen 15 Cm. breiten Streifen,
der von der Mitte des Halses bis rar Mittelhand reicht An der Hals-,
Schulter- und EUenbogeabiegung wird der Streifen auf beiden Seiten etwa
5 Cm. breit eingeschnitten, so dass noch eine 5 Cm. breite Brücke übrig
bleibt. Dieser Streifen wird gut angefeuchtet, in seiner ganzen Länge mit
einer Stärkebinde angewickelt, nachdem Schulter und Arm vorher mit einem
leichten Wattepolster versehen sind.
Auch für Brüche in der Mitte des Oberarmes eignet sich diese Schiene,
bei der jedoch hier der Kragen wegfällt. Da aber in den meisten Fällen
das Ellenbogengelenk gleich ganz frei gegeben werden kann, so schrumpft
die Kragensehiene zusammen su einem »fixtrenden Verband fOr den Ober^
arm, der aus |e einer Pappschiene auf der Beuge- und der Streckseite mit Hilfe
einer Stärkebinde hergestellt wird«. Nach der zum ersten Male am vierten
bis sechsten Tage vorgenommenen Bewegung und Massage genügt eine
ungestärkte Mullbinde, weil dann die Pappschiene schon die Form des
Gliedes angenommen hat
Bei den Frakturen im Ellonbogengelenke gewinnt die Fixirung in
Streckstellung mehr und mehr Anhänger, und zwar aus dem Grunde, weil
man den Arm hochlagern oder aufhängen und so die Vorgänge der Circu-
lation und Resorption fOrdem und Unterstfitten kann. In der That w&hlte
man die Beugestellung ja zum grossen Theil deshalb, weil Ankvloso mehr
oder weniger sicher in Aussicht stand; iotzt aber ist bei frühziMtip:or Be-
wegung und Massage Ankylose nicht mehr zu befürchten. Liehmak.n bewirkt
die Fixation des Armes in Streckstellung und bei supinirtwn Vorderarme
auch hier durch einen Ober ein leichtes Wattepolster mit einer Stärkeblttde
angewickclten Pappschienenverhand. Nach 4 — ^^ Tagen Verbandwechsel,
leichte Massage, vorsichtige Rcwcirungen . dieselbe Schiene mit Mullbinde.
Wiederholung der Sitzungen omal wöchentlich.
Für die Behandlung des typischen Radlusbruohes ist eine grosse
Zahl von Schienen angegeben, die auch fertig im Handel zu beziehen sind.
uiym^L-ü Ly Google
88
Fraktur\'erbäade.
Diese Schienen leisten oft vortretniche Dienste, aber sie paMen, wie Braatz *)
sehr richtig: beraerltt, nicht für jeden einzelnen Fall. Man muss sie passencl
machen und ihnen daher durch l 'nterpolsterunpen nachhelfen. Solion sich
diese Polster nicht verschieben, dann ist eine feste Bindeneinwicklung nötiiig,
die ibreraefts wieder mancherlei UDSutriglichkeiteii bat Wie der Druck
der den Bruch einrichtenden Hände soll auch der Verband von der volaren
und dorsalen Seite her zugleich eingreifen , und zu diesem Zwecke hat
BuAATZ seine Spiralschiene (vergL XXII, 2. Aufl.j angegeben, die er ur-
sprünglich ans Hanf nnd Gyps, nach Bbrly, herstellte. Jetet benntst er«
wie l)»'i seinem »Kpaulettenverband« (vergl. VI. Ergänzunpsband) als Grand-
läge für die r!\ psschienen einen sackleinwandahnlichen Stoff, der von den
Tapezierern zum Möbelpolstern gebraucht wird und von Lachraannski in
Königsberg bezogen werden kann. Dieser Stoff wird in dreifacher Lage so
breit zugeschnitten, dass er eben um die Handwnrsel hernmreicht. Nach
oben reicht die Kapsel bis etwa :> Finger breit unter die Ellenbeuge, nach
unten bis zu den M ii t elhand Finfrergelenken. Das Zeug wird, entsprechend
der Länge de» liandrückeuä , von der Hadialseite bis zur Mitte quer ein-
geschnitten. Dieses Zeugstflek wird mit Gypsbrei (Gyps und Wasser aa.)
pif. ».
durchtränkt und dann, nach genauer Kinrirhlung des Hiiiches. auf den ge-
brochenen Arm gelegt. Der Verband umfasüt den Arm nicht in seinem ganzen
Umfange, sondern Iftsst swischen seinen Rändern an der Ulnarseite einen
Spalt, so dass der Verband durch Auseinanderbiegen leicht entfernt und
wieder angelegt werden kann. Keine l'nterpolsteninjr. nur gutes Kinfetten
der Haut. Bis zur Erhärtung werden Verband und Arm in richtiger Stellung
gehalten. Zu der leichten Volarflexion fügt Braatz eine geringe Ulnarflexion
nur dann hinso, wenn die Ulna sieher nicht betheiligt ist. In letalerem
Falle wird die Ulnarflexion geradezu schädlich sein. Bisweilen muss sogar
In voller Supinationsstelluns: geschient werden : man legt dann den Verband
in geschilderter Art an und fügt eine Gypshanfschiene hinzu , die an der
Anssenseite des Oberarmes cn liegen kommt nnd mit der Vorderarmkapsel
durch einen Zeuggypsstreifen am Ellenbogen verbunden wird.
Bewegung der Fincrer hält Biia.\tz für \vifhti<rer als frühe Massatre.
Nach 10 — 12 Tagen wird die Schiene abgehoben und die Bruchstelle be-
sichtigt. Entfernt wird die Schiene gewöhnlich erst nach 2</s Wochen, öfter
noch später. Denn es kommt vor, dass, wenn die Braohttelle noch nicht
genügend fest geworden ist. sich die Knochen im Verlaufe einiprer Tage
wieder in typischer Richtung verschieben. Die Bewegung der Finger beginnt
gleich nach dem Anlegen des Verbandes und wird mit der Zeit gesteigert.
Bei Siteren Leuten, wo Neigung an Starrheit vorhanden ist, benatst Braatz
den THiLO^schen Apparat fQr Fingerübung mit kleinen Gewichten.
L.iyu,^cd by Google
Fraktiirverbäncle.
89
Die sehr bflbacfae Vorriehtang Thilo's Ist ebenso einfach wie brauchbar.
Sie besteht im Wesentlichen aus Drahtrahmen, deren Gestalt je nach der im
Einzelfalle erforderlichen Zuprvorrirhtunfr verschieden ist ^FiL^ 9 a und A). Mit
Hilfe von Schnüren und kleinen Gewichten (letztere in Form kleiner, mit
BleistMehen oder Sehrot gefällten Bimer oder Bentel) kann man den Zug in
maiinlgfaltigsten Richtungen ausüben und gans nach Belieben im Sinne der
Poutrunjr. Streckunir, Ab- und Adduction, Pro- und Supination wirken. Leitet
man die Schnur über kleine Röllchen, so kommt die Zugwirkung freier und
unbehinderter zur Entfaltung. Uebrigens lässt sich auch hier der Qewichts-
sng leicht durch elastischen Zug ersetzen. (Zu haben bei Wink 1er [Berlin],
Dörr [Frankfurt a. 0.].)
Storp legt bei KehandlunK- des typischen Radiusbruches das Haupt-
gewicht auf die 80 häufigen Nebenverletzungen: Blutergüsse in's Handgelenk,
Zerrelssungen und Dnrehbohrungen der Handgelenkkapsel und der Sehnen-
ficheiden, zumal der dorsalen, Abbruch des Proc. styloideus ulnae u. Aehnl.
In diesen Fällen, und es sind zwei Drittel aller, führt allzulange Feststel-
lung von Handgelenk und Fingern zu Verwachsungen in den Gelenken und
Sehnenscheiden und damit zu Steifigkeit und Functionsstörungen, besonders
bei älteren Leuten. Dag^n führte das von Pbtbrsbn empfohlene Verfahren
(vergl. Jahrbuch V) : sorgfälti^re l^inrichtung des Braches und Lagerung des
Armes in einer Mitella, so dass die Hand frei öber den Rand des Tuches
herabhängt, bei intelligenten Kranken und dauernder Beaufsichtigung auf-
fallend rasch rar Heflung des BruchoB und Wiederherstellong der Gebrauohs-
fähigkeit. Bei poliklinischen Kranken aber reicht das Verlshren nicht aus,
die durch das Herabhän<ren bewirkten Störungen und Schmerzen zu beseitigen,
die Kranken ziehen die Hand in die Rlitella zurück und vereiteln die Wirkung
des Verfahrens. Stüki* hat daher das Verfahien in folgender Weise geän-
dert und ergänzt: Naoh genauer und vollständiger Einrichtung stellt er die
Hand in äusserste ulnar- volare Beugung und legt nun an Stelle der
Witella einen etwa 10 Cm. breiten Heftpflasterstreifen aus Segeltuch mehr-
fach um den Arm bis an den Proc. styloideus heran, fixirt durch einen
zweiten darüber gelegten Streifen eine Falte, die durchlocht wird und durch
die ein Tuch oder eine Binde gezogen und in der der Arm am Nacken auf-
gehängt wird. Dadurch wird rin gewisser Halt und Druck an der Bruchstelle
geübt und die Hand hangt dauorntl , in gleicher Weise an der gleichen
Stelle unterstützt, herab. Ganz nach Belieben kann die Hand in mehr
ulnarer oder mehr volarer Beugung fixirt werden. Ist die radiale Ver-
schiebung geneigt nach der Reposition wiederzukehren, so verlegt man den
AufbSngepunkt ganz auf die radiale Seite und lässt die Hand in ulnarer
Abduction herabhängen. Das Verfahren gestattet nicht, die Stellung des
Armes |ederseit nachsusehen, aber dies ist auch nicht nSthig, weil bei ge-
höriger Reduction und richtiger Anlegung des Verbandes die Stellung der
Bruchstücke sich nicht verantlert. Auch die frühe Massage ist nicht mög-
lich, aber diese ist nach Storp in <len ersten 10 — 14 Tagen eine unnütze
Quälerei, zumal da Hand und Finger frei sind und ausgiebig bewegt werden
kdnnen. Nach 10 Tagen, wo eine Verschiebung der Fragmente nicht mehr
SU befflrchten ist, geht man zur Mitella über. Von jetzt ab ist Massage
angebracht, aber durchaus nothwendig ist sie nicht, denn auch ohne sie
stellt sich nach Abnahme des Verbandes bald vollkommene Heilung ein.
Also in der Regel 10 Tage lang der Verband, 6 — 8 Tage die Mitella, dann
fleissigea Bewegen und Benützung der Hand zu leichter Arbeit.
LiERMANN stellt die Modellschiene aus Pappe folgendermassen bor:
er legt Vorderarm und Handfläche des gesunden Armes in der Art auf die
Pappe, dass die Hand in möglichster Abduction und der Daumen in Hyper-,
extension steht. Nun werden die Umrisse des Vorderarmes von etwas unter-
Digitized by Google
90
Frakturvcrbände.
halb der Ellenbeuge ab, die Hand bis fast zu den Metacarpophalangeal-
gelenken aufgezeichnet und ausgeschnitten. Für die kranke Seite ist die
Schiene einfach umzudrehen , so dass die vorher untere Fläche jetzt oben
liegt. Diese Schiene wird nun angefeuchtet und der leicht mit Watte bis
zu den Fingern gepolsterte Vorderarm mit einer Stärkebinde auf ihr fixirt.
Durch geeignete Bindengänge kann die Schiene mitsammt der Hand neben
der Abductionsstcllung noch ulnar-volarwärts gebeugt werden.
Der Verband, der alle Fingerbewegungen zulässt, bleibt, je nach der
Schwere des Falles, 4 — 6 Tage liegen, dann Abnahme, Bewegungen und
Massage, Wiederanlegung des Verbandes. Wiederholung der Sitzungen 3- bis
4mal wöchentlich; Befestigung der Schiene mit einfacher Mullbinde.
Dr. R. Frank '^j in Wien hat einen App irat erfunden, der den Zweck hat,
zum Anlegen eines Verbandes, zumal eines Oypsverbandes, bei Radiushrüchen
eine Assistenz überflüssig zu machen. Die einfache Vorrichtung beruht, wie
Figur zeigt, auf Anwendung des Zuges : Ellenbogen und Oberarm finden ihre
Stütze in einer Winkelscbiene. Am Kndgliede des Daumens greift ein Mädcben-
fänger an, von dem die Schnur mit einem Gewicht von 5 Kgrm. über eine
Rolle läuft. Die vier langen Finger umfasst eine Klammer, von der ein Stiel
ausgeht, dessen Ende mittels eines Kugelgelenkes in einem Gewichte spielt.
Durch Verschiebung dieses Gewichtes lässt sich die Hand in die gewünschte
Ulnarbeugung bringen. Die beiden, Schiene und Rolle tragenden Säulen
können an einem besonderen Brette oder an jedem beliebigen Tische ange-
schraubt werden.
v\g. 10.
Beim Gypsverbande bleibt der Apparat bis zum völligen Erhärten des
V'^erbandes liegen. Da der Zug sehr gleichmässig wirkt, so ist die Einrich-
tung des Bruches, wie auch Immel.mann bestätigt, verbältnissmässig leicht
ausführbar und wenig schmerzhaft.
Die Guttapercha ist zumal wegen ihrer Unlöslichkeit in Wasser und
wegen ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Säuren stets als ein vorzüglicher
plastischer Schienenstoff anerkannt worden, allein seiner allgemeinen Ver-
wendung stellten sich sehr erhebliche Schwächen hindernd entgegen. Gutta-
percha wird durch Wärme weich, die klebt infolge dessen an den Händen
und Verbandstoffen an, die Schiene verändert mehr oder weniger ihre Form
und gewährt mithin keine sichere Feststellung. DfisPRßs benützt nun
statt des bisher üblichen Stoffes Guttaperchatafeln, die mit einem weit-
maschigen Gewebe beiderseits umhüllt und fest verarbeitet sind. Dieser so
hergerichteto plastische Stoff hat nicht die erwähnten Schwächen der ein-
fachen Üuttaperchaplatten, wohl aber ihre Vorzüge: in der Wärme wird er
weich und formbar, in der Kälte hart und lasst sich zu jeder Art und Form
von Schienen und Kinnen verwenden.
Die von Stelbel ' I eingeführten Aluminiumschienen kann man mit
unbewaffneter Hand bogenförmig biegen; für scharfwinkelige Biegungen
und für Biegungen über die Kante sind besondere Hilfsmittel erforderlich.
Steukel hat ein zangenartiges Instrument anfertigen lassen, mit dem die
Schienen zurechtgeschniiten und in jeder beliebigen Richtung zurechtge-
bogen, wenn nöthig auch mit Einkerbungen versehen werden können. Zum
Frakturverbfinde.
91
Schneiden dienen zwei unieibalb des Drehpunktes der Zange angrebrachte
messerförmige Schneiden. Die zurechtgescbnittenen Schienen werden in quer
oder aufrechtstehende Oeffnungen eingeführt und dann mit Hilfe der langen
Griffe der Zange beliebig gebogen. Eine Zahnung des Schienenrandes wird
durch efnfaches Zusammendrücken der Griffe hervorgebracht, wobei sich in
dem Gebiss der Zange eingesetzte, mit Haken versehene Stahlstücke in die
Äluminiumstreifen cinpretiSfn. Diese kleinen Zähne greifen in das Gewebe
der Binde fest ein und machen eine Verschiebung der Schiene im Verbände
unmöglich.
Um die geringe Widerstandsfähigkeit der in der Fläche sehr leicht
biegsamen einzelnen Schiene in genügender Weise zu erhöhen, sollen nicht
blos zwei, sondern drei oder vier Schienen zur Verwendung kommen; da-
durch wird einer Verbiegung nach irgend einer Richtung stets durch min-
destens eine Schiene widerstrebt.
Ganz besonders geeignet sind die Aluniiniumschienen für unterbrochene
Verbände (Fig. 10 u. llj, wobei die gezahnten Enden der Schiene in die Gyps-
kapsei eingeschlossen werden , während das freiliegende Mittelstück durch
den glatten Theil der Schiene gebildet wird. Die bisher zur Herstellung
unterbrochener Verbände zumeist benutzten Bandeisen mussten, um sie von
der Wunde fern zu hallen, halbkreisförmig oder auch winkelig ausgebogen
werden. Aber diese bügeiförmigen Ueberbrückungen der W^unde beeinträch-
tigten die Festigkeit des Verbandes und verhinderten das Anlegen eines
Flg. n.
gleichmässig comprimirenden Wundverbandes. Diese Uebelstände fallen heim
Aluminium weg ; es rostet nicht und ist ungiftig. Es wird — mit Aus-
nahme des Sublimats — von den gebrauchtesten antiseptischen Lösungen
nur sehr wenig angegriffen, und selbst nach mehrtägiger Berührung mit
Eiter zeigt die Oberfläche nur leichte Farbenveränderungen , aber keine
Rauhigkeiten. Die Aluminiumschiene kann also ohne Ausbuchtung aufge-
legt und in den W'undverband eingeschlossen werden.
Das eigentliche Gebiet für unterbrochene Verbände sind compliclrte
Frakturen, zumal solche mit grossen Hautverletzungen. Auch für schwere
Schussfrakturen ist der unterbrochene Verband von grossem W^erthe, und
Stecbel glaubt daher, die leichte, formbare und bequem auszuführende
Aluminiumschiene auch besonders für den Krieg empfehlen zu können.
Schienen und Zangen werden von der deutschen Metallpatronenfabrik
in Karlsruhe geliefert. Die für unterbrochene Verbände bestimmten Schienen
Bind 3 — 4 Mm. dick und 10 — 15 Mm. breit. Die an Stelle des Tapeten-
spans und der Pappe zur Einlage in fixirende Verbände bestimmten Schienen
sind 1* '; — 2 Mm. dick und 2 — :3 Cm. breit. Die Schienen lassen sich leicht
durchlochen.
Gleich ausgezeichnet durch Eleganz, Leichtigkeit und Härte ist der
Celluloid-Mullverband von Landekeu und Kik-^ch.-) Der Verband wird
wie ein W^asserglasverband hergerichtet, nur mit dem Unterschiede, dass
man sich statt des Wasserglases der Telluloidgelatine bedient und den
Verband Ober einem Gypsmodell anlegt. Die Celluloidgclatine ist eine Lösung
Digitizei.
92
Frakturvei bAnde.
von Celluloid in Aceton. Kleine Stückchen von Celiuloid, Abfall von den
zu anderen Zwecken benutzten Celluloidplatten oder mit starker Scheere
eigens abgeschnittene Stückchen werden in eine grosso weithalsige Flasche
bis etwa zu einem Viertel ihrer Höhe gebracht und der Rest mit Aceton
gefüllt. Uni die Verdunstung zu verhüten, muss die Flasche gut verschlossen
sein. Von Zeit zu Zeit öffnet man die Flasche und rührt die Masse mit
einem Stäbchen um.
Soll eine Unterlage nicht angewandt werden, dann wickelt man auf
das Modell straff eine Mullbinde, so das» sich die einzelnen üänge unge-
fähr halb decken. Auf diese Mullschicht wird die Celluloidgelatine gerieben,
und zwar schützt man die Hand am besten mit einem Lederhandschuh,
weil die Gelatine sehr fest an den Fingern klebt und nur mit Aceton ab-
gerieben werden kann. Auf die Gelatine folgt eine Lage der Mullbinde und
80 fort, bis der Verband die für jeden Einzelfall erwünschte Stärke erreicht
bat. Für kleinere Kapseln reichen 4 — 6 Lagen völlig aus, während für ein
Stützcorset 10 und mehr Lagen erforderlich sind. Soll eine Unterlage an-
gewandt werden, dann spannt man zunächst auf das Modell ein Stück Filz
oder Flanell, wickelt die erste Mullbindenschicht darüber und verfährt wie
angegeben.
Sollte die Kapsel nach ihrer Abnahme zu schwach erscheinen, dann
legt man sie wieder an und fügt noch einige Schichten von Mullbinde und
Fig. J2.
Verband boi KattUDduni; und Vcrietznog deit Handtrclciikes.
Gelatine hinzu ; sie kleben auch auf einem mehrere Tage alten Verbände
fest an. Die äusserste Schiebt der Kap.sel darf nicht von der Mullbinde,
sondern muss von der reichlich aufgeslrichenen und stark verrifbenen Gelatine
gebildet werden. Sie verleiht dem Verbände einen schönen Glanz und eine
besondere Härte (Fig. 12).
Die völlige Erhärtung erfolgt in 3 — 4 Stunden, aber, am Körper an-
gelegt, zeigt er schon nach 1' g Stunden die zur Fixation nöthige F>star-
rung. Kirsch erscheint diese Zeit lang genug, um die Anwendung dieser
Verbände vorläufig auf das Anlegen über Modelle und zur Verstärkung des
Gypsverbandes (Gehverbände) zu beschränken.
Der Celluloidverband übertrifft bei gleichen Schichten an Härte weit
alle bekannten Verbandarten ; er ist undurchlässig und verändert seine Form
nicht. Zur Erleichterung der Transpiration kann der Verband, unbeschadet
seiner Haltbarkeit, ziemlich ausgiebig durchlocht werden. Von drei gleich
grossen Kapseln aus Gyps, Wasserglas und Celluloid, wog die erste l.'JO,
die zweite 70, die dritte .iO Grm. Fig. 12 stellt einen für das Handgelenk
bestimmten, mit einer Stützplatte für die Hand versehenen Celluloid Mull-
verband dar.
Der Noth gehorchend, improvisirte H.^rx ") für die Oberschenkel-
fraktur bei einem ^ jährigen Kinde einen Verband , der sich später bei
allen Oberschenkelbrücben der Kinder bis zum sechsten Jahre bewährte.
L^iyi i^cu Ly Google
Fraktur^'erhAnde.
93
Der Verband ist ein durch Bandeisen verstärkter Leimverband. Das, was
der Lelmverband vor anderen Verbaadarten vorane hat, itt^ das« man die
dazu erforderllehen Hiirsmittel sich In Jedem Dorfe beschaffen kann. Br^
forderlich ist nichts woitor als eine «ronÜGrende Zahl :'.0 — 50 Cm. langer
Streifen alter grober Leinwand, dickgekochter Tischlerleim und biegsames
Bandeisen (FassreifenJ. Zunächst biegt man nach dem Umfange des Leibes
zwischen Darmbelnsohanfel nnd Rippenbi^n einen Reifen sareeht nnd schlägt
in jedes der ^nden ein Loch, um spätw den Reifen schliessen su Icönnen.
Dann wird an diesem Reifen eine vordere und eine hintere Schiene genietet
(Fig. (( und //), die der Form des Beines angebogen sind. Ist die Schiene
inreehtgebogen und genietet dann wird eine dQnne Schicht des LelmverlMUides
vom nntergepolsterten Rippenrande bis zn den Zehen angelegt. Die Gegend
vom Anus bleibt handbreit frei, so dass die hintere Schiene mit ihrem über
{las (iesäss verlaufenden Theil keine Unterlage des Leiiavcrbandos hat.
Dafür wird die Aussenseite und besonders der der Schenkelbeuge entspre-
chende Theil verst&rkt. Nnn wird die Schiene angeleimt und der Leibrlng
durch Draht geschlossen ; die in der Mitte der Vorder^ and Hinterflftehe
ng. IS.
des Beines verlaufenden Längsschienen erhalten durch die xweite Schiebt
des Leimverbandes ihre Befestigung. Während der Anlegung des Verbandes
muss das Bein in richtiger Stellung extendirt werden. Bis zur Erhärtung
des Verbandes, etwa 21 Stunden lang, wird ein Ziiirverband angelegt, dessen
Gewichte etwa doppelt so schwer als sonst genommen werden müssen, da
der LeiniTerband mit extendirt wird. Durch häufiges Wechsel der Unter-
lagen muss der Verband vor dem Nasswerden geschützt werden. Nach der
Erhärtung wird der Zug weggelassen, das Kind kann in die Höhe gehoben
und getragen werden.
Selbstverständlich ist grosse Sauberkeit nöthig; doch beeinträchtigt
ein geringes Aufweichen die Festigkeit des Verbandes nicht Uebrigens ist
das Reinhalten des Kindes nicht besonders schwierig, da y\ um den Anns
und die Genitalien hinreichender Raum frei bleibt. Sind Knöchel und Ferse
gut gepolstert, dann kann der V^erband während der ganzen Heiluugsdauer
liegen bleiben.
Der von HmscHnKui; ") beschriebene Noth- oder Transportverband bei
Knochenbrüchon der (iliedmassen wird aus Holztisclulecken hergestellt,
d. h. aus ienen kleinen Decken, die aus parallel aneinander befestigten,
L.i^u,^cci by Google
94
Frakturt'erblnd«. — Furfuranverbindungeii.
■treichbulz dicken Holzstäbchen bekleben. Hin suichei Deckchen schlägl man
fiber irgend eine Unterlage (Plaoell, Watte, Aermel, Hose n. e. w.) um dai
gebrochene Glied und befestigt es mit einem Faden oder Tuche, mit einer
pestärlsten oder ungestärkten Binile. Knochenvorsprön^en entsprechend
macht man in dem Deckchen Ausschnitte, und zwar in der Weise, das«
man vorher ein etwas grösseres Heftpflasterstöck aufklebt, welches nachher
einen gewissen Halt gewährt
Das zweite von HiKsniHKFtr, angegebene Verfahren soll ein Krsntz für
den Gypsverband sein und bestellt aus gestärkten Mulll)inden und Corset-
ledern. Diese mit Leinwand überzogenen Federn sind billig und in jedem
Kurzwaarengesehäft zn haben, sie schmiegen sich gut an nnd geben als
Verstärknngsschienen dem Verbände eine genügende Stütze. Als Unterlage
bei Knochenbrüchen dient Walte, sonst ein Tricotsclilauch oder ein Strumpf-
stQck. Knochenvorsprünge werden mit weichem Zunder geschQtxt. An der
Ferse und an den Knöcheln werden die Schienen entspreehend aasgebogen.
Will man die Kapsel durch Spalten abnehmbar machen, dann werden die
Ränder umsäumt und mit Händern versehen. Ein soleher Verband, bestehend
aus der Unterlage, aus 3—1 Bindengängen, den eingeschalteten Corsetfedern,
ist billig, leicht, federnd und haltbar. Die Verbände haben ihre Vorbilder
einerseits in der ScHNYDER'schen Schiene und anderseits in der Corset-
sohiene von Johnson*.
Das von Thilo '-i bei (lelenkhröchen «reüble Verfahren nimmt eine
Mittelstellung ein zwischen der alten Behandlung mit lange liegenden starren
Verliftnden und der Behandlung ohne Verbftnde. Bei Brilchen der unteren
(rliedmassen nuiss der Kranke mindestens eine Woche, womöglich zwei
Wochen lanjr das Bett hüten ; das Hein wird hoch ffel;i2:ert . ein Filz-
Druckverband stillt die Blutung, befördert das Aufsaugen des bere ts er-
gossenen Blutes und hält die Bruchtheile in richtiger Lage. Die Feststellung
des Oeienkes besorgt ein Schienenverband, den man am dritten oder ▼ierten
Tafro wechselt, während man gleichzeitiir passive Bewegungen vornimmt.
Allmäli^ preht man bei jedesmaligem Verbandwethsel zu Widerstands
bewegungen über, vermeidet so die Nachtheile dauernder Verbände und
gewinnt die Vortheile der Bewegungen, wUirend man auch den Gefahren
dieser (erneute Blutungen) ans dem Wege geht
Literatur: ') Elbookn. Dfr (;(hvt'r!>anfl und srin« Anwendung bei Brlii-hcn di-s rntcr-
und OborsflicnkclH. Traifer un d. Wücheu.-^cbr. ISltj, Nr. 3.'). 37, .38. — •) Koxkad IJi i>i.\uiin.
Ueber die atnbulatorisL-be Ik-handlmiff der Kracttinu <ivr ituti-nii Evtrcinitaten. Cr'ntralbl. f.
d. ges. Tberap. 109t», U. — *) LisBMAa« , B^haudluDg der Fracturen der oberen ExtreniiUt.
Zeitachr. f. prakt. Amte. 18^, Nr 2 irod 3. — *) Braats, Zur Bcliandhinfr der typisrhfn
Kadiu»Iractur. 25. Conpr. der (ii iitscbcn Gesellsch. f. Cliir. IS'.m; ; Hi ilatre zum CcutralUl. f.
Cbir. 1896, Nr. 31. — ') 8tok2, Zur Bebandlung der t^piitelieu liadiusürUebe. Ebenda. —
*) DtoPBfcs (Saint-Quentin), De l'application en cMnirfie dei sppareil« h baae de gnttapereba
perfectioTu's. Anii. prov. (!•■ cbir. II, pag. 171. — Stkikki. i Stabiiirzf l AliiTnitiinniscliitMn'ii.
Miinehf )HT uied. WiK'bfUhchr. l.S'.tG, Nr. 3'J. — ") LANDKKKit luid Kiii»i u (aus dcui uifilico-
Uli « li ihi-rlicn Institute in Stutt),'nrt) , Ib r Cclluloid-Mullverband, eine neue Verbandart. Cen-
tralblatt f. Cbir. läiHi, Nr. 29. — *) Havs (in Uladenbacb), Verband von Oberschenkelfraktareo,
besonders bei Kindern der ersten Ii«t>eo8|ahre. Zeitschr. t. prakt Aerste. 1896, Heft 16. —
C; HKNSKguiN, Etüde critiiine sur \v traitenieut auibulatnire. Revue d'ortbop. 181*7, 1. —
" > Hiut>( HiifcHo. Ein einfacber Noth- nnd einfaeber Uruckverband. Der ärztliche Praktiker.
Frankfurt a. M. 18'.»7, Nr. G. — '*) Oito Thilo, Zur lichandlunK der KniesclielbeiibrOelie.
All^r- med. Centralztg. 7. .Inli 18SI7. — Dr. Kikolk Frank, Einfaeber Apparat zum Anlegen
eines Verbandes obne A»sistenz bei KadiuHfrakturen. Wiener klin. Wuchenscbr. IS'.i:^, Nr. 1. —
*«) IimiuiAaK, Demonstration des FiAHK'Mben Appwratcs. Deatscber CbinurKen-C(>ngre!(.H. 181)7.
W ./z t, f .rfr.
Function, functionelle Anpassiuns^, vgl. Entwicklungs-
mechanik der Organismen, p&g. 75.
Furfuranverbindungen. Ais Furfuranverbindungen bezeichnet
man die Derivate desFurfuran (Furan, Tetrol), C4H4O, oder nach der
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1 urlurau\crbindungen.
95
Stracturrormel _ ^^/O, einer im ersten Destillate des Flchtenhols-
Iheers entbaltenen und aus der Brenssehlelmsäore (Pyromocins&ure, Fnr-
furancarbonsäure) durch Destillation mit Natronkalk zu erhaltenden benzol-
abnlichen Verbindung. Das bekannteste und das bisher allein pharmakologisch
geprüfte Furfuranderivat ist das Furfurol (Furo), Fucusol), der Aldehyd
des Furfurolalkohols und der Brenzscfaleims&ure, dem Laborde die epilepti-
fonoe Wirkung gewisser Brantwelnsorten snsehrieb. Zu den in den Eneydo-
pädischen JahrhOchem (IV, pag. 174) mitgetheilten Studien fiber die toxiko-
lojrischen Verhältnisse des Furfurols sind neue Studien von Joffroy und
Sbrveaux ') gekommen, welche dem Furfurol eine sehr energische Giftigkeit
vindieiren, da es bei Intravenöser Injection pro Kilo sdion sn 0,02 anf Hunde
und zu 0,14 auf Kaninchen letal wirkt Als Gift wirkt Furfurol in erster
Linie auf die Athmung, die es rapide verlangsamt und durch deren Still-
stand es auch den Tod herbeiführt, während der allerdings ebenfalls da-
durch verlangsamte und geschw&cbte Herzschlag noch S — 5 Minuten die
Athmung flberdauert Ausserdem werden enorme Temperatursenkungen (bei
günstigem Ausg:ang:e selbst zu (' , bei todtlichem bis iL'*) und schleimige
und blutige Diarrhoen als Folfcon intiavenösor und intramuarulärer Ein-
spritzung beobachtet. Die letztere kann auch zu subacuter Vergiftung, die
mit enormer Abmagerung einhergeht, fühlen.
Oh die epileptiformen Krämpfe gewisser Alkoholiker auf das Furfurol
zu bezieHen sind, erscheint nach Joffroy und Sehvfaux zweifelhaft, da nur
unreines , sich leicht schwärzendes Furfurol constant bei Vergiftungen zu
epileptischen Anfällen Ifihrt, während nach reinem Pnrfnrol swar auch Muskel-
suckungen, aber nur ausnahmsweise eplleptiforme Paroxysmen beobachtet
werden. Ob hier Methylfurfurol im Spiele ist, stobt dahin. Sicher aber ist,
dass einzelne Furfuranverbiiulungen sehr intensive Krampfgifte sind. Es gilt
dies besonders von Furfurin, einer aus Furfurol dargestellten Base, in
wddier Bacohbtti *) bwelts ein ausserordentlich heftig wirkendes, sur Gruppe
des Pilorotozlns gehörendes Hirnkrampfgift erkannte. Nach neueren Versuchen
von CüRCi *) und Modica ^) besitzt es dieselbe Action wie Amarin. nur ist
die Giftigkeit 15mal geringer. Im Harn tritt darnach Brenzweinsäure auf.
Nicht giftige Wirkung besitzt das dem Furfurin isomere Furfuramid, das
als nioht in Wasser löslicher Körper wahrscheinlich nicht im Darme als
solches resorbirt, vielmehr in kleinen, nicht toxisch wirkenden Mengen In
Furfurol verwandelt wird.
Literatur: ') A. Joffhov und K. Sehveaux, Mensuration de la toxicitO exptTiimnitaK'
et de la toxioit« vrai*- du furfurol ; symptomes de Tilitoxication aiguö par le furfurol. Arch.
de ni6d. exp<iriin. VIIl , 2 , pag. 196. — *) BAccHimt , Effetti di alconi alcaloidi artiticiali
neirorffanismo animale. II nnoro dmento. II, pag. 76. — *) Curci, Uieendie lannacologidie
snila st-ric furfuriiia. Teraii. inudcnia. IS'.tl. — *) Mohha, Kiccrche foriueologielie BOile
idramide, Farliirammida e larfariua. Annali di Cbiiii. Giugno, pag. 246. ffnt tm nnn
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G.
Gelidiiiiiilttel» Unter den modernen Gehelmmitteln ziehen neuer-
ding^B verschiedene Präparate, die zur Conservirun^ des Fleisches ia den
Handel gebracht werden, die Aufmerksamkeit der Hyg^ieniker in mehr als
gewöhnlichem Masse auf sich, weil sie zum grössten Thoil aus einem Salze
bestehen, das nach den neuesten pharmakologischen Untersuchungen zu den
giftigen gehört und selbst in Idelnen Dosen bei fortgesetster Zufobr den
thierischen Organismus zu schädigen vermag. Es handelt sich um Natrium -
Sulfit, das allerdings vor etwa 30 Jahren nicht allein als ungiftig Retrachtet
wurde, sondern geradezu die Grundlage einer auf längere Darreichung be-
reehneten Metbo^ war Vorbeugung und Verhtttting infectifiser Knuildieiten,
der sntifermentativen Metbode von Polli, bildete, dessen Giftigkeit aber
nach den Thierversuchen von Pfeiffeii ') und Kionka -) 'vero:!. den Artikel
Sulfite) nicht in Zweifel gezogen werden kann. Da die sulfithalti^en B'ieisch-
conservirungsmittel eine sehr verbreitete Anwendung bei Fleischern und
Wurstfabriksnten gefunden haben, weil sie, Indem sie dem Flelsehe eine
Ziegelrothe Färbung geben, das Orauwerden, das sich bei Hackfleisch schon
in einigren Stunden einstellt, lange hinausschieben, ist es jreboten. sich nicht
blos mit der Bestrafung der davon Gebrauch machenden Schlächter, Wurst-
fabriksnten und Garkflebenbesitser wegen Nabrungsmittel Verfälschung zu
begnügen, sondern ein directes Verbot dagegen zu erlassen. Es ist dies im
Interesse des Allgemeinwohls umsomehr geboten, weil mehrere der (ieheim-
mittel fast nur aus Natriumsulfit bestehen und weil, selbst wenn die Ge
brauchsaaweisuug richtig befolgt wird, das Fleisch mit hinreichenden Mengen
Natrinmsulfit imprignirt wird, um, wenigstens bei reichlicher FleisobfQttening,
chronische Vergiftung herbeizuführen. Die dies beweisenden Versuche Kionka's
sind umso concludenter, als das bei ihnen benutzte Präparat p,rossr Mengren
von Natriumsulfat neben Natriumsulfit enthielt und diverse Präparate fast
reines Natrinmsulfit darstellen. Auch das Braten und Kochen des prftser-
virten Fleisches beseitigt die Gefahr nicht, da sich auch nach Zubereitung
noch zwei l)rittel des Natriunisulfits im Fleische nachweisen lassen. Was
von den Natriumsulfit enthaltenden Gcheimmitteln gesagt ist, gilt auch
wohl fOr die calciumsulfithaltigen, bezüglich deren allerdings analoge Experi-
mente nicht vorliegen.
Vidi ili n lii>lii r uiitf rsm litrn rr;i-M rvt',s;ilz( ii riithaltcii <li>' iiiri-.ti ii nur X.itriiiiiisiilfit
und Natriuniäulfat ; einzelne auch Natrinmchiorid oder diebcs und Glaubersalz oder Borax, wie
s. B. du Cbia«-ErbaltQnfr»|»«lrer Uinerva auR der Fabrik für Erkaltnn^s-
prodiictr voll Loi is SiiM i.T in Ri-rlin. Fsst reini's N.itrium-^iilfit sind: E\<'elsior Flei.Hcli-
erha 1 1 u II > k r y s t a II VOM Ihaak Ooipberü in CismI iiiul Meat l'rt'scrvc C'rystal
von E. DiiKSKi. in Htrün, dodi >vtMlisfIt muh ditsis I'iiip.iiat. nnd t-in al^ Chronio.sat be-
scichnetes Präparat >zur Erhaltung der Warstfarbe für äcblackwnrst , nicUt für Kochwurst«
etthält w«it weniger NatriamsaltU. Das von Kioxka toxikologisch geprtlfte Oeheinuntttel iit
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Geheimmitte]. — Germol
97
M eat Pre se rve C I ys t :i 1 von Th. IlEYDRirn in Wittenber(?«\ Zu den v rrwaltend Natrium-
saUit enthaltenden trot-ktuen Präparaten schüren: Garnat von L. Zuttes in Berlin; Con-
serTirnnifssalz aas der cheniisohen Fabrik TOn Dr. G. LuTOBcni ft CSo. in Lefpstg;
Treaenit des Drogisten C. R. Wol» in Trenen und Meat Preserve Crystal von Ri i>oi.f
ScHHioT in Untemenbmnn in Thüringen. Manche PrilÄervirungspulvcr enthalten Natrium-
bisulfit, z.B. Phl odaritt (neneS'tes FkistlipräserA'epulver der Magdelinfger Conscrvesalz-
fabriJtj von Ad. DObbcu, Best Aastraliau and N ew 2ealand MeatPreserve von
L. Zurm (Beriin)« Meat Preserrepairer von E. Dnasn. (Berlin), Neuestes Fleiscfa-
p reservepnl ver von H. Schramm & Co ^Rcrliii). Neben den festen Prüserven find auch
Lüsiin;.'»!! von Xatrinmsulfit nnd N.itriuiiihisiillit iui Handel, z.B. P r e ser v a 1 i n e , Schutz
gegvn .Springniaden von L. Ziffku iHtrlin>, doppelt eoncent r ir t e » Sulfitnatron
von L. Zin-KB, Lakolin, Fleischerhalta ngsessens von £. Dresel und The lieal
Anstralian Meat Preserve von Th. Hktdhich & Co., Witteberge. Caleiumsulfitlösungen
.<4ind die als »Real Anstralian M e a t Pr c «e r v e« bezeichneten Pniduitc von Franz Hell-
wiu (Berlin), Dalvexoaoi. und KQvxia. (Berlin) und Locis Cahn (Hamborg), Obthmamm's
gleichnainiffra Prodaet, OonserTeessens ans Stuttgart nnd FleiseliconserTeflnldnin
von Dr. K Ki ulmans (Perlini. Di»- Priiparate haben die den Geheimmittehi anklebende
Eigenthunilichkeit . das» sie weit Uber den Marktpreis der BeHtandtheilo verkauft werden.
•So wird jrewühnlieb 1 Kilo des Meat Prcserve Crystal für 1 Mark verkauft, während reines
Natriuinsulfit 0,40 Mark das Kiloirrannn ko?«trt und die beijjementjten Salze noch bilÜKi r <inrl.
Aufmerksamkeit der Sanitätspolizei verdienen auch einige in neuerer
Zeit in den Handel gebrache Haarfärbemittel, insofern sie örtlich Haut-
afleetioneD henrorsnrufen im Stande sind. Seiion seit 1894 sind in Parle
Haarfärbemittel organischen Ursprunges im Handel, die für den Fabrikanten
den Vortheil haben, das.s sie für vt'K^rtabiliscbe Extracto ausgegeben werden
können. Die in Paris gebrauchten Präparate dieser Art, die unter den ver-
soliiedeneten Benennungen vericanft wurden, enthalten nach Frbhsb ') Diamine
(Metaphenylendiamin , Diamidophenol) und sind von doppelter Art, indem
die einen die Färbung ohne weiteren Zusatz, die anderen diese erst nach
Zusatz einer in einer zweiten Flasche beigegebenen Wasserstoffsuperoxyd-
lösung hervortreten iMsen. In Deutschland wird Phenylendiaminlösung unter
dem Namen Jnvenia und Nusseztraet vertrieben (vei^L unter Phenylen*
diamin). *)
Literatur: ') Pruvrsa, Zar Kenntniss der giftigen Wirkung der schwefligen Säure
nnd Ihrer Salw. Areb. f. experfm. Patb. 1890, XXVII, pa^r. 261. — >) Kiokka, Uebcr die
Olltwirkun;,' der schweflijfen .Säure und ihrer Salze und deren Zuläsüigkeit in Nahrungs-
mitteln. Zeit«cbr. f. Hygiene. 1896, XXII, pag. 351. — *) Fbehsk, ^'ouveUes teiotures pour
cheranx. Jenm. de pharm. 15. Januar 1896, pag. 59. — '*) Pdfis, Ueber Paraphcoylendiamfai»
▼erglltang. Zeltschr. t geriobtl. Med. 1896» Snpplem., pay. 117. iriu«m«mi.
Geosoty Guajacolum valerianicum, Isovaleriansäureguajacylester;
5Hge Flüssigkeit von 1037 spec. Gewicht, löslich in Alkohol und Aother.
Siedepunkt 266° C, von sOsslicb-räucherigem Geruch und Ueschmack. Wird
Iwi Bedeckung mit Perehapapier von der Haut rasch resorbirt In|eetionen
von 1 — 2 Grm. Geosot unter die Haut erzeugten vorübergehendes Brennen.
Allpremelnerschoinungen traten nicht auf. Der Magen wird selbst naeh
monateiangem Gebrauch nicht belästigt. Rieck beobachtete nur einmal bei
vorheriger gasiger Auftreibung des Magens nach einer halben Stunde Auf-
stoasen mit dem charakteristisehen Gerüche des Kreosots ; an sich bemerkte
er nach einer Dosis von 1,0 eine leichte Vermehrung der Speichelabsonde-
rung und eine Erhöhung der Radialispulsweile, ohne bemerkbare Erhöhung
der Frequenz. Rieck versuchte das Mittel zur Desinfection des Verdauungs-
canales bei Magen- und Darmkatarrhen, ferner l»ei Chlorose und Tuberku-
lose ia Gaben von 0,6 — 1,8 tftglidi in Form von Kapseln von 0,2.
Literatur: Rieck, VoiUtuBveB Ober Oeo«ot (Ousjacolum yaterianienin, Wbuvt). Deutsche
Med.-Ztg. 1896, Nr. 103. Loebisch.
Germol* Bezeichnung eines als Desinfectionsmittel neuerdings in
den Handel gekommenen Theerprodactes , das von der englischen Firma
Read Holliday & Sons (Huddesfleld) hergestellt und auch in Deutachland
eingelilhrt wurden Bs soU relativ ungiftig, ohne fttsende Beschaffenheit
98
Germol. — Glutol.
sein, giebt mit Wasser in jeder Verdünnung eine haltbare Bmnlalon, ist In
Alkohol klar löslich. Wegen seiner Rillipfkeit soll ps sich ganz bosonders
für den allgemeinen Gebrauch zur Grossdesinfection , zur Herstellung: anti-
septischer Seifen, zum Besprengen von Gruben, Closets, zur Desinfectiun
von Ställen n. dergL eignen. a. e.
Gewerbehygiene, s. Arbeitertiygiene, pag. 25.
GIcllt durch Bleiintoxication, s. Bleigicht, pag. 50.
Glandulen, ein aus den Bronchialdrüsen von frisch geschlachteten
Hammeln von Dr. Hofhann^b Naehfolger in Meerane (Sachsen) dargestelltes
organotherapeutisches Präparat, welches gegen Lungentuberkulose empfohlen
wird Zur Hegrundunff dieser Empfehlung dient die F>wägung, dass der
menschliche Organismus, der durch die in den Bronchialdrüsen enthaltenen
wirksamen Stoffe unter normalen VerbUtnissen im Stande Ist, die in ihn
eingedrungenen Bacillen nnsch&dUch an machen und nur dann erkrankt,
wenn bei einer zu massenhaften ndor zu anhaltenden Invasion dieso Stoffe
nicht ausreichen, durch die künstliche Zufuhr dieser in seiner natürlichen
Heiiungsbestrebung unterstützt wird. Da beim Kalb unzweifelhafte Falle
von eongenitsJer Tuberkulose beobachtet sind, beim Schaf die Tuberkulose
sehr selten ist, 80 wurden die BronchlaldrQsen des letsteren sur Herstellnng
des Glandulens verwendet.
Den Irisch geschlachteten Hamuiebi werden unter tbierärztlicher Anlsicbt und nnter
•ntlieptlflelien Cantelen dl« BronchialdrOieii entnomnien, gerelidffc and Ivieht mit Alkohol
abp^spült. Sie werden soflann, nm ein späteres lvanzi},'werden der I'riiparate zu verhüten,
.s*ir;,'fällit,' vom Fette befreit und unter Vermeidunj,' von Saftverlnst zerkleinert. Nach Trock-
nuti); im Vacnniu bei niederer Temperatur werden sie pulv('i'i>irt und mit Hilehzucker in
solcher Quantität ▼ennischt zu Tabletten conprimirt, data jede Tablette von 0,20 Gewicht
0.25 Irieeher DrOsenrabitaiii entepricht Das Mittel wird per ob gereieht.
Dosirung: dmal tftgUok 1 Tablette, ieden dritten Tag um B Tabletten
steigend, bis sur Dosis von Smal 5 Tabletten tftglicb und mit dieser Dosis
fortzufahren.
Literatur: IlomiANM, lleilnug der Tuberkulose durch Giandulen, ein spccilisch
wiricendes Mittel der Organotberapie. Broflebflie der Fabriii Dr. HoniAim'a Nachfolger in
Meerane (Sach!*en). Lofhi-ich.
Glutol) ein durch Einwirkung von Formalindfimijfen auf in Wasser
gelöste Gelatine von C. L. Schleich dargestelltes Product. IJas Glutol be-
sitzt nicht mehr die Eigenschaften des Leims, sondern stellt einen resi-
stenten, steinharten, klar durchsichtigen Körper dar, wacher weder durch
trockene, noch durch feuchte Hitie gelöst wird, in S&uren und Alkalien
unverändert bleibt . In der Hitze wird die starr-elastische Masse immerbin
etwas dehnbar, erstarrt aber wieder in der Kälte. Das Glutol erscheint in
zwei Farmen In dem Handel, entweder als gröbliches, weisses Pulver oder
geraspelt in Gestalt feiner Partikelchen. Das Glutol ist in Wasser beim
Erhitzen unter Druck (im Dampf) löslich ; die Losung gelatinirt beim Er-
kalten. Nach Schleich besitzt das lebende Gewebe die Eigenschaft , aus
dem Glutol (Formalingelatin) bei Abspaltung der resorbirbaren Gelatine
das frQher daran gebundene Formaldehyd frelsumaehen und in dieser Weise
eine antiseptiscbe Wirkung zu entfalten. Hierdurch kann das Glutol prim&r
genfthte Wunden in kürzester Zeit zu nicht mehr inficirbaren Schorfen ver^
härten. Die Formuldehydgelatine hemmt insbesondere auch mit Sicher-
heit aeate purulente Processe, sofern nach Ineision und Äu^nlverung die
Qewe])s|)roduetion und Formalindampfentwicklung ungestört von statten
geht, tiei Anwesenheit reichlichen nekrotischen ^fnterinls kann die Zell-
thätigkeit durch Pepsinsal/säureverdauung unterstützt werden, um diese
hervorzurufen, befeuchtet man das die Wunde bedeckende Palver mit einer
by^igeny durch 0,3% Salsa&ure angesäuerten Pepsinlösung. Ist hei infioirten
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Glutol. — Guajacetin.
99
oder eiternden Wunden keine Nekrose vorhanden, so erfolgt durch Glutol,
besonders in lockerer, geraspelter Form, eine sehr schnelle Begrenzung der
Bfterang und eine leiebte LSbud; der inactiven Gewebatheile. B. Saalfbld
fand es bei Acne necrOflltAns und multipler Abscessbildung eines Diabetikers
wirksam. Nach WKYi.ANn wirkt Pankreasferment auf Formaldehydgelatine
weit stärker ein als Pepsin ; er benutzte dieses Verhalten der Formaldehyd-
gelatiM Ml d«ii Verdaiiiii^rermeiiteB snr HersteHmig Ton Dflandarmkapaeln
ans Pormaldehydgelatine (Olutold), welche nach den Versnclien von Sahu
der Verdauung des lebenden llagena Widerstand leisten und nar im Darme
zur Losung gelangen.
Literatur: C. L. 8chlki( h , Ucber eine neue Methode der Wundbehandlung.'. Therap.
Honatsh. 1896, pa^. 27. — C. L. Schlkich, Ueber eine neue Form antiseptiseher Wundbe-
bandlang. Ebenda, pag. 57. — C. L. .Si hlbich, Srwidemog: anf die Bemerkung der Herren
Prof. Dr. CT.AS8SN und LOb. Ebend.n. p;i;r- 298. — Edm. Saalfeu}, Zar Anwendnngr des Gla-
tols. Ebcnd;i, p:i}.'- C31. — .1. Wkvi.ano , I'cIm i- Furinaliiii^t hitine und dio Verwendung,' der-
selben zur Uersttdlung von DUuudarmkapsvlu. Ebenda, pag. 180. — Sahli, Deutsch« med.
Woebenaehr. 1897, Nr. 1. — E. Usbce, Berieht Uber du Jahr 1896. Loeblaeb
Gvaetlioly BrenzkatecbiDmono&tbylfttfaer, ist die dem Gnajakol (Brens*
kateehinmonomethylätherl entsprechende Aetbylverbindung und soll naeh
V. Mbring in allen P'ällen. in denen Guajakol angezeigt ist, besser als dieses
wirken. Es stellt eine ölige Flüssigkeit dar, die bei 215° C. siedet und in
der K&ite bu btrblosen Kry stallen erstarrt, welche bei 26 — 28° C. schmelzen.
Das Präparat Ist In Alkohol und Aetber ISslieb. Hau verordnet es in Bln-
leldoeen von 04 — 0,25; in Tagesdosen von 1,0, in Gelatinekapseln oder
alkoholischen Mixturen : aus.serlich kann es wie üuaiakol in täglichen Gaben
von 1,0 — 2,0 auf die Haut eingepinselt werden.
Literatur : E. Mncs, Beriebt Uber da« Jabr 1896. Loebtaeh.
OCH COOH
GuaJaceUn, ^'t>H,<^Qjj * , Brenzkatechinmonoacet-
säure, wird durch Einführung der Tarboxylgruppe in die Metbylgruppe des
Quajakols erhalten. Das Mittel, ein geschmackloses Pulver, wurde von
J. StraüSS anf der Abtbeilungr des Prof. v. Noordbh in Frankfurt a. M. bei
70 Phtbisikern aus allen Stadien der Krankheit versucht und in Gaben von
0,5 Grm. in Oblaten mehrmals täglich gegel)en. Ks sollte fostpestellt werden,
ob die Nebenwirkungen des Guaiacetins geringer sind als die des Kreosots
und Guajakolcarbonats und der Vergleich fiel zu Gunsten des Guaiacetins
ans. Unter den oben erwähnten 70 Patienten traten nnr bei 2 eine Magen-
und Darmstdrung auf, welche auf die Anwendung des Guajaeetins zurück-
zuführen waren. Bei einem Lungenkranken traten am vierten Tage der
Guaiacetinbehandlung Kopfschmerz, Schwindel und auffallendes Schwäche-
gefOhl ein, welche erst, als am nennten Tage das Mittel ansgesetst wurde,
zurücktraten. Einem Urthcile fiber die Heilkraft des Mittels bei Lungen-
tuberkulose entzieht sich Strai ss mit dem Ausspruch, dass man die Heil-
kraft einer der Substanzen, Kreosot, (jua|akol, Guajakolcarbonat, Guajacetin,
nnmSglich betonen kann, ohne die der anderen mit einzuschliessen.
Lltttraturt J. Straoss, Ueber die Anwendung ron Gnajacetin bei Lnngentnbericalwe.
Centnlbl. f. innere Ued. 1896, Nr. 2a. Loebiaet.
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H.
HaarlttrbeiiilUely s. Geheimmittel» pag. 68.
Barn. Wir haben achon im vorigen Jahre (a. Bneyelopid. Jahrb.
VI, paer- 238) über die Arbeiten A. v. Koran yi's berichtet, welche dahin
zielen, don Oefriprpunkt des Harnes, sowie auch den Gohalt desselben an
Chiornatrium , sowie diese beiden Eigenschaften des Blutes zur Diagnose
▼OB Hers- und Nierenkrankbeiten an verwerthen. Der Gefrierpunkt dea
normalen Blutes ist — 0,56^, sein Gebalt an CINa schwankt zwischen
0,58 — 0,G0" V Ks ist bekannt, dass es NIerenkrankheifon giebt, bei denen
der Harn keinerlei pathologische EigenthQmlichkeiten zeigt, anderer-
aeits findet man häufig abnormen Harn, in welchem Biter oder Blut ent-
halten iat, wo man kaum entaohelden kann, ob diea infolge einer Krank-
heit der Nieren sei, oder ob dies einer Krankheit der harnfQhrenden Wege
zuzuschreiben ist. Bei Stellung' der Indication für Nierenoperationen ist ea
ausserordentlich wichtig zu wissen, ob die Niere in functioneller Beziehung
noch ▼ollkommen geeund iat oder nicht. Um der Lösung dieaer Fragen
durch die eingangs erwähnten physikalischen und chemischen Methoden
so erninrrlirhen, stützt sieb v. Kokaxyi^' auf folprenden Gedankeng-ang ; Der
Stoffwechsel der Organismen ist ein Process, in welchem complicirtc, grosse
Energie besitzende, aus grossen MolecQlen bestehende Verbindungen in ein-
fache, keine Energie ▼ertretende, aua kieinen MoiecDlen beatehende Ver-
bindungen zerfallen. Während dieses Zerfalles wird die Energie frei, welche
die Quelle der Lebonserscbeinuogen bildet. Die Zerstückelung der grossen
Molecüle bezweckt im Organismus, dass in dessen Säften die Zahl der
gelösten MolecQle steh fortwährend ▼ermehrt Den Ueberschnss der aua dem
Stoffwechsel entstehenden Molecüle entleert die Niere. Dieser Thätigkeit
der Nieren ist es zuzuschreiben, dass der Molecülgehalt der Säfte des
Organismus, trotz des die MolecCUe fortwährend vermehrenden Stoffwechsels,
stabii ist. Daraus ist schon in ersehen, was geschehen mnss, wenn die
Thätigkeit der Nieren sich vermindert: Die moleoulare Dinrese wird geringer.
Infol£r(> dessen niuss im Organismus eine Anhäufung von festen ^folecuien
entstehen; wenn es also möglich ist, die Vermehrung der Zahl der Mole-
cüle zu bestimmen, ist der Schlüssel der Frage gefunden, ob die Function
einer Niere im gegebenen Falle genfigend aei oder nicht. Zur Bestimmung
des Moleculgehaltes der Säfte ist die Bestimmung des Gefrier-
punktes nöthig. Das Resultat der rntersuohunjr ist f(»lgende8: Wenn die
Niere genügend functionirt, ist der Gefrierpunkt des Blutes — 0,56'^. Ist
dies nicht der Fall schwankt derselbe swiaohen — 0,5ö — 0,72*. Die Frage
iat nun, ob es nicht einen anderen pathologischen Zustand giebt ausaer
* • «
L.iyu,^cd by Goog
Harn.
101
NiereniDsufficienz, welcher den Gefrierpunkt des Blutes verändert, das ist
der verringerte Sauerstoifgebalt des Blutes, der jedoch von der Nieren-
iaftttflleienz leiehtsn unteraeheiden ist Bin dietbesfiglieher Sats lautet: Der
Gefrierpunkt des Blntes ist nur so lange normal, so lange dasselbe die
normale Menßre Sauerstoff enthält. Mit dem Sinken des 0- Gehaltes steiget
der Gefrierpunkt. Ein Umstand ist noch zu erwähnen. Die Nierenkrank-
helten gehen oft mit grösserer Animie einher. Der Oefrlerpnnkt des aoiml-
sehen Blotes ist etwas geringer als der des normalen. So kamt es vor-
kommen, dass selbst bei compensitten Nierenaffectionen bei grosser Anämie
<ler Gefrierpunkt unter dem normalen bleibt, den normalen nur bei geringer
Incompensation erreicht. Dies muss in Berechnung gezogen werden, v. KorAnyi
glaubt, dass ein abnormer Oefrlerpnnkt des Blntes (dessen Omnd nieht in
Cyanose zu suchen ist) eine absolute Contraindication für jedwede Nierenope-
ration sei. Die Untersuchung: des Blutes und dessen Qefrierpunktes ist von
grosser Bedeutung bei fieberhaften Erkrankungen.
Was den Gefrierpunkt und ClNa-Gehalt des Harnes betrifft, so sind
die Resultate folgende : Die Methode erlaubt, eine sebarfe Orense zwischen
f ompensirton und nicht compensirten Herzfehlern zu ziphen. Wenn sich die
Geschwindigkeit des Blutsiromes vermindert, wird die Entleerung der NaCl-
MolecQle viel rascher abfallen, als die der übrigen Moleeflle. Der Bruch,
dessen ZlUiler der Gefrierpunkt des Harnes, dessen Nenner der ClNa-Gehalt
ist, wird grosser. Die Grenzen dieses Bruches sind beim normalen ^fenschen
1,30 — 1.70. Bei den ersten klinischen ErscbeiouDgen einer Incompensation
tritt schon eine Erhöhung ein (über 1,70), ja sogar auch bei vollkommener
Compensation, wenn der Patient eine etwas grössere Arbeit leistet. Bs ist
bekannt, dass bei fieberhaften Erkrankungen (mit Ausnahme von Malaria)
der Gl Na Gehalt des Harnes sinkt Bisher konnto iedoch nicht bestimmt
werden, wo der abnorm grosse oder abnorm kleine ClNa-Gehalt beginne.
Die Methode v. KORAinri's zeigt genau die Grenze der Verminderung und
aneh Vermehrung. Wo man bei fieberhaften Erkrankungen findet, dass bei
Division des Gefrierpunktes durch den CINn Gebalt des Harnes der Quotient
grösser als 1,70 ist, dort ist der ClNa-Gehalt des Harnes geringer als
normal. Bei diesem Befund kann die Krankheit alles andere sein, nur nicht
Malaria, im entgegengesetsten Falle ist die Krankheit nur Malaria.
Nach PoEHL >") lässt sich der Immunitätszustand des Organismus, der
im Wesentlichen von der Intraorganoxydation abhäniEct. mit Hilfe von Harn-
coelficienten ermitteln, welche durch die klinische Harnanalyse erhalten
werden. So bedingt z. B. die herabgesetzte Intraorganozydation eine An-
b&nfung von Produeten der regressiven Metamorphose im Blute (Auto-
intoxication) . welche zur Infoction prädisponirt , während (rloichzeitip: die
Harncoefficienten Alnveichun(ren der Uarmgährung. der Biutalkalesrenz. eine
Herabsetzung der Energie des Oxydationsprocesses anzeigen. Es möge hier
genflgen, auf die besflgliehen Studien Pöhlas hingewiesen zu haben.
Die S&ureausfuhr im menschlichen Harn unter physiologischen
Bedingungen untersuchte V. Hai'.ssmann mittels der von Likulein modi-
licirten FKBUKD schen Methode der Bestimmung des zweifachsauren Phosphates.
Er gelangte sn dem Resultate, dass die absoluten Sfturewerthe am Vor-
mittag am grOssten, am Nachmittag gewöhnlich niedrig sind; in der Nacht
hatten sie eine mittlere Höhe inne. Die Mittagsmabizeit. unbeeinflu.sst von
der Flüssigkeitsaufnahme, setzt die Säurewj'rthe in dem Harne in den
nächsten 4 — 6 Stunden herab. Die Diurese setzt die relativen Säurewerthe
im Harn herab, vermehrt aber indirect die SAnreausfuhr in bedeutendem
Masse. Eine zu geringe DurchspQlung hält umgekehrt Säure im Körper
zurück. Warme Bäder von .30— 32o scheinen die S&ureausfuhr zu verringern;
Maskelarbeit scheint sie zu erhöben.
L.i^u,^cci by Google
102
Harn.
E. Haupt legte sich die Frage vor, ob und in welcher Weise orga-
niaelie Baseo, s. B. Lysidln und Piperazln, die Reaktion des Urins und sefne
LSsailgsf&higkeit für Uarosinre' beeinflussen. Da eine exade, quantitative Be-
stimmung im Uiin auf grosse Schwierigkeiten stosst, schlug Haupt einen
anderen Weg ein , ausgehend von der Erwägung, dass jede Spaltung der
Basen zum Freiwerden von Ammoniak und daher unter Kohlensäureauf-
nahme snr Harnstofiblldanir fOhren mOsse, die Reaetioo des Urins nicht be»
einflussend. Würde aber die organische Base unzersetzt durchgehen, so
rausste dasselbe passiren. was bei Plinfuhr anorganischer Basen, Natr. hicarb.
z. B., erfolgt, nämlich eine Alkaiescenzvermebrung des Urins. Haui'T nahm
deshalb die Messung der Aeidit&t des Urins vor bei Gebrauch der Basen
und bediente sich der FnEUNO-LiBBLEiN'schen Methode, welche das Verh&itniss
der Diphosphate zur Gesammt P., Oj, bestimmt Jede Aenderung der Reaction
des Urins muss auch zur Verschiebung dieses Verhältnisses fuhren. Es
zeigte sich so, dass die Reaction des Urins nach Oenuss organischer Basen
geoaa diesdbe Verftndemng: seltne wie na^ Einfuhr der entsprechenden
Menge von Natr. hicarb., dass also die Basen unzersetzt in den Urin über-
gehen. Die Harnsäurelösungsfähigkeit des so erhaltenen Urins ist vergrossert,
scheint aber nur von der vergrösserten Alkalescenz, nicht von einer directen
Pnnction der nnsersetst ausgebliebenen Base abhängig sn sein.
lieber .\ mmoniaknuss oh eidung bei Gastroenteritis im Säuglings-
alter berichtet ARTnim Keller, ') Bei leichten Dyspepsien fanden sich im
Verhältniss zum Gesammt-N 3 — 9^0 Ammoniak N, bei schweren Dyspepsien
bis zu 30Voi bei Gastroenteritis bis zu 40, 45°/o- Wenn nun auch im einselnen
Falle mit der Besserung oder Verschlechterung de« Zustandes der Patienten
ein Abfallen oder Ansteigen der Procentzahlen fOr die Ammoniakaussrheidung
fast parallel geht, so darf man doch auch diesen Harnuntersuchungen allein
nicht die Prognose des Falles stellen. Denn nicht in allen Fällen von Dys-
pepsie oder Gastroenteritis, nicht einmal in allen schweren Pftllen findet
sich die Ammonlakansseheidung im Harn vermehrt. Nach dem dermaligen
Stande unserer Kenntnisse wird man eine vermehrte Aramoniakausscheidung
zunächst auf eine Säureintoxication zu beziehen geneigt sein. Keller betont
nun, dass man auch den Zustand der Leber und ihre Functionsf&higkeit
dabei berüoksiebtigen müssen wird. Bs ist dodi bekannt, dass die Leber snr
Blutalkalescenz und Säureintoxication in Beziehung steht. Es würden damit die
Befunde von Leberdegeneration bei Gastroenteritis, wie sie Thiemicm mltge-
tbeilt hat, und die Obductiunsbelunde bei den vom V erfasser untersuchten
Fiilen fibereinstimmen. Bs sind allerdings nur 8 Fälle, die zur Obduotion
kamen, aber in diesen Fällen zeigte sich die Uebereinstimmung zwischen
den Urinuntersuchungen des Verfassers und den Obductionsbofunden : die
Lebererkrankung war um so schwerer, je höber die Zahlen waren, die er
ffir das Verh&itniss s wischen Ammoniak- N zum Gesammt^N in den betreffen-
den Fftllen intra vitam constatirt hatte, und in dem Falle von Gastroenteritis,
wo Verfasser normale Ammonlakaussdieldung fand, fehlte auch die Leber-
degeneration.
Aus Versuchen, welche Franz Hufmeistek*) zur Lösung der Frage über
die Bildung des Harnstoffes ansfOhrte, geht hervor, dass durch die
Oxydation von kohlenstoffhaltigem Material in Gegenwart von freiem Am-
moniak Harnstoff entstehen kann. Die zu unterscheidenden Substan7Pn
wurden in einer Lösung, die reichlich Ammonsulfat und freies Ammoniak
enthielt, durch Kaliumpermanganat oxydirt, wobei darauf geachtet wurde,
dass die Temperatur 40* nicht flberstleg. Bei einer a^r grossen Reihe von
Körpern, theils stickstoffhaltigen, theils X freien, fand sich im Oxydations-
product Harnstoff, manchmal wohl recht wonig. manchmal relativ viel. So
lieferten lU Grm. ülykukull 3 Grm. llarnstof fnitrat ; 10 Grm. Oxaminsäure
uiym^L-ü Ly Google
Harn.
103
nur 0.7 Grra. ; 20 Grm. Weinsäure ebensoviel; 5 Grtn. Leucin U,2 Grm,;
3'J Grm. reines Eieralbumin 2 0 Grm. Von stickstoffhaltigen Körpern er-
wiesen sieh von den nntersnehten KOrpern als sar Harostoffsjnathese geel(n>ot:
Aethylamln, Aeetonitril, Acetamid, Ozamid, Succinamid, von den stickstoff-
freien Substanzen ; Formaldebyd, Ameisensäure, Kohlensäure. Aethylalkohol,
Acetaldehyd, Essigsäure, Qiyoxyls&ure, Glyoxal, Oxalsäure, Propionsäure,
Malonsftnre, Glycerin, Bntteraäure, BernsteinsftDre, Traabensneker. Zu den
harnstoffliefernden Körpern gehören bestimmte Methanderivate : Cyan- und
Rhodanverbindungen, Formamid und Methylalkobol, sämmtliche .Aniidosäuren
einschliesslich der Proteinstoffe, sämmtliche Oxysäuren der Fettreihe, Glykol,
Aceton, Oxaminsäure, welche letztere auch ohne Gegenwart von freiem
Ammoniak Harnstoff su bilden im Stande Ist, da ^e anniliemd der Reaetion
theilweise in ozalsanres Ammoniak flbergeht. Es ist auffallend, dass bei
der V^erbrennan]? im Thierkörper gerade so wie im Oxydationsversuch
manche Körper keinen Harnstoff liefern, auch trotz naher chemischer Ver-
wandtseliaft mit demselben, z. B. Oiamid und Acetamid. Zum Sohlnsse
wendet sich Verfasser noch gegen die HoppB-SBYLBR'sehe »Cyansäuretheorie«.
Es g^elang ihm nämlich nicht, nach einem sorp:fä!tigen Verfahren Cyansäure
aus Hundelebern zu extrahiren, was doch miiglich sein müsste, wenn dieser
Körper wirklich Bildungsmaterial für den Harnstoff darsteilen würde und
ausserdem lassen sieh bei einem mit Ammoniak vergifteten Hönde die Krank-
heitserscheinungen dnrch Verabreichung von cyansaurem Natron nicht zum
Verschwinden bringen, was man doch erwarten müsste, wenn die Entf^iftung
des im Stoffwechsel gebildeten Ammoniaks tbatsächiicb durch die ebenfalls
auftretende Cyansäure erfolir«» wflrde.
Als Abschluss ihrer Versuche über die Eck' sehe Fistel und die
Harnstoffbildiins: der Säuo:ethiere (s. Encyclopäd. .Jahrb. IV) theilen
Nencki, P.vwlu und Zaleski die Ergebnisse der in Blut und Organen
ausgeführten AmmoniakbestimmuDgen mit, die zu folgenden wichtigen Re-
sultaten fahren: das Arterienblut fleisebgefQtterter Hunde hat einen con-
stanten Ammoniakgehalt von circa Mgrm. pro 100 Grm. Der Ammoniak-
gehalt des Pfortaderblutes ist bedeutend hoher als der des Arterienblutes
und der der Lebervene und schwankt zwischen — 8,4 Mgrm. pro 100 Grm.,
woraus folget, dass das aus dem Darmcanal der Leber zugefflhrte Ammoniak
in der letzteren zurückgehallen, respective in Harnstoff umgewandelt wird.
Den höchsten Ammoniakgehalt wrisen die einzelnen Aestc der Pfortader auf,
die aus dem Verdauungscanal stammen, während das Milzvenenblut einen
niedrigeren Gebalt aufweist. Durch Versuche des Prof. Cybdlri in Krakau mit
dem von ihm eonstnilrten Apparate wurde die Geschwindigkeit des Pfortader-
blutstromcs gemessen und es ergab sich daraus, dass hei einem etwa in Kg^rm.
schweren Hunde aus dem Darm circa 4.7 (irm. NH, durch die Leber gehen
(in zehn Stunden;. Dieses Ammoniak stammt aus der Zersetzung des Darm-
Inbaltes und aus den chemischen Umsetzungen der Eiweisskörper in der
Schleimhaut, besonders des Magens während der Secretion. Die Frage der
Harnstüffbildung in der Leber ist durch die Untersuchungen der Verfasser
an Hunden mit EcK'scher Fistel nunmehr eudgiltig entschieden. Bekanntlich
ergalien die früheren Versuche derselben, dass nach Anlegung der EcK'sehen
Fistel die Carbarainsiarever^ftunf erst dann auftritt« wenn man die operirten
Thiere mit Fleisch füttert. Sie schlössen daraus, dass die Leber im Stande
ist. Jen Organismus vor der X'ergifturp: mit dem aus dem Digestionstract
kommenden Ammoniak zu schützen ; und ibatsücblich hat das arterielle Blut
der Tblere mit EcK*seher Fistel einen Ammoniakfehalt, der dem in der
Pfortader beim gesunden Thiere gleichkommt. Nachdem v. Schröder und
Salomon nachgewiesen haben, dass Muskel und Niere, welche ebenfalls hohen
Ammoniakgehalt zeigen, Harnstoff zu bilden nicht im Stande sind, so er-
Digitizeu l> ^oogle
104
Harn.
scheint durch den Nachweis des hohen Ammoniakg-ehaltes des Pfortader-
blutes und der Verminderung des Harnstoffes im Harn nach £x»tirpation
der Leber, die hamstoffbfldende Function der Leber aicher erwiesen; bei
allen Venenfistelhunden tritt Carbamiasäurevergiftung auf nnd eine Com-
pensation der Leberfunction durch andere Organe bleibt aus. Die Verfasser
fanden auch, dass die Organe der Thiere während der FQtteruog einen
höheren Ammoniakgehalt zeigen; sie schUessen hieraus, dass in denselben
aas Biweiss Ammoniak gebildet wird, welches sum grOssten TheUe Im
weiteren Verlaof in der Lober die Umwandlung zu Harnstoff erfährt.
T'eber den zeitlichen Ablauf der Stickstoffausscheidung nach
einer Mahlzeit hat Tschlexoff '7 Selbstversuche ausgeführt, die als neues
Resultat ergaben, dass die Cnnre dieser Ansscheidung zwei Gipfel zeigt, von
denen der erstere kleinere in der 2. — 4., der zweite grossere in der 6. bis
7. Stunde nach der Mahlzeit liojjt. Kr fuhrt das schnelle Anstoipen der
Gurve in den ersten Stunden auf die Resorption der Nahrung vom Magen
aus zurück, w&hrend der darauffolgende Abfäll der Curve auf die Verdauung
des Chymus im Darm nnd der zweite grössere Cnrvenanstieg auf die Re-
sorption vom Darm aus hinweisen wurde. Um diese Deufnng zu prüfen, hat
er noch Versuche mit Pepton angestellt, das ja keine besondere Verdauung
mehr von Seiten des Magens bedarf und hier zuigte in der Tbat die Curve
ein sehr schnelles Ansteigen in der 1. nnd 2. Stunde, wfthrend der zweite
Gipfel ganz fortfiel. Der erste Theil der Cnnre Ist also als Magenresorptions-
curre aufzufassen. Bei l'ntersuc'biiii<2: eines carclnomverdächtifron Patienten
war an der Ausscheidungscurve des Harnstoffes deutlich erkennbar, dass
hier eine betrlehtliche Störung der Resorption von Seite des Magens vor-
handen. TscBLBNOPF ist daher der Ansieht, dass bei Magenkranken eine
stundliche Bestimmung' des Harnst ickstoffes nach Fleisch- oder Peptongennss
unter rnistünden diagnostischen Werth baben dürfte.
Nach den Untersuchungen von Alfred K. Allen 'j wird bei der Be-
stimmung des Harnstoffes mit nnterbromigsaurem Natron durch
Zusatz von Kaliumcyanat zur Hamstofflosung, die Ausbeute an Stickstoff
sehr wesentlich fjcsteipert. Setzt man nämlich zur verdünnten Harnstoff-
iösung erst Cyanat und concentrirte Natronlauge hinzu und lässt hierauf
Bromlösung langsam einfliessen, so erhält man 99,8 — lOOVo geforderten
Stickstoffmengen. Auf Gmnd dieses Verhaltens wendet Allen nachstehendes
Verfahren auf den Harn an. 5 Ccm. 'Ics zu unter.suohetiileii Harns werden
im Entwicklun<;sgefäss mit ().25ü (irm. Kaliumcyanat und nach erfolgrter
Auflösung mit 2b Ccm. einer 40*'/oigen Natronlauge versetzt, dann nach
Verbindung des Gefässes mit dem Nitrometer mittels Seheidetrichters all-
mälig mit Bromlösiing (2 Grm. Brom in 16 Ccm. einer üQ'/^lgen Brcmkalium-
lösunp^i zusammengebracht und das entwickelte Gas gemessen. Die Stick-
stoffentwicklung tritt sofort ein und ist gewöhnlich beendet, sobald die
H&lfte der Bromlösang zugesetzt Ist.
Bei der Anstellung der Zuckerreaction mit Phenylhydrazin tritt häufig
auch in zuckerfreien Harnen ein kryst alIinisch<M- Niederschlas; auf. dessen
Natur bis jetzt noch nicht mit Sicheiheit erkannt ist. Doch gelang es
M. Jaff£ ") aus dem Haru eines mit Fleisch gelütterten Kindes eine reich-
liche Menge eines gelben, in breiten rhombischen und sechsseitigen Bl&ttchen
nnd Tafeln krystallisirenden Niederschlages zu Isoiiren. Die Untersuchung
ergab, dass der Korper Pbenylsemicnrbacid war, eine Verbindung,
welche von E. Fischer entdeckt und u. A. von Pinner durch Erhitzen von
Phenylhydrazin mit Harnstoff erhalten wurde (C, H5NH— NHCONH,). Weitere
Untersuchungen ergaben, dass aus stärkeren Harnstoffiösungen nach der in
der Harnuntersuchung zur Abscheidung des Zuckers mit Phenylhydrazin
üblichen Methode reichliche Abscheidung des genannten Körpers erzielt
iJiyui^L,LJ Ly Google
Harn.
105
wurde, ja selbst aus 2" oipen Lösungen wurden bei Anwendung eines erheb-
lichen Ueberschusse» an Phenyibydrazin und hinreichend langem Stehen-
laMen (1 — 2 Tage) bei kfihler Temperatur noch 84,8Vo <1m HamBtoffes in
Form obiger Verbindung ausgef&llt. Aus Mensdienharn oder im Harn mit
Brot oder Milch gefutterter Hände liönnte man die Verbindung nicht er^
halten.
Die grroesenHameinremengeo, die beiLealc&mie auftreten, sowie die Unter-
suchungen HoRBAOZBWSKi'e lassen eine Besiehung der Harns&nrebildung sn
den weissen Blatkorperchen annehmen. W. Kf hnau ••) bestimmtt^ Harnsäure-
ausscheidung und Leukocytenzahl in F'ällen von Leukämie, von Pneu-
monie, von septischer Infection und in Fallen von malignen Neoplasmen
(Cardnom und Sarkom), bei Hunden, denen ein Bakterlenextraot von Ba*
eillus pyoeyanens, Müsextraet, Terpentinöl, aseptischer Eiter, Thymasanf-
schwemmung und Pyocyaneusprotein. Nucleinlösung injinirt war. In allen F&IIen
war eine Steigerung der Harns&ureausscheidung zu constatiren, meistens
war auch gleiehseitlg Leukocytose Toriunden, aber aneh ohne Lenkocytose,
wie nach lojection von as^tischem Eiter und Thymusaufschwemmung nahm
HarnsrnireausscheidunE: zu. Auch auf das Fieber allein kann die liarnsSure-
stei^jerunjc nicht zurückdof ührt werden, da auch bei fieberlos verlaufenden
Krankheiten (kachektischer Leukocytose; die iiuruäuureausfuhr erhöht war.
Auf das rasche Absinken der Lenkoeytose folgt eine Steigamag derHara-
säureausscheidung, bei der experimentell erzeugten Leukocytose erreicht sie
Iliren Gipfelpunkt erst beim Verschwinden der Leukocyten.
Die im VI. Band der Encyclopädischen «iahrbQcher mitgetheilte Methode
der getrennten Bestimmung der Hamsiure und der Alloxorbasen von KrOgbr
und Wdlpf (L e. pag. 242) wurde, noch bevor die Exacthelt der Methode
erwiesen war, namentlich von Seite der Kliniker, in grossem Massstabe
dazu benützt, um die Ausscheidungsverhältnisse der Alloxurkörper aus dem
Organismus bei Nierenkrankheiten und bei der Gicht zu verfolgen. Doch
bald machten sich Stimmen gegen die Verlässlichkeit der Methode geltend.
Schon auf der Frankfurter Naturforscherversammlung sprachen sich His,
Laquer, Str.\1'ss und Zülzer, der schon früher (Berliner klin. Wochenschr.
1894, Kr. 4) auf einige Uebelstände bei Anwendung der Methode aufmerk-
sam gemacht hatte, gegen dieselbe aus, und In der vorliegenden Arbeit L
bringt Laqubr eine ganze Reihe von Zahlen, welche ein sehr ungQnstiges
Urtheil über die Krüger- VVi i.KK sche Bestimmungsmethode in sich schliessen.
Während in einem Versuche, den Einfluss von Caseinpräparaten auf die
Ailoxurkörperauäscheidung zu bestimmen, die Hamsäureausfuhr die nach
den anderen Versuchen sn erwartende Aenderung aufwies, seigte die Alioxur*
körperausseheidung, nach KrINü k Wi i.fp bestimmt, in 33 Einnlbestimmungen
paradoxe, d. h. kleinere Stickstoffwerthe, als sich aus der gefundenen Harn-
säure allein schon ergeben. Controle mit anderen Reagentien änderte an
dem Resultate bei diesem Harne nichts.
Bei der Prüfung der Methode verglich Gitmfrecht den N-Oebalt des
KupferoxyduIniederschlaß:es mit dem des Silberniederschlap^es. In (i Fällen,
die er daraufhin untersuchte, fand er durchschnittlich nach Kui'GEit VVi'lff
um 6 Mgrm. N mehr in ]e 100 Ccm. Harn als nach der Silberniethode
(Maximum 9,1, Minimum 4,76 Mgrm.). Qumprbcht tbellt diese Resultate In
einer Arbeit mit, in welcher er einen Fall von Leukämie bespricht, bei dem
trotz fast vollstfindiger Inanition täglich ungefähr 0,4 Grm. Alloxursiickstnff
ausgeschieden wurden, wobei die Harnsäurewerthe fast normal, die Basen werthe
aber erhSht waren. Verfasser macht darauf aufmerksam, dass kein Verliftltnies
besteht zwischen erhöhten Leukocytonmengen bei Leukämien und den dabei
beobachteten Allo.xurkörperverraehruneren. die sich in viel engeren Grenzen
bewegen. In dem vom Verfasser beobachteten Falle zeigte sieb ein gleich-
106
Harn.
sinniges Steigen und Fallen der Leukocytenmenge im Blute und des AUoxur-
körperN im Harne; ob das aber als ein Zelehen dafflr ansasehen ist, dass
die Alloxurkörper des Harns tbatsiohUch von den zerfallenden Leakooyten
geliefert werden, wie dies Verfasser annimmt, bleibt noch immer fraglich.
In einer Arbeit »üeber die Alloxurkörper and ihr Verbältniss
mr Gicht« wendet sieh H. Malpatti gegen dfe von Koluch vertretene
Lebre. nach welcher das Wesen der Gicht In einer Steigerung des Zellkern-
lerfalles im Orpanismns ril>er die normalen Grenzen hinaus zu suchen wäre,
verbunden mit einer Mehinderung iener Nierenfunction. durch welche die im
Körper entstandenen Xanthinbasen in Harnsaure umgeprägt werden sollen.
Malpatti betont snerst, dass eine solche Vermehrung der Produete des
Nuclcinzerfalles im Harne von Gichtikern weder frfiher mit den Siteren
Methoden — deren Brauchbarkeit durch eigene Versuche nachgewiesen wird —
noch auch in der jüngsten Zeit mit der KROGBR-WuLFF schen Reaction nach-
gewiesen worden sei, dass also die wenigen von Koliscr aufgefObrten F&lle
als Ausnahmefälle za betrachten seien. Ein von Verfasser untersuchter Pall
zeijrtf bei eincnn Gichtiker ebenfalls Wertho für <lie Alloxurkörperaussfhpidung,
welche die normalen Grenzen nicht iib>^rschritten, nicht einmal während des
acuten Anfalles, in welchem eine \'ermehrung um ungefähr ein Drittel gegen
die anfallfreie Zeit nachgewiesen wurde.
Aber auch der andere Theil der von Kolisch aufgestellten Hypothese,
die UmprSgunc: der Alloxurkörper zu Harnsäure in der Niere betreffend,
lässt sich nicht rechtfertigen ; alle GrQnde, welche gegen die Ansicht, dass die
Harosiure in der Niere gebildet werde, angefflhrt zu werden pflegen, sprechen
dagegen. Auch spedelle Versuche des Verfassers, in welchen eine Einfluss-
nähme frischen Xierengewebes auf <lie HoRBACzEWSKi sche Reaction — näm-
lich Umwandlung der Xanthinkörper des Milztofarcts in Harnsäure durch
Oxydation mit Blut — aufgesucht werden sollte, ergaben ein durchaus nega-
tives Resultat, |a das Nierengewebe behinderte eher die geoannte Reaetion.
Es ist dabei zu bedenken, dass es sich da nicht um eine Umprägung im
gewöhnlichen Sinne des Wortes handelt, sondern um eine Oxydation von
Xanthinkörpern zu Harnsäure. Eine solche Oxydation steht aber ganz ohne
Analogie da, denn auch im HoRBAOznwsKi'schen Versuche wird nur die ge-
meinHchaltllebe Vorstufe der genannten Substanzen oxydirt, nicht die fertigen
Xanthinbasen, wie Koi.iscii in seinen Ausführungen annimmt. Der ganze
Process der »Harnsäureprägung« wird von Koi.is( h als ein Entgiftungsvor-
gang aufgefa$>st; aber erstens hätte eine Entgiftung gerade in der Niere,
die sodem fOr das Gift — die Xanthinbasen — mehr empfindileh Ist als
andere Organe, für den Organismus wenig Werth, und andererseits IHsst
sich aus Versuchen von Ehsteix und Ehstein und Xk oi^airr schllessen. dass
die Harnsäure gleich giftig ist wie die Xanthinbasen. Eine Vermehrung der
AlloxurkSrper im Harne, speciell der Ofchlilcer im Anfalle, glaubt Malpatti
nicht auf vermehrten Nucleinzerfall zurürkfuhren zu sollen; ein solcher
mi'isste eine gleichsinnige Steigerung der Fhosphorsäureausscheidung nach
sich ziehen, eine solche lässt sich aber nicht nachweisen. Die Thatsache,
dass In msnchen Krankheiten — Gicht, Nierenerkrankungen — die Bildung
der Harnsäure mit Ihrer Ausscheidung nicht gleichen Sehritt h<, glaubt
Verfasser auf eine angeborene oder erworbene Verminderung der Empfind-
lichkeit der Niere für dieses Ausscheidungsproduct oder besser auf eine
Herabsetzung des Heizschwelle für die Ausscheidung desselben zurückführen
SU sollen.
Huppert'") hat bei vergleichenden Stickstoffbestimmungen nach dem
Kupferoxydul und dem Silhervorfahren. tini einen möglichen Verlust von
Harnsäure bei der Silbermothude zu vermeiden, Harnsäure und Xanthinbasen
susammen nach Amn ursprünglichen Verfahren von Haycraft geflUlt, das
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Harn.
107
Tripelphosphat aber nachträglich vor der Stickstoffbestimmung wieder ent-
fernt. Zn diesem Zwecke wurde der auf einem Saugfilter gesammelte und
nur oberflftcblieb auagewaaebene Nlederseblagr im Waaier vertbeilt and mit
10 Ccm. einer ungefähr 40*" o'gPO Natriumbisulfitlosxing bis nahe zum Sioflen
erhitzt. Auf diese Weise wurde der Niederschlag: bis auf einen trerinpren
Rest in Lösung gebracht und die Harnsäure der oxydireuden Wirkung des
Sllberozyda entzogen. Dann worden Harnsävre und Xanthfnbasen nach
RrC6SR> Wulff gelullt, nur mit dem Unterschied, dass der Zusatz von Chlor-
baryum unterblieb. Nach zweistündigem Stehen wurde flpr Niederschlag auf
einem Filter aus Munktellpapicr soweit ammoniakfrei gewaschen, dass feuchtes
rotbes Lackmuspapier auch bei längerem Verweilen Ober dem mit Lauge
▼ersetaten Wascbwasser nicbt mehr gebltnt wurde. Er verglich den so
erbaltenpn Nirdcrschlag mit dem direct nach Knf fiKii-WrLFF erbaUrnen.
wobei letzterer im Mittel um 2b — '„ mehr Stickstoff ergab. Demnach
erklärt Huppekt die Methode von Kuüükk und Wulff für unbrauchbar. Den
Mebrgehalt, den man naeb letxterer Methode an Stickstoff erhUt, leitet
er von dem Eiweiss, welebes in jedem Harn vorkommt, sowie von dem
nie fehlenden Rhodanwaaseratotl, weldie beide durch Kapferoxydul gefällt
werden, ab.
Die Versuche von F. Uuberi«) über den Einflnas nuoleiiihaltiger
NfthruBi; auf die Harnsfturebildiins bestätigen die dermalen herrschende
Ansicht Ober den Zusammenbang zwischen dem Zerfall von Niirleinstoffen
und der Harnsäureausscheidunjx. Bei dem täglichen Genüsse von äüO Grm.
Thymus war die Harnsäureausscheidung gegenüber 500 ürm. Fleisch be-
trftcbtlieb vermehrt Bei 300 Grm. war der Unterschied nicht so wesentlieh.
500 Grm. Leber täglich wirkten bei einer Person stark Harnsäure ver^
mehrend, bei einer anderen weniger. Kalbsniere und Kalbshirn geben an-
nähernd dieselbe Harnsäureausscbeiduog wie Fleisch. Bei vorwiegender
MilehnahruDg war die Hamsänreanssebeidung betrichtlleh geringer wie bei
Fleischkost. Die Menge der ansgesehiedenen Xantbinbasen schwankt Iwi
Gesunden in weiten Grensen; sie wird durch AlkaUsufuhr und MUchnahrang
vergrössert.
Nachdem Weintraud den endgiltigen Nachweis erbracht hat, dass die
Vermehrung der Nahmngsnneleine eine Vermehrung der Hamsäureanssehel-
dung nach sich ziehe, wogegen die Beobachtung von Umber, dass 300 Grm.
Thymus in der Nahrung keine Alloxurkörper hervorrief, darauf zurückge-
führt werden muss, dass in diesem Versuche gar keine Resorption des
Thymus statthatte , wie sieh aus den Phosphorsfturewerthen ersohliessen
liest, und nachdem Rosbnfeld und Orglbr eine solche Veränderung im
Harn auch von Erhobung des Eiweissnmsat/es, ja selbst bei gleichbleibendem
Elweissumsatz von einer Vermehrung der Zufuhr von Kohlenhydraten und
Fett abhängig sein Hessen, versuchteu N. Heüs und £. Schmoll die Frage,
ob die Allozurkfirper des Harns ausschliesslleh den Nncleinen entstammten,
oder ob sie als Endproducte des gewöhnlichen Biweissstoffwechsels ent-
stehen könnten, dadurch zu entscheiden, dass ,iie in länger dauernden Ver-
suchen der im Uebrigen coostanten Tagesnahrung Eiweisskörper (Eierei weiss
von 24 Eiern) oder den echten Nncleinen viel näher stehende , aber durch
den Mangel der Xanibinkörper sich unterscheidende Paraaueleine (die Dotter
von ebensoviel Eiern) zulegten. Diese Zulagen bewirkten nun keine Ver-
mehrung der Alloxurkörperausscheidung. während bei den gleichen Versuchs-
personen nach Zufuhr einer in Bezug auf Stickstoffgehalt entsprechenden
Menge Kalhsthymns eine solche (von 0,24, respeotlve 0,21 Alloxurkörper N
für beiläufig 3,5 Qrm. resorbirten Thymus- N) nachgewiesen werden konnte.
Verfasser schliessen daraus, dass Eiweiss und Paranucleinsubstansen in
keiner Beziehung zur Harnsäure stehen.
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108
Harn.
Eine Steigerung der Harnaftoreausscheidung nach Einnahme
▼OB aalleylsanreBi Natron liat zaerst B. Salohä unter der Leitung HoR-
BACZEwsKi's (1885) beobachtet. Bei Kranken machten A. Haig und E. Pfeiffbr
die g:leicfae Hfohachtung. Letztere deuten diese Erscheinung dahin, dass
die Salicylsäure im Stande sei, die im Körper zurückgehaltene Harnsäure
in grSflsorer Menge In LOsang nnd snr Ansaeboidnng ra briogra. Naoli
K. BoHLARD'*) wtre diese Erkl&rung eventuell noch zulässig fQr Gichtkranke,
bei denen ja Depots von nicht in Lösung befindlicher Harnsäure vorhanden
sein können, allein bei Kheumatikera und bei Gesunden ist eine Anhäufung
von Harns&nre im K9rper nielit ansonehmen. Um diem Frage nach Mög-
lichkeit in erkiftren, nahm K. Bohlakd die besfiglieben Versuche nochmals
auf, wobei zug^leich die Loukocyten frezfihlt und selbstverstruullich die Harn-
säureausscheidung: (juantitativ confroliit wurde. Aus den Versuchen geht her-
vor, dass die verabreichten Mengen von salicylsaurem Mutron (2nial 1.5 und
5mal 1,0 Orm. tSglicb) in der That eine betrftohtliehe Steigerung der Harn-
H&ureausscheidung hervorzurufen vermögen ; w&hrend im ersten Versuche
an den Xormaltagen die im Harn enthaltene Harnsäure im Mittel l.i'j Grra.
am Tage betrug, stieg sie unter dem Einflüsse der Salicylsäure auf l,Gö5
(in maximo auf 1.875 Orm.), entsprechend also einer Vermehrang nm 60Voi
respeotive 84V«« gleichen Sinne änderte sich die Zahl der Leukocyten im
Blute, die an den Norraaltagen im Mittel 71 ". J pro rul)ikcentimeter Blut be-
trug und dann auf 14.565 im Mittel anstieg, also mehr als auf das Doppelte
vermehrt wurde. Ganz analog waren die Ergebnisse im zweiten Versuche.
Borland zieht daher ans seinen Versuchen den Schlnss, dass mittlere Gaben
von salicylsaarem Natron eine deutliche Vermehrung der Leukocyten im
Blute verursachen und dass die hierdurch bedinjjte Leukolyse eine Steige-
rung der Harosäureausscheidung veranlasst. Hieraus folgt aber für die
Praxis, dtms die Darreichung von salicylsaarem Natron, wie sie EL Ppbippbr
empfiehlt, kaum nutzbringend sein dürfte; es ist im Gegentheil die Gefahr
vorhanden, dass durch die erhöhte Harnsäureproduction die Harnsäurereten-
tion in den Tophis und die Vergrüsserung der harnsauren Concremente in
den Harnwegen beträchtlich gesteigert wird.
Bezüglich der Ausscheidung des Coffein und Theobromin im
Harn fand Rost i^), dass beim Kaninchen Coffein bis zu einem Viertel der
eingebrachten Menge im Harn unverändert erscheint, während heim Theo-
bromin das Maximum beim Hunde erreicht wird, und zwar bis zu ^P/q.
Interessant ist die Thatsache, dass die diuretisehe Wirkung mit der Aus-
scheidungsgrösse im Zusammenhang steht, sie war beim Kaninchen durch
Coffein am grrisslen, beim Hunde durch Theobromin. Beim Mensrhen wurden
von Coffein quantitativ nicht nachweisbare Mengen, von Theobromin bis zu
20°;o im Harn nachgewiesen, was sehr zu Gunsten des Theobromins als
Diureticum spricht.
lieber die Constitution des Heteroxan thins und seine physio-
logischen Wirkungen berichten M. KrCgeu und G. Salomon. ^''i .'^ie erhielten
von 10,OUÜ Liter menschlichen Harns 7,5 Grm. Heteroxantbin neben Xantbin
nnd Parazaotfain. Die chemischen Versuche Aber die Constitution des Para-
xanihins, welches allgemein als Monomethylxanthin gilt, führten zu dem
Resultate, dass die Methylgruppe sich crem im Harnstoff findet. I)ie physio-
logischen Versuche wurden an Fröschen und weissen Mäusen K''"'acht. Das
in Piperazinlösung gelöste Heteroxantbin wirkt, in den Thier l^ürper einge-
führt, örtlich auf die Muskeln: Contraction und Brstaming der Muskel-
gruppe, in deren Nähe injicirt wurde. Die Respiration wird gelähmt, die
Bewegungen der Skeletmuskelii werden träge und unbehilflich. Die Reflexe
sinken. Die Herzlhütigkeit bleibt bis zum Tode erhallen.
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Rarn.
109
Eine klinische Bestätigung für die Theorie Horbaczbwski's,
naeh welcher die Harnsäure Im Orgaolemne aas dem beim Zerfall der
Zellen frei werdenden Nucle'i'n eDtstetat, ergaben die Untersurbungen Ton
Duxix und NowACZEK über Harnsäureausschoidung bei croupöser Lung^en-
entzündang. Sie prüften bei dieser Krankheit, weil auf dem Höhepunkt
dieeer bei der Resorption des ExsndateSf der Zerfall der Leukocyten ge-
stelgrert Ist In allen daran! hin ^rfiflen FIMen nahm ^e Hamsftnremeiife
schon am Tage vor der Krisis zu : narh der Krisle aber ^tieg sie plötzlich
80 erheblich, dass sie sich zu der dreifachen Höho des Fioherstadiums
erhob. Diese Uarns&urekrisis hielt 2 — 4 Tage an, um dann langsam abzu-
fallen ; allein erst naeh Verlauf von 7 — 8 Tagren sank sie wieder snr Norm
ab. Diese Hamsänrekrisls ist unabhängig von der sogfenannton Harnl^risis,
welche erst spftter auftritt. Auch kann die Vermehrung der Harnsäure»
ausfuhr nicht auf eine vermehrte Nahrungszufuhr zurückgeführt werden.
Den Binflnss von vollständig stickstofffreier, ferner von
vegetabiler und animalischer Kost auf die Ausscheidung des
Harnstoffs, der Harnsäure und iripirhzeit ijr der Xanthinkörper
und der Phosphnrsäu re in der Form der sauren i^hosphate bestimmte
Cameker in ihrem \' erbältnisse zu einander und ihrer Gesammtmenge nach
in einer Iftngwen Versuchsreihe. Der Harnstoff wurde nach HOniBR, die
Harnsäure und gleichzeitig die Xanthinkörper aus dem Stickstoffgehalt der
SALKOWSKi'scben Silherfällunff bestimmt. Durch die Einfuhr von stickstoff-
freier Nahrung (Brötchen aus Schweinefett, Zucker und Stärkemehl) wurde
die Ausfuhr der Phosphors&ure gegen die Zeit des nflchtemen Znstandes
herabgedrflcktf ebenso die des Basenstickstoffs (=: Harnsäure + Xanthin-
basen). und zwnr sank dieselbe stärker, als der gleichzeitigen Verminderun«?
der Gesamuitstickstoffausfuhr ent.sprach. Bei den Versuchen mit stickstoff-
haltiger Kost zeigte sich ein Unterschied zwischen der V'erwendung von
xanthinkörperhaltigen und •freien Snbstaasen. Annähernd gleiche Blwelss-
mengen, gegeben in Form von Milch oder Elweiss, oder aber in Form von
Thymus oder Erbsen mit Fleisch, ergaben 7war prieiche Steigerung der Ge-
sammtstickstoffausscheidung, jedoch zeigte sich bei den letztgenannten Kost-
formen eine etwa 5mal so starke Vermehrung des BasensUckstotfs. Die
Vermehrung der Xanthinkörper bei diesen Kostformen darf also nicht auf
Verdauungsleukocytnso zurfickefpfuhrt werden, sondern auf die Ausscheidung
der durch die Xahrunt? irenossenen Xucleinkörper, da man ja keinen Grund
hat anzuneiiiuen, dass bei der Verdauung annähernd gleicher Eiweiss-, respec-
tlve Nahrungsmengen so ▼ersctaleden starke Verdauuni^Ieukocytose auf-
treten sollte; dabei ist aber zu bedenken, dass auch der im nüchternen
Zustande ausgeschiedene Basenstickstoff nicht ausschliesslich von dem
Nucleinzerfall der Körperzellen, sondern theilweise auch von früheren Nah-
rungsaufnahmen herrflhren könne, wie dies Caubsbr theils ans eigenen Ver^
suchen, theils aus den Versnchsresultaten Wbintraud's nachweist Auch die
vielfach angenommene individuolle Disposition zu mehr oder weniger reich-
licherem Nucleinzerfall oder hesser Basenstickstoffausscheidun/j: führt Camereei
auf Differenzen der Ernährungsweise zurück, da es ihm gelang, Menschen
▼on sehr Tersehledener derartiger Disposition durch gleichförmige Bmäh-
rang auf gleichförmige Verhältnisse unter den Stickstoffwerthen zu bringen.
Hingegen zeigt sich ein starker Einfluss der P>nährung hesontiers auf das
Verhältniss der Xanthinbasen zu der Harnsäure i am wenigsten Xanthin-
basen wurden ausgeschieden bei rebier flelsehkost, am meisten bei rein
vegetabiler Kost Bei Uratikem fanden sieb die Verbältnisse der stickstoff-
haltigen Körper und der Phosphorsäure nicht auffallend verändert. Bei
Personen, die an Harneries litten, war das Ausfallen der Harnsäurekrystalle
aus dem klaren verdünnten Urin (spec. Gewicht l.UlU — l,ul."ij weder von
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110
Harn.
dem Qebalte des Harnes an Harnsänre, noch von dem an sanren Phosphaten
abhftngig.
In einem Falle von LeukSm ie wurde von Ri dolf Külisch und Richakd
BuRiAN '■^'^) das aus Xucieohiston sich abspaltende LiLiENtfiLD'sche Histon
eonstant nachgewieien. Bs worden die BlwcÄsskürper des Harns mit Alkohol
getAllt und ans der salzsauren Lösung des Niedersehlageä das Histon durch
Ammoniakzusaiz ausg:ef;illt. Es zeigte sich aber, dass in diesem einen F'alle
das Histon nicht abhängig war vom übermässig reichlichem Zerfall von
Zellkernen, denn es handelte sich am eine Lymphämie mit m&ssiger Leako*
cytose (und dem entspreehend nicht erhShter Allozarkörperanssebeidangr)-
Andererseits konnte in Fällen von Leukämie, in welchen ausserordentlich
vermehrte Ausscheidung von Alloxurkürpern auf erhöhten Leukocytenzerlall
hindeutete, kein Histon aufgefunden werden.
Das Anllreten von Alhnminnrle nach Aethernarkosen beobachtete
Amoblesco^i) nnter 128 FUlen, die er hierauf untersuchte, I6mal. Bei 6
dieser Fälle war vorher schon Albumen im Urin nachgewiesen. In den
10 Fällen, die daher allein zu berücksichtigen sind, und in denen die Aetber-
narkose Ys — ^ Stunden dauerte, war der Eiweissgehalt ein sehr geringer
und Tersdiwand In 3 — 4 Ta^^n wieder. In den 6 Filien, in welchen schon
vor der Narkose Albuminurie bestanden hatte, wurde der Eiweissgehalt
durch die Aetbernarkose nicht gesteigert. Es kommt also dem Aether ein
wesentlich schädigender Einfluss auf die Nieren keineswegs zu.
Zur Fra^e der vaccinalen Albuminurie untersoehten B. Pbipbr
und S. Sciinaase22) bei 122 Erst-, bei 24 Wiederimpflingen und bei 127 Militär-
impflingen (Recruten) den Urin am 1., 3., 7. und 10. Tairo. Ks zeigte sich,
dass bei 5,73^0 Erstimpftinge, bei 16,6<>/o der W'iderimpflinge und bei
10,63% doi* Recruten eine ganz leichte Albuminurie eintrat. Die ausge-
schiedenen Biwelssmengen waren niemals messbar ; die mlkrosko^che Unter-
suchung fiel regelmässig negativ aus. Das Auftreten der .Mhuminurle konnte
weder mit der Höhe des Fiebers, noch mit der Zahl der auftretenden Pocken
in Zusammenhang gebracht werden.
Das seltene und Interessante Vorkommen von cykllscher Albumin-
urie bei Geschwistern beobachtete S. Schorn *') bei zwei Schwestern von
18 und l.'i .lahren. Das Eiwelss trat im Verlaufe des Tages im Harn auf,
verschwand gegen Abend, der Murgenharn war eiweissfrei. Formelemente
der Niere, Harncylinder und sonstige Zeichen einer Nierenerkrankung wurden
niemals Im Harn aufgefunden. Nach lOt&giger Bettrahe blieb bei der Alteren
Schwester das Eiweiss durch :} Tage aus, um dann wieder in gleicher Weise
wif früher aufzutreten. Das ältere Mädchen litt an rhlomse. das iüneere
wird als anämisch bezeichnet. Bei zwei Geschwistern dieser beiden Müdeben
wurde eine Biweissausscheldung nicht beobachtet.
Ueber einen Fall von Album osurie, welchen Byroii*Bkam\vell als
.\rzt und Noki, Paton beobachtet hatten, berichtet Hi'ppf.ut. -*) Der Fall
zeichnet sich dadurch aus, dass der im Harn enthaltene Eiweisskörper sich
krystallinisch abschied. Die schottischen Autoren hielten denselben ffir einen
sur Gruppe der Globuline gehörenden Körper, hingegen schliesst Huppert
sowohl aus dem Coagulalionspunkt des krystallisirondon Kiweisskörpers,
(it-r «ronau mit dem der Ht'teroalbumose zusaramenfiillt , ferner aus den
von MiUKAY bei der V^erbrennung des fraglichen Körpers enthaltenen ana
lytischen Daten G 51.89, H 6,88, N 16,06. S l,24Vo, welche mit den von
Kühne und Bencb Jonks bei Analyse der Albnmose enthaltenen Zahlen aehr
nahe übereinstimmen, dass es sich in diesem Falle um Albumosurio ge-
handelt habe. Der betreffende Harn war sehr reich an Eiweiss, i n Durch-
schnitt 2—3%. Der Eiweisskörper schied sich maadimal schon nach ein
bis swei Tagen, manchmal erst nach Wochen und Monaten ans. Das ent-
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Harn.
III
standene krystallinische Sediment machte bei der ersten \Vahrnehniun<r des-
selben ein Fünftel des Harnvolums aus. Aach der Untersuchung von NukL
Pator konnte der BfweisekOrper anoli austerhalb des Harne snr Krjratalll-
sation gebracht werden. Dazu wurde der frische Harn mit dem gleichen
Volumen gesättigter Araraonsulfatlösung vermischt, der entstandene Nieder-
schlag mit balbges&ttigter Ammonsulfatlösung gewaschen und in einem
PergamenteoUaaeli naidi Znsats von etwas Tbymol erst 3 Tage gegen
fliessendes Waeterf dann nocb 48 Stunden gegen oft gewecbseltea destflllrtes
Watser dlalysirt. Der krystallinische Niedorschlaf;:, welcher sich dahei ah-
geschieden hatte, wurde dann noch durch Decantiren mit destillirtem Wasser
von noch gelöstem Eiweiss und vom Sulfat befreit. Die Krystalle, welche
sieh von seibat ans dem Harn abgescbieden hatten, worden dnrdi mehr-
tägige Dialyse gegen fliessendes Wasser und durch Deeaatiren mit destil-
lirtem Wasser gereinigt. Die Krystallo bestanden ao8 langen, schmalen
Tafeln mit zweiflächiger, ungleich langer, stumpfwinkeliger Zuspitzung. Aus
ihren Lösungen (Harn) schieden sie sich In kugeligen Aggregaten höchstens
von Stecknadelkopfgrösse aas; sie waren onlöslleh in kaltem nnd heissem
Wasser, sowie in Alkohol, loslich in verdünnten Xeutralsalzlösun^en, ferner
in Säuren und Alkalihydraten; die Krystalle geben die Xanthoproteinreac-
tion und die Lieberuann sehe Eiweissreaction ; sie traten nur dann auf, wenn
dw Harn seine saore Reaetion beibehielt. Im Harn begann die Coagulatlon
bei 69—60" und war bei 62» C. vollendet.
Das Auftreten von Fieber nach der Einführung von Baktorienproteinen
und anderer Albumosen mit gleichzeitiger Ausscheidung von Aibumosen
dnreh den Harn wnrde von vielen Aotoren beobachtet; iedooh andi die
Binspritanng von anderen Stoffen, SUbernitrat, Jodlösung. Thiophen, Bensol,
Aceton etc., er/eiiprt Fieber. K. Ha.xck "^f^) suchte nun die Frao:e, ob diese
letzteren Körper direct Fieber erzeugen oder aber da'lurch diiss sie erst
zur Albumosenbildung im Organismus Veranlassung gehen, zu entscheiden,
indem er Kanineben nnd Meerschweinchen Snbernitrat- nnd Jodlösnngen
einspritzte und dann, wenn Fieber auftrat, Albumosen im Harn aufsachte.
Er konnte solche thatsächlich aus dem Niederschlag, den der Harn mit viel
Alkohol ergab, isoliren; auch in einigen Fällen beim Menschen, weichen
sn therapentisohen Zwecken Jodlösungen in Hydrokelen eingespritst worden,
trat Alhamowirie auf. Mit dem Abklingen des Fiebers schwanden auch
die Albumosen aus dem Harn. Ob aber die Albumosen das ätiologische
Moment oder ein Symptom des Fiebers darstellen, muss unentschieden
bleiben.
Hit der von Salkowski snm Nachweis des Peptons im Harn ange-
gebenen Methode (s. Encyclopäd. Jahrb. VI, pag. 251) hat Bruno Lbigk**^) in
einer grossen Ansalll von Krankheitsprocessen nach Albumosen gesucht.
Zur Methode Salkowski's macht er die Bemerkung, dass die von diesem
uigegebene geringe Menge verdönnter Natronlauge (8 Gem. Wasser, dem
0,5 Ccm. Natronlauge von etwa 1,16 spec. Gew. zugesetzt ist, oder statt
dessen ein Viertel Normal- Natronlauge: häufig zur Auflösung des Nieder-
schlages nicht genügte, und dass er entweder eine stärkere Natronlauge
oder eine grössere Menge der schwächeren anwenden musste. Bezüglich des
diafnostisehen Warthes der Albnmosorie weist er darauf hin, dass sie regel-
miaaig nur bei Pneumonia fihrinosa angetroffen wurde. Für die übrigen
Krankheiten, Typhus abdominalis, Typhlitis und Perityphlitis, Peritonitis puru-
lenta, Hepatitis interstilial., Tuberculosis pulmonum, Polyarthritis rheumatica,
war eine Geaetxm&ssigkeit im Auftreten der Albumosurle nicht zu erkennen.
Der Ansicht, dass in jedem eiweisshältigen Harn nach dem Kochen und
Essigsäurezusatz Albumosen zu linden seien, schliesst sich B. Lbick auf
Grund seiner Versuche nicht an.
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112 Harn.
In 4 PiUen von Osteomalacie, die s&mmtlich Mftnner betrafen und
in denen es sich wahrficheinllch nicht um Osteomalacie . sondern um mul-
tiple Myome handelte, untersuchte M. Matthes^^) den Harn auf das Vor-
handensein der bei Osteomalacie im Urin vorkommenden Eiweiss-
kdrper. Aaeh er fand eine Elweisaanbetans, welche, wie die früher be«
schriebenen, bei niederer Temperatur, 53^ gefällt wurde und sich beim Er-
wärmen über 60° wieder auflöste. Auch die durch Essig^säure und Ferro-
cyankalium bewirkte Fällung löst sich beim Erwärmen. Im Harn fällt der
Körper oft spontan ans. Der Coagulationspnnkt wecheelt sehr, |e nach Sali-
und Säuregehalt. Die Fällung bei 40 — 60" ilt keine eigentliche Coagulation,
denn sie lässt sich in kohlensaurem Natron lösen und giebt wieder die
ursprüngliche Reaction. Der Körper zeigt die Eigenschaften der Albumosen.
Zerlegt man ihn aber durch längere Magensaftverdauung, so spaltet sich ein
eleenbaltlgee Nncleia ab. Der Körper ist also eine Nndeoaiboniose nnd
wahrscheinlich von dem im Knochenmark enthaltenen eisenhaltigen Nucleo-
albumin abzuleiten. Bei einer typischen puerperalen Osteomalacie ist der
Körper bisher nie gefunden worden.
Naebdem A. Wriobt nach In{ectionen von Nncleobiston in das BInt
schon 1892 im Harne freies Histon nachweisen konnte, haben zuerst Krehl
und Matthes im Harn von fiebernden Kranken eine Substanz isolirt, welche
alle Eigenschaften des Histoos besass. Neuerdings berichtet Au. Jollbs
Ober das Auftreten von Nncleobiston im psendoleukftmisehen Harne.
Die Bedentnngr dieser Befunde erliellt ans der Oenese des Nneleohlstons,
einer zu den Nucleoalbuminen gehörenden Substanz, welche zuerst von
Lilienfeld aus dem Wassoie.xtract der Lyraphocylen dargestellt wurde,
und welche den chemischen Huuptbestandlheil des Lymphocytenkerns bildet.
Das Nncleobiston wird ans seinen wftsserigen Lösungen durch verdQnnte
Essigsäure gefällt; aus seinen Lösungen in sehr verdünnten Alkalien ist es
durch Magnesiumsulfat nicht aussalzbar: durch Behandlung mit Alkalien,
namentlich mit Baryt, ferner mit verdünnter Salzsäure oder siedendem
Wassw serlillt es in ein KemnneMn, welches Lilibnfbld als Lenkonnclein
beseichnet, nnd in einen basischen, albumosenartigen Bestandthell, den Kossbl
Histon nennt. Wie alle Nucleine, so zeichnet sich auch das Nucleohiston
durch seinen hohen Phosphorfjehalt aus. Nach diesen Bemerkunp:en über den
chemischen Charakter des Nucleohistons wird uns auch das zur Auffindung
nnd Charakterisirung desselben im Harn gefibte Verfahren verst&ndlich. Ks
wurde also der im Harn durch Essigs&nre fällbare Eiweisskörper abfiltrirt,
der Niedersrhlaq: in verdünntem kohlensauren Natron gelöst und schwefel-
saure Maguesia bis zur Sättigung eingetragen. Es resultirte hierbei nur
eine sehr schwache TrQbnng, die in gar keinem VerhUtnisse zn dem
durch blossen Znsats von Essigsäure hervorgerufenen Niederschlag stand.
Durch Verarbeif unrr von circa ' ^ Liter Harn in der angegebenen Weise
konnte in dorn Filterrückstande noch keine Phosphorreaction erhalfen werden ;
hingegen konnten schon in dem aus circa 150 Ccm. Harn erhaltenen Essig-
säureniederscblage, welcher mehrmals snr Reinigung in Alkali gelöst und
durch Essigsäure gefällt worden war, Phosphorsfture qualitativ deutli -h con-
statirt werden. Zur näheren Charakterisirung: dieses Körpers wurde der-
selbe aus dem Harne isolirt und der Phosphorgehalt in der erhaltenen
trockenen Snbstans bestimmt. Bs resultirte 3,14<>/o Phosphor. Nach Lilibn-
FELD zeigte das reine Nucleohiston Im Mittel einen Phosphorgehalt von
3,02.')^' Des Weiteren hat Jolles zum sicheren Nachweise des Nucleo-
histons die charakteristischen Spaltungsproducte dieses Körpers festgestellt.
Zu diesem Zwecke wurde ein Theil des aus dem Harne isolirten Nieder-
schlages mit circa 1% Salssfture mehrere Stunden behandelt, dann liltrfart
und SU einem Theile des salssfturehaltigen Filtrates Ammoniak sugesetst
uiym^uü Ly Google
Harn.
118
Es konnte sofort dnt Anftreten einer etarken Trfibung beobachtet werden,
denn BBeton ist durch Ammoniak f&llbar. Ein anderer Tliell des aals-
säurehaltigen Fütrates gab mit Natronlauge unti Kupfersulfat schon in der
Kälte starke Biuretreaction. Endlich wurde die Coagulirbarkeit des Elweiss-
körpers in der Uitze constatirt, wobei das entstehende Coagulum sich in
MIneralaftaren sebr leicht anfldste. Somit seigte das durch Einwirkung von
Salzsäure erhaltene Spalt ungsproduct alle charakterialilschen Eigenschaften
des Histons und es ist der in dem untersuchten Harne von Pseudoleukämie
durch Essigsäure fällbare Eiweisskörper mit dem Nucieohiston identisch.
Zur Kenntniss der Anseeheidnng von Pihrin nnd filninartigen Oe-
rlnnseln im Harn theilt Klein • ) einige FlUe mit, die er auf der Abthellong
▼on BaHBBRGER in Wien henhachtete :
I. Bei einem 5'2iährif?('n Manne . der mit der Diagnose Nephritis be-
handelt wurde, enthielt der frisch gelassene heile Urin, während die Oedeme
SDrückf^gen, eine grosse Menge weisser oder weisslich- grauer Gerinnsel
der .verschied ensten Grösse, und schliesslich seigten manche Harne eine
ganz eiffenthüraHche Gerinnungsfähigkeit, wie seröse Flüssigkeit. Die Fihrin-
urie hielt etwa 3 Wochen an. Die chemische Untersuchung der Gerinnsel
ergab, daas ea sich um eine Ausscheidung von Fibrin handelte. Von Momenten,
welche fOr die Ursache der Fibrinausscheidung herangezogen werden konnten,
ffihrt Klein die alkalische Reaction des Harns, den besonders hohen Alburain-
gehalt und den ungewöhnlich niedrigen Uelialt des Harns an Phosphaten
an. Bei der Autopsie fand sich Atrophie der Nieren mit amyloider Degene-
ration. Inwieweit dieser letstere Process fflr die feineren Vorg &nge beim
Zustandekommen der Fibringerinnung von Bedeutung gewesen sein mag,
darüber lassen sich keine näheren Angaben machen.
II. Fibrinartige Q erinnselmassen wurden im Harne eines lOjäh-
rlgen Mannes, der an Cystitis litt, entleert. Der Urin reaglrte sauer, die
graoweissen Gerinnsel erwiesen sich bei der chemischen Untersuchung nicht
als aus Fibrin bestehend, sondern ihrem Haupt bestandthoil nach aus Nuoleo-
albumin, das von einer Mucinhülle umgeben war.
Eine titrimetrische Methode zur quantitativen Eiweissbestim-
mnng, welche an Genauigkeit der Gewichtsbestimmnng nahe kommen soll,
giebt Wassilibw ») an. Er titrirt 10 — 20 Ccm. Harn (eventuell verdQnntX
denen '1 Tropfen einer l"/otgen wässerigen Losung von Echtgelb (Anilin-
farbe) hinzugefügt sind, mit einer 25°/oigen Lösung von Sallcylsulfonsäure
bis sum Erscheinen einer rothen Farbe. 1 Ccm. der SalicylsuUons&nrelösnng
entspricht 0.01006 Grm. Eiweiss. Beim Vergleiche der so erhaltenen Zahlen
mit den durch Alkoholfäliung und Gewichtsbestimmung gewonnenen seigten
eich nur unerhebliche Unterschiede.
Zur Trennung der Eiweisskörper von Pepton verwendeten
Ph. BoGOMOLOW und N. Wassilibpp ») die Trichloressigsftnre, durch welche
Peptone nicht gefällt werden. Zum qualitativen Nachweis des Peptons im
Harn empfehlen die Verfasser zuerst nach Devoto durch Sättigung des
biedenden Harns mit Ammonsulfat die Eiweisskörper und die Farbstoffe zu
OBtlwnen, hierant Im Filtrat das Pepton durch krystallisirte SalioylsuHon-
aftnre xu fftllen. Statt dieser S&nre kann man auch Trichloressigsäure und
Resorcin verwenden, welche aus einer gesättigten Ammonsulfailiisunfr das
Pepton zu fällen vermögen. Die durch Salicylsulfonsäure hervorgerufene
F&llung muss sich bei Zusatz von etwas Wasser, wodurch die Ammonsulfat-
Iftsong verdflnnt wird, sofort auflösen nnd ist dann fQr Pepton beweisend.
Als neues Reagens auf Albumin und Pepton im Harn empfiehlt
Yavorovsky 'vi Molybdänsäure. Der Harn wird mit Natriumcarbonat im
Ueher^chuss versetzt, fütrirt, bis auf ein Drittel seines Volums eingedampft
und von Neuem filtrirt. Zu 4 Ccm. ffigt man 1 Tropfen einer Lösung von
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114
Harn.
1 ThoU Molybdloammosinm and 4 Theil Aeldum eitrteum Id 4* Wasser. Bei
Anwesenheit von Albumin nnd Pepton entsteht sofort oder nach einiger Zeit
eino Trübung; rührt sie von Pepton her, SO l&St sie sich bei Erhitsen und
erscheint heim Erkalten von Neuem.
Als neues Reagens auf fiiweisskörper und Alkaloide in saurer
Lösung empHehlt RiBGLER *') Asaprol (ßoNaphtol'flt^monosalfosauresCaleiQm).
Man löst 10 Grm. Asaprol in 100 Grm. destillirten Wassers, fQgt 10 (}rm.
concentrirte Salzsäure hinzu und filtrirt. Einige Tropfen von diesem
Reagens in eiweisshaltigen Harn gebracht, erzeugen einen Niederschlag,
welcher beim Bm^rmen nieht sehwindet. Wenn er aber schwindet, so haben
wir es mit Albumosen oder Peptonen zu thnn. Auch die Alkaloide werden
durch Asaprol gefällt, der Niedorschlag schwindet beim Erwärmen und kehrt
nach dem Erkalten wieder. Da auch die Albumosen und Peptone diese
Eigenschaft haben, muss eine weitere Untersuchung die Entscheidung treffen.
Die Ozalnrie und da« klinische Bild, welohes diese« Symptom be-
gleitet, schildert J. C. Di nloi*. Bekanntes auslassend, theilen wir nur die
efgenpn Untprsuchungon und Anschauungen des Verfassers mit. Keinoswogs
sollen die Schwankungen in der Menge des Kalkes einen Einfiuss auf das
Ausfallen des In Jedem Harn ▼orkommenden oxalsaoren Kalkes haben. Hin-
gegen bildet im Gegensätze za FOrbringkk eine fliiermässige Oxalsftnre-
excrction die wirblige Veranlassung zur Bildung von Xiedcrschlägen. Die
alleinige Quelle der Oxalsäure im Urin ist die in den Nahrungsmitteln ent-
haltene; bei Patienten mit Milchkost wird die Oxalsäureausscheidung auf-
gehoben. Die sehr schwankende tägliche Menge der ellmlnlrten OzalsEnre
betrSgt nach 35 Untersuchungen zwischen 0,01 — 0.025. im Mittel 0,0172 Orm.
Als Factoren für diese Variationen fand Di xlop zunächst die Menge der
per OS aufgenommenen Oxalsäure und dann den Säuregrad des Magen-
inhaltes. Zufuhr von Sali- nnd Milchs&ore erhöhen die Oxalsftureaussehei»
dung. Das klinisehe Bild der Oxahirie, wie es von Bbgbie aufgestellt wird,
ist nach Verfasser nicht auf Anhäufen von Oxalsäure im Körper zurückzu-
führen. Höchstens die Schmerzen in der Lumbaigegend sind auf mechanische
Reizung des Nierenbeckens und Ureters durch Krystalle su beziehen. Das
nie fehlende Symptom der Dyspepsie steht der Dyspepsia aelda mu nidisten
und wird wie diese durch animale Kost, durch Säuren vor oder Alkalien
nach den Mahlzeiten günstig beeinllusst. In der Discussion hält dem gegen-
über Graham Bkuwx daran fest, dass die Oxalurie ein fester klinischer Be-
griff sei, und zwar sowohl wegen des charakteristischen Symptomencom-
plexes, als wegen der Beobachtung, dass bei demselben Kranken Diabetes
und Oxalurie abwechselten und weil nach neueren Autoren eine Hehinderang
der Respiration bei Thieren (Kunden) prompt von einem starken Anstieg
des Oxalatgehaltes des Urins gefolgt war ; wenn die Hunde sieh an die er-
schwerte Athmung gewöhnt hatten, sank die Ozalsiureexeretton wtoder ab.
Bekanntlich hat v. Wagnkr seine Anschauung, dass Psychosen auf
einer gastrointestinalen Autointoxication beruhen können, damit gestützt,
dass das vorzüglichste Symptom dieser Form der Geisteskrankheiten die
Acetonurie seL Pblix HmsoHPBLD polemisirt gegen die Annahme eines
gastrointestinalen Ursprungs der Acetonurie, wobei er auf seine früheren
Ausfi'ihrungen (s. En« yriopäd. Jahrb. V. pag. i'4:'.i hinweist, dahingehend,
dass eine reichliche Acetonausfuhr als mit dem Kohlenhydratstoffwechsel in
engstem Zusammenhang stehende Brsoheinung aufzufassen sei. Gegen das
Bestien einer Acetonuria febrilis carcinomatosa oder gastrica
spricht, dass Hikschfkld bei allen derartigen Kranken eine vorhandene
Acetonurie sofort zum Wrschwinden bringen konnte, wenn es ihm gelang,
reichlich Kohlenhydrate zuzuführen. Umgekehrt stieg die Acetonurie sofort
an, wofern die Kranken infolge geringerer Bsslnst wenig von dem betretfen-
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Harn.
115
don NabningsBtoff sn sieh nahmen. In UebereinaUmmangr mit der Annahme,
dass die Acetonbildung mit dem Kohlenhydratstoffwechsel zusammenhängt,
steht auch das Verhalten bei schweren Fällen der Zuckerharnruhr. Erst
wenn die grössere Menge der genossenen Kohlenhydrate im Organismus nicht
mehr verbrannt, sondern als Zucker aaegieschieden wird, findet man anoh
häufig einen Ober die Norm erhöhten Acetongehalt des Harns. Der Unter-
schied ge^en die bei Gesunden beobachteten Verhältnisse zeig^t sich darin,
dass bisweilen weit über 1 Grm. innerhalb 24 Stunden gefunden wird, während
bei Gesunden nie mehr als etwa 0,9 Grm. Aceton festgestellt wurde. Kur bei
Znokerbarnriihr Ist die Annahme einer pathologischen Acetonarie gereditfertlKt
Die Aetiologie der alimentären Glykosurio und des Diabetes
mellitus beleuchtet StkCmfell mit neuen Thatsacben und Gesichts-
punkten. Die Fähigkeit des Organismus, Zucker zu verbrennen, ist keine
aobegrenste nnd seigt aneh viele individnelle Sehwanknngen ; doch wird man
bei den meisten Menschen, denen man Morgens nüchtern 200 Grm. einer
Traubenzuckerlösung verabreicht, alsbald eine Glykosurie auftreten sehen.
StkOmpell sah schon bei völlig Gesunden nach nur 150 Grm. Glykosurie
auftreten anter der Voraunetxung, dass die ganse Doste auf einmal ge-
nommen und der Harn in den stflndlich entleerten einzelnen Portionen
untersucht wurde. Ks kommt also bei der alimentären Glykosurie nicht
nur auf die absolute Menge des in den Körper eingeführten Zuckers, sondern
ebenso auf die Raschheit seiner Resorption an. Diese Verhältnisse sind zu
1>erfiek8ichtlgenf wenn man ans der alimentftren Glykosurie einen Massstab
fOr eine abnorm abgeschwächte Zorsetzungskraft des Körpers fQr Zucker
gewinnen will. Die in dieser Richtung ausgeführten Untersuchungen Strüh-
pill's ergaben, dass bei marantischen Personen mit hochgradiger allge-
meiner Körpersehwftehe nach Darreichung mittlerer Zackermengen kdne
Glykosurie beobachtet wurde, ebensowenig bei schwerer AiAmie, Icterus,
Lebercirrhose und Gicht. Selbst bei 3 Fällen von schwerer progressiver
Muskelatrophie, bei welcher man wohl annehmen müsste, dass die Zersetzung
der Kohlenhydrate leidet, war das Resultat ein negatives. In Rucksicht auf
die Aetiologie des Diabetes untersnehte Strümpell 3 Gruppen von Kranken:
1. Kranke mit allgemeiner Arteriosklerose, hierbei erhielt er kein eindeutiges
Resultat. 2. Kranke mit allgemein nervösen und neurasthenischen Be-
schwerden, bei denen ja oft leichte Diabetesformen beobachtet werden.
Hierbei eriiielt StrOiifbll so onsweldeutig positive Resultate, dass er in
der That geneigt ist, eine wirkliche Herabsetrang der Zersetzungsfihigkeit
der Kohlenhydrate bei derartigen Kranken — meist handelte es sich um
sogenannte traumatische Neurosen — in einzelnen Fällen anzunehmen. Die
unzweideutigsten positiven Resultate ergab aber die 3. Gruppe, die chro-
nischen Alkoholisten oder richtiger die habituellen, stsrken Biertrinker.
Hier führte schon die Einnahme von 50 Grm. Traubenzucker oft zu vor-
übergehender Glykosurie. Zur ätiologischen Betrachtung des Diabetes über-
gehend, hält Strümpell ihn in einer Reihe von Fällen für endogenen Ur-
sprunges, namentlich den jugendlichen schweren Diabetes, für den sich In
der Anamnese kein einziges verwerthbares Moment auffindet Von exogenen
Krankheitsursachen macht er ausser den bekannten (Trauma, Lues, psy-
chische Aufregung) besonders auf das Potatorium aufmerksam, namentlich
reichlichen Biergenuss; beweisend ist ihm hierfür die häufige Combinatlon
des Diabetes mit solchen Krankheiten, die sicher auf Potatorium zurück-
zuführen sind, wie chronische Nephritis, Arteriitis, alkoholische Neuritis etc.
Ursprünglich scheint hier nur alimentäre Glykosurie vorzuliegen, die all-
m&lig in den Diabetes übergeht.
Auf nieht gewöhnlichem Wege versuchten A. Bibdl und R. Kraus
alimentire Glykosurie su erzeugen. Sie haben 200 — 300 Grm. Trauben«
8*
L.iyu,^cd by Google
116
Harn.
luckerlösung intravenös injicirt und dadurch den Zuckergehalt des Blutes
auf das Dreifache gesteigert. Trotzdeui kam es weder zur Glykosurie.
noch zur Polyurie, allerdings traten im Harn reducirende Substanzen auf, die
aber weder die Polarittationsebene drehten, noch gährf&hig waren.
VorObergehend« Glykosarle beobachtete Nbugrbaubr»^ bei Ein-
klemmung einer circa 2 Meter langen Ileumschlinge in einer Hernie. Er wurde
hierdurch zu Versuchen an Hunden und Kaninchen angeregt, um einen
etwaigen Zusammenhang zwischen Incarceration und Zuckerausscheidung
anfsoklftren. Scbon M. Schipf batte auf Grand von Thierexperimenten ge-
schlössen, das* wie nach dem Tode infolge des Aufhörens der Blutbewegung,
so bei Hemmung der Circulation während des Lebens sich im peripheren
Blute und dem der Leber ein Ferment bilde, das Glykogen in Zucker um-
zusetzen im Stande sei. Ferner hatte Kolisch durch Unterbindung der Art.
meseraica snperior Olykosnrie bervorrafen kSnnen, die er als alimentäre Gly-
kosurie ansprach, hervorgerufen durch Aufhebung der Thätigkeit des Dünn-
darms, des zuckeras-similirenden Organs. Neugebai er untersuchte den Urin
von Hunden und Kaninchen, denen er, nach vorheriger Einspritzung einiger
Gramm Dextrose In den Magen, Darminearcerationen ersengt batte. Bs
ergab sieb, dass alle »nahe dem Magen angebrachten Darmabschnürungen
oder solche, welche eine lange DQnndarmstrecke einbezogen, (ilykosut io zur
Folge hatten, wenn vorher Kohlenhydrate eingeführt waren. Tiefe Abschnü-
rungen — am Ileum oder Dickdarm — hatten dagegen keine Zuckeraus»
Scheidung snr Folge; er debt darin eine Bestfttlgnng der Ergebnisse Kolisch's
und glaubt die Seltenheit des Auftretens von Glykosurle bei incarcerirten
Brüchen von Menschen dadurch erklären zu können, dass heftige Kinklem-
mungüD »u mächtiger Eingeweidemassen, bei denen die oberen, kürzer auf-
gehingten DQnndarmtheile in die Incarceration elnbesogen sind, eben so
selten vorkämen als die alleinige Abschnürung einer hochgelegenen DDnn-
darmschlinge ; er weist ferner darauf hin. dass die Kenntniss dieser vor-
fibergehenden Qlykosurie von praktischer Wichtigkeit sei , da sie keinen
schädigenden Einfluss anf den Verlauf der Narkose , beziehungsweise der
Wnndbeilnng ausfibe. Verfasser fand in einnr zweiten kliniscben Beobach»
tung. wo bei Einklemmung ein(>s über einen halben Meter langen DQnn»
darmstückes f'l)ental!s vorübergehende Glykosurle nachgewiesen werden
konnte, eine gewisse Bestätigung seiner experimentell gewonnenen Resultate.
Nach Vergiftungen mit Koblenoxyd wurde manchmal Glykosurle
beobachtet, häufig aber auch nicht. W.\lter Strai ü fand nun in seinen
Versuchen, dass dieselbe nur bei jenen Ver.suchsthieren (Hunde) auftritt,
welche mit Fleisch gefüttert waren. Fütterung mit Eiweiss oder Leim kam
der FlelscbfQtterung glelcb. Die ExtraeÜvstoffe des Fleisches waren bei
dieser Wirkung nicht betbeillgt. Hunde mit Brotfütterang seigten die Er-
scheinung nicht, auch nii^bt bei Eingabe von Trauben- oder Milchzucker
oder auch nach oftmals wiederholter Vergiftung. Verfasser nimmt darum
an, dass der Zucker aus dem Eiweiss sowohl aus dem \'erlülterten , als
auch aus dem vom KSrper Abgegebenen gebildet werde. Die Zuckerblldnng
selbst ist eine eigenartige Wirkung der Kohlenoxydvergiftung und hängt
nicht, wie Auaki annimmt» von der verminderten Oxydationskraft desKohlen-
oxydblutes ab.
Bei der polarimetrischen und titrimetriscben Bestimmung
der Olykose in eiweiss-, blnt- und harnsalzreicben Hamen wird zur Klä"
rung bisnun eine Bleizuckerlßsung dem Harn zugefügt : dabei gelingt es
aber nicht immer, ein hinreichend klares und farbloses Filtrat zu erhalten.
Nach den Versuchen von B. A. va.\ Ketel ^"j gelingt es , 50 Ccm. eines
eiweissbaltenden, dankel gefärbten und an Harasalsen relcben suokerhäl-
tigen Harnes nach HinsufOgung von 4 Gcul Phenol llquefact und 15 Ccm.
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Harn.
117
(Ipr Bleiacetlösung völlig klar zu filtriren. Wenn nur geringe Spuren von
Zucker im Harne anwesend sind (z. B. 0,2 — 0,lVo)i dann ist der Uebalt
desselben (nach Entfernung: des Bleies) am besten mittels FBBLino'scher
Kapferl9«nB(p sn bestimmen.
Nach G. Blchner*") haftet der Zuckerprobe mit NYi.wDERscher
Wismuthlösung (durch Auflösen von 2 Qrm. basisch salpetersaureni Wismuth
und 4 Grm. Seigaetsalz in 100 Grm. einer Natronlösung von 8% Na^ O
und Abfiltriren des ungelösten Wismntbsalzes dargestellt) eine FeblerqaeOe
insoferne an. dass sie mit dem Uroerythrin dem rothen Farbstoff, welcher
die ziegelrothe Färbung des Urat Sediments bedingt, in alkalischer Lösung
Dunkelfärbaog annimmt und diese auch den ausfallenden Niederschlägen
mittheilt. Bei Anwendmig der WismnthoxydlSsung läset somit eine Grau-
fllrbaag nnr dann den Schlass auf Zucker zu, wenn der Harn, mit Alkali
allein sekocht, keinen grauen Niedcrschlap: von Erdpho.sphaten giebt.
Zur Bestimmung des Traubenzuckers im Harne empfiehlt
A. Jassoy^^} folgende gasanalytische Methode: 10 Com. des eventuell ver-
dünnten und mit etwas Weinsäure versetsten Harns werden In ein starkes
Reageasglas gebracht und darauf ein Stopfen festgesetzt, der in swei Boh-
rungen ein mit Glashahn versehenes Trichterrohr und ein ebenso verschliess-
bares, rechtwinkelig gebogenes Glasröbrchen trägt. Der Harn wird zum
Kochen gebracht und dann rasch die Glashähne geschlossen ; beim Erkalten
entsteht eine starke Loftverdfinnung. Durch das Trichterrohr lässt man
nun etwas Hefeaufschlämmung einsaugen, ohne dass man aber gleichzeitig
Luft eintreten lässt. iJen so vorbereiteten Apparat lässt man 12 — 18 Stunden
bei einer Temperatur von 20 — 25'' stehen. Nach beendeter Gährung ver-
bindet man das rechtwinkelig gebogene Rdhrchen mit irgend einem der
gasanalytischen Apparate — Jassoy verwendet einen dem ORSAT'schen
nacherebildeten einfachen Apparat — und treibt das Ga.sgemisch in den-
selben hinein, indem man gleichzeitig die Flüssigkeit kocht und den leeren
Raum des GährungsrShrchens und Verbindungsschlanohes durch den er-
wähnten Habntrichter mit kochendem Wasser nachfüllt. Das Gasvolum im
Messapparate wird abgelesen, die Kohlensäure daraus durch Kalilau<re a!>-
sorbirt und wieder abgelesen. Nach directen Versuchen Jassoy s erzeugt
U,l Grm. Uarnzucker 16 Ccm. Kohlensäure (bei 0° und 76°), bei theoretischer
Vergährong sollte dieselbe Menge wasserfreien Traubensuckers 24,8 Ccm.
Gas erzeugen.
Zur Aufstellung einer Lävulosurio bedarf es nach Külz noch einiger
Punkte, die bisher nicht klargestellt sind. Der in seinem Falle durch Fällung
mit Bleiessig isoilrte Kdrper drehte wohl links, war mit Hefe vergährbar,
lieferte tin Osazon vom Schmelzpunkte 2( 0 0. und reducirte Metalloxyde,
jedoch die Thatsache, dass dieser Köriier durch Bleiessig ffillbar war. Hess
an der Identität desselben mit Lävuloso noch immer zweifeln. B. May
fand hei einem Kranken mit Myelitis geringe Linksdrehung des in ammo-
nlakaliacher Gährung begriffenen, redncirenden Harnes, ebenfalls einen Körper,
der die von Kt*LZ festgestellten Lävuloseprobcn sämmtlich gab, durch Blei-
essig wurde jedoch die linksdrehende Substanz nur unvollständig gefällt;
doch spricht nach May auch die Fällbarkeit durch Bleiessig nicht gegen
Lä^ulose, insoferne Svoboda nachgewiesen, dass in ZnckerlSsungen, welche
Salze enthalten, die zur Bildung schwer 16slicher Bleiverbindungen führen,
durch Bleiessig Zucker mit «refällt wird.
Zum Nachweis von indican im Harn hat A. Lüubian behufs
Ueberftthrung desselben in Indigo statt des bisher gebräuchlichen Cblor^
kalks Wasserstoffsuperoxyd empfohlen. Bs werden etwa 2 Ccm. Harn mit
dem gleichen Volumen Chloroform und 1 Ccm. einer 5 — 10"^,igen Was^ser-
stoffsuperozydlösung versetzt. Nach weiterem Zusätze von 2 Ccm. concen-
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118
Harn.
trirter Salzs&ure erwärmt man die Mischung gelinde und schüttelt wenigstens
20mal dureh. Bei Gegenwart von nur sehr geringen Mengen Indican wird
das Chloroform yom goMldeton Indigo borofta blaa gefirbt
Die Angaben von Stokvis, betreffend das Entstehen von Hämato-
Porphyrinurie bei Kaninchen auf experimentellem Wege (s. Encyclopäd.
Jahrb. pag. 256), stehen mit den Ergebnissen früherer Untersuchungen
Kast's in Widerspmöb. Bs haben daher Kast nnd Weiss die Angaben von
Stokvis genau nach seiner Versuchsordnnng nachgeprüft, jedoch mit nega-
tivem Resultate. Weder bei Kaninchen, noch bei Hunden gelang es , durch
Darreichung von Sulfonal in grossen Dosen Hämatoporphyrinurie zu erzeugen,
wie aie roweUen beim Menschen beobachtet wird. Wohl zeigte der Harn
bei Kaninchen manchmal das Absorptionsapeetrom des HydroblUnibinT in
einzelnen Fällen trat auch eine zeitweise Rothlirbling auf. die aber sicher
nicht auf der Anwesenheit von Hämatoporphyrin beruhte, .sondern «lurch
einen anderen, bisher noch unbekannten Farbstoff bedingt wurde. Magen-
blatnngen konnten die Verfasser swar bei 25 V» ihrer Beobachtangen eon-
statiren, indess lialten sie diesen Befund für einen saHlUgeB, da er anoh
bei vielen Thieren . die kein Sulfonal erhalten hatten, erhoben wurde und
das Auftreten des erwähnten rothen Farbstoffes in keinerlei Beziehung zu
den Blntani^ stand. Aoeh die Reagensglasversnehe von Stokvis, in denen
er durch Digrorirnng von BInt mit künstlichem Magensaft nnd Snifonal
kleine Afengen Hämatoporphyrin erhallen halien wollte, konnten, ebenso
wie einige andere Versuche, nicht bestiit'ut werden. Es bleibt somit die
Thatsache bestehen, dass Sulfunal eine unschuldige Substanz darstellt. Auch
das Auftreten jenes erwähnten rothen Farbstoffes kann daran nichts ändern,
da er niemals bei Händen, sondern nur bei Kaninchen nnd auch hier nnr
in gefunden wurde, bei denen Bedingungen vorliegen müssen, die
beim normalen Menschen nicht vorhanden sind. Das Vorkommen von Hämato-
porphyrinnrie nach Sulfonalgebranch beim Menschen ist nnr bei geb&nfter
Darreichung unter gewissen pathologischen Bedingungen, vornehmlich liei
anämischen Frauen und V)ei gleichzeitig bestehender hartnackiger Obstipation
möglich. Dabei ist wahrscheinlich eine gesteigerte Siurebildung im Spiel.
Archibald E. Garrod ^^") theilt seine schon im Jahre ItiLU im Juurn.
of Physiol. LVni, pag. 65 aosfOhrlleh beschriebene Metbode des Nach«
weises von Hämatoporphyrin im Harn, welche besonders für solche
Fälle anwendbar ist , in denen das Hämatoporphyrin wie z. B. im Harn
gesunder Menschen nur in geringer Menge vorkommt, neuerdings mit. Die
Methode, welche in den erwähnten Fällen empfindlicher als die von Salkowski
beschriebene sein soll, ist folgende: Der Harn wird auf 100 Ccm. mit
20 Ccm. einer 10" „igen Xatriumhydratlösurg versetzt (Erhitzen der Mischung
ist unnölhig), der Niederschlag auf ein Filter gebracht und nun in der
Weise gewaschen, dass man ihn wiederholt vom Filter abspült, in Wasser
vertheilt nnd wieder anf das Filter xnrflckbringt Besitat er eine röthliehe
Farbe oder lässt er im feuchten Zustande auf dem Filter das alkalische
Speetrum erkennen, so ist viel Hämatoporphyrin zucregen und der Nieder-
schlag kann so lange gewaschen werden, bis das Filtrat farblos abläuft.
Sind dagegen nnr Spuren des Farbstoffes vorhanden, so begnügt man sich
besser mit nur einmaligem Waschen. Der Niederschlag wird darauf mit
Alkohol behandelt, dem so viel Salzsäure zugesetzt ist. dass sich der Nieder-
schlag vollständig löst. Die Lösung, die kein grösseres Volumen als 15 bis
20 Com. haben soll, wird mittels eines Spectroskops mit geringer Dispersion
auf die Streifen des sauren Hämatoporphyrins nntersucht. Man macht dann die
Losung mit Ammoniak alkalisch und fügt Essigsäure zu, bis der entstandene
Phospbatnieilerschlair wieder in Lösung gegangen ist. Aus der essigsauren
Lösung niiiimi Cblorofurm den Farbstoff leicht und vollständig auf und das
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Harn.
119
Chloroform zeig^ daon die Bänder des alkalischen Hämatoporphyrins, weil
orn^nlsehe S&nren den Furbttotf nldit in die Fonn venrandeln, welche das
saure Spectrum aufweist. Der RQckstand, welcher nach dem Verdunsten
des ChloroformB bleibt, kann mit Wasser gewast-hen und In Alkohol gelöst
werden, wobei man eine annähernd reine Lösung erhält, vergleichbar der
«infr LSsnnfir von HSmatoporphyrin ans Hämattn. Den Ornnd für die
Genauigkeit der Probe findet QabrOD darin, dass der mit Natronlauge
entstehende Fhosphatniederschlag prering: ist und daher sich in saurem
Alkohol leicht vollständig löst. Bei der Untersuchung von dunkelrothen
Sttlfonalharnen dagegen giebt das Verfahren von Salkowski bessere Resultate,
weil bier die Menge dee Hftmatoporpliyrina grösser Ist^ als dass es mit dem
auf Nntronzusats entstehenden Phosphatnlederschlag vollständig gelftllt
werden könnte.
Als Urospectrin oder normales Urohämatoporphy rin beschreibt
Saillbt ein im normalen Harn in geringen Mengen mit Indlvidoellen Schwan-
kungen zu 2 — 11 Mgrm. in der Tagesmenge vorkommendes Pigment. Das-
selbe lässt sich in ein dem reducirten Hämatin entsprechen ilt^s Pigment,
das Saillet als Uämochromogen ohne Eisen bezeichnet, überführen. Bei
künstlichem rothen Licht ausgefOhrte Untenraeiiangen selgen ferner, dass
der grSsste Theil des Urospeetrins tiB Cbromogen ausgeschieden wird und
eich unter dem Etnflnss des Lichtes in Urospecti-in umwandelt. Verlassliche
Resultate erhält man darnach nur, wenn mau den frischg-elassenen Urin bei
Ausschluss der chemischen Lichtstrahlen prüft. Im Harn von Fieberkranken
ist das Urospectrin im Gegensatz zn Urobiiin vermindert; schon eine ein-
fache Indigestion wirkt in gleicher Weise.
Den Xarhwei.s von Gallenfarbstoffen im Harn fuhrt A. Jolles")
nunmehr nach folgender Modification aus: 50 Ccm. Harn werden mit ]e
5 Cem. einer 10 böigen CnilorbariumlSsung und Chloroform in einem eigen-
thfimlldi gestalteten Scbfittelcylinder, dessen unteres Ende einem Scheide-
trichter nachgebildet ist, gemischt. Chlorofortn und der entstehende Xietler-
sehlag la.ssen .sich dadurch leicht von der überstehenden Flüssigkeit trennen.
Bs wird dann das Chloroform und der Niederschlag in einer Schale auf s
Wasserbad gebracht und das erstere vertagt. Bringt man nun auf einige
Stellen des Kückstandes 1 — 2 Tropfen concentrirter Salpetersäure, so ent-
steht sofort der ciiarakleristlsche grUne und blaue Ring. Die Probe soll sehr
empfindlich sein.
Neuere Untersuchungen von E. Salkowski lehrten, dass bei der
von ihm angegebenen Metbode des Nachweises von Albumosen (s. Eacyclop&d.
Jahrb. VI, pag. 251) die Blut tat renction durch reichlichen Gehalt des Harnes
an Urobiiin vorErelfiuscht werden kann. Die spectroskopische Untersuchung
der gelüsten Phosphorwolframsüurefällung zeigte regelmässig einen schwachen
UrobOinstreifen, es mosste also das Urobiiin durch die genannte S&nre, die
man zur Abscheidung der Albumosen benutzt, mitgefällt worden sein. Auch
die Fällung des Harns mit Bleiessig (nach Jaffk wird Urobiiin datnit gefällt)
Hess, wenn sie entsprechend weiterbehandelt wurde, den Absorptionsstreifen
des Urobilins sebwaoh erkennen. Die sanfte AusschQttelung des Harnes mit
alkoholfreiem Aether verhielt sich, nach Verdunsten des letzteren und Lösen
des Rückstandes in alkalischem Wasser, ebenso und gab mit einigen
Tropfen schwacher Kupfursulfatlösung die Biuretreaction. Dass die Reaclion
in den besprochenen Fallen nicht d urch Albumosen erzeugt sein konnte,
war mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen und B. Salkowski unter-
suchte nun das Verhalten von möglichst rein dargestelltem Urobiiin gegen
Natronlauge und Kupfersulfat. Versuche mit Urobiiin. welches Salkowski
aus dem Harn, wie mit solchen, welches er aus Füces darstellte, ergaben,
dass Urobiiin die Biuretreaction giebt und dass der Gehalt des Harnes
uiym^L-ü Ly Google
120
Harn.
daran zur VerweehtlnD^ mit Albamoie ffibren kann« da das Urobilln aaa
dem Harne durch Phosphorwolframsäure fällbar ist. Die Kmpfindlichkelts-
grenze der Biuretreaction scheint für l'rohiün bei einem Gehalte von
0,003% im Harne erreicht zu sein. Andere Harnfarbstoffe als Urubiiin
flcbeineii Albamose nlebt vorantftuscheD , fn dnokelgellrbten Fleberhanieii
kann die Biuretreactioii SQWeilen durch andere Farbstoffe verdeckt werden,
und eine Verwechslung von Albumose mit Urohilin ist nach den Erfahrunpen
voo £. Salkowski nur dann zu fürchten, wenn der Harn bei der directen
speetroskopiseheB UntersnebuDg einen wobl ausgebildeten Streifen leigt.
Die Entseheldnng darflber wird freilieh immer elnigermassen subjectiv bleiben.
Zur Feststellung eines Albumosegehaltes in urobilinreichen Harnen empfiehlt
er im Allgemeinen (iio directe Fällun? des Harnes mit Phosphorwolfram-
säure t^das mechanisch niedergerissene Urobilin wird dann aus dem Nieder-
schlag entfernt). Bei der sonst fiblichen Ansf&llnng des Urobllins mit Blei-
esslg oder neutralem Bleiacetat kann Albumose mit in den Niederschlag
fibergehen und sich demnach dem Nachweise entziehen. Der störende Einfluss
der übrigen Farbstoffe in dunkelgefärbten Harnen bei der Prüfung auf
Albamose (neben UrobHIn) liest sieh yerringem, wenn man nnr 10—15 Cem.
Im Reagensglas in Arbeit nimmt; die Btaretreaction erscheint dadarcb zwar
blass, jedoch reiner. Kntfärben des Harnes mit Kohle und Ausschütteln des
Urobilins im angesäuerten Harne (iurch Amylalkohol sind von der Gefahr,
dass hierbei Albumose verloren geben kann, nicht frei. Bezüglich der von
B. Salkowski modifieirten Methode der Abscheidnng des Urobilins ans dem
Harne nach Jaff^ verweisen wir auf das Original.
Ein Lösung'smittel für den dem Harn seine gelbe Farbe verleihenden
Farbstoff, welches im Stande wäre, diesen aus dem Harn aufzunehmen, war
bis jetzt nicht bekannt. Der Farbstoff wurde wohl dnroh Fftllung mit Blei-
salzen und durch Filtration des Harnes durch Tbierkohle ans dem Harn
entfernt, jedoch gelang es kaum oder sehr schwer, denselben aus den Sub-
stanzen, an die er gebunden war. wieder zu gewinnen. A. E. G.\rkou hat
folgenden Weg eingeschlagen, um den gelben, präformirten Harnfarbstoff
durch Erschwerung seiner LSslIchkeltsbedingungen In Wasser aus dem Harn
in ein an sich nicht stärkeres Losungsmittel fiberzutreiben, ihn auszusalzen.
Er sättigte den Harn mit Ammoniumsulfat, wobei der gelbe F'arbstoff in
das Filtrat überging und beim Schütteln mit Alkohol von diesem auf-
genommen wurde. Der Uebergang des Farbstoffes ist kein vollstlndiger, aber
durch wiederholtes Aufscbfltteln gelingt es, den grSssten Tbeil in Alkohol über-
zuführen. Durch Zusatz von Ammoniak zur alkoholischen T.ösung soll dann
der Harnfarbstoff beim Eindampfen vor der Veränderung geschützt werden.
Als ein vorzügliches Lösungsmittel des normalen Harnfarbstoffes
bezeichnet William Kramh **) nach seinen Im chemischen Laboratorium des
pathologischen Institutes in Berlin ausgeführten Untersuchungen 90Vo'g®
Carbolsäure. Schüttelt man 4 — .') Theile Harn mit einem Theil Phenol, so
wird der Hain fast vollständig entfärbt, und auch der letzte Rest von Farb-
stoff geht in das Phenol Aber, wenn man den Harn mit Ammoninmsulfat
S&ttigt. Um weiter den Faibstoff au.-^ dem Phenol zu gewinnen, wurde
letzteres mit Aether gemi.scht und mit A(|. destill geffillt. Im Scheidetrichter
getrennt, zeigt das Wasser eine gelbe, die Aetberphenolmischung eine rothe
Färbung. Die weitere, besonders optische Untersuchung des letzteren zeigt,
dass sie zwei Farbstoffe enthält^ von denen einer sicher Urobilin, der andere
wahrscheinlich Hämatoporphyrin ist. Der in Phenoläther unlösliche Farbstoff
ist der gelbe Harnfarb.stoff, das Urochrom : man kann es aus der Phenol-
lüsung auch durch Zusatz von Aether allein, ohne Wasser gewinnen, steta
bleibt es aber stark verunreinigt durch organische und unorganische Sab-
stanzen, die aus dem Harn in das Phenol fibergehen, besonders Kreatinin.
Harn.
121
Nachdpm sich das Phenol so als ein {jutes Lösuntrsmitte! der Harnfarhstoffe
erwiesen, lag es nahe, den Versuch zu machen, ob es auch im Stande sei,
die Farbstoffe statt direet ans dem Harn, ans gewissen Verbindungen, die
diese Farbstoffe eingehen, frei zu machen nnd in Lösung zu bringen. Die
Verbindung: der Farbstoffe mit Harnsaure, sowie die Bleiverbindung der
Hsrnfarbstoffe gab diesbezüglich ein negatives Resultat, sie wurden vom
Phenol nicht anfsenommen, wenigstens nicht ohne gleichseitige Zersetznng.
Kramm machte noch Versuche, die Farbstoffe aus Tbierkohle zu gewinnen,
die ja bekanntlich die Harnfarbstoffo bindet. In der That zeigte sich, dass
aus einer solchen Bindung, am besten mit FLEMMiXG'scher Thierkohle, sowohl
Urobilin als auch der gelbe Harnfarbstoff frei wird, wenn man die Kohle
mit Phenol schüttelt. Dadurch ist die MÖgliobkeit der Relndarstellnng des
Urochroms nahegerQckt.
Das Verhalten einiger dem Salol analog zusammengesetzter Salicyl-
säureester im Organismus untersuchte quantitativ Stefan Bonüzynski. *')
Es wurden namentlich Aethyl* nnd Aethylensalicylat, femer das Salioylsfture-
glyeerid in Besug auf ihre Zerlegung im Darm und ihre Ausscheidung durch
Harn und Fücps proprfift. Salirylsaures Natron wurde vollständig resorbirt
und fast vollständig im Verlauf von 48 Stunden durch den Harn ausge-
schieden. In gleicherweise verhielt sich Aethylsalicylat. Das Aethylensalicylat
wurde nicht so vollständig gespalten, 20 — 80% erschienen im Koth wieder,
von dem resorbirten Antheil wurden 47Vo als Salicylsäure im Harn ausge-
schieden ; noch später tritt dies Verhalten bei dem Trisalicylglycerid , von
dem nur 8,7% resorßirt und durch den Harn als Salicylsäure abgeschieden
werden, hervor. Eine bedeutend leichtere Spaltbarkeit wies der Salicyl-
sfturedichlorhydrinester auf und ganz dem Aetbylsalicylat fthnlich leigten sieh
das wasserlösliche Salicylamtd und das Salacetol.
Einen Fall von Anthrakose des Urins beschreibt Betz. Bei einem
86|ährigen Hafner, der vorher längere Zeit Oefen, in denen Anthracitkohle
gebrannt wurde, gereinigt hatte und an Bronchitis erkrankte, trat plStsüch
im Urin schwarzer Bodensatz auf. Der Urin zeigte noch an den zwei folgenden
Tagen das gleiche schwere Sediment, immer in abnehmender Menge; am
vierten Tage war es verschwunden. Das Sediment mischte sich beim Um-
schfltteln schnell mit Urin, schied sich aber schnell wieder als schwarte
pulverige Masse ab, ohne dass der Urin nur im Geringsten sich schwarz färbte.
Das Sputum blieb frei. Es wurde chemisch und mikroskopisch nachgewiesen,
dass der Bodensatz Anthracitkohlenstaub war.
Zur Conservirung von Harnsedimenten emplieblt Gumprbcht **)
ein Verfahren, dessen Technik in KQrxe in folgenden Punkten enthalten Ist:
1. Centrifugiren des Urins vermittels Handcentrlfuge in kugelig endenden
KSlbchen, bis sich Sediment bildet ; eventuell hei zu spärlichen! Sediment
mehrmaliges Decantiren und Nacbgiessen, bis eine compacte Sedimentschicht
erscheint. 2. Abgiessen der fll>er dem Sediment stehenden klaren Flflssig-
keit. .Auf^iessen von Formol (2— 10'* nigi und enerja^isches Aufschütteln,
bis sich das Sediment wieder ß:leichinässi^ in der Flüssigkeit vertheilt hat.
Aufbewahren der Flüssigkeit in einem Heagensglas ; das Sediment setzt sich
dort wie eioe Nubecula ab und kann jederzeit aufpipettirt werden. 4. FUr
Blut kiHnrat swindien 2 und Z noch hinzu: Ueiwrgiessen mit concentrirter
w&sseriger Sublimatlnsnng (1 : 20) und sechsmaliges Auswaschen durch Centri>
ftigiren mit Wasser.
Zur Frage der Ausscheidung von Mikroorganismen durch die
Nieren haben A. Bibol und R. KRAns6<>) experimentelle BeitrSge geliefert.
Staphylococcus aureus, Bacterium coli und Anthraxbacillen werden nach
ihrer Injection in die Blutbahn durch den normalen hhit- und eiweissfreien
Uarn schon nach wenigen Minuten loschen nach 5 Minuten in einigen Füllen;
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122
Harn.
Mhobweise nnd nnglelchmlMlg von beiden Nieren ftnegeeehieden. Diese Ans«
eebeidang soll durch normale Gefässe stattfinden können, und durch eine
active Hyperämie begQnstigrt werden. Dieses frQhzeitige Erscheinen der
Mikroorganismen konnten die Verfasser feststellen, indem sie den Harn
dtreet ans den üreteren In regelmässigen Interrallen anffingen.
Ueber den Nachweis von Tfpbnsbaclllen im Harn berichtet
H.Smith.*"*) Aseptisch entnommener Harn von Typhuskranken wurde auf
Gelatine verimpft und jede verdacht ipe Colonie nach den gewöhnlichen
Metboden geprüft. Ausserdem stellte Ömith die Cilienfärbung und Serum-
probe an und prüfte, ob die Mikroorganismen nach 24 Standen in Mlleb
schwache Säurebildung veranlassten, l'nter diesen Cautelen ist es möglich,
die Typhusbacillen von allen anderen Mikroben zu unterscheiden. Ks wurden
7 Fälle mit 61 Einzeluntersuchungen geprüft. In 3 Fällen enthielt der Harn
Typhusbaeillen znm Theil in enormen Qaantitftten, niemals waren sie ahw
▼or Anfang der 3. Woohe naehweisliar. Der Untersochung kommt daher in
diaf2;nostischer Beziehung nur ein geringer Werth zu, dagegen wird man
daran zu denken haben, daas der Harn eventuell zu weiteren Infectionen
Anlass geben kann.
Ueber die Fftrbnng nnd Conservirang organisirter Harnbestand-
theile hat Jacobsoh.n "i) Untersuchungen ausgeffihrt. Er hat nach Gross*
Vorgang das Sediment des Harns von 34 Gonorrhoen, Cystitiden und Nephri-
tiden mit aiizarin sulfosaurem Natrium gefärbt, welches die Eigenschaft hat,
saure SulMtanien gelb, alkalisebe violett, neutrale rotb bis braunroth xn
firben. Die Epitbelien, gleichviel ob aus Hamrdhre, Blase, Niere, nahmen
meistens eine geH)e Farbe an; einigemale fanden sich violett gefärbte P^pi-
thelien, und zwar bei tief greifenden und hartnäckigen entzündlichen Er-
krankungen der Schleimhaut der Harnröhre, benonders der hinteren Harn-
röhre. Es stimmt das su dem von Gross an der Harnröhrensobleimhaot
frischer männlicher Leichen erhobenen Befund, dass die Epithelien eine um
so deutlichere alkalische Reaction zeigten, ie tieferen Schleimhaut schichten
sie entstammten. Man kann nur ganz frische Harnbestandtbeile in dieser
Weise fftrben und muss also das Sediment durch Centrifuge gewinnen.
Behufs Untersuchung der ungefärbten organisirten Bestandtheile nach Tagen
und Wochen nach Entnahme des Harns ist es am eintaohsten, einen Tbymoi-
krystall dem Harn zuzusetzen.
Die Bakteriurie und deren Therapie schildert H. Goldbnbbrg.
Er l&sst als wahre Fftlle von Bakteriurie nur solche gelten, bei denen schon
der frische Urin zahlreiche Bakterien enthält, die Bakterien sind dleselhen,
die man auch in fior normalen Urethra. Vagina etc. findet. Meistens werden
dieselben durch Instrumente in die Blase gebracht, können aber auch auf
dem Wege der Respirationsorgane eindringen. Autoinfection kann erfolgen
auf directem Wege, z. B. bei Durclibruch eines Prostataabscesses in die
Urethra, oder indirect . indem die Bakterien aus dem Rectum durch die
Lymphbahnen oder nach Absorption durch die Blutgefässe und die Nieren
in die Blase eindringen. Die Therapie hat sich nach der Aetiologie zu richten.
Bei Infeotion von der Urethra aus sind Ausspülungen der Blase und Harn*
röhre mit Arg. nitr. am Platze, innerlich Salol. Hei Prostataabscessen die-
selbe Therrijiie und >fassage der Prostata. Srhwierisrer ist die Behandlung,
wenn eine Autoinfection vom lutesliualtructus aus vorliegt. Man muss dann
die im Darm befindlichen Bakterien abzutödten und die abnormale O&hrung
zu verhindern suchen. Goldexberg theilt ausführlich einen Fall mit, bei
welchem sich an eine chronische Entzündung der Samenblasen eine Bakteri-
urie angeschlossen hatte, die nach langer vergeblicher localer Behandlung
durch h&ufige Irrigationen des Mastdarmes mit Seifenwasser zur Heilung
Isam. OoLDBXBBRO ist der Ansicht, dass diese Bakteriurie intestinalen Ur>
Harn.
123
Sprunges war, dass durch die nothwendige Massage der Samenblasen Epithel-
defecte entstanden waren, die das Eindringen der Mikroorganismen ermög-
liehten.
Literatur: ') A. v. Kohahyi, Die diagnostiscbe Bedeutung einiger pathologischer Eigen-
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HarnsAure, retgl. Harn, pag. 105 IT.
Harnstoff; vergl. Harn, pag. 102 IL
Holocain, p- Diäthoxy&thenyldiphenylamidin, Amidin, ist
ein Derivat des // I'hpnetidins von starker loral-anasthetisrher Wirkunp:. Es
entsteht, indem sich unter Ausscheidung von Wasser gleiche Mülecüie /<-Fhene-
tidin und Phenacetin mit einander verbinden, als eine in kaltem Wasser
niohtf lefeht In warmem Idsliehe krftftige Base von neutraler Reaetloo, die
auch durch längeres Kochen nicht verändert wird. Dir \\ ässerlgen Lösungen
des HCl-Salzes enf halten in kaltem, {resättifftem Zustande prepren -,5" f, <lor
Verbindung und besitzen unbegrenzte Haltbarkeit. Ais Anästheticum wirkt
das Holocafn auch in lenen P&Uen, wo das Cocain versagt und hat keine
unangenehmen Nehenwirkunt^^en im Gefolge, ausser ein leichtes, etwa 1 Minute
lang: dauerndes Brennen. Es wird in der Augenheilkunde verwendet und
hier namentlich zur Entfernung von Fremdkörpern benutzt, da es schon nach
15 Secunden In Dosen von 3 — 5 Tropfen einer P/oi^en Lösung eine 5 bis
15 Minnten anhaltende totale Unempfindllchkeit der Augenobertlftohe hervor*
bringt und daher zar Entfernung von in die Hornbaut eingedrungenen
Splittern u. derpl. vorzögüch p:peig:net ist. Ot TTMANN' hobt als Vorzug vor
dem Cocain das schnelle Eintreten der Anästhesie hervor. Die galvano-
kaustische Verschorinng von Hombantgesehwflren, die Tfttowirung eines
Leukoms, eine Schieloperation und die Discision eines weichen Staares
konnten schtnf rzlos ausgfernhrt werden. Betont wird jedoch die ^rrnsso
Giftigkeit des Mittels. Die Verbindung wird von den Höchster Farbwerken
in den Handel gebrachL
Literatur: O. ODTTMum, Veber Holocnin, ein ncnes Anüsthetlcnm. Deutsche med.
Wochensehr., 1897, Nr. II. Loeblatb,
uiyiu^Lü by Google
I» J.
Ictltliallin ^ Bezeichnunjr eines neuerdings herjrestellten . dem
»Tannallin« analo^ron, p:enich- und geschmacklosen Ichthyoleiweie. Vergl.
die vorläufige Mitt Heilung von Saük, Deutsche med. Wochenscbr. 1897, Nr. 23.
Ileus, s. Darm, pag, G'J.
Indicaii, Nachweis, vergl. Harn, pag. 117.
Jodamyluni, Jod stärke, Amylum jodatum insolubile, wurde von
C. Majbwski als Ersatziuiliel des Jodoforms für die chirurgische Praxis
empfohlen. Es wird dargeetellt dnreh Verreiben von 2 Tlieilen Stftrke mit
1 Theil JodtiDctur und nachtrSglichem mehrstfindigen Trocknen ; tiefblaues,
äusserst hygroskopisches, trotzdem unlösliches Pulver, von sQsslichem Ge-
schmacke und mildem Jodgerucb. Es ist reizlos, fQr Aufsaugung von Wund-
secreten sehr geeignet, Qbertrifft durch seine antiseptische and eiterhemmende
Wirknng das Jodoform um Vieles und sdieint nnglftig sa sein ; Verbinde
von längerer Dauer (1 — '2 Wochen i mit Jodamylum sind wegen unange-
nehmer Geruchsentwickluni^ nicht einpfehlenswerth.
Zur Bereitung der Jodamylumgaze wird zunächst eine Mischung aus
1 Theil Jodstftrke und 4 Tbellen Spiritus berrestellt, damit trAnkt man
sterilisirten hydrophilen Mull (75 Qrm. Mischung auf 1 Qm.) , knetet den-
selben behufs sorgfältiger Vertheilung der Mischung gut durch und trocknet
den Verbandstoff 15 Minuten lang an der Loft. Die 4 — löfach geschichtete
Jodamylumgase und ein sterilisirter Holswollepolster bildra den Jodst&rke-
Troeken verband.
Literatur: c. Majkwibi (ReglmeatMrsQ, Du Jodsmylam In der Gbinnrgie. Wiener
med. Presse. IH'M, Nr. 11». Lo^hisrh.
Joc^jodwasserstoffsanres Cliliiin, Chininum jodo hydrojo-
dicum, Cto Hj« N, O2 . J . HJ, ein in Wasser unlösliches, in Alkohol lösliches
Pulver, wurde sehon 1856 von Bouchardat Innerlich gegen hartniekige
Intermittens und später von Righini auch äusserlich bei Milzanschwellungen
empfohlen. Neuerding.s wurde es von As.-;akv bei secundären und tertiären
syphilitischen Symptomen in einer Tagesdosis von 2,5 ürm. mit günstigem
Erfolge angewendet Die loealen und allgemeinen Erscheinungen schwanden
in relativ kurzer Zeit. .lodismus wurde hierhei nicht beobachtet, hingegen
Chinismus bei Kranken, die hierfür individuell veranlagt waren. Das Mittel
wird in Pillen, wie folgt, verschrieben: Rp. Chininl pdo hydro^odici 10,0,
Kaolini puri 2,0, Mucilag. g. arabici q. s. n. f. pil Nr. 60, consp. Talco veneto.
Morgens >/<*^ABdlich je 2 Pillen; bis 16—20 Stfick den Vormittag über
m nehmen.
Literatur: Abcakt, Presse m6d. 1896, Mr. 75. — £. Mibck, Uericht Uber das Jahr 18%.
L«*hlaeh.
Jodosin^ Jodeiweiss mit 15% Jodgehalt^ wurde von F. Bli m bei
Kröpfen . bei Tetanie und bei Myxödem versucht und soll diese Zustande
günstig beeinflusst haben. Ueber Darstellung und Eigenschaften, sowie
Literatur s. bei Bromosin. LofUcth.
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126
Isozoiolo.
Isoxazole« Man belegt mit diesem Namen die durch Vereinigung
von [i-Diketonen und Hydroxylamin entstehenden Körper, die einen aus drei
Kohlenstoffatonen , einem Stickstoffatom und einem Sauerstoffatom bestehen-
den ffinfgliederigen Ring enthalten und daher, ähnlich den nahe verwandten
Pyraiolen, eine besondere chemiedie Gruppe der Asole bilden. Unter ihnen
ist das in Wasser leicht lösliche Met hylphenyllsoxazololilorraethylat
ein höchst oifrenthümliches Gift, das Daniontlich bei intravenöser Application
höchst auffällige Erscheinungen hervorruft. Bei Subcutanapplication ist es
naeb Versnehen David's wie andere Isoxasole ein lähmendes Olft, das bei
Warmblütern durch Athmungsstillstand tödtet. Bei Fröschen ist die L&hmong
hauptsächlich central, doch ist ein gewisser Grad von Lähmung der peri-
pheren Nerven nicht zu verkennen. Bei Warmblütern resultirt nach vor-
güDgiger Steigerung d«r Diorese nnd SshleimabsondeniDg im Mnnde (Kanin-
eben ^ Meerschwelncben) oder Brbredien (Hund) ein Zustand bedeutender
körperlicher Schwäche, mit periodischen, allpremeinen klonischen, vom Rücken-
mark iinahhnnf2:ipren Krämpfen, dann kommt es plötzlich zu starker Ver-
langsamuDg und IrreguluriUii der Atbmung, extremer Dyspnoe und Stillstand
der Respiration. Die Seetion weist l>el Thieren, die nicht brechen können,
Ekchymosen und Oedem der Luftwege nach. Sehr merkwürdig sind aber die
bei intravenöser Injection eintretenden Erscheinungen, die in plötzlichem,
mitunter von Krämpfen begleitetem, mehr als eine Minute anhaltendem Still-
stande der Atimiung in Exspiratlonsstellnng und gleiebseltiger Pulsverlang-
samnng nnd Steigerung des Blutdruckes bestehen. Die Ableitung dieser
Phänomene von einer Zersetzung der Verbindung im Körper in Methylhydroxyl-
amin ist bei dem unmittelbaren Aufirelen der ^Erscheinungen unhaltbar;
auch handelt es sich dabei offenbar nicht um Lähmung des Athmungs-
oentrnms, sondern um Erregung des ezspiratorlscben Atbmungscentmms,
neben welchem dann gleichzeitig und unabhängig (auch bei kflnstlicber Atb-
mung) das Vaguscentrum und das vasomotorische Centrum erregt wird. Diese
dem Keflexstillstande bei der Einleitung reizender Dämpfe auf die Nasen-
scblelmhaut entsprechende, übrigens auch bei Bintrftnfelnng ^on Isozasol-
lösungen in die Nase, sofort und selbst noch früher als bei intravenöser
Application eintretende Wirkung wird dadurch noch interessanter, dass die-
selbe durch Anästhesirung der Nasenschleirahaut mittels Cocains während
der Dauer der Anästhesie aufgehoben wird, was allerdings auch durch sub-
cutane IttjecUen von Cocain, aber nur unter Anwendung weit grösserer
Mengen geschieht. Man muss daher dem Methy^Iphenyllsoxazolchlormethylat
eine g:anz eigenthOmliche Wirkung auf die Nerven der Nasenschleimhaut
zuschreiben, die um so auffälliger ist, da es weder riecht noch schmeckt^
noch irritirend auf die Mundschleimhaut oder auf die sensiblen Hautnenren
wirkt. Die Wirkung des resorbirten Cocains scheint aber nur Folge der
dadurch bewirkten Verstärkung der Atbmung zu sein, da auch andere auf
das Athmungscentrum erregend wirkende Stoffe (Kampfer, Coffein, Pikro-
toxin) sowohl dem Isoxazol- als dem durch Einathmung von Chloroform
bewirkten AthemstUlstande entg^nxuwirken vermögen. Das In der Ver-
bindung enthaltene Diphenylisoxazol ist nicht als die die Erscheinungen be-
dingende Substanz zu betrachten, da es nur dauernde mässisre Herabsetzung
der Atbmung herbeiführt. Ebenso wenig ist an eine Wirkung der in Rede
stehenden Verbindung des Cldormethyls zu denken, da dieses diversen an-
deren Verbindungen eine analoge Wirkung nicht ertheilt. Dagegen ist aUer-
dinjrs in dem Verhalten der Pyrazolrhlormethylate eine Analo<rie gegeben,
indem das 1 )iphenylmethylpyrazolchlormethylat bei intravenöser Einführung
völligen Stillstand der Atbmung in Exspirationsstillstand bewirkt und auch
die Pnlsfrequens und den Blutdruck, jedoch nicht so prägnant, in gleichem
Shme wie die Isoxasolverbindung beeinnusst. DimethylphenyIpyrasolcbl<w«-
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Isozazole. — Itrol.
137
methylat bewirkt ebenso in grösseren Dosen völlige Athmungsstilislände,
die ledoeh alle 5 — 10 Seenoden durch krampfhafte Inspiration anterhrodien
werden. Dagegen wirkt Cbinolinohlormetbylat selbst in intravenösen Gaben
von 0 025 nur schwach verlangsamend auf die Respiration. Man hat daher
an eine Wirkung der Combination von Azol und Chlormetbyl zu denken,
da von ^ner Wirkung der Ammoninmbaeen in dem angedeuteten Sinne
niisht die Rede ist So sind Trimethyl« and Triaethylammoninmehlorid, Tetra*
aethylammoniumchlorid und Triaethylmcthylaninioniumchlorid ganz unwirksam
und Teframethylamraoniumchlorid wirkt zwar stark toxisch, so dass schon
Ys Mgrm. pro Kilo stark giftig wirkt, lähmt aber die Hespiraiion und setzt
gleichseitig den Blntdrnek bis auf wenige Millimeter, wsihrseheinlich durch
eombinirte Hers- und Oensstthmung herab.')
Literatur: ') David, Phariii:il<'tl<i<,Msche Uiitfrsuchtin;,'cn UbOT dsigc IhoxuzoU'. Miln-
cbea 1892. — Tapfkimek, Ueber üit; Wirkuu^; dt-r Chluriuetliylate dalfl^ Azole auf Athmang
vnA Erdslant. Areh. L e^eifm. Patii. XXXTUI, pag. 826. J^ommmmb.
Itroly Patentoame der chemischen Fabrik von Heyden für das von
Credi5 empfohlene citron saure Silber. Geg:onüber dem Actol (s. dieses)
bat es den Vortheil einer trockenen feinpulverigen Beschaffenheit, die es
sehr gut zum Zerstäuben geeignet macht, auch reizt es die Schleimhäute
weniger als jenes. Nach GrbdA ist das Itrol ein geradesn tadelloses Antl-
septicom und Wundstreupulver. Es ist verbUtnissmässig billig, weil es
nur ganz dünn und selten aufgestäubt zu werden braucht; es ist in
braunen Gläsern lange haltbar. Da Itrol schwer löslich ist (1 : 3800), so
garantirt es fOr die Wnndsecrete eine lange wirkende, antiseptische Kraft,
die sur Abtödtnng und Bntwfekhingshemmnng mehr als genflgt Den Spalt-
pilzen gfefrenüber verhält es sich ebenso wie die milchsaure Verbindung, das
Actol. Das Itrol reizt Wunden in keiner Weise und ist, äusserlich ange-
wandt, in jeder Menge für den Organismus gefahrlos. Tilger, der in seiner
chirurgischen Praxis nunmehr ausschliesslich Itrol yerwendet, hebt die
gflnstige »Heilung und Ueberhftntung« anregende Wirkung auf Wunden her-
vor. 9 Fälle von acuter Gonorrhoe heilten sämmtlich in viel kürzerer Zelt
als bei der üblichen Höllensteinbehandlung. In 6 Fällen von Ulcerationen
an der Olans und am Pr&putium war die Itrolbehandlung (Bad des Gliedes
in abgekochtem Wasser, darauf Bepuderung mit Itrol) von geradesn flber-
raschendem Erfolge begleitet. In 2 Fällen von Endometritis puerperalis
erfolgte nach einmaliger, intrauteriner Ausspülung (mit Itrollösunj? 1 : '»OO -
prompter Abfall des Fiebers. 2 Fälle von Nabelentzündung bei Neugeborenen
wurden in kOrsester Zeit sur Hellung gebracht, und swar In dem einen
Falle durch Application von Itrolpulver, in dem anderen durch die Anwen-
dung von Itrolsalbe. Auch 0. Weri-er hat das Itrol in 50 Fällen von zum
grössten Theile acuter Gonorrhoe mit günstigem Resultate angewandt. Er
verordnete sofort naeh Bintritt des Pntienten in die Behandlung eine Lösung
von Sol. Itroli 0,025 : 200,0 und liess davon 4mal täglich Iniiclren. Nach
Verbrauch dieser Einspritzung verschrieb er dann allmälig ansteigend : Sol.
Itroli 0,03, 0,04, 0,0.t : 200,0. Auch J. L. Bkykk räth. um die mit Silberjraze
bedeckte Wunde länger keimfrei zu erhallen, das Aufstäuben von Itrol auf
dieselbe.
Literatur s. bei Actol. Ferner: O. Wehler, Hehandlnng der Gonorrhoe mit Itrol.
Dermat. Zeitaehr. III, Heft ö and 6. — J. L. Bbybb, Silbergase als Verbandstoff. Centralbl.
I. OUr. 1897, Nr. 8. LoMtcA.
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K.
Klnder-Aittoskople» vergl. pag. 36.
Kinderern&hruii]{^. Wenn anch die Bodeutuntr der Ernährung:
für (las GHdcilx'ii fl««s Kiiuh-s im orston Lebensalter srhon M'it vielen
Jahrzehnten von den Kinderärzten unerkannt wurde und namentii«'h auf Grund
der Erfahrung, dass die grosse Mortalität der Kinder im ersten Lebensjahre
zum frBssten Theile auf einer ungenQgenden Emähraagf derselben beruht,
zur Vernffent liebung: und massenhaften Verhreitunff von Ernahrunürsnormen fQr
Kinder während des Säuglins-salters Anlass }re<rel)en hat. so hat doch dieser
wichtige Abschnitt der kinderärztiichen iYaxis erst in den letzten Decennien
durch die Fortschritte der Emähruni^lehre im AUt^emeinen, aber auch durch
die Gründung von Kinderspltä lern in grösseren Städten und «ia lurch herbet-
{reführte Concentrirunfr des Beohachf iiniismaf erinles eine einL'"«'lit'n(ie li(»ar-
beitunji: erfahren. Wenn wir dun Fortschritten auf diesem Gebiete diesmal
eine orientirende Darstellung widmen^ so bedarf dies bei der hohen praktischen
Bedeutung des Themas wohl l^elner weiteren Begründung. Jedoch die Noth-
wendiffkeit für den Arzt, sicli mit den für die Säufrling-sernabrun^ geltenden
Grundsät zi'n mi)g:lichst vertraut zu machen, ist frerach' in den letzten .Jahren
durch eine ausgedehnte industrielle Thätigkeit auf dem Gebiete der Herstel-
lung von Surrogaten, welche zum Ersatz der natfirlichen Nahrung des Kindes
mit vielgestaltiger und grosser Reclame angeboten werden, eine zwingende
geworden. Wer soll den Damm aufrichten ge«ren die Ueberfluthung mit
Empfehlungen von Kinderniihrmitteln, die unbewusst und bewusst die Säug-
linge, denen die Muttermilch leider nicht zugänglich ist, zum Ob]ecte
speculativer Ausbeutung machen, weon nicht der Arzt, der fähig ist, das
schon Bestehende richtig zu verwerthen, und was an ihn als Neues herantritt,
nach sicheren (irnndsätzen zu IxMirl heilen.
Die Ernährung des Kindes folgt im Allgemeinen denselben Gesetzen
wie die des Erwachsenen; auch hier wird der Bedarf an Nährstoffen durch
den Verbrauch an Wörme bedingt, und stellt der Stoffwechsel im Wesen einen
Kraft ewechsrl dar. Die functifjnellen Eigenthümlichkeit en des kindlichen
Organismus, bei welchem ein rasches Wachsthum gerade im ersten Lebens-
|alure, gleichzeitig mit einer begrenzten Form der Erafliurung stattfindet, be-
dingen eine Anzahl wichtiger Regeln für die Ernährung des Säuglings, deren
Ausserachtlassung das Sicchthum des Kind«'s zur Folire hat
In Bezui,'- auf den Kräftewechsel ist im VergU'irh«' mit dem des Er-
wachsenen zu beachten, dass das Kind im ersten Lebensiahre sich fast durch-
gehends in warmer Umgebung befindet, und dass die abkfihlenden BinflSsse
möglichst femgehalten werden, demnach die Ausgabe an strahlender Wärme
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KinderumAhrung.
129
mSgUehite Einschränkuiig erAhrt. Auch Bind die Maakelbeweffimgeii
wenig: intensiv. Erst wenn das Kind fjc'hen pfdernt hat und Leibesbewegrungen
in frischer Luft macht, wird der Kiaftverbrauch ein grosserer. Nichtsdesto-
weniger ist die Grösse des Stoffverbraucbes in den ersten Jahren eine viel
grOstere als bei Erwaehtenen. Man hat hleifOr den relativ höher Mitwieicelteii
Drusenapparat in der Jugend und die relativ grössere Biutmasse der |iigend-
lichen Individuen als Ursache angrenommen (Ranke). Nach Rubxfr gr^nupt
jedoch schon der Einfluss der relativen Oberflächenentwicklung,
nach weldmr kleine Thlerorganismen Im VerhUtniss sti ilu*er Masse eine
viel grössere Obertl&ehe, also AbkOhlungsIlAche darbieten, neben der Körper-
bewegung oder Körpcrruhe vollständip: . um den relativ hohen Kraftwechsel
des Kindes zu erklären. Nach einer Zu.sammensteUung KuBNBR S lieiert in
24 Stunden pro 1 Qm. Oberflüche:
Erwaehs«tter bangemd in Hube 1,134.000 Calorlen
» bei mittlerer Kost und Rahe . . . 1,189.000 »
83u(;liii(? bei Mnttermilch 1,221.000 >
E r ^^ :i < )i s > ii <■ r bei mittlerer Arbeit 1,399.000 >
Kind hi'i inittkicr Koat 1,447.000 »
Sonach ist der jugendliche Organismus, abgesehen von der Säuglings-
perlode, in seinem Kraltconsnm dem mittleren Arbeiter gleidizustellen. Wie
eingreifend der Einfluss ist, den die Oberflüchenentwicklung auf den Kraft-
verbrauch ausübt, zeigt sich, wonn wir den Kraftconsum eines Säuglings
dem eines ruhenden Mannes gegenüberstellen. Es treffen in der Säuglings-
periode auf 1 Grm. Körpergewicht an Calorien in 24 Stunden 91.300, bdm
ruhenden Erwachsenen 36.000. Bs wird also durch die Verschiedenheit dar
relativen Oberfläche der Kraftconsum des Säuplings um 25n% gesteigert;
dieser enormen Wirkung peg'enüber erscheint es boinalic geringfücrig' . wenn
wir durch angestrengte Thätigkeit unseren Kraftconsum um äS^/Q zu steigern
im Stande sfaid (Rubnbr). Der grosse Kraftconsum des Kindes erkUrt dessen
lebhaftes Nahrungsbedürfniss und auch den raschen Verfall desselben beim
Mangel an ausreichender Nahrung. Das Wachsthumsgesetz findet seinen
Ausdruck in der Energie, mit welcher der wachsende Oriranismus das Hiweiss
der Nahrung an sich reisst, von dem nach B. Benoix-) bis zu ^ü^/q zurflck-
behalten werden können.
Dem hohen Nahrungsbedürfniss rles Kindesalters stehen aber die erst
mit dem Wacbsthum des fibrifren Kih-pers .sich entwickelnden Verdauung:s-
organe mit zarter empfindlicher Schleimhaut, mit wenig entwickelten Drüsen
und schwacher Hnscnlatnr gegenfiber. Die diastatische Fähigkeit des Mund*
speicheis ist während der ersten Lebenstage eine sehr schwache, und dem
Pankreasferment fehlt jene Fähigkeit während der ersten vier Wochen voll-
ständig; der Magensaft ist während der ganzen Süugliugszeil weniger sauer
als si»it»rhin, doch ist das tryptlsche und Fett zerlegende Ferment des Pan-
kreas gleich nach der Geburt wirksam.
I. Ernährung des Kindes mit Muttermilch. Die einzige natur^
gemässe Nahrung des neugeborenen Kindes bildet die Muttermilch.
Die Zusammensetzung der Frauenmilch fand Leihmann^) im Mittel in
100 Theilen:
WaMer WmtSmUoU» F«tt aiUcbnclwr AMb«
88,5 1,7 3,8 6,0 0,2
und zwar sind von den Eiweissstoffen in 100 Theilen Frauenmilch Casein 1,2
und Albumin 0,5 enthalten. Die Bedeutung dieses Verhältnisses der beiden
Eiweissstoffe gerade in der Frauenmilch wird später frewfirditrt. Die Antraben
der Forscher über den (5esaintntei\veiss£rehalt der Frauenmilch zeigen j^'^rosse
Verschiedenheiten, während die Angaben über den Procentgehalt der übrigen
BestaadtheOe untereinander nur wenig dilferiren. Jedoch ist die genaue
KenntniBS des Eiweissgehaltes der Frauenmilch von Wichtigkeit, weil damit
Siugrdo». JTikifeMhM. VII. 9
Dlgitizeu l> ^oogle
130
Kinderernährung.
ein Anhaltspunkt für die Berechnung des BedarfeH an Eiwoissstoffen bei der
kOnsllichon Ernährung- (wolifi nllerdinprs auch die (Qualität der Eiwoissstoffe
in Betraclit kommt) gegeben ist. J. König giebt den Gesammteiweissgehalt
der MuttermUdi als Darchsclmltt von 107 Analysen mit 2,29 ^ o a^u; Emil
Ppeifprr auf l,944Vo< Diesen gegenüber finden Jobanbssrn 1«/«« Backhaus
1,6° 0- T^i'MM und Illner 2.07 8 o Qesammtciwoiss.
Die Vorzüge der Muttermilch als Säuglingsnalinui;; }rpf2:enübcr der
als Surrogat dieser zumeist zur Anwendung gelangenden Kuhmilch wollte
man anfangs mit den Verschiedenheiten der quantitativen Zusammen-
setanng beider erklären. Neuere Forschungen zeigten aber immer mehr, dass
beträchtliche Untenschiedo in dem qualitativen Verhalten der Nährstoffe,
namentlich der Eiweisskörper und selb.st des Fettes zwischen Frauen- und
Knhmilch vorhanden sind , welche die leichtere Verdaulichkeit der ersteren
und damit den ungestörten Ablauf aller Verdau ungsvorginge beim Säuglinge
bedin^'-fii. Die chrmisrhe X'i'rsrliifdcnlHMt des Casfins aus der Monschenmilch
von dem der Kubmilch hat zuerst Bieükrt •) nai h^rr w icscn, er zeigte, dass
wegen des differenten Verhaltens der beiden Caseine gcgi'n Fällungs- und
Lösungsmittel das Kuhcasein im Msgen des S&uglings sich in grösseren
derberen Gerinnseln, das Frauencasein sich in zarten dQnnen Flockchen
ausscheide. Die analytischen Antraben Biedekts wurden von zahlreichen
Forschern bestätigt. Die Verschiedenheit der elementaren Zusammen-
setxung der fraglichen beiden Caseine haben Makris, LsmiUHif, Wroblbwskt*)
gezeigt. Das Frauencasein ist viel reicher an Schwefel und wenig ärmer
an Phosphorsäure als das Kulicasein. So enthält das »j^enuine Casein«
Lehmanns, weiches dieser als eine Doppel Verbindung von Caseincalcium und
pho.sphorsaurem Kalk auflasst^ im Kuhcasein 6%, im Frauencasein nur 3,2» ,
phospborsauren Kalk. BezQgUch der Verdaulichkeit des Kuhcaseins fand
V. SzoNTAGH «), das9 bei der künstlichen Verdauung des Kuhcaseins mit Pepsin-
salzsäure ein phosphorreicher Körper — das Paranuclein - abirespalten
wurde, welcher sich auch bei fortgesetzter Verdauung — auch bei der Trypsin-
verdauung — nicht löste, wihrend vom Frauencasein bei der Verdauung ein
solcher Rest nicht surQokbleibt. Zu gleichen Resultaten gelangten bezüglich
der Pepsinverdauune: auch v. Moraozewskv Wroblewsky, zum Theil auch
Clara WiLDENOW.^) Nun zeigt aber Salkowski dass sich auch das Kuh-
casein vollständig in Lösung bringen lässt, wenn die VerdauungsflOssigkeit
hinreichend verdünnt ist, also das Verhältniss swisdien Casein und Ver-
dauuntrsflüssiirkeit nicht unter 1 : 500 sinkt, ferner eine entsprechende
Menge Salzsäure und gcnüjrend Pi-psin vorhanden sind. Immerhin lassen auch
Salkowski's Versuche erkennen, dass Kuhcasein schwerer verdaulich als
Milchcasein ist.
Ein wichtiger Unterschied zwischen Frauen- uod Kuhmilch ist ferner
durch den ^rössen'n Gehalt der ersteren an Albumin gegeben. Wie oben
angegeben, fand Leumann für Frauenmilch l,2<*/o Casein, 0,5°, o Albumin j für
Kuhmilch 8,0 Vo Casein, 0,3% Albumin. Bs kommt also auf jedes Granmn
von in der Frauenmilch consumirtem Casein 4*/tma,l so viel Albumin als
bei Ernährung mit Kuhmilch. Nach Schlossmann bilden \nn den Eiweiss-
körpern der Muttermilch 63° „ Casein und 37° « Lactoalbumiu. Die Bedeu-
tung dieses Verhaltens liegt darin, dass dem Kinde ein grösserer Theil der
von ihm benöthigten BiwelsiBmenge in iöslidier Form dargeboten wird ; mög-
lich auch . dass das lösUdie Elweiss mechanisch eine fehlflockige Ausschei-
dung begunstii^t.
Die Verschiedenheit des Fettes der Frauenmilch von dem der Kuh-
milch wurde vor Kuncem von Ernst Lawbs*") dargethan. dem 116 Orm.
F'ett der Frauenmilch zur Verfügung standen. Dabei /ei^^te sich das Fett
der Muttermilch sehr arm an flöchtigen und wasserlösUchra Sfturen und
i^iyu.^cd by Google
Kindrawnährung.
181
reich an imgresättlgrter Sftare. Bs enthielt: l,47o an flOchifgren wasser-
löslichen Säuren, 49,4*/o unsresätti^ter Sftnre. Die ttfichtigcn Säuren enthielten
höchstens Spuren von Buttersäiire , von Capron-. Caprvl- und Caprinsäure
annähernd gleiche Mengen. Unter den nicht flüchti^:i>n, unlöslichen Fettsriuren
befanden sich ausser den in thierischen Fetten allgemein vorkommenden Pal-
niitin«, Stearin* und Oels&oren eine odor mehrere Fette&nren von niedrigerem
Molf'culargewicht (wahrscheinlich Myristinsäure). Der Schmelzpunkt dieser
Fettsäuren lac: zwischen 37 — 39» C; der des Fettes selbst bei 30 — 31°. Nach
W. G. RupPBL^i) stellen die Fette der Frauenmilch eine weiche Masse vom
apec. Oew. 0,966 mit einem Schmelxpuü&te von 84o C. und BrBtarmn^spunkt
von 20.2" C. dar. Unter den flüchtigen Säuren findet er auch Ameisensäure.
Das Fett ist auch in der Frauenmilch in Form von Milchküffeb^hen
enthalten, und zwar zu 1,03 — 5,75 Millionen auf 1 Ccm. Milch. Die Milch-
kugelchen nach FLEiscHHAjnt, In efaier Qrdsse von 0,001 — 0,004 Mm., werden
als grosse, mittelgrosse und ponkt- oder stanhfSrmige untersdiieden. Den
Haupt bestandtheil der Milch bilden die miltelfi^rossen Kügrelchen. jedoch
können alle drei Arten zuirloich in der normalen Milch vorkommen. Die
Colostrumkörpercheu findet man m der Milch in den ersten Tagen — bis
znm achten Tage nach der Gebart, gftnzlich verschwinden sie erst im Laufe
des ersten Monats. Treten di( Colostriinikörperchen in späterer Zeit der
Lactation auf. dann sind sie als Symptom der F>krankung der S&ugenden
oder einer eintretenden Schwangerschaft aufzufassen.
Bekanntlich ftnd^ die Frauenmilch in den einxelnmi Monaten der
Laetationsperiode Ihre Znsammensetsung. Pfbifper's^*) Analysen ergaben, daas
die Frauenmilch In den ersten Tauen nach der Geburt (durchschnittlich auch
für den ersten Monat giltiirt viel Kiweisskörper. Salze und wenig Fett, auch
wenig Zucker enthält. Die Menge der Eiweissstoffe nimmt in den ersten
7 Monaten stetig ab und bleibt in den weiteren 5—6 Monatm xiemlleli-
station&r. Dabei ist zu bemerken, dass die ^^(M^^:e des Lactoalbumins im
Verhältniss zum Casein in den ersteren Monaten eine p:rossere ist und sich
im Laufe der Lactation immer mehr verringert. Das Verhältniss von Ge-
sammteiweiss zu gelöstem Bisweiss ist nadi Gambrsr's Analysen in
der Erstlingsmilch 2,53 : 1,62, in der jungen ausgebildeten MOch 1,74 : 1,19,
in der ausf!:ebildcten Milch nach dem dritien T^ebensmonat 1.46 : 1,00, bei
der alten nach dem 6. — 9. Monat und darüber I.IS) : 0,84. Der Gehalt an
Salzen vermindert sich während der Lactationsperiode , während die Fette
stetige Schwankungen zeigen. Nach Pfbipfbr wird die Junge Müch durch
grosseren Gehalt an Eiweiss und an Salzen, sowie geringeren Odialt an
Zucker charakterisirt, während in der älteren Milch der Eiweisssfehalt und
Salzgehalt geringer, der Zuckergebalt grösser ist. — Während der Zucker
bei der ersten MÜch im Minimum 2 — 3^0 beträgt, nimmt er vom 2.— 5. Monat
der Lactation bis zu 4^ — 5% zu und steigt nach dem 6. Monat bis zu 6*>/«.
Diese je nach der Dauer der Lactation auftretenden Verschiedenheiten
in der chemischen Zusammensetzung der Muttermilch bilden die Grundlage
für die richtige Beurtheilung der F'rage bezüglich der möglichsten Gleich-
artigkeit des Ammenkindes mit dem zu nfthrenden. Doch herrscht
auch zwischen Kinderärzten von grosser Erfahrung keine gleiche Anschauung
in dieser Frage. Während Hei'BNER in Rücksicht . dass nur die innerhalb
der ersten Tage nach der Entbindung secernirte Erstlingsmilch sich wesent-
lich von der Dauermilch unterscheidet und dass die meisten Ammen schon
mit einer DanermQdi fOr den Säugling aufgenommen werden, immerhin die
Erfahnmg machte, dass auch sehr jungen Säutrliniren bald nach der Geburt
die Dauermilch gut bekommt, wenn man nur anfangs nicht zu viel trinken
lässt, es jedoch Ifir wönscbenswerth erklärt, »dass der Abstand zwischen
dem Alter des SAnglings und der Dauer der Ammenthfttigkeit kein allzu
9»
uiym^L-ü Ly Google
182
IUiid«reraäbrung.
grosser sei«, gelangt Monti^*) ebenfalls auf Grund eines reichen Materials zu
anderen Ergebnisson. deren Erklärung er in den Unterscliieden der chemi-
schen Zusammensetzung der Muttermilch in den früheren und sp&teren
Monaten der Lactationsperlode gegeben findet. Das oben erwähnte Ver-
halten der BIwelsMtoffe in der Jaogmileh bringt es mit sieh, warum eine
Mildi, in welcher die Menge des gelösten Eiweisses bereits geringer wurde,
IQr Neugeborene und Säuglinge bis zwei Monate schwer verdaulich ist,
trotsdem sie eine geringere Menge vom Qesammtei weiss enthält. Es wird
eben das gelüste Biweiss vom jungen Säugling leichter aufgenommen wie
das in der ftlterMi Mileh vorwiegende Ca sein, das eine bedeutende c-hemisdie
Veränderung erfahren musa. die zu bewirken die Beschaffenheit des Magen-
saftes und das Secret der Darnuirüsen noch nicht ausreichen. Nach Monti
treten, wenn man einem Säugling im Alter von unter zwei Monaten Milch
einw Amme giebt, die vor 4 — 5 Monaten entbunden hat, stets Verdauungs -
Störungen und schlechte Ausn&tsnng der Milch ein — die Ernährung verhält
sich dann ähnlich wie bei der künstlichen mii Kuhmilch. Auf diese That-
sachen stQtzt sich auch die später zu erörternde bLmpfehlung, bei der £r-
nihrung mit Kuhmilch einen Theil der Eiweissstofte dordi lösliches Biweiss
in decken. Man wird also bei Benützung einer Amme auf die Beschaffenheit
einer möglichst gleichalterigen Milcli achien : für ein neutreborones Kind bis zu
6 Wochen wird man eine höchstens zweimonatliche Milch immerhin als zu-
lässig erachten. Säuglingen im Alter von 2 — 4 Monaten wird man am besten
Ammen mit 8 — 4monatlicher Milch geben. Die ZuUsrigkeit {fingerer Ammen
für ältere Sauglinfre hfm^-t von dem Alter der letzteren ab. Für ein über
'6 Monate altes Ivind ist die Erstlingsmilch von der ersten Woche nach der
Menge ungenügend, auch nach der Qualität schädlich, indem sie häufig zu
Dannkatarrhen fOhrt, allein eine 2 — Smonatliche Amme kann, vorausgesetst,
dass sie genügende Milch besitit, crime naehtheilige Folgen so einem 6, 7
und 8 Monate alten Kinde genommen werden.
Um die Lactationsdauer einer Amme zu bestimmen, kann man die
chemische Unftersndmng der Milch ausffihren und es wird bd Berfldcaiditi-
gang der Durchschnittszahlen möglicherweise gelingen, sichere Daten cum
Mindesten bezöglich der Frair«" "h FrOhmilch oder Dauermilch, zu erhalten.
Jedoch ist eine v()||släiidi<re Milclianalyse eine nur vorn F'achmann ausführ-
bare Arbeit. Es dürfte daher nicht überflüssig sein, hier un die Metbode von
Umikopp**) SU erinnern, mit welcher sich die Dauer der Lactation, wenn andi
nur approximativ, sehr einfach bestimmen läset. Nach Monti soll die Methode
für praktisclie Zwecke brauchbar sein. Es werden nach Umikoff 5 Ccm.
der zu untersuchenden Frauenmilch mit 2,5 Ccm. einer 10%igen Ammoniak-
Idsnng versetst, und man erwftrmt hierauf die Mischung 15 — 20 Minuten
lang im Wasserbade bis zu 60o C. Dabei zeigt die Frauenmilch eine Farben-
. reaction. welche mit der länirercMi Dauer der Lactation von blassroth. violett
bis zu dunkelviolett uiul dunkelbraunviolett sich ändert. Es zeigt also die
Milch der ersten sechs Wochen eine sehr schwache blassrosa Färbung, die
von der sechsten Woche bis in den dritten Monat in ein deutliches rosa-
violett überirelit und in den fi i nen ii Monaten allmälig dunkelviolett braun
wird. Da die Intensität der Reaction mit der Menge des zugefOirten Ammoniaks
zunimmt, so müssen in allen Fällen, um brauchbare Resultate zu erhalten, die
oben erwähnten Mengenverhältnisse zwischen Milch und Ammoniak von be-
stimmtem Concentrationsgrade eingehalten werden. Die Farbe der Kuh-
milch wird durch Ammoniak nicht verändert.
Der mit Muttermilch oder wenigstens mit Frauenmilch von entspre-
checdem Alter genährte Säugling erhält in den ersten 4—0 Lebensmonaten
in dieser Weise eine passende und ausreichende Nahrung. Wohl kommt hiebei
ausser dem NahrungsbedQrfniss des Säuglings auch noch die Ergiebigkeit
Dlgitlzed by Google
Ki aderernährung.
133
der Milchdröspn in Bptracht ; doch ontsprprhon unter physiologiadlMl Vw-
hältnisson diese beiden Functionen einander und es lässt sich daher durch
Ermittlung der Milchmeoge, welche das Kind beim Säugen aufnimmt, dessen
NahnmfBbedarf tait groMer Sicherheit erkenDen.
Sehr richtifT hemerkt Cammehkr, d:i8» hei der EniUhrunff an der Mutterbraat neben
der Beschränktheit der Milcbproduction die AoHtrengung beim Säugen ein Moment bietet,
wddwt dm BiafUag vor Ueberfatternng bewahrt; während die künstlich ernährten flliif^
Vage, wenn man ihnen Kahmilcb giebt, so viel als sie becehfea, d» sie ihre Natamiif er*
langen ohne dabei an ermüden, leicht flberflittert werden.
Um nim die geünnlcene Mutter- und Ämmenmilch mit annähernder
Sicherheit 7ai ermitteln, wird der Säuerling einmal vor und einmal nach dem
Säugen gewog'en. Die Zahlen fallen etwas zu klein aus, wefjen der Perspiratio
insensibilis in der Saugzeit, welche im 1. Monate circa 5 ürm., im 6. Monate
circa 12 Gmi. in der Stunde betrlgrt^ Demgemits soll die WSirnnff in Rfidi-
sicht auf die Zeitdauw des Sfuiffens corrigirt werden. Einen werthvollen Ein-
blick über die Nahrunfrsaufnahme des Kindes an der Mntterbrust und dessen
Wachsthum im ersten Lebensjahre gestattet uns die folgende von HAunür**)
entworfene Tab^e, welche uns die von einem Kinde während der 1. bis indutive
84. Woche täglich g^enoramene durchschnittliche Menge Muttermilch zugleich
neben der Gewichtszunahm(' dossolben am P^nde jeder Woche '/eitj't. Da die
absoluten Zahlen der Milchmeng«>n, welche der SäufflintJ: aufnimmt, von der
Reife des Kindes, von dessen Geschlecht, insbesondere aber von dessen
KOrpei^wieht abhängen, so hat HAbmbr fai der Talwlle andi da» procm-
tarische Verhältniss zwisdien Körpergewicht und Milchmenge angegeben, um
80 den Zahlen eine bessere Verwendbarkeit zu sichern. Das procentische
Verhältniss zwischen Körpergewicht und aufgenommener Milcbmenge wurde
auch in den älteren Versuchen von Ahlteldt und Boüchadd berQcIcsichtigt.
OtwIaksdiM
PnomS das
OnrtaUd«
Ttglteha
Milchmeng«
Proront ilo»
Kiadat
mtn Kndp
dir Wooi«
ngiMw
Mllebmeng«
gswirhtM
□ ach HXlINKR
UadM
(am Ende)
dar Wcwh*
K' ■rj'- r
gewicbtes
nach HJLhnrr
9089
1.
291
9,5
15,3
6210
18.
883
14,2
3251
2.
497
6360
19.
888
14,0
3394
3.
550
16,5
6370
20.
847
13,3
3670
4.
594
16,0
6640
21.
870
13,1
3961
5.
668
16,7
6670
22.
994
13,0
4261
6.
740
17,6
6690
23.
870
13,0
4581
7.
808
17,«
«740
24.
870
12,0
13,7
4793
8.
834
17,4
6960
2b.
807
4968
9.
766
15,4
15.9
6980
86.
14,8
5138
10.
818
7000
27.
1081
15,4
5243
11.
742
14.1
7300
28.
1220
16,7
5390
12.
805
14,6
7465
29.
1229
16,4
5510
13.
817
14,9
7650
da
1195
15,6
5660
14.
850
15.0
7800
81.
1097
14,1
5790
15.
835
14.4
7830
32.
1009
13,2
ö8oO
16.
760
13,0
18,8
792U
33.
1104
13,9
6000
17.
795
8040
34.
1100
13,6
Für die ersten 14 Lebenstage berechnet Caiihbrbr auf Grund
von 6 suveriässig beobaditeten Fällen (4 von Hähnbb, 1 von Cammbiibr,
1 von O. Laurb ^"i folgende tägliche Mnttermilchmengen (abgerundet).
Tägliche Muttermilchmengen in Gramm.
1. Tag 30, 2. 130, 3. 240, 4. 290, 5. 330, 6. 365, 7. 40U, Mitte der
2. Woche 450, Ende der 2. Woche 500.
Die Qewichtsmengen derselben Kinder betrugen während der gleichen
Zeit in Grammen. Geburt 29GO. Knde des 1. Ta^es 2830, 2. 2760, 3. 2820,
4. 2850, 5. 2850, 6. 2880. 10. L'UJO, VI 2i»itü, 14. ;{<>20.
Die Zahl der täglichen Mahlzeiten betrug bei diesen Kindern im Mittel :
1. Tag 1,7, 2. Tag 5,6, 3.— 14. Tag 6,5.
Digitized by Google
134
Kinderernährung.
Ais Mittel der einmaligen Nahrungsaufnaiiine vua iiruMitvindem
fond Fbbb In der 1. Woche 113,0, in der 2. 126,0, in der 8. 133,0, in der
4. 144,0 in der 5.-8. 189,0, In der 9.— 12. 208,0, in der 13.— 16. 241 A In
der 17. -20. i'oC.O und in der IM. i'S!. Wocho i'sO.O. Diese Menden sind
viel {grösser als die von nn<ler(Mi UntersuclM'rn an-rcirehenon. Nach Fkkk'")
erklärt sich dies daraus, dass sclion während der Mahlzeit ein Theil der
Milch in den Darm fiberir^ht, so dass mehr aufi^enommen werden iuinn als
der Mapen fasat. Die Zahl der Mahlzeiten betrug 5 7 in '24 Stunden; von
der 2. Woche an soll der Säuirlin;r nicht öfter ah» dreistfindlicb Nahrung^
erhalten, mit einer längeren Nachtpause.
Bezfiglich der Grundlagen der Berechnung verweisen wir anf die Aua-
fUimngen Cammbrbr^s. Die WSgungen lassen die bekannte Thatsache, dass
die Kiiuicr in den ersten Taften an Gewicht einbussen. deutlich erk«nin<>n. bei
gesunden Kindern ist der X'criust am 8. — 10. Lebenstag wieder eiimi lu acht.
Diese Verluste sind durch die geringe Nahrungsaufnahme im V^ergleiclie mit
den Abgaben an Perspiratio insensibills, Urin, Meconinm und Fäces bedingt
Man muss wegen der geringen Verdauungskraft des Magens und Darms in
den ersten Lebenstagen darauf verzichten, diesen Verlust durch gesteigerte
Nahrungszufuhr auszugleichen.
In einer frflheren von Cahmbrbr im Vereine mit Harth ahn») verSflent-
lichten Arbeit »Der Stoffwechsel des Kindes im ersten Lebensjahre« ist die
Aufnahme der Nahrunp: mit Beröcksiclit iprunfr des Kinderffewidites zugleich
mit Oegenüberstellung der Ausscheidungen (sensiblen und insensiblen) in
folgender Tabelle dargestellt :
!
MittUrM
Kiades
f« wicht
NabroDi; < Mutt»rniilcbi
24(tttJl(lige
Mang«
eine Mahlzeit
durch- Miiiimara
•ehnitt- and
lieh 1 Mkximnm
!
Urin 1
c «
i£
C £
£.1
VorhiUtnii>8
der «en^ilielo
■« den tn«en-
w(Mn Aiu>-
Mhaidnngen
1
Q erste BSUte
swelte »
8
4
6
6
9, 10,11V. 12
18, 19,20 V. 21
31, 32, 33
46. 67. 68, f.'.l
105, 106, 107
108,112,113
161,162,168
j 3160
8110
8110
3124
3160
3150
3390
i 3676
4410
1 52Ü0
6100
10
66,5)3^'°
247
287
288
379,5
495
534
555
651
749
766
10
18,3
36
37
S8
54
n
100
97
108
134
. 109
10
( 10
\ 22
21
48
24
60
22
76
30
85
12
114
15
1153
:?8
135
30
155
55
230
30
182
48
0|y^
53 r
172
226,5
181
204
3.57
385
398
447
517
466
>
te
u
2
u
tu
1
1
Z
1
98
37
42
85
92
96
99
138
132,2
126,9
l.-)4,7
225
219,7
50 : 50
50 : ÖO
67 :S3
71:89
66 :34
68 ; 32
72 :28
76 :25
76 :24
75 : 25
70:30
62: 88
liei Kuhmilch und ^'fiuiächter Kost
211,212.213
223,224,225
242,243,844
245
1 357, 358, 359
i 7200
8900
1345
1563
1 207
1
jllO
1240
819
968
1 ^
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Kinderernährung.
IMe Menge der aafgenommenen Nahroug, der Fäces and des Urin» wurden zumeist
direet beatimmt. Die Penpiratfo tanenslbttts wurde dnrdi VKAmBaUge Wigoag de» Ktodes
iwischen zwei Mahlzeiten «Tniittelt. Hierbei wetlisilt das Kind die Kleider nicht, und da
eine Verdanatunff des \Va».surä der Au8lecruo(,'eu aus den Windeln auHgesehloäsen werden
konnte, war der Gewichtsverlnst der Perspiratio insenriliiüs gleicbznsetzen. Sie konnte aber
ueh twreehnet werden ans dem Gewichte der anfgenonunenen Nahrung, der Dejeetionen nnd
der Differenz swiseben swei KindeswHfrnnffen binnen 84 Standen.
B. Bekt)ix (1- C- pag- 129} hat in jün^ter Zeit einen zur ri trcimtcn Aufwainnilunj? der
in 24 stunden ausgeschiedenen Faeces und Hammenge dienenden gut luuctionireuden
Apiwrat constmlrt
II. Das am hanfigrsten angewendete Surrog:at der Muttermilch bildet
die Kuhrailrh. Die n)it I lere Zusammenset zunir derselben beträgt im Durch-
schnitt auä 7ü3 Anal>'8en nach J. Kümg in Procenten:
Wasser 87,17, Eiweissstolfe 3,55, Fett 3,69, Milchsucker 4,88, Sftlse 0.71.
Sie ist demnach viel reicher an Eiweissstoffen und speciell an Casein
als dio Muttermilch und ärmer nii Milchzucker als diese.
Für die VcrgleichnnK der Calorienzahl dt-r Frauen- und Kuhmilch liegt folgende
Bereehnunt^ Hkcbnkb's*') vor, welche sich anf Analysen der Frauenmilch von Franz Hoffmann*")
(Leipiig) stOtst. Nach diesem besitit die Muttermilch etwa von der 3. Woche nach der £otp
biadaag an Monate lang etae sehr eonstante ZnsaniniettBetiinig, weldie in geringen Oreosen
via folgCBde Werth« schwankt :
Elwelss 1,037,, Fett 4,ü7« „, Zucker 7,U37«, Asche 0,217,.
Dem gegenüber enthält die Marktmischmilch im Durcbsebottt:
Eiw^ 3,57o. Fe" 3,n7,„ Zucker ö,0" „. A><vhv 0,7"
Ans dieser ZusauimenstcUung berechnet sIlIi für Muttermilch nnd Kuhmilch annähernd
die gleiche Zahl von Calorien, nämlich im Liter 7()<) grosse Calorien ; die Kuhmilch steht um
etwa 47« surfick} sie würde noch mehr zurückstehen, wenn man den Eiweissgehalt der
Mnttenniieb aaeh den nelstea Autoren am bOher aanebmen würde.
Das Problem der kdnstlichen Ernahmii? des Kindes mit Kuh-
milch hat sdion Liebig auf Grundlafre der quantitativen und qualitativen
Unterschiede der Frauenmilch von der Kuhmilch zu lösen versucht. Durch
Verdfinnung: der Rahmilch mit Wasser so weit, dasa ihr filweissgelialt gleich
dem der PranMimilch ist, und Zusatz von ao viel Zucker zur verdQnnten Milch,
um den Zuckerprehalt der Fraucnuiildi zu erreichen, sollte die Kuhmilch in
ihrer (|uaiititativen Zusammenset /iintr der Frauenmilch mö{rlichst ähnlich g;e-
niacht werden, wobei man ;cunuchst ganz ausser Acht Hess, dass eine so
verdGnnte Milch einen sehr niederen Fettgehalt aufweist. Man sah aber bald,
dass sich das Casein der Kuhmilch weaenth'ch von dem der Frauenmilch
unterscheidet, und zwar, dass ersteres sich l)ei der Einwirkunjr vnn Mayren-
saft in festen und zusammenhängenden käsigen Flocken ausscheidet, welche
vom Magensaft viel schwerer gelöst werden als das in Form lockerer Ge-
rinnsel in feinen Flöckchen sich ausscheidende Casein der Muttermilch. Liebig,
der das Casein der Kuhmihh ffir identisch mit dem der Frauenmilch hielt,
glaubte, die grobfiockitre Ausscheidung; des Caseins in der Kuhniihd» durch
einen Zusatz V(m Natriumcarbonat verhindern zu können. Doch hat sich
dies^ Vorschlag in der Praxis nicht bewährt, man versuchte der Kuhmilch
als Verdünnungsmittel statt des Wassers eine Flüssigkeit zuzusetzen, welche
durch ihre schleimige Beschaffenheit die grobflock iiie Abscheidung des Caseins
ZU verhindern fähig sein sollte Als solche diente dünner Haferschleim,
bereitet aus einem Löffel voll Hafergrütze, welche eine halbe Stunde lang
mit so viel Wasser durchgekocht wird, dass 0.25 Liter Schleim Qbrig bleibt.
Man setzte zu einem Viertelliter dieses Haferschleiuies während der ersten
Monate 1 — 2 Grm. Zucker und mischte dann die Kuhmilch in naciistehender
Art, wobei man zugleich auch dem Bedürfni.sse des kindlichen Organismus
an Kohlehydraten Rechnung trug. Man verdDnnte:
im 1. Lebensmonat 1 Theil Milch mit 8 Theilen Haferschleim
»2. » 1 ^ » 2 »
» 3. » giebt man gleiche Theile Milch und Haferschieim.
Die nach dieser Vorschrift verdOnnte Kuhmilch dient bei der Ärmeren
Bevölkerung noch dermalen als das meist benfltzte Ersatzmittel der Frauen-
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Ktnderernfthrtmg.
milch. Im Laufe der Jahre hat jedoch die künstliche Ernährung des Kindes mit
Kuhmilch in ihrer Durchführung verschiedenartige Veränderungen erfahren,
hl denea das Streben snr Geltunir kommt, den Fortschritten der Kenntnisse
Ober die Schädlichkeiten, denen der kindliche Organismus bei der Ernährung
mit Kuhmilch ausgesetzt ist . Rechnung zu tragen. Diese Schädlichkeiten
liegen 1. in der niederen Qualität der benützten Kuhmilch als Ganzes, d. h.
in Ihrer Verderbthelt vom hygienischen Standpunkte, 2. In ihrer von der
Henschenniilch differirenden chemischen Beschaffenheit.
In orstorer Bczicliunir zeigte die Erfahrung, dass hoi mit Kuhmilch
künstlich genährten Säuglingen sehr häufig Ernährungsstörungen in Form
von Dyspepsie und den sogenannten Sommerdiarrhöen auftreten, weiche nicht
nur chw Wadisthum der Kinder verzOgem, sondern in ihren Folgen andi
die grosse Mortalität der Säuglinge im 1. Lebensjahre verschulden. Das
Auftreten dieser Erscheinungen wird durch die schlechte Qualität der Kuh-
milch, wie sie von schlecht genährten und gepflegten Kühen gewonnen wird,
verschuldet oder dadurch, dass den Kindern eine schon in saurer GXhrung
befindliche, oder mit verschiedenen GShrungserregern inficirte Milch äls
Nahrunjr daruchnten wird. Diesen Gefahren entgeht man dadurch, dass man
zur Ernährung der Säuglinge nur eine Kuhmilch verwendet, welche sämmt-
liehen Anforderungen einer Milch in hygienischer Beziehung eni spricht. Es
ist die Milch nur von gesunden Kühen zu entnehmen , die rationell ge-
füttert werden (trockene FütterungV Sowohl beim Melken als beim Aufbe-
wahren der Milch sind die Gebote der Reinlichkeit aufs Genaueste zu befolgen.
Die Hände der Melker und die Zitzen der Kuh müssen rein sein, die Milch
muss In reinen Oefftssen In einem gut gelüfteten Raum aufbewahrt werden.
Sie darf nicht in Räumen stehen, deren Luft pathogene Keime mit sich führt;
auch durch Verdünnen mit einem Walser, das Infectionsstoffe enthält, kann
die Milch zur Verbreitung von Infcctionskrankheiten beitragen.
Ueberdies muss aber die ausgewählte Kuhmilch nodi einer angemes-
senen Behandlung und Zubereitung unterzogen werden, um zunächst die etwa
in ihr voriiandenen Oährungs- und Krankheitskeime unschädlich zu
machen.
Wollte man die in der Milch vorhandenen pathogeuen Mikroorganis-
men, die säurebildenden und peptonlsirenden Bakterien gänzlich vernichten,
also rine keimfreie Dauermilch herstellen, so wäre hiezu ein(> ^^fraotlo«
nirte .Sterilisation«, d.h. das ^ Istundige Erhitzen im Darapfstrome an
wenigstens drei aufeinander folgenden Tagen nöthig. Jedoch in Fällen, wo die
Milch schon in den nächsten 24 Stunden verbraucht wird, bedarf es er-
fahruiigsgeniäss keiner absolut sterilen Milch, sondern es genügt die Ein-
wirkung eines halbstündigen Kochens und ein licniief isrher Verschluss wäh-
rend des darauffolgenden Abkühlens der Milch, um dieselbe vor dem Sauer-
werden zu bewahren, die in ihr vorhandenen Keime zu vernichten, sie also
fQr die Ernährung des Säuglings brauchbar zu machen.
Dieses wird durch den SoXHi.ET schen Apparat erreicht, dessen Anwen-
dung überall, wo der Säugling mit Kuhmilch ernfihi-t wird, in seiner ursprung-
lichen Form oder in irgend einer Modificatiun. Verbreitung gefunden hat.
Der SoxHLBT'sche Apparat ermdglicht das ganze Tagesquantuni der Milch
in der dem Alter des Kindes entsprechenden Verdünnung und unter Zusatz
von Zucker, in S im Portionen finget heilt, im Dnmpfstrom aufzukochen. Zu
dem Zwetke wird die möglichst frische Milch in den zu dem Apparate ge-
hörigen geeigneten Milchgefässen, dem Alter des Kindes entsprechend mit
Wasser verdünnt und in 8 kleine Flaschen von 100 — 150 — 200 Ccm. Inhalt,
entsprechend den Einzelmahlzeiten vertheilt. Die Milchflaschen haben einen
trichterförmig erweitertr-ii Hals, dessen oIhm' r Ratid irut abgeschliffen ist.
Auf die Flaschenmündung wird ein Gummischeil)cben von 4 ^Un. Dicke und
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KiuderernAhrung.
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von einem Durchmesser pleich df^r Woitc der Flaschenmündung- gesetzt, und
über dieses Scheibchen ein kurzes Rohrstück, von verzinntem £iseublecli, das
sogenannte »Schntsrolir«, gestülpt, das am Oberau Rand Zacken hat. Das
Rohr soll die Veraehiebung dei Scheibch«is verhindern. Die Flaschen werden
in ein Bicchpcstell cinsfesctzt und mit demselben in den Kochtopf prebrnrht,
der bis zur halben Flascbenhöhe mit Wasser {gefüllt und dann zum Sieden
erhitzt wird. Beim Kochen der Miicli tritt die Luft, die Qummischeibchen
etwas erhebend, ans den Flaschen heraus. Wenn dann nach ^iVtHndltsem
Kochen der Einsatz mit den Flaschen herausgenommen und an einem kühlen
Orte Cam besten in den Eisschrank; gestellt wird, erfolprt durch die beim
Erkalten im inneren der Flasche entstehende Luftverdünnung ein Hinein-
saugen der Gummiseheibchen in den Flasdienhals, wodurch der hermetische
Verschluss gesichert wird. Vor dem Gebrauch wird eine der kleinen Flaschen
in ein Gefäss mit heisseni Wasser gestellt, um die Milch bis auf 37.50 0.
zu erwärmen ; darauf wird der Pfropfen heraus^renonimen und ein Saiitr-
hütchen auf die Mündung gesteckt, wodurch das Gläschen in eine Saug-
flasche verwandelt wird.
Der Zuckerzasatz, der bei der Verdünnung mit Wasser geschieht, soll
6% des Gesammtgewichtes der Flüssigkeit nicht überschreiten. (S. sp&ter
die Methode von Soxhlet-Heubner.)
Das SoxHLBT'sehe*') Verfahren hat sich namentlidi in Familien, deren
Vermögensverhältnisse es gestatten, der Ernälming des S&uglings die noth-
wendige Aufmerksamkeit zu widmen, rasch eingebürgert, und tbatsächlich
werden durch dasselbe alle Krankheiten vermieden, welche durch eine sauer
gewordene oder pathogene Keime enthaltende Milch verursacht werden.
Doch hat man geinnden, dass das Wachsthum, besiehnngsweise die Gewichts^
zunähme des Kindes bei der Anwendung der nach Soxhlet behandelten
Milch hinter der bei Ernährung mit Frauenmilch in manchen Fallen bedeutend
zurückbleibt. Ob daran aliein die durch Soxhlet's V' erfahren veränderte
Kuhmilch die Schuld trägt, dürfte, abgesehen von den theoretisch berechtigten
Einwänden, die wir später anf Ohren, in der Praxis schwt r zu beurtheilen
sein. Es ist schwer, in der verdünnten Kuhmilch dem Kinde mittels der
SoxHLET schen Fläschchen jene stetig wachsende Menge an Nährstoffen zuzu-
führen, welche das kräftige Kind an der Mutterbrust sich selbst verschafft.
Gewiss kann man hier die Vorm^rift befolgen, den Bedarf an Nährstoffen
durch Umrechnung der Kuhmilch auf Frauenmilch, eventuell unter Benützung
des von Upfelmann") gefundenen Ausnützungscoefficionten für Kuhcasein
(s. später) beim Säuglinge, festzustellen und hiernach dem Kinde die ihm
nothwendige Milchmenge znsuf Obren. Jedoch wer soll diese Rechnung aus-
fahren, die Eltern? sie dflrfte wohl nur dem Kinderärzte als SpeciaUsten
geläufig sein.
Man wartet also so lange, bis das Stationärbleiben des Kindes so sehr
aulfällt, dass man endlich daran denkt, dem Kinde mehr Nahrung zu geben.
Es sollte denn auch die Ernährung des Kindes unter steter ROcksichtnahme
auf das durchschnittliche Erforderniss der Milchmengen je nach dem Alter
stets auch mit der Wage controlirt werd(Mi. denn es ist von grossem Nach-
theil, wenn man dem Kinde erst dann mehr Milch zuführt, wenn dessen
Unterernährung schon durch das Anschauen des Kindes allein auffällt.
Es ist eine unleugbare Thatsache. dass die SoXHLEx'scIie Sterilisirung
der Milch einen grossen Fortschritt in der Pvrnährung dfs Kindes mit Kuh-
milch bedeutet und dass sie, rationell durchgeführt, ihrer Aufgabe, so weit
man dies nur von einem Ersatzmittel verlangen darf, entspricht.
In neuerer Zeit wurde immerhin der Werth dieses Emäbmngsmodos nach
mehreren Richtungen angezweifelt. In Bezutr auf den prophylaktischen Werlh
der SoxBLBT'schen Sterilisirung gegen inlectiüso Magen- und Darmlu-auk-
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KlnderernAbrung.
heilen wird dieser von FlCgce'"') als nicht erwiesen erachtet Die von ihm
erwUmten »peptonisirenden Milchbakterien« werden selbst in sauberer Milch
nur selten vermisst und ihre Spuren halten ein Erhitzen auf lOO^ C. min-
destens 2 Stunden lanjr aus. Es sei also (He sterilisirte Flaschenmileh in der
Ke^el nicht keimfrei; damit sie ohne Schaden genossen werden könne, müsse
sie daher dauernd unter 18° C. aufbewahrt oder innerhalb 12 Stunden ver-
braucht werden. Er empfiehlt, auf ToUkominene Kelmfirelheit zu venichten
und die Milch einfarli im Hause zweckmässig zu behandeln. (Unter Zusatz
von lO^/o WnssjT als Krsatz für die Verdunstung flie Milcli im irdenen Koch-
topf zehn Minuten laug kochen, dann die Milch in kaltem Wasser, welches
steta xn eaiieu«rn, aufbewahren. Die Milch wird so nur fOr je '/s Tag: vor-
bereitet; Beinhalten der Saug:flaschen. Das \' erfahren ist wohlfeiler und daher
aucli von ."irmeii Leuten durcliführbarj Jedoch halten HKfHNF.R (1. c.) und
Baüinsry^v" an der Not h wendigkeit einer aseptischen Gewinnung und Be-
handlung der Milch fest. Letzterer sieht die Vortheile des SoxHLET'schen
Verfahrens In der lang^dauemden Abkochung im Wasserbade, in der Abmessung
der Einzelmahlzeit und in der Behinderung einer Verunreinigung durch die
menschliclie Hand. Biedert sieht in Ueboreinstimnumg mit FLfiitiE is. oben)
den Luftabschluss und die Vermeidung der Lultinfectiun für eine unnüthige
Zuthat des Verfahrens an — was jedoch tflr die Wohnungen irmerer Be-
völkerungsschicfatenf fflr SiugUngsanstalten kaum Geltung haben dürfte
(Baginsky).
Ein weiterer Einwand gegen SoxHLET s \' erfahren geht dahin, dass durch die
Sterilisirung die Verdaulichkeit der Milch herabgesetzt werde. A. Baginsky
hat schon im Jahre 1883 als Wirkung hoher Tempmtituren (Aber 100* C.)
auf die Milch beobachtet, dass das Casein der vollstilndig sterilisirton Milch
gegen das Labferment. ge<ren Salzsäure ein vollständig verändertes Verhalten
zeigt, dass die Verdaulichkeit derselben im künstlichen Magensaft verringert
wird und dass eine Zerlegung des Lecithins und Nucleins der Milch und
eine theilweise Zerlegung des Milchsuckers eintritt. In neuerer Zeit fand er
in Gemeinschaft mit SoMMERFRtD, daas nach Kochen der Milch im SoxHLET-
schen Apparate bei lüi»" C. während einer Stunde Fett und Zucker in Ver-
lust gehen und die organischen Phosphurverbindungen erheblich alterirt
werden. Letsteres kSnnte die Resorption der KaJksalze aus der Milch beein-
trächtigen. Nach Renk ^-^ i tritt heim Sterilisiren der Milch das Fett aus seiner
Emulsionsform, nach Tkouneu wird die Milch kolilensrinrearm und schmeckt
schlecht. Bakbiek--*) findet, dass die sterilisirte Milch länger im Magen
verweilt als die Muttermilch, und dass die mit der Flasche ernährten Säug^
linge eine übermässige Absonderung von Salzsäure zeigen. Dem gegenttber
fand Bendix hei St ()ff\ve< hsel versuchen, die er allerdings nicht an Säuglingen,
sondern Kindern im Alter von ly^, 2 und 2 Ys Jahren ausführte, da«s die
sterilisirte Milch ebenso gut wie die emfach abgekochte ausgenfltst wwde.
Die chemischen Veränderungen, welche die EiweisskSrper der Kuhmilch durch
das Kochen erfahren, sind eingehend von Diik( hsel, ferner von L. ni-: .Jaoeu
untersucht. Von den beiden lösliclien Ki\veisskör|)ern der Milch, dem .\lbumin
und Globulin, verwandelt sich ersteres nach DuechseLp in Albuminat, nach
DB Jaobr*!^) geht es eine Verbindung mit Canein ein, welche schwer ver-
daulich ist.
Es ist hier daran zu erinnern d.iss nach der alliremeinen Erfahnmir <lie
Kuhmilch als solche schon vom Säugling schlecht<'r ausgenützt wird wie
die Frauenmilch. W&hrend die letztere zu 96 — 97°/o ausgenQtzt wird, fand
Upfblmakn (1. c. pag. 137) fOr die Kuhmilch eine AusnOtzung von circa 93Vo;
und /war iifitzt der Säugling das tüwriss der Kuhmilch zu — '.•!». 2" „ ^^"8,
(l.i-^ Fett zu L' — ;tl.8",, . Zucker zu Km",,, am s<-hlechtesten werden die
.^ai/e ausgenützt, von denen mehr als die Hälfte im Roth abgeht; vom Kalk
Kinderernährung.
gelangen nur 25 — 30" „ zur Aufsnucunjr. während nach FÖRSTER vom Kalk
der Frauenmilch 75 — 78% resorbirt werden.
Von den TUermllobarten, welche aaeeer der KnlmiOeli al« S&ugiings-
oahning in Betracht kommen, wurde in neuerer Zeit wieder an die Esel»-
milch und die Ziegenmilch erinnert. Nach R Klkmm "i sprechen fQr
die Verwendung der Eselsmilch als Säuglingsnahrung die vortreffliche Con-
stitution des Eselä, bei dem die uatürliche Tuberkulose gar nicht vorkommt
nnd die in ihrer Zntaomientetsunf so nake Verwandtaehaft der Eaelsroitch
mit der Frauenmilch. Der geringe Fettgebalt (kaum 1 Procent) der Emisniaeii
wire gerade bei gewissen Verdauungskrankheiten der Säuglinge von
Nntsen. Leider ist eine solche Stellvertretung wegen der geringen Mtlch-
ergieblgfcelt der BselastntMi bis |ettt in den aeltensten FlOfla dareb-
Ifibrbar. Die Ziegenmildb empfiehlt Oskar Schwarz**) im ungekochten Za-
gtande, oder durch Zusatz von heissem sterilisirten Zuckerwasser auf
Bluttemperatur erwärmt, den Kindern als Nahrungsmittel zu reichen. Die
Ziegenmilch enthält beinahe doppelt so viel Eiweisskörper und um \^ mehr
Fett als die Franenmiloh, hingegen nm Vi weniger Zocker als diese. Anob
die Ziege ist fQr Tuberkulose weniger empfänglich als das Rind. Jedoch
die geringe V^erbreitun^ der Ziegen am Flachland Ist auch hier den Be-
strebungen, die Milch derselben als Surrogat für die Frauenmilch zu ver-
werthen, hinderlich.
BiBDBRT nimmt nun an, dass wegren der von ihm seit jeher betonten
Scbwervcrdaiilichkcit des Kuhcascins im Darme ein »schädlicher Xahrungs-
rest« zuriickbleibi". in welchem die Kakt<'rien des Darmes (»ini'n häufigen und
gotoi Nährboden finden; er schlägt den Nachtheil des unverdauten Nahrungs-
restes im Dann hSher an als dieVorthdle, welche dvrch die SterÜisirang
der Milch erzielt werden können. Demg^^nülx r kommt Heub.ner zu dem
Resultate, das.n ein -^schädlicher Nahrungsrest bei Verdauunirskrankheiten
keineswegs immer vorhanden, und wenn ja, nicht im BiCDERT schen SinuQ
sn deuten sei. Gebe man elnon Siugling genau die Tagesmengen von wenig
verdQ unter Kuhmilch — Hbobkek verdünnt die Kuhmilch wie Soxhlet
mit einer gleichen Menge von 12.3Vo Milch/uckerlösung ohne Rucksicht
auf das Alter — , die er bei gleichem Körpergewicht an der Mutttrbrust
erhalten wurde, so könne seine Darmentleerung der eines mit Muttermilch
gen&hrten Kindes gans Ihnli^ sein.
WAdJSMtrTH erklärt das hänrigcn* Auftreten von Verdauungskr.iiikht'itcn bei ErnUlining
von Kahmilch als bei der mit Fraaenmilcb , aasgebend von der antizymotiscbeu Bedeatung
der Baliiliire im Hagen, dadurch, dam die Kohroneh dareh Ihren OehaH an Oasehi eine
prossr Mcnfirr der freien Salzsänrc im Mafjen bindet, und zwar das 2 — 4faclic rrr^'milber der
Frauenmilch, so daas die Salssänre nicht mehr ihre antizyinotiache Wirkung eutialten kann.
Ans diesem WegbU des antibakterienen Sohntsmittels reraltirt eine grOuere Disposition so
Verdanangsstürnngen.
Bei aller Anerkennung der Vorzüge des Sterilisat icmsvcrfahrens nach
den Grundsätzen von Soxhlet, welches, sorgfältig durchgeführt, sich auch in
Pflegeanstalten von S&nglingen in gleicher Weise wie in der Familie fflr die
Ernährung vorzQglich bewährt hat, müssen doch auch alle Jene künstlichen
Emahrungsmittel des Säuglings nn dieser SU'lIf anirefnhrt werden, die zum
Ausgangspunkte ihrer Empfehlung die chemische Verschiedenheit der Frauen-
milch von der Kuhmilch haben. (S. hierOber die Arbeiten von J. Soxhlbt,
Fbl. V. SzoNTAOH, 1. Munk^j, a. Wroblbwski. Olop Hamuarstbn.")
Es kommt, wie oben erwiihnl. nach .Ji r.. Lfhman'X wegen des trrösseren
üehaites der Frauenmilch an Albumin auf jedes Uramm in der Frauenmilch
consumirtes Casein 4V3tnal so viel Albumin als bei Ernährung mit Kuhmilch.
Um diesen Unterschied aussugleichen, wurde behufs grösserer Annftberung der
Kuhmilch an die Frauenmilch zuerst von Lehmann ein Zusatz von Albumin
empfohlen. Nach Jul. Lehmann soll die Kuhmilch mit 1^ ^ Volum Wasser
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KindcrtTDAtarung.
verd&nnt und derselben so viel Rahm (von ermitteltem Fettgehalt}, Milchzucker
lud HQhnereiweiss sugesetzt werden, bis das Gemisch entsprechend der
Frauenmilch zusammcnffosotzt ist. Das Eiweiss von einem Hühnerei, mit
4 Esslüffeln WasHer verset/.t . i^equirlt und durch Leinwand geseiht, genügt
für S Portionen der zu verabreichenden Milch.
Diese Vorschrift wurde von Hbhpbl durch folgende Form in ihrer Hand-
habung erleichtert. Er empfiehlt, die Kuhmilch zunächst durch Centrifugiren
auf 7,5" 0 Fett anzureichern und hierauf mit 105 Grm Milchzucker und
y,5 Grm. Hühnereiweiss pro Liter zu versetzen. (1 Stück Hühnerei enthält
15,0—43,0 Ghrm, im Mittel 31,0 Qrm. Eiweiss [König].) Ein Liter dieses Ge-
menges wird mit IMK) Gern. Wass«r verdOnnt. Hbiipbl empfiehlt die Mischung
roh 2u verabreichen.
Es zeig-te sich jedoch bei der Durchführung dieser Verordnung:, dass
es in dieser Weise unmöglich ist, trockenes Hühnereiweiss, welches billig
und in |eder Zeit erhftltlich ist, In der Milch gleichmftssig zu vertheOen.
Dies gelingt erst dann, wenn man die für eine bestimmte Mengrc verdünnten
Rahmes erforderliche Eiweissmenpe mit der entsprechenden Quantität Milch-
zucker zu einem Brei verreibt. W. Hesse **) hat nun einen solchen Eiweiss-
milchsuckwbrei getrocknet, und hat diesem »Milchpnlverc, mit ROcksicht auf
den höher«! Eisengehalt der Muttermilch, eine Eisenmilchzuckerverbindung
zugresetzt (0.022 Ferr. lactosaccharin^ 10% Eisen enthaltend, auf 1 Liter
künstlicher Muttermilch t.
Bei dieser Nabraiig vou Uksbk gediehen die lueisteu Säuglinge, doch zeigten andere
Neigung IQ daaneii Scakleii. lOt Rtekaieht daraiil wurde der Milchsuckergebalt von 6 aal
4,5%, der F^ttpch.ilt von 38 .nnf 3"/^ reducirt. Es >%nir(lfn r>7 Grm. flü.salge» i= 9.5 Orni.
trockenes) Eiereiweifs und (j? Grui. eisenhaltigen Milchzuckers zu Brei verrieben, der Hrei
bei niedriger Temperatur getrocknet, zu Pulver verrieben und diese Menge Pulver als Zusatz
zu g'/, Liter Terdünnten Rahm von 3"/, Fettgebalt (1 Liter iUlim rm Ifil*/^ Fett -f l'/i Uter
Wasser) in Bertitsehaft g^balten. Der Terdflnnte Kalnn wnrde In 300 Oem.>Flase]ien steri-
lisirt. jeder Flasclie der aehte Theil des PiilviTs in ah^retlieilten Waehspapierjmlvem
von 1,6 Grm. beigegeben. Einer Triolcportion von 2b Qrni. eutapriebt der Zusatz vou Pulver.
Das Pulver 16st sich am besten, wenn man erst mit einigen Tropfen lIUcli zu Brei verrellit
nnd diesen dann in der ganzen Trinkportion verlheilt. Da bei dieser Darstellung 1 Liter
der Nahrung au! GÜ PI. zu stehen kommt, empfiehlt Hkusk folgende b 11 1 ige re Darstelluugs-
form : Man giebt in einen graduirten Qlascylinder von 100 Gern, das Weisse von einem mittel-
grossen £i, ungeläbr SO Grm^ üi den zweiten gleich grossen 60 Ccm. = 30 Grm. sterilisirten,
mit Eisen Tersetzten Hllehsneker. Letzteren sctattttet man in ^e Tasse, giesst Biweiss dar>
über, rührt das Ganze zu Brei, d' n man dann in Quadratform auf einen reinen Teller streicht
und oberflächlich in 20 Theile zerlegt. Jeder Theil entspricht einer Trinkportion von 50 Orm.
Statt des verdünnten Rahmes nimmt man ein Gemisch von 1 Liter Milch und IV^. Liter Wasser.
Diese Mischung kostet dann pro Liter 1^ Pf. Das Präparat wurde unter ziemlich nngthl«
stigen Verhältni^seu b« i SUuglingen von der ärmeren Volksclasse angehörenden Filtern ver-
suilit, tiie Resultate waren meist günstig, Gewichtszunahmen sehr häufig. Dyspeptische
Kinder vertrugen die Nahrung nicht immer, doch waren auch Fälle ▼erseichnet, wo sichere
Dyspepsie oater dieser Eniibnmg heilte.
Eine Anreicherung der Kuhmilch mit lOslichem Eiweiss be-
zweckte auch RlBTH mit seiner Albumosenmi Ich. Indem er HfihnereiweisB,
welches er unter Zusatz von kohlensaurem Kali und Natron und Erhitzen
auf 127' C. im Autodavcn in ein nicht mehr periimbare» Alkalialhuminat —
Albamose — umwandelte, einem Gemenge von Kuhmilch, Sahne, Milch-
zucker, Kali- und Natronsalzen im bestimmten Oewichtsverhältniss zusetzte,
jrelang es ihm. eine Flüssifrkeit darzustellen, die im quantitativen Verhaltnisse
ihrer orLranischen und unorg-anisehen Restan«ltheile der Frauenmilch nahezu
gleichkam, welche überdies auf Zusatz von Labsaft, auch im Magen der
Säuglinge ebenso f einflockig gerann wie Frauenmilch. Nach Hausbr **) wurde
diese Milch unverdfiont vod Neugeborenen und äiteren Sriug:iing:en ^^leic h lhii
vortragen, Dyspepsien verschwanden wie nacti Ammenmilcli. jerlneh Stühle und
Flatus zeifrten l)ei Nahrung mit dieser Albumosenmilch sehr üblen Oeruch.
Dald nach Einführun^^ der RiETH'schen Albumosenmllch wurde beobachtet,
IUnd«rernAhrung. 141
dass die neoerdlngs von Hbdbnbr wieder besehriebene BABL0W*8che Krank-
heit (infantiler Scorbut) bei Kindern auftrat . dfe mit Albumosenmfldi
ßTPnährt wurdon. Hampi rc. >*) hält im Einklanjr mit Baginsky u. A. den grossen
Gehalt der Rif.th sehen Albumosenmilch an Kalisalzen für die Ursache
dieser schädlichen Wirkung. Auf seinen Rath setzte Rieth eine neue Albu-
mosenmiloh znaammen, In welcher das kohlensaure Kali durch kohlensaures
Natron ersetzt und die ganze Menge der Alkalien bedeutend verringint
wnrde. Um bei geringerem Alkaligehalt das Eiweisa in Albumose überzu-
führen , musste es auf 185* G. erhitzt werden. Auch wurde die Menge der
Alhnmoeen yon 14 Grm. auf 8 Orm. im Liter reducirt. Es enthSIt also die
neue RlBTH^sohe Milch, die man mit Nr. I bezeichnet und die zur Verwendung
fQr die ersten S;inirlin<rsnionate empfohlen wird: 120 Grm. Kuhmilch. 19.') Grm.
Sahne, S Gnu. Hühnereiweiss, 45 Grm. Milchzucker, 0,16 Grm. kohlensaures
Natron und ü,07 Grm. Chlornatrium im Liter. Es sollen von der so modi-
ficirten MUch Sehtdignngen nicht beobachtet worden sein.
Die 80 fU8aniint nt,M N( tzte Milch wird im SterilisMtinns.ipparat auf 102" C. erhitzt und
16 Mfawten lang anl dieser Temperator erhalten. Nach einiger Zeit wird die Mileb oocbmals
«terilhlrt md dabei 10 Hlnaten lang anf 90" eiMtst ; aie UUt rieh dann ilde Monate, obne
die geringste Zersetzuup zw zt igen. Für die spSteren Monate d«>8 SSoplinursaltcrs Ii(>8.s Ham-
BOSO noch weitere 3 Nainniern der RiETH'.ichen Milch herstellen, und zwar die Nr. II
4 Thcilc der Nr. I + 1 TheU Kuhmilch , die Nr. III 1 Thett der Nr. I + 1 TheU Knhmileh
imd die Nr. IV 1 Theil der Nr. I -f 3 Thtile Kuhmilch.
Es ist allgemein bekannt, dass, abgesehen von der cheiuischen \'or
schiedenheit des Caseins der Frauen- und Kuhmilch, das Ausfallen des Kuh-
easeina in derben grosstlockigen Gerinnseln eine sdiwerere Verdanlidikeit
dieser gegenüber dem Casein der Frauenmilch schon dadurch bedingt, dass
die derben Flocken dem Magensafte nicht so leicht zugänglich sind wie die
weichen feinen Fiöckchen. Immerhin wird eine Lockerung der Caseinflocken
bei der Milehgerinnnngr im Mafien durch Zwiachenlagernng der Fetttröpfeben
bewirkt; doch auch in flit-ser Beziehung ist die Frauenmilch wegen ihres
geringeren Casein- und i^rösseren Fettjrehaltes poircnOhcr (l<>r Kuhmilch im
Vortheil. Nachdem Biedert sich von der Förderung, welche die Verdau-
lichkeit des Kuhcaseins durch Fettemulsionen erfährt, experimentell über-
seugt hat, hat er sein Rah mge menge empfohlen, durch weldies efaie
passende Verdünnung der Kuhmilch mit gleichzeitiger Herstellung eines
richtigen Verhältnisses zwischen Fett und Casein und damit nicht nur die
genügende Einfuhr von Fett, sondern, wie oben gezeigt, auch eine leichtere
Verdaulichkeit des Caseins erzielt wcorden soll.
Das naturliche Rahmgemenge von Biedert (1. c. pag. 130) besteht
zunächst aus süssem Rahm. Wasser und (Milch-) Zucker, welches, ausgehend
von dem Grundgemisch — l'/o Casein, aber höherem Fett- und Zuckergehalt
(siehe Tabelle Gem. I) — durch stufenweise steigenden Milchzusatz in seinem
BIweissproceat bis zu einem natOrllchen Uebergang in das der Kuhmilch
erhöht wird. So ergeben sich folgende Stufen, in denen der Rahm zu
circa 4" o Eiweiss, 10° „ Fett und 5" o Zucker, die Kuhmilch nach den
Angaben von König (s. pag. 135) berechnet ist:
Btkn Wa«er Mückmalwr Hiloh C«M*iii F«M Zaebar
Gem. I: »/.Liter % Liter 18 Grm. — (^1 % 2.57, ö" ,)
. II: » % . 18 . »/«Liter (=1,47, W, 5^,)
. III : » % . 18 . V, » ItöV, 2,67. 57,)
• IV: »/, . % . 18 . «/, . (-1,8% 2,87o ö»'o)
• V : »/, . \ . 18 . 7, » (= 2,17, 3 7, öVj
, VI: - V4 » 12 . V, » 1=2^7. 2,47, ÖV.)
Selbstverständlich kann man statt Milchzucker auch Rohrzucker zusetzen.
Dabei Ist auch die Art df>r Kahm gewinnung zu berücksichtigen. Der
Rahm soll ein möglichst gleichinässiger sein, etwa 8 — lO",© Fett enthaltend.
Dies wird erreicht durch Oleichm&ssigkeit der Menge der znr Rahmbildung
uiyui^Lü Ly Google
142
Kindsrernährung.
benutzten Milch und der Zeit ihres Stehenlassens behufs Rahinbilduiiflr.
l'/o — 2 Liter Milch (nach Aterhach ircnii^'t die Hälfte der zur SäuLrlinfrs-
ernähruntr nöthigen Kuhmilch) werden höchstens 2 Stunden in weitem (iefäss
kühl gestellt, dann mit flachem Löffel '/s Liter oder aucli, wenn es reicht,
mehr von der dflnnen weissen Rabmscliidbt Aber der nan bltnllchen Haapt-
niasse der Milch abgeschöpft . wobei immer etwas von der letzteren noch
raitgefasst winl und mitircfasst werden (iarf. Nimmt man etwa das obere
Drittel der Milch weg, bekommt man einen etwas dünnen liahm, den man
bei Kindern mit weichen Stflhlen mit Vortheil anwendet, w&farend bei solchen
mit Verstopfung: und harten Kisebrocken reichen StQIüen der fettere Rahm
vorzuziehen ist.
Das künstliche KahmgemeDge von Bikdut ist eine dermalen von Pixcala in
ZwhigeDberg her«restellte Conterve. Dieselbe Ist ehie ia loltdielit Tenchlossenen BleebMcbaeii
befindliche Paste von «infrpflicktfr Milchniassc, ticstt'heild aoi 0»6 Theili n Casfin, 1.4 Theilen
Fett und 4 Thrilt n Zucker, al«<> der Zusainnienst'tzunjf mässiff fettreichen K'ahiiis entsprechend.
Die Dose entliält 220 Ccn. Wenn der Inhalt im Verhilltniss von 1 : IH nach Bikuert ver-
dnnnt winl, so erbiUt man road flOOO ( < m mit 0,617. Eiweias, 1,4" , Fett, 47, Zocker ood
0,13°/o Saice. Das so erhaltene Geuu nct- könnte nnr während Dyspepsien zeitweflifr
iivhi'n wt rili'n, für Erhaltuntf und Ernahruii(f drs Kiiniis ist <'.s entschieden zu arm an Ei-
weiss und Fett. Um es eiwvissreicher zu macheu, kauu die verdünnt« Conserve mit Milch
gemisebt werdeo. Bibdut (I- c.) tbeilt die BereehDong des Procentgekaltes an oigaalsehen
Nährstoffen hei Heratelhintr s«>kher Mir«chnny^en mit. Es enthält B. B. die Mischung V: 1 Theil
Consenrc, 13 Theile Wasser und Ü Theile Milch — l,ö* , Eiweiss, 2,17« Fett und 4,3"' „ Zucker.
Die Umständlichkeit der Rahnigewinnung und der Mischung, in neuerer
Zdt auch die Furcht, dass die zur Aufrahmung liingestellte Milch sein* zahl-
reiche Bakterien enthalten könne, waren der Verbreitunp: von Biedert's
natürlichem Rahnipeme n<r<'. so bercrlitiirt auch der dcmsclhcii zu Grund»»
liegende Gedanke, den Fettj^eliah der mit Wasser verdüiuileii Kuiimilcli Uun h
Zusatz von Rahm auf den Fettgelialt der Frauenmilch zu brin^n, ist, so
sehr hinderlich, dass es im Laufe von 25 Jahren beinahe mehr als mtMÜca-
mentöses Mittel l)ei Verdau unsrsstomnjren der Säui^Iingre in Aiiwendiinir stand
denn als ein eigentliches Surrogat der Frauenmilch. Eine glückliche Lösung
dieses Problems stellt Qärtnbr's Fett milch*') dar. Nachdem er mittels
Centrifnge aus der mit dm gidchen Menge warmen Wassers verdflnnten,
noch kuhwarmen Milch eine nach innen sich abscheidende Fettschicht von
einer peripheren Serumschicht abtreimt . L'elingt es ihm. durch passende
Einstellung der an der Trommel angebracliten Ausflussröhren aus beiden
Schichten ein Gemisch zu erhalten, welches 8% Fett, 1,76% Eiweiss und
2,4% Zucker enthält. Bringt man den Zuckergehalt auf 6,uo/o , dann hat
man die procentische Zusammensetzimg der Frauenmilch. Auch die Fettmilch
muss. in Fläschchen eingefüllt, sterilisirt und im Uuchsommer kühl aufbewahrt
und rasch verbraucht werden. Die beim Ans&uem sich ausscheidenden Ge-
rinnsel sind in dieser fettreiclien Milch leichter, kleiner und lockerer als wie
in einer blos mit dem prleichen Volum Wasser versetzten Vollniilch. Von
dieser Milch verabreichte Kscheuich nach den von Hki hnkk fixii t i ii Mcii^rcn-
verliältnissen im ersten Lebensmonate 8 Flaschen ä 75 Urm., im zweiten bis
dritten Lebensmonate 7 Flaschen & 120 Grm., später 6 — 8 Flaschen ii 160 Grm.
Nach ?]scHERiCH '8) nahmen die Kindw die Milch frerne und grediehen dabei
nach der Prnjrression. wie sie Camkrer für die iN^ilnstlich ernährten Sauglingre
berechnet. Die Stühle waren etwas häufiger von schwach saurer Beaction
und von salbenartig weicher Consistenz. Kinder mit Verdauungsstörungen,
mit Ausnahme der habituellen Obstipation haben zumal in der Spitalspflege
die Milch nicht frut vertragen. Die Urtheilo Ober die Verwert liharkeit von
Gaktnkk's Fettmilcli sind nocli nicht abtreschlossen. \'oii uesimdeii Kindern
wurde sie im Allgemeinen gut vertragen. Bei kranken Kindern mit schweren
chronischen Magen-Darmkatarrhen wurde sie von THmMicH-PAPinwsKi zur
Hftlfte mit Wasser verdOnnt verabreicht; contraindicirt ist deren Verab-
Kinderei'nAbnuig.
148
reichnn«: bei acuten^ mit Diarrhoe verlaufenden Verdauung-BstSrungren. Gegen
Birdeht's Rahmg-enienfre hat sie den Nachtheil dos hohoren Preises . der
maschinellen ZubenMt iinir . wälirend jene in jodoni Haushalte überdies noeh
in verschiedenen MisLhungsverliältuissen her}festellt werden kann. In grossen
Städten, wo der momentane Bedarf ins Gewicht mit, ebenso in Kinder-
krankenhäusern wird GXrtnkr's Fett milch mit Vorliebe angrowendet werden.
Eine im pioeentulen yerhiltoiMe der einzelneo fiestandtheile der GiBinm'aclien Fett^
mDdi sieb nihemdelHiaelnnijr tob Kvli milch, Kalbsbrflhe, Sahne und Milchsneker
empfiehlt W. Stfkfkn'*) für die kUnstlK lu- Kmilhning des Säuglings. Sic wird in folgender
Weise bt*reitet: Milch und Kalbllei&chbrUhe zu gleichen Tbeileu (V« PId. Kulbfleisch wird
mit Vi Liter Wasser Vi — '/« Staoden lang geltoeht); za IQO Qrm. Milch + Brilbe aa. Iconimen
noch: 1 Tbeelöfffl Saline und 3.8 Grni. Milchzucker. Man hat dann: Fett 3,1%. Caseiu
1,8* j, Zucker G,2 Diese Mischung luusa ^ , Stunden in Süxhk-t gekocht werden. Sie
ist von weisälicher Farbe mit einem Stich in's Gelbliche und gicbt bei der Verdauung
weiche , feinUoclcige Oerhansel ; VerdaaungbYeranche , sowie die bereits langjährige Anwen-
doBg in der Prazn zeigen, dass das Gemenge sehr gnt vertnigeo und aasgenOtst wird.
Scllistvers'tiindrK'h soll auch hier nur Milch von gesunden Kühen zur Vcrwemluntj kommen.
Für die t rsten Lebeuawochen (stärkere VcrdünnuDg) und für die letzte Periode des ääug-
lingsalters iHi hwächere Verdihniaiig) wird man die nOthigen Mengen von Fett und Zueker
eatsprvcliend niodificiren.
Das Princip des Rahuigemenges und zugleich die Zuluhr vuu löslichem
Eiweiss sucht die als Labmahn's vegretabillsche Uiloh in den Handel
kommende Conserve durch Zusati von vegetabilischem Eiweiss ond Fett
sor Knliiiiilch zu erreichen.
St) vielversprechend eine derarti^-c (%)nil)inati()n von Kiweiss-Fett-
milch sich darstellt in der, wie Bikueki sagt, »Kopf und Schwanz der
Schlangre zusammenlreffen« , so vorsichtig ist der Werth dieser Mischungen
für die Praxis zu beurtheilen. In der Sitzung der Berliner med. Gesellsch.
vom 24. März I8l>7 denionstrirte A. Bacinsky die Präparate eines 10 Monate
alten, an Barlow scher Krankheit verstorbenen Kindes, das mit Lahmann's
vegetabilischer Milch, die noch dazu mittels Soxhlet sterilisirt war,
ernährt worden war. Also auch hier schwere Anämie mit hämorrhagischer
Disposition (Senator) infolge eines Kindernährmif tds. Da ist wohl der
Wunsch gerechtfertigt, dass der Handel mit solchen Xährmittelfahrikaten
erst freigegeben werde, wenn sie eine fachmännische (physiologisch-chemische
und pftdiatrisch-klinisehe) Prüfung bestanden haben; sum Mindesten sollte
aber diesen Prodiicten der Markt allsogleich entiogen werden^ nachdem Ihre
Schädlichkeit schon Opfer gefordert hat.
Um das Casein der Kuhmilch leichter verdaulich zu machen, hat
Ppbippbr schon 1882 ein Peptonisiren der Kuhmilch , beziehungsweise
deren Eiweisskörper versuclit. Zur Poptonisirung mit Pankrea sferment
dient Timit.s Milchpulver, ein Gemenge von trockenem Pankreas und
Zucker, welches den einzelnen Milchportionen oder der ganzen Tagesnahrung
zugesetzt wird. Die Poptonisirung der Eiweisskörper wird durch Digestion
der Milch mit dem Pulver bei einer Temperatur von höchstens 60" G. er-
zielt. Als peptonisirendes Pulver kommt auch das Papain (tryptisches Fer-
ment aus Carica Papaya L.. Ri:rss in Cannstadt) in den Handel. Volt.mkk*s
peptonisirte Milch (Eiweiss 1,7, Fett 1,2, Zucker 6,1, Salze 0,4%) ist
eine mit Pankreas veiilaute Rahmeonserve, weteke in Berlin auch unter
dem Namen »kQnstliche Frauenmilch« den Abonnenten täglich in s Haus
geliefert wird. Die ^peptonisirte ^fili li schmeckt wegen der Peptone bitter.
Will man den Geschmack derselben durch Zusatz von Zucker verbessern,
so liegt die Gefahr nahe, dans zu viel Kohlehydrate eingefaiu*t werden. Hin-
gegen wird allgemein die leichte Verdaulichkeit derselben bestätigt, anderer^
seits sind sie peptonisirten Milchpräparate särnnitlich schwer haltbar, indem sie
leicht faulen, sie sind daher auch nur am Orte ihrer Darstellunir anwendbar.
Diese Präparate werden hauptsächlich bei Verdauungsstörungen zu
versnchen sein, bei denen sie manchmal Aber schwere Stadien der Atrepsie
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144
KindcrernAlirung.
hinv^helfen dürften. Zu den popt<>ni8irt(>n Milchpräparaten sfthlen flberdies
noch: die BACKHAus'scho *') Kindermilch, eine Vereinitrunsr von Tentri-
fug^enrahm mit einer aus einem Gemenge von Trypsin. Lab und kohlen-
Baurem Natron behandelten Magermilch. Sie wird in drei Mischungen, den
yerachiedeneii Altern des Kindes entsprechend, in Portionsnasclien verab-
folßft. Eine peptonisirte Milch in Conservenform stellt Löflund's »peptoni-
sirte Kinderroilch« dar. Sie entält Maltose 33.8. Milchzucker 12.6, Dex-
trin 8,6, Eiweis8 U,8, Fett 12,2 und Salze 2,2%. Die wässerige Losung der
Consenren ist angenehm su nehmen, jedoch als alleinige Nahmng ffir längere
Zeit wäre sie wegen des geringen Eiweisspehaltes pejrenüber dem von Fett
und Kohlehydraton gpewiss von Nachtheil fOr den lundlichen Oi^anismns
(s. bei Couserven).
Else halbpeptonfifrte Mileh, to weleher ein irroMcrTbett TonEiweiss noeh an>
peptonisirt ist, ist Lahmans's künstliche Muttermilch. Sie wird in der Wt-ise bereitet,
dass man zu ^ut gekochter Kuhmilch Wasser, Huttertett, Zucker und Salze hinzufügt, um
de der Mottermilch ohemiftch möglichst gleich zu machen , uad dass mun »ie dann aach
ZoMtt Ton Pankreaaferment digeiirt, bis der grossere Theil der stickstolfhaltigen Substaaias
sottllber wird, der andere Theil aber dorch Sänrexusatz nur noch leinflockig gerinnt.
Wegen des Reichthnms der S omatose an Alhomosen möge auch der
Zusatz derselben zur Kuhmilch oder zum Centrifu^enrahm an dieser Stelle
erwähnt worden. Nach Hki.nku h Wolf *') soll der Zusatz von Somatose die
Ausfällung des Caseins der Kuhmilch beim Gerinnen in dünneren Pflocken
bewirken und bei Dyspepsien der Kinder die Kuhmilch leichter verdaulich
machen. Die Somatose wird der dem Alter des Kindes nach verdflnnten
Kuhmilch im ersten Jahre zu 4 Grni. pro die zupfesc'tzt.
Schliesslich seien ndch einifje Specialität(>n erwähnt, welche auf chemi-
schem Wege die (ieriuuung der Kuhmilch in zarteren Flocken und die
leichtere Peptonlsiranff dieser bewiricen sollten. Solche sind: das Lact in
von KiiNTz und das Milchaal z von Paulckk. Sie enthalten als Haupt-
bestandtheil das schon von Libbig empfohlene kohlensaure Natron. Es
werden 12 Grm. des Pulvers in ^4 Liter heissen Wassers gelöst und die
Ldsung wird im selben Verhältniss wie gewöhnliches Wasser zur Milch ge-
than, das Gemisch wird hernach gekocht.
Au.sffehend vnn dem calorischen Ers;itzwerthe des Zuckers ^egen-
uhf r Fett (240 Milchzucker =: lOU Fett) haben Hei'UXER und Soxhlet die
durch Verdünnung der Kuhmilch mit Wasser in dem Gemische nun ver-
minderte Fettmenge durch eine calorisch äquivalente Menge von
Milchzucker ersetzt. Sie stellen durch Verdünnung von Kuhmilch mit der
gleichen Menge einer 6° o'Sen Milchzuckerlösung ein solches Nahrungs-
gemisch her, welches dieselben Nährstoffmengen wie Frauenmilch enthält,
nur mit dem Unterschiede, dass ein Dritttheil des Fettgehaltes (l,32Vo) durch
die gleichwert b ige Menge Milchzucker (8,19Vo) ersetzt erscheint Wenn audi
durch diese Verdünnung der Kuhmilch das Casoin irloichzeitifr leichter gerinn-
bar und kleinflocki«: ausgeschieden wird, so muss doch aucli herücksichtigt
werden, dass das Fett gerade für den kindlichen Organismus einen für das
Wachsthum höchst wichtigen NfthrstofI darstellt, wie das |a der hohe tbera-
peutische Werth des Fett ^ In • li. n meisten Emährungsanomalien des Kindes-
alters darthut. Es steht also diese Mischung in ihrem physiologischen Werthe
solchen, die den procentualeu Fettgebalt der Muttermilch durch Anreicherung
mit Fett selbst erreichen — wie Bibobrt's Rahmgemenge oder die OÄRTNBR^sehe
Fettmilch — entschieden nach. Die Vorzuge der HEi'B.NEU-SoxHKKTsthen
Mischuujr bilden jedoch die leichte Horst ollbarkeit . forner der l'iiistami. dass
man es. da man ja eine der Muttorinilch in ihrem procentischen Gelialte an
Nährstoffen (^bezüglich des calorischen Werthes) gleichwerlhige Flüssigkeit
anwendet, nicht nothwendig hat, fflr jeden einzelnen Lebensmonat des Kindes
einen anderen Grad der Verdflnnung der Milch anzuwenden. Nur ganz jungen
uiyiu^uü Ly Google
Kind«rernähruiig.
145
unfl srhirachen Säuerlingen Avinl man während 8 — 14 Tajjen eine dünnerp
Milfhnüschung — etwa 1 Thfil Kuhmilch mit 2 Theiien einer 6%igen Miich-
zuckerJösung — verabreichen. Selbstverstindlich werden mit zunehmendem
Alter des Kindes für die einselneii Mahlzeiten immer grössere Mengen ver-
braucht werden: im ersten Lebensmonat 75 Grm . im zweiten bis dritten
Monat 125 Grm.. vom dritten bis sechston Monat 150 Qrm.i ältere Säuglinge
verlraffen Einzelportionen von 200 Grm.
Um aa« Knhmllcli rine Kindernabrun^r hemsteneii, in welcher das YerhSltniss swIacbeD
Albttioin und Ca^t ii\ uml zwi^cht n ("ast iii uinl Fett ein solchns ist. wie in der Frauenmiich,
liat maa 4te Kuhmilch nacii Olof Hammakstkk (I. c. pag. ohne wesentliche Aenderoog
ihres CMiaHea an Fett, Milchzacker und lOalicben Salzen derart tn Terdttnneo, dau Ihr
(Jehalt an Casein. Calcinm und Phosphorsäure abnimmt, während ihr Gi lialt an Lactalhuniiii
trli-iebzeitig steigt. Dies wird erreicht, wenn man die nach der Gcriiiuuiig der Milch mit
Lab eriUlMUKn sUäHen Molken mit pansenden Mengen Kahm und Vollmilch vermischt. ÖLor
HAMiuMm ateUte zwei «olcbe Gemenge her, von denen daa eine aus 200 Tbeilen Bahm
und 800 ThHIen Molken, das andere an« 100 Theilen Kahm. 100 Vollroffeh nnd 800 Thelle»
Molken tit stand. Di'' su erhaltenen Mi^c liuiirjrn zeigten in ihrem Verbüken gegen Lab, wie
auch zu seilt verdUautcr .Süure und Magensaft eine grosse Aehulichkeit mit Frauenmilob}
die Jedoch keine ▼ollkommene war. Die Pranenmllcb zeichnet »ich auch dnreh einen grOaaeren
Lecithingehalt aus nnd O. Hammahbte» suchte diesen durch einen Zusatz von Eigelb zum
obigen Gemenge zu ersetzen. Doch auch hierdurch wurde eine völlige Uebereinstimmung
mit der Fraueomileh nicht erreicht, was in der nunmehr uny.weifelhaft erwiesenen Ver-
schiedenheit der Caseine der Frauen- und Knbmilch seinen Grund hat Ein MoltKenrabm-
gemlsch haben aehon Tor 28 Jahren Budut nnd Knaan als Kfatdernllhnnittel Yermuhti
aber ohne ganstige Resultate.
Kindermehlo. Als Surro{j:at der Evnährunp: an der Mutterbrust wurden
zu allen Zeiten von der ärmeren Bevölkerung Aufkochungen von Getreide-
mehlen nur mit Wasser — sogenanntes Mehlmus — angewendet. Bezüg-
lich ihres NIhrstoffgehaltea ist den Mehlen wegen des spSrlidien Fettgehaltes
(1 — 2" „) und wegen des sehr grossen Gehaltes an Stärke (im Weizenniehl
t)6,28'^ 0 Stärke neben LSG" „ Zucker) bei relativ niedrigem Eiweissgehalt
02,81° 0 = sämmtlich Procentzabien des Weizenmehles) ein ausreichender
Xfthrwerth gewiss nicht zuzuerkennen. Ueberdies sind die Speieheldrfisenf
Magen- und Darmsaftsecretionen des Säuglings keineswegs für die Ver-
dauung der vegetabilischen Xalinmir <'in.r(rir}it(>t. Wohl wird durch das
Kochen des Mchlmuses ein Theil der Stärke g< löst, jedoch ist die sacchari-
ficirende Wirkung des Mundspeichels in den ersten 10 Wochen sehr gering,
und auch dem Pankreassaft geht während der ersten 4 Wochen die sacchari-
ficirende Wirkung gänzlich ab. so dass das Amylum von den Kindern wäh-
rend der ersten Lebenswochen s<'hr schh-cht verdaut wird; die unverdaute
Stärke geht im Magen leicht die Milch- und Buttersüuregährung ein, welche,
abgesehen von der Vermehrung der OShrungserreger, durch ihre Zersetsungs-
producte leicht zu Magen- und Darmkatarrhen Anlass geben. Es sollte also
während der drei ersten Lehensmonate ein Mehlmus als aussctlliessiiehe
Kindernalirung gewiss nicht gegeben werden.
Die Unverdaulichkeit der in dm Mehlen die Hauptmasse bildenden
Amylaeem war es, welche LmiG snr Herstellung seiner Suppe fflr Säug-
linge. bei welcher die Stärke durch Zusatz von Malz in Zucker umge-
wandelt wurde, veranlasste. Wir verzichten auf die Schilderung dieses der»
malen nur mehr historisches Interesse bietenden Präparates.
Wie eben erwähnt, wurde von den Kindertrzten bisher die Mehlnahrung
bei Säuglingen mit der Begrfindung vermieden, dass der Säugling bis zu sechs
Monaten das Stärkemehl zu saccharificiren nicht im Stande ist, weil die
Secretion des Speichels eine zu geringe ist und überdies dem Speichel die
diastatische Wirkung abgeht Die Versuche, die in dieser Richtung von Rittbr,
(1860), ScHiFm (1872) u. A. angestellt wurden, brachten in die Frage keüie
Klarheit, immerhin berechtigen sie zur Annahme, dass bereits das Neu-
geh()r(>ne in den ersten Tagen des Lebens, sicher aber das mehrere Wochen
Kncjrclop. JaJubttolMr. VIl. 10
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146
Klnderernfthrung.
alte Kind Ober mehrere diastatisehes Ferment seoomirende Drfisen (Parotis
und Pankreas) vorfufrt: auch Jakobi (New York) hat für Neiijrcborene ein
Gemisch von 1 Tlicil Mildi mit Th. Gersten m»'lil zur Xahruntr empfohlen.
Wühl auf Grundlage von Krtulu ungen, die ihn die \ erdauliclikeit dieses
Oemlaohes erkennen Hessen. Es ist daher 0. Hbdbnbr*') Im Verefai mit Carstiks
der Fraioro der Mehlernährini<r von Sftugrlingen durch AusnOtzungsversuche
nähergetreten, wobei die Versuche nur bei solchen Zuständen ancrfstrllt
Vörden, in denen Hkubner nach den Erfahrungen bei älteren Säuglingen
die Mehinahrung für angezeigt hielt.
Die Versnclisreihen mit Reismehl nnd mit Hafermehl ergaben, dass
Sjiiijrlinpc bis zu 7 Woilien herunter Mohl ebenso gut zu verdauen im Stande
sind, wie Eiweiss und Fett. Doch folgert er aus seinen Versuchen keines-
wegs, dass eine solche Nahrung auch niunatclang verlragen würde. Da man
den Säuglingen hSchstens eine 5 — 6%ige LSsung an Reismehl gelten kann,
so ist die Nahrung: zunächst zu voluminös. In i'4 Stunden könnte man dem
Säuffline: '>0 ürm. Keisinehl beibrin}r(»n ■= 17.'» Calorien. Aus der Matterbrust
trinkt ein 2iuouatlicber Säugling 4U0 Calorien, man niüsste dem Kinde also,
um einen fthnllehen Erfolg zu erzielen , 2 Liter Mdilsuppe geben. Das ist
aber ohne Schädigung des Kindes nicht möglich. Allerdingfs kann man die
prnparirten Kindermehle bis zu einer Concentration von 10",, irel)en. dmli
liefern erst 1(»0 (Jrm reines Xr:sTi.K si hes Mehl als NahrunöT 4(tO Calorien und
man müsste immer noch dem Kinde i'^ i — 1 ' « Liter Suppe beibringen, damit
es die gleiche Menge Calorien aufnehme, wie ein Kind an der Mutterbrust
Heubner möchte die Mehlernälirung bei den Kindern als eine soy^enannte
Erb ol n nirsdiät passend finden. Eine sulche i^t geboten nur bei geschäditrlem
Darmepithel. Durch die Mehlnahrung wird der Darm in doppelter
Hinsicht geschont; Einmal wird ihm die Arbeit der Eiweiss- und Fett-
verdauung erspart, sodann wird, da der Speichel die Hauptarbeit leistet,
dem narm nur die Aufsauj^unp des in kleineren Mengen gebildeten Zuckers
/ugemutliet. Endlich ist das Mehl ein schlechter Nährboden für eiweiss-
zersetzende Bakterien.
Selbst bei neugeborenen elenden Kindern, welche dyspeptisch in Be-
handlung kamen, trelanfr es. dun h Zufuhr von dünnen Äfehlsuppen die Dys-
pepsie und den gi'reizten Zustand des Darms zu beseitigen und wieder au
der natürlichen Ernährung zurückkehren zu können.
Welche Sorte von Mehl man nimmt, ist nicht ganz gleichglitig. Die
nii i-ten prüparirten Mehle bestehen ans Weizenmehl. Wenn man Reis- und
Wei/enmehl mikroskopisch verjLrleicht. sn sieht nian. dass das Heismehl un-
gemein viel feine Elemente und zierliche Körner hat, während das Ktfeke-
und das NESTLE-Mehl aus gröberen Kömern besteht Das Hafermehl hat
ebenfalls sehr kleine Körner. Die bessere Aufquellung des feinen Reismehls
erhöht die Verdaulichkeit jranz besonders. Auch die Bereit unjrsart der Mehl-
nahrunff kommt in Betracht. Es genügt nicht, das Mehl mit kaltem Wasser
zu rühren und dann mit heissem Wasser zu begiessen, sondern man nmss
die Suppe noch — 1 Stunde durchkochen. Man kann einmal täglich eine
grössere Menne für den ^-an/en Tagesbedarf zubereiten. Heuii.nkr lUsst
'_'.') Grm. Mehl auf V., Liter Wass(>r nehmen. Gewöhnlich hat er die Mischunir
gar nicht süssen oder salzen lassen. Welche Art von Mehl man aber auch
giebt, inmier hat man sich zu erinnern, dass man, so lange man das Kind
der Mehldiftt unterwirft, eine Unterem8hrung vor sich hat Man macht aber
den kindlichen Darm durch die Ruhe wieder fähig, seine adäquate Kost zu
verdauen. Wenn es nicht <relin«t. die Häufiirkeit und den Charakter der
Stühle zu verändern, so hat auch die Mehlernährung keinen Zweck, und
man muss auf andere Hilfsmittel zurückgreifen. Den Gebrauch} die Milch
statt mit Wasser mit dünnem Mehl au vermischen, findet Hbubker sehr
uiyiü^Lü Ly Google
Kinderernährung.
147
zwerkinässiy:. Nach diesen Ausführungen Heubxers ist die Mehlernährung
des Kindes nur auf iene Falle za beschränken, in denen man sie wie oben
geschildert, zn tiierapeutischen Zwecken anwendet.
Nichtsdostoweniffer hat sich eine Industrie für pr.lparirte Kinder-
nu'hle «MUwickt'lt. die ihre Erzeugnisse damit empfiehlt, dass das I'roduct
sehr fein zermahlen ist und dass das Amylum zum grössten Theil in Dextrin,
txm kleinen Theil auch schon in Zucker Qbergefflhrt ist. Wenn aach diese
Präparate den Vorzug der Haltbarkeit und constanten Zusammensetzungr,
zum Theil auch cinrr Ii>icht(>r(Mi Verdaulichkeit ireircniilxT den nicht prä-
parirten Gelreidemehlen zeigen, so sollen sie doch nie als ausschliessliche
Kindernahrung: und nie vor dem vierten bis sechsten Monate geg^eben werden.
Es musa auch bemerkt werden, dass die Bmäbranf mit Kindermehlen
mindestens J — 4mal theurer ist als mit Kuhmilch und fQr die vollständige
Ernahrunir des Kindes niemals ausreicht.
Ks würde hier zu weit führen, an dieser Stelle sänuulliche Kinder-
mehle namentlich anznfQhren. Es g:en(lgrt dem Arzte, wenn er die Gesichts-
punkte kennt wonach solche Präpariitc beurtheilt werden müssen: clieuii>che
Zusaniinonsetzuni; und X'erdauliclikeil. Je wenijj:er Ei\vci->s die einzelnen
Mehle enthalten, wie z. B. die aus Maismehl bestehenden Präparate Mai-
zena. Mondamin mit 0,4 7 "/o Stickstoffsubstanz, selbst das Mehl aus dem
Mark der Pfeilwurzel. Arrowroot, mit 1,75% Stickstofbubstanz, desto
weniger sind sie als Kindernährmittel selbst in den späteren Monaten des
ersten L('l)ons]ahres tau};lich: üherdios soll die Stilrke zumeist in eine lös-
liche Form und in De.\trin übergeführt sein.
Folgende Tabelle giebt eine Uebersicht einißrer dermalen in Handel
kommenden Mehlpriiparate für Kinder nach .1. Küxiü (1. c.):
Stickxiolllr«!ii< fitofle
( Kotilohv drat»» 1
MiMralftoIle
aas
1
i
Namen
e
£ =
Ie
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*
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£ s =
1 6
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l =
1 ~
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T O
c e II
t
Fsicucafl' Klndirnii'hl
11.75
73.22
28,71
41,07
3.44
8,20
o.r,5
2,18
0,615
1
:7.8
GiUKu's L:ictoleguniinose
1Ü.07
t;7,(j3
43,17
24.4)'.
5..")8
0,33
2.7S
1
:4,8
03ttlnp<'r Kimlcriuehl .
Ü/J5
77.01
40,90
3S.r,2
2,49
:),07
0,59
2.17
0,509
1
:9,0
Ilivriv .v TAiMKn'* Kio*
73,Gy
7U,üö
3,04
12,21
0,53 j
0.88
|ü,236
1
:1,0,
Kxmb'b prilparirtes Hafer-
11.21
69.58
2.71
64,02
2,35
s.r,2
9.17
1.42
'»,080
1
:8,2
Rtrpms's Kiaderuiebl . .
12,51
74,14
21.92
52,22
1,81
8,78
2 11
ij.r,',)
1
:0
j £i3. LömncD't Kinder-
1 uahrunfT
' an
02.44
1 iislich
32.33
1.70
ü,5
1
:1,7|
1 Nestle's Kindermehl . .
lO.HO
7U.31J
42.42
33.40
2.48
j,it;
4.17
1.47
0.411
1
:8,5'
Stu.zkk ^ Kindermehl . .
7i.(;i
.M.Ö2
2ü.:io
3.95
0,50
2..")S
O.Sü
1
:0
1 Tjmfe's Klademabrung .
35,34
2Ü,Ü4
3,07
5,45
7,32
, 2,82
,0,715
= 4,2
1 Wahl*« Ktadermehl . . .
1 1,96
) 86*37
12,34
72,17
1,96
1,28
10,14 1
0,143
1
:4,6
1 Wkibkzahxs prlparirtea
ilO,63
72,51
09,29
3,22
7,10
10,32
0,95
0,580
1
: 7,8,
1 Wiener Kfaidermehl . .
|11,38
1 77,01
47,01
90,00
1 436
8,18
3.82
|0,8
1
1
:73
Miiehconserven, und zwar die einfachen und die eondensirten, em-
pfehlen sich für SUidte. wo gute und unverfälschte Kuhmilch nicht immer su
haben ist. Die mit Zusatz von Zucker dargestellten Milrliconserven , c o n-
denairte Schweizermilch-, sind nur in den ersten Lebensmunaten in der
Verdftnniing von 1 Conserve : 8 — 10 Wasser mit ^osser Vorsieht su gebrauchen.
Es betrigt nAmlich die mittlere procentische Zasammensetxung der
mit Zucker versetzten eondensirten Milch: Proteinstofte 8.80, Zucker (Milch-
10*
uiym^L-ü Ly Google
148
Kinderernährung.
zucker und Rohrzucker) 54.22, Fett 10.15, Wasser 24.70. Bei der Ver^
dflnnunp: mit 9 Theilen Wasser rcsultirt oino verdünnto Milrh mit 0.88",
Eiweiss, 1)01% ^^^^ und 5,42°/o Zucker, also ein Nahrungsmittel, welche.s
viel zu arm an Biweiss und Fett und viel su reich an Zucker ist That-
sSchlich nehmen die Sing^lingre, denen man verdQnnte condensirte Milch
izicitt . dieselbe sfhr g:erne. nehnion <i:rnsso Meof^en davon, woboi sio ihre
Windeln iniincrfort nfissen. sie werden dabei kuprelrund, bleiben al)er bodi-
gradig anämisch, sind blass und unterliegen leicht, wenn sie von acuten
heberhaften Krankheiten betroffen werden. Wird diese Ernährungsweise su
lange fortgesetzte dann werden die Kinder rachitisch, der Magen gewöhnt sich
an voluminöse Mahlzeiten. Ks ist daher die mit Wasser verdünnte condensirte
Milch nur kurze Zeit hindurch zu verabreichen und sobald als möglich durch
ein an Eiweiss und Fett reicherem Nfthrmittel zu wsetien, eventuell durch
ZusatK von Hfihnereiweiss und Dotter mit jenen Nfthrstoffen anzureichern.
Die neueren, ohne Zucker dargestellten Conserven der Milch (Scmrrfp,
Fabrik Romansborn) sind, weil sie, wie die reine Kuhmilch, auch für die
späteren Lebensnionate ausreichen, den gezuckerten vorzuziehen. Bevor man
die Conswve aus ein«* neuen BQchse oder Flasche dem Kinde entsprechend
verdflnnt verabreicht, prüfe man dieselbe genau nach Geschmadc und Geruch«
weil es vorkommen kann, dass die Milch verdorben ist.
Wir glauben im Sinne der uns gestellten Aufgabe, in einem orienti-
renden Artikel die dermalen geltenden Orundsfttze der Kinderemfthrung,
insbesondere in Bezug auf die zumeist empfohlenen kOnstlichen Nährmittel
der Sautrlinire. darzustellen, so weit entsprochen zu liaben. dass di«r Leser
vorkommenden Falles auch den Werth jener Xährraittel-.Surrogate zu beur-
theilen fähig ist, die hier nicht angeführt sind. Und zum Schlüsse noch
einmal die Mahnung, dass das swedunJlssigste Surrogat der Mnttwmilch die
gute, reine, passend verdünnte und sterilisirte Kuhmilch darstellt. Sämmt-
liche übrigen Krsatzmittfd konmion erst in Betracht, wenn diese fehlt oder
wenn Magen- und Darmerkraukungen des Kindes die Verwendung derselben
ausschliessen. In diesem Falle muss der Effect des gewählten Brsattmittels
vom Arste sorgfältig controlirt werden. Mit der blossen Empfehlung des
Surrogates allein ist nichts erzielt: die Darreichung desselben muss der
Pflegerin beigebracht und überdies fiberwacht werilen.
lieber die Kost der Kinder von 6 — 15 Jahren hat C. VoiT im
Waisenhause zu München Ermittlungen angestellt. Da die Kinder bei der
daselbst geübten Ernährungsweise sehr gut gediehen, dürfen die Kostsätzo
der Anstalt ziemlich als allij-emein ausreichend aufgefasst werden. Die Kinder
erhalten 5nial in der Woche Fleisch, und zwar 170 Qrni. rohes Fleisch mit
Knochen, welche 187 Orm. beinlosem, frischem Fleisdi oder 85 Grm. ge-
sottenem Fleisch entsprechen.
Als Schema mögen die Kostsätze für Sonntag angeführt werden:
Qfuia ^B'rttt*
c>Mh.fn»ir Grm. Milch 10,6 10.0 10,8
rnunucK j ^ Seinnu-l (1 SlUck) 4,0 0,4 25,2
Kräutersuppe (2G,ö <;rm. Kräuter, 17,6 McM,
11.0 Scbmals. 4,4 Zwiebeln) 8,67 6,23 19,8
Mit»-.» OchaenOelaeb (170 Orm. mit Knoches) . . 80,0 1,2 —
K.irtoireIgemü«e (201.7 Grm. KartoRelo, 31,1
Mehl, 8.7 Schmalz, 4,3 Zwiebeln) . . . . 4,23 7,11 37,0
iBrot (1 Hambrot, 81 Grm.) 7,00 — 37,6
NachmitUg 1 Hansbrot (81 (irm i 7.00 — .37,(5
1 Ilausbrot (Hl Grm i 7,UJ — 37,6
Bier (' ^ Litt r; — — 14^
Kartoflelscbeiiianff (282,9 Grm. Kartolfeln,
18.1 Schmal«) . . bfil 6.68 683
Somme. . . 78.84 81,6 874,6
Ahend«
Kinderernährung.
149
Indem Voit den Kflchenzottcl für jeden Ta? der Woche durchrechnete,
erhielt er im Durchschnitt pro Tag an Nährstoffen: T'J ürm. Eiwelss, 37 Grm.
Fett, 247 Grni. Kohlehydrate mit dem Nährstoff Verhältnisse 1 : 4,1.
KONIG stellt als volle Nahrung^ für Kinder von 6 — 17 Jabren u. A.
folgende Ration auf:
KOktohjrAnit«
170 Grm.
3?).U
^IT
30Ü >
1Ü.Ö
1,0
150
180 >
8,0
0,3
86
25 >
Fett CButter nnd Schmale)
2ä,9
250 »
83
9.0
18
100 »
10,0
1.0
74
180 >
7.0
1.0
9
Sainnie . .
78,0
38 5
VtTfrleicht man die von den Kindern zur Nahrung- xerbrauchten Stoff-
inengen mit denen der Erwachsenen, indem man dieselbe auf das gleiche
Körpergewicht berechnet, dann erhält man die relative Grösse des Stoff-
verbraoehes derselben. Hiebe! erscheint der Sioffverbranch am grSssten im
ersten Lebensjahre, von dn be;?innt eine erst etwas schnellere, dann lang-
samere Verminderung. Dies zoifrt sich bosoiiders auffallend, wenn man die
dem Säugling in der Normaluahr uug zulvommeude Eiweissmenge mit dem
Blwelssverbranehe arbeitender Erwachsener vergleicht Nach Rankb ver-
braucht 1 Kirrm. eines 70 Kjrrm. schweren Brauknechtes im Tage 2.7 Grm.
Eiweiss. der MoLLESCHOTT sche Arbeiter (65 Kgrm.) erhält auf 1 Kjrrm. iM ) Grm..
der normal und wohlgenährte Säugling erhält auf 1 Kgrm. Körpergewicht
8,6 Qrm, Eiweiss, also mehr als 4nial so viel als ein kräftiger Arbeiter. Selbst
noch ein Kind von 10— tl Jahren erhftit 8,4 Grm. Eiweiss anf 1 Kgrm. Körper-
irewieht, also 70" o mehr als der Arbeiter.
Werthvolle Daten über den Nahrungsbedarf der Kinder von 2 —1:5 Jahren
(incLj enthält die Arbeit von Anna Schauanowa: »Beitrag zur Kenntniss der
Hamstoffmengen, welche im Kindesalter unter normalen Verhiltntssen und bei
verschiedener Diät ausgeschieden werden.« (Jahrb. f. KInderhk. 187".*. XIV,
4. Heft.) Folgende von derselben entworfene Tabelle zeigt, welche Mengen
Stickstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff der Nahrung entsprachen,
welche Kinder von 2 — 18 Jalirw auf 1 Kgrm. Körpergewicht unter stetigem
Wachsen verbrauchten:
Bei nicht a bn ciimeiulem Gewicht.
Auf 1 Kj^rui. (jewicbt.
j
Zahl der
FMte
i
Altar
Beobacb-
ilMtand-
tlMlto
Wasser
N
C
H
! 0 -■
1
1 —
6
19.5
y5,o
0,93
11.9
1.0
7.8
8
16,0
91.0
0,78
9,0
1,2
.").7
T' :::::::::: :
4
18,8
96.7
0,80
10,8
1,3
5,8
3
23,4
117,4
0,P8
11,0
1,6
8,7
4
16,0
75,6
0,64
8,7
1,2
6.4
? :;:::::::::!
4
174
88,6
0,G3
8.4
1,2
6,2
6
15.2
68,0
0.5(5
7.83
1,12
5.60
8 »
5
12,6
51,7
0,41
6.42
0,92
i 4.74
8V, •
4
15.6
62.8
0.58
8.03
1.10
6
13.0
."»5.0
0,48
6.58
0.91
4.83
6
10,1
67,3
, 0,38
5,2
ö,7
0,76
0,81
i 8.8 1
7
11,1
83^
' 0,41
' 4.1
3
10.4
3S,8
0.39
5.3
0,76
39
"
lü,3
4J,Ü
0.3Ü
5.2
0,76
3.5<
Lü Ly Google
150
Kindtircrafibruag.
An !<ein)'n Kindern, wt-lch«' im Altir von 15. 12' 9, 7 ud 5 Johreil Itaadflll, lud
Cammbbeb anl 1 Kgrin. Körpergewicht der VersnchopersoD :
Hanl
Per:ipiralio mi»'n.<>ibili4
Hsrostott im Harn
Harnstickstoft . . .
Gr«
26.7
19,2
0,d
0.26
.14.3
18 7
0,54
0,29
.S7.7
26,7
039
037
0,74
039
4.'»..'»
31.»
0.76
0^
Es h- tni;: fnn.T <lii' Sintiinditf.- N;ilinii!--iznriilir MVXi. 177.'}. 1GS(5. VM'A. 1.340 «Jriu.
und dit* tiiirliihc N Aiisscbndung durch den Kotli 1,27, 1,U3, U,U, 1 21 Grm. Unter der
BnlSis»ii;>'n Annahmt», da»* di« fiii Harn nnd Roth nasgoschiedene N-Menge anch in der Nnbrnng-
»•nth:ilft n sei. IxTfi biietc er die tüffüchf Ges.TmnitnuMipi* .nn Nalirun^'^f i^j-iss zw Ofi, GS, ~0, .tI,
41 üriii. und die AtHnutzutiff de:» N;ihrung»eiweiv'» int Darm zu H'J, 'Jl,4, 84,7, 90, Hö,9%.
Durch Berechnung der In der Nahrung enthaltenen Fette und Kohle-
hydrate findet Cammbrer. dass tOr die drei ftltoron Kinder die Zufuhr von
X-liaH itrcn und N-fpfMcn Stoffon j^cnau in irN'idn'm VcrliHlf niss abfroiionimen.
für dio zwt'i jün-rcron du- Zufuhr des Kiwciss in i'twas stärkerem Vorhällnis.s
abgenonimcn hat. Die Angabe von ^oi'Hie Hasse, dass bei Kindern gleichen
Alters die relative Nahrungseiweiaamenge (pro Kilogramm Körpei^wieht)
fast absolut gleich gross sei, kann Cammeheu ans seinen Vorsuchen nicht
be.stal i^ren ; di*^ relativen Füwelssmentren für {fleichalteritre Kinder schwanken
ganz bedeutend. Üie.ses Verhalten ist auch h'icht verständlich, da das Ver-
hältnis» zwischen KSrpereiweiss und Körperfett, das fflr die GrSsae des
Biwe's.siim.satzes wesentlich in Betracht Icommt, bei den einzelnen gleich-
alterigen Hin lern ziemlich verschieden ist.
Neuere Literatur: U. Kcbükb, Calorimetrische Untersachungen. Zettscbr. f. Biologie.
XXI. — *) RniNiiiBD Bbxhtx (Berlin), Beitritge snm StofTwecliarl des i^Bnglings. Jahrb. f.
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Franen- und Knhimkli und üImt die Ht-slunniuiitr di-r Uactationsdam-r di-r Francnlirnst.
Jalirli. d. Kiiidf 1 lik. XI.Il, 3 nnd 4. — '*) HAnana, Uebt r die NahrunKsanfnalinu- d«M Kindes
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|5> rlin' r klin. Wochenschr. 1S94, pa^'. Si'J- -^t F. !^oxhi.kt. I)ie clieniiscln n rnlerschlede
zuIhcIii'H Kuh- und Frauenmileli und die .Mittel zu ihrer Au.«i.'lei('lintitf. .Miinclit-ner med.
W<;cli» nsi'hr. 1893, Nr. 4. — -') .Soxhlkt, Miiuchener med. Wochensihr. ISSG. Xr. Ib und 10. —
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Deutsche med. Wocheust lu . WM, Nr. 4U. — W-Hessk, Ueber einen neuen Ersatz der
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'*) Haxbobo, Ueber die ZusammenBetzang der Dr. RiBTB'acben AlbnmoüenmUcb etc. Vortrag
in der med. Geaellaeb. In Berlin am 13. Hai 1896. Berliner kllo. Woebeoaebr. 1896, 85. —
'^1 (»ÄUTNKK, Ueber die Herstellung der Fettmilcli. Wiener med. WoehenHchr. 1304, Nr. 44. —
'''^ Escubuicu, Die (i utTStR sche Fettniilch, eine neue Methode der Öiiuj^lingsernalirunj^. Vor-
trag in der pädiatr. 8eetion der G<». Veraamml. deutscher Naturfürselier in Wien 1S'.»4. — ■
**) \V. Steffen, Zur Frage der Ernährung im 8äugUogaalter. Jahrb. I. Kinderhk. XL, Heft 4. —
*•) Prof. Ba<khau8 i Göttinpeu», Ueber Heratcllnng von Kiudernulch. Berliner klin. Wochenschr.
185C). — ***,) Thikmich, Ernälirunj; darnikranker .Siiiiylitge mit Kindermiich nach Backhat-s.
Arbeiten aua der UniverBitäts-Kinderklinik. Breslau 18U7. — ÜBtaaicH Wolf, Ueber die
Anwendung der Somatoae im SSoglingtalter nnd bei yerdannngaatOrangen älterer Kinder.
Allg. Wiener med. Zt?. IHMH. — *■< ( >. Hei »ser, Ueber die Aumlittang de« Mehl» im Dann
lunger Säu^'liugt-. U« i!iinT klin. W<ielien.'*chr. IS'.».'), Xr. 10. Loebiacb.
Kindermehle, ;s. Kinderernährung, pag. 145.
Kindersclltltz. Wir fassfn untor dicsctn Stichwort (li<'it^'"'irf'" B^"
strebungeu zusammen, durch welche Staat und Geseil.schaft an Stelle der
Familie verlassene und hilflose Kinder su schQtzen suchen. Wenn wir, dem
vorwiegend medicinischen Charakter dieses Werft es entsprechend ^ dieienigfen
Veranstalt imti-en von (l«'r Betrachtung aussehllosson . d'w einen le(nuli<"h er-
ziehlichon Kitifluss auszuüben suchen (Schutz vor Verwahrio.sunir , Füisor^'-e
für verwahrloste Kinder und jugendliche Verbrecherj, so verbleibt uns hier
rOr die Behandlung: im Wesentlichen nur die Verpflegung: hilfshedOrftigrer
Kinder der verschiedenen Lebensalter im encreren Sinne, und zwar: I. die
dauernde voilständiire Verpfh''runir n in geschlossonen Anstalten {Findel-
häuser, Wait>enhüuserj ; in offener oder Faniiiienpflege (^offene Waisen-
pflege, Kost* und' Haltekinderwesen) und II. die zeitweilige ergänsende Für-
sorge flUr Kinder im Säuglingsalter (Krippen, Kinderbewahranstalten) nnd
fOr kranke und schwächliche Kinch'r (Feri<'ncolonien, Kindcrheilstfitten).
Die Vorawssetzunii- für das FJnIroten des üffenl liclicn Kinderschlitzes
ist das Unverm(i;;;en oder der mangelnde Wille der Eitern, ihrer Tflicht, für
ihr Kind selbst zu sorgen, nachzukommen. Dieser Voraussetzung entsprechend
sind als Gegenstand der ftnentlfcben Fiirsorge zu betrachten: Vollwaisen,
denen beide Eltern. beziehunL''sweiso deren uneheliche Mutter verstorben ist;
Findlinge, deren Herkunft unbekannt ist; Kinder, die von ihren Angehörigen,
beziehungsweise den Personen, in deren Obhut sio sieh befanden, verlassen
worden sind; Kinder, bei denen zwar der Aufenthalt der Eltern bekannt
ist. aber aus besonderen (irnntien die Trennun^r von ihnen im Interesse der
Kinder hat erfolgin müssen (z. B. bei Geisieskrankiteit der verwitweten
Mutter); Kinder, deren Eltern dir üffenllichfn Armenpflege bedürfen, die
aber noit Rficksidit auf die besonderen hftuslichen nnd persönlichen Momente
nicht in der Gestalt der offenen Armenpflege, sondern in Form der Ueber-
nahme in Waiscnpfleire erfolgen nuiss ( UntTihiükeit der bediirftiiren Kltern
zur Erziehung der Kinder, litderlicher Lebenswandel der verwitweten oder
unehelichen Mutter u. dei^l.) (MOnstbrberg).
Die Frage nach den berufenen Organen für die Uebemahme des öffent-
lichen Kinderschutzes hat in den verschiedenen LSodem eine verschiedene
uiyiu^Lü by Google
152
Kindersebuu.
Losung gofuDden. In denlenfgen Staaten, in welchen die Verpfli('htun<? der
Gemeinden zur öffentlichen Armenpfl^^ anerkannt wird — und das sind
die meisten — , wird auch der öffentliche Kinderscbutz im Wesentlichen von
der Gemeinde ansgreflbt, und die Privatwohlthätiglceit iet, wenn nicht völlig
verdr&ngt, so doch zumeist auf eine ei^rftnsende Thätigrkeit beschrftnlti.
V^ereinzelt . wie z.B. in dt»n Vereinifften Staaten von Nordamerika, über-
nimmt die bürtrcrliche oder kirchliche Tliäl i^kcit einen irrossen Theil der
Aufgaben. In Frankreich, wo im Uebrigen das System der freiwilligen Armen-
pttBge das herrschende ist, Ist die FOrsoi^eplUcht für hilfsbedfirftige Kinder
in der Hauptsache den Departements mit quotenwoiser Betheiligung des
Staates und der Gemeinden auferletrt.
Kbenso ist die Frage, ob die Uebernalime in die öffentliche Pflege
ohne weltwes oder erst nach voransgegangener Prfifung der individuellen
Verb<nisse erfolgen soll, in den einzelnen Ländern noch nicht in einheit-
lichem Sinne perffrelt. Die pröfuncrslose Aufnahme i Drclilad»' i findet sich
noch in Italien. Spanien und Südamerika. In den meisten übrigen Ländern
wird dieselbe als die Regel verworfen. In Frankreich ist dieses S^'Stem erst
1870 endgUtig beseitigt Will man in dieser Beziehung gewisse allgemeine
Chrundsatze aufstellen, die der modernen Auffassung: von der zweckmässip:en
Handhabunu: der Armenpflefre entsprechen, so könnten dieselben etwa folfrender-
massen lauten: Die prüfungslose Aufnahme kann unbedenklich platzgreifen
bei Vollwalsen. Die Aufnahme von Findlingen und verlassenen Kindern, die
sich im Augenblick der Aussetzung: oder des Verlnssenwerd nicht ab>
lehnen IHsst. ffiebt dairetren zur sorufiilt iiren Xadiforsrlnini^ iiadi den Eltern
Aniass. einmal um in armenrociulicher B^ziehunj4: die Gemeindezugehöri^keit
ZU ermittelD und dann, um die noch lebenden Eitern zu ihrer FQrsorgc-
pllicht zurOckzuf Ohren, beziehungsweise sie wegen ilirer Vemachl&ssigung
strafrechtlich zu verfol}j:en. Die Aufnahme von Kindern, die hoi ihren Kitern
leben, erfoljrl nur olnie Weitenintren. wenn die Hilfsbedürfl iukeit der Eltern,
wie namenliicü schwere körperliche und geistige Gebrechen, die sie zur
AusObung der elterlichen Fürsorge unlShIg machen,- deutlich in die äussere
Erscheinung tritt, oder wenn ein äusseres Hinderniss. wie der vorübergehende
Aufenthalt in einer Krankenanstalt, flie Verbüssuntr einer Freiheitsstrafe die
Eltern an der Ausübung der Fürsorge verhindert. Abgesehen von diesen
Fällen ist die Aufhahme sorgfältig von armenpflegerisehen Gesichtspunkten
zu prüfen und flberall da abzulehnen, wo die Eltern an und fflr sidi Uhig
sind, ohne öffentliche Hilfe für ihre Kinder ausreichend sorgen zu können
(MCKSTbKItEUC;.
Einer besonderen üelruchtunii: bedarf in die.ser Beziehung die Fürsorge
fGr unehelich geborene Kinder, die der Lage der Sache nach in besonders
hohem Masse der materiellen Noth aui^esetzt sind. Die Anschnu jngen Ober
die Verpflichturi'a der Oeffent liclikeit g-ecenüber den uneheliclH n Kindern sind
je nach der Nationalität und den Zeitläuften den mannigfachsteu Wandlungen
unterworfen gewesen. In frOherer Zeit und noch letzt zum Theil bei den
romanischen Völkern hat man die öffentliche Fflrsorgepf licht fOr die un-
ehelich üeboreiun als eine unheiireiizl e anei-kannt. In diesem Sinne hat
man der Mutter, die nicht das W i iimiren oder den \\ illen besass. die Sorge
fflr ihr unehelich geborenes Kind selbst zu übernehmen, dasselbe ohne
weiteres abgenommen, und zwar in einer Form, dass sie hierbei ihre Pfrson
nicht zu offenbaren brauchte .Drehlade-System i. Es lietrt auf der Haml.
dass durch dieses System der Gewissenlosiükeil und Pliiclit veriresseidieit
geradezu \ orschub geleistet und auch eine erhebliche Anzahl ehelich ge-
borener Kinder dem Findelhaus zugeführt wird, die damit ihre natürlichen
Anrechte an ihre Mutter, beziehungsweise ihre Eltern verlieren. Die Gesetz-
gebung der meisten modernen, namentlich der germanischen Länder, sucht
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Kinderachutz.
153
daher tn verhindern, dass das unehelich geborene Kind der öffentlichen
POrsorge anheimfUlt, indem auf die dne oder die «idere Weise den
Vater 7ur Alimentiriing: heranzieht. Die zweckmässige Durchführung: dieses
Grundsatzes wird am ehesten einest heils eine Verminderunj; der unehelichen
Geburten, anderntheils eine Herabuiindcruug der dem Kinde aus der un-
ehelichen Gebort erwachsenden SehBdIiclikelten herbeüQliren. Die fiffent*
liehe FOrsorge iritt in diesen Ländern lediglich unter denselben Voraus-
setzungen ein wie !req:enüber ehelich freborenen Kindern.
I. Dauernde vollständige Fürsorge. Die Verpflegung: der Kinder,
welche öffentliche Ffirsorge erheischen, Icann in Anstalten (geschlossene
Pflege) oder in der Familie (offene Pflege) «rfolgen. m) Das Prindp des
Anstaltssystems besteht im Wesentli -hen darin, dass die Kinder in einer
peschlossenen Anstalt unter der Aufsicht von Inspektoren. Hausvätern
u. dergl. unterhalten, beziehungsweise erzogen werden. Für die Anstaltspflege
lisst sieh als Grundsatz von allgemeiner Geltung ausspreehen, dass sie nie
in Gemeinschaft mit der Pflefre Erwachsener stattfinden soll (H. Nbumaxn).
Nur unter dieser Voraussei ztinir können die hy<rienischen und moralischen
Krforderiüsse der Kinderpllej^e erfüllt werden. Weiter ergiebt sich dann
sogar vielfach die Nothwendigkeit, die AnstaHspflege wieder nach dem Alter
der Pfleglinge xu sondern.
1. Säuglinpspf leere. Die älteste Form der Säutrliniräpfleqrc in <x<'~
srhlossenen Anstalten ist das F i n d ellia u ssy st e m. das sich in seinen vor-
schiedenen Formen in einer Anzahl von Ländern noch bis heute erhalten
hat. Nor vereinzelt ist in romanischen Ländern noch das veraltete System
der »Drehlade im Gebrauch. Die Drehlade ist eine um eine Achse sich
leicht beweatMide Lad»', die an einer S(>ife mit einer Vorrichtung: zur Auf-
nahme eines Kindes versehen ist. Wird diese Seite nach aussen gedreht,
80 ist man im Innern des GeUludes nipht im Stande, ^hrsunehmen, ob
eine Niederlegung erfolgt. Die Lade wird erst zurfickgedreht, nachdem durch
ein Glockenzeichen die Niederlegung angezeigt ist und der Niederle<jend(>
sirli inzuisL'hen entfernt hat. Selbstverständlich kann dieses System auch
dadurch ersetzt werden, wie es später auch mannigfach geschehen ist, dass
das Kind in der Anstalt abgegeben ond angenommen wird, ohne dass der
Niederlegende nach Stand und Namen . be/ii hungsweise nach der Herkunft
des Kindes gefragt wird. Das (liarakleristisrhe des Systems, welches in
der Drehiade zur vollkonnnensten Erscheinung gelangt, ist das Princip der
absoluten Anonymität.
In Frankreich besteht das Drehladesystem in etwas modificirter Form
nur noch im Seine-Departement ; man bat sich hier wenigst >ns zu dem vor-
sichtigen Ver.surh entschlossen, das Nationale des Kindes zu erfahren, um
ihm seinen Civilstand und die hieraus eventuell erwachsenden rechtlichen
Vortheüe zu sichern ; auch sucht man durdi Vorhaltungen und Geldunter-
stfitzungen die Mutter zu veranlassen, ihr Gesuch um Uebernahme des
Kindes zurückzuziehen. Einen Schritt weiter gehen die russischen Findel-
anstalten: bei der Aufnahme des Säuglings, die unterschiedslos gewährt
wird, ist unbedingt ein Gebortszeugniss vorzulegen, welches nur bei Zahlung
einer Abfindungssumme verschlossen, sonst jedoch offen zu überreichen ist.
Wesentlich abweichend und den in den germanischen Ländern iihiicben
Grund.sätzen der Armenpflege anireiiäliert ist das in Oesterreich befolgte
System. Mit Ausnahme gewisser, in der geheimen Abtheilung der Wiener
Gebiranstalt geborenen Kinder, die gegen eine Abfindungssumme ohne An-
gabe des Nationale durch das Findelhaus übe noramen werden, ist in den
österreichischen Fitulelbäiisern die genaue Kenntniss des rivilstandes. die,
ausser gegenüber den üerichisbehörden , streng geheim gehalten wird. Be-
dingung der Aufnahme. Während in den romanischen Staaten und in Russ-
154
Kinderachtttz.
land ledoch die Kinder bis in ihrer Orossifihrigkeit in behSrdlieher Pflege
verbleiben^ verpflegen die dsterreiehlselien Findeihftuser die Kinder nur bis
zum sechsten, beziehunpfswcisc zehnten Lebensiahre N'ach dieser Zeit bort
die Geheimhaltung: der Mutterschaft auf und das Kind wird der Zuständijr-
keitsgeineinde der Mutter übergeben, wenn nicht letztere selbst inzwischen
fOr dasselbe Vorsorge getroffen hat.
Die Scliattenseiten der Flndelhauspfletre . die in den bekannten hohen
SterblichkfMts/.iffern der letzteren zum Ausdruck kommen, finden ihre natür-
liche Erklärung in erster Linie in der Schwierigkeit der Ernährung der im
Säuglingsalter der Anstaltspfirge Qbergob^nen Kinder. Zum Gedeihen des
Säuglings ist die Innehaltung der natürlichen Verhältnisse nölhig: Pflege
durch die Mutter iiml im Besonderen Ernährung an (h'r Mutterbtust sind
Forderungen der Natur, von tienen auch die vorgeschrittenste Cultur nicht
ungestraft abweich' n kann (H. Nkuxiann). Im stärksten Gegensatz hierzu
stehen die thatsftchliehen Verfa<nisse in den in Frage kommenden An-
stalten. Die überaus schlechten Ergebnisse der künstlichen Ernährung der
Säuglinge in den Findelhäusern haben in späterer Zeit dahin ü-efiilirt . die
Ernälirung durch Ammen an die Stelle zu setzen. Die Schwierigkeiten, die
sich dem entgegenstellten, sind natürlich sehr grosse. Im Moskauer Findel-
hause reicht, obgleich die Kinder nicht länger als sechs Wochen in der
Anstalt bleiben, zeitweilig die Zahl der erhältlichen Amiupn bei weitem
nicht aus, trotzdem eine Amme zwei, ja selbst drei bis vier Kinder säugen
muss und die künstliche Ernährung zu Hilfe genommen wird. Es steigt zu
solchen Zeiten die Sterblichkeit der Sftu^inge — wesentlich infolge von
Darmkrankheiten — bis auf 60%. Ein wesentlicher Fortschritt in der An-
Staltspflege der Säuglinge lässt sich erreichen, wenn mit den Kindern die
Mfitter aufgenommen werden. In dem erwähnten Moskauer Findelhause
können die unehelichen llOtter mit ihren Kindern eintreten und sie während
des sechswöchentlichen Aufenthaltes im Hause säugen; sie erhalten dafür
den gleichen Lohn wie die gemiet beten Ammen. Noch weiter ticlit man in
dieser Beziehung in den österreichischen Findelhäusern, wo man von den
in den Lande.sgebäranstalten entbundenen Frauen, welche ihr Kind in Findel-
pflege geben wollen, als Gegenleistung einen viermonatlichen Ammendienst
im Findelhause verlangt: während dess<>lben stillen sie ihr eigenes -resundes
und ein krankes Kind (Wien), oder nur ein krankes Kind, eventuell das
eigene, wenn es krank ist (PragK
Aber trotz dieses Fortschreitens von der kOnstlichen xur natflriichen
Ernährung liefert die Anstaltspflege als solche infolge mannigfacher ihr
eigenthümlicher Gefahren (Hausepidemien) selbst in fleii bcsiüreleiteten Findel-
häusem nur so mässige Flesultate, dass man mehr und mehr zu dem Grund-
satze gelangt ist, die aufgenommenen Sftuglinge so schnell wie möglich in
die Famiiienpflege fiberzuf&hren. Die Anstalt dient ihnen dann später nur
noch zum vorübergehenden Aufenthalt bei etwaigem Pflegewn hsri . ferner
bleibt eine der llauptaufirabi'u derselben die Verpfleirung kranker Kinder.
Die Schwierigkeit der An.staltspflege lässt sich hier besser als irgendwo
anders fiberwinden, indem man leichter in der Lage ist, ihnen sowohl die
Frauenbrust zu verschaffen, wie auch diejenige besondere Fürsorge in Pflege
und Bebandliinir zuzuwenden, deren sie bedfirfen (H, Nki'.ma.nN'.
Das von einer Keiiie der nach modernen Grundsätzen geleiteten Findei-
hftuser angenommene System der gleichseitigen Aufnahme von Mutter und
Kind hat seine weitere Ausbildung in einer gewissen, der Zahl nach be-
scbränktt n Kategorie von Anstalten gefunden, die in \ erscbi<>(lenen Län<lern
(Enirland. ilen Niederlanden . der Schweiz, l'n^^arn. iJeutscIilaml i in neuerer
Zeit entstanden sind, Diese Anstalten, die gewöhnlich durch private VV(dil-
thätigkeit und auf confessioneller Grundlage entstanden sind, nehmen meistens
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KiDderaehutz.
155
zum ersten Mal gefallene Mädchen vor der Entbindung auf und verpflegeii
sie mit ihren Kindern so lange, bis die MQtter so weit su Rrftfien gelcommen
sind, dass sie sich als Dienstboten oder als Ammen venliiiL'^* n küimen. Ein
Theil dieser Anstnltfii bcliält die Kiridor auch nach dorn Austriti der Müttor
in Pflege oder überwacht die Privatpfleger, denen sie übergeben werden.
FOr die deutschen Anstalten dieser Kategorie und einen Theil der aus-
Wndisclien hat «las Honner Vo^orgungsbans des Fräulein Lungstras als Vor-
bild ircdicnf. Xacli H. Nkumanx bestehen niisserdeni in Deutschland folgende
Anstalten dieser Art: Christliches V'ersorgungshaus in Colmar, Versorgungs-
haus der Frau Pfarrer SchQler-Anleersmit in Marburg, Kinderheim des evan-
gelisch-lutherischen Vereins fflr innere Mission In Leipzig. Luise^bor in Eppen-
dorf bei Hamburg. Woh'gemeinte Sliftung in Dresden (unter Verwaltung des
Käthes der Stadt Dresden^. Heimstätto in der Snndstrasse 19 in Berlin,
Beth Elim in Weissensee ()ei Berlin und Kaiserliches Kinderheim zu ürüb-
schen^Breslau, letzteres auf interconfessioneller Grundlage.
FQr die dem Süuglingsalter folgenden Lebensjahre finden sich ge-
schlossene Anstalten ausschliesslich für Verpflegszwecke nur in Ansnahnie-
füllen (Abtheilungen für kleinere Kinder in Waisenhäu.sern, Kinderheimen).
Im Allgemeinen huldigt man heute dem Grundsatz. Kinder vom zweiten bis
cum fünften Lebensiahre d«r Familienpflege su flberweisen.
'2. Waisenpflege. Die Waisenpflege in irescblossenen Anstalten be-
weirt sich, je nach den Zwecken, die sie verfolgt, und nach den örtlichen
Verhältnissen in den allerverschiedensten Formen. Die Waisenhäuser im
eigentlichen Sinne bezwecken die vollkommene Verpflegung und Erziehung
von elternlo.sen Waisen und den diesen gleichzustellenden, von den Elte-n
verlassenen. Iieziehungsweise dem elt<'rli<-hen Eiiiflu><st' ent/oirenen Kindfvn.
Soweit die Waisenverwaltung das System der Farailienpflege ^^s. weiter unten)
bevorzugt, dienen die Waisenhäuser, beziehungsweise besondere Abtheilung«-n
derselben zugleidh als Station fflr die neuaufgenommenen Kinder; auch
werden in denselben solche Kinder versorgt, die wegen zeit weilitrer Abwesen-
heit der Kitern. wie Aufenthalt im Krankenhaus«-. Verbiissunu" von Freiheils-
strafen u. s. w. , der öffentlichen Fürsorge vorübergehend anheimfallen, in
grösseren Städten dienen dem letztgenannten Zwecke hin und wieder auch
üftrt'iinte Anstalten. Ob für die Erziehungszwecke der Anstalt eigene Schul-
einricht untren jretroffen oder die Kinder den vf»rhaiulenen Schulen fiberwiesen
werden, hängt ebenfalls von der örös.se der Anstalt, ihrer Lage und andi r-
weitigen Erwägungen ab. In der Regel sind die Geschlediter rftumlich getrennt
zu halten, hie und da findet auch eine SooderuDg naeh Altersgruppen statt.
Was die <resiindh('itsschridigend»-n Einflüsse der Anstalt ^pfh jre anlans^t.
die bei der Siiuti'linLrspfle;,'-e so nai-htheiliir in die Ersclieinuiig treten, so
lassen sich dieselben bei zweckmässiger Einrichtung der Anstalt.sgebäude
und geeigneter Verpflegung der Kinder in dem hier in Betracht kommenden
Lebensalli'r fast ganz vermeiden. Im Allgenu^inen sucht man in neuerer Zeit
die Waisenhäuser thuTiIichst ausserhalb der Stadt, in Vororte zu verlegen,
um den Bewohnern freie Bewegung und reichlichen Luftgenuss zu sichern,
vor allem aber auch, um Garten- und Ackeriand fOr die Beschäftigung der
Kinder zu gewinnen. Auf die Herstellung gesunder und geräumiger Schlaf-
stellen. Schaffung von Badeeinricht untren . Turn- und Spielplätzen, auf ein«
reichliche Ernährung ist von iiyirieuischen Gesichtspunki • n aus der u-rösste
Nachdruck zu legen. Die Gewinnung ausgedehnteren Bauterrains trmög-
licht ferner unter Umständen den Uebergang zu einem Zerstreuungssystem,
wie es auch beim Krankenhausbau in der Neuzeit immer mehr an Bedeu-
tung «rewinnt. Dieses System erleichtert das in neuerer Zeit z, H. in Ham-
burg eingeführte Princip der Bildung kleinerer, iioter der Aufsicht beson«lerer
Aufseher oder Aufseherinnen stehender Gruppen, welche gewissermasson die
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156
Kinderschutz.
Familie er^etzeu äullen, soweit davon in einer Anstalt die Hede sein kann.
Seine letste Coneeqiieiis hat dMeelbe in dem, nach der AnsUlt Mettray bei
Tonrs oder nach seiner Anweadmig in England sogauuinten Mettray- oder
Cottapre-System gefunden. Dasselhp besteht darin, dass man statt eines
srrossen fremeinschaftlichen Gebäudes kleinere Häuser (Colta^-esi in länd-
lichen Bezirken erriclitet und die Kinder auf diese Weise in kleinere Gruppen
vertheilt. In diese H&aser setst man ie eine Arbeiter- oder Handwerker-
familie, von welcher die allgemeine Aufsicht zu führen ist. wobei die Knaben
in dem Handwerke des Mannes, die Mädchen in den häuslichen Arbeiten
unterwiesen werden. Indem man die Zahl der Kinder auf 8 — 12 beschränkt,
sucht man die VoraQice der mit der Anstaltspflege verbundenen Isolirung
nn't der «^emüthlichen Wirkung der Familiengemeinschaft zu verbinden. In
Frankreich sind mehr .-ils 80 solcher Anstalten nach dem Vni-bilde von
Mettray gegründet worden, und auch in England hat die Einrichtung viel
Anklang gefunden.
b) Die xnletst erwähnten Anstalten bilden bereits den Uebergang zu
dem zweiten Verpflegungssystem, dem der Fa milienpflege (offene Pflege).
Die Unterbringung der Kinder in Fnmilienpfkire findet entweder durch die
Behörde oder auf Veranlassung derjenigen privaten Partei statt, die ge-
setslich cur Fflrsorge ffOr das Kind verpflichtet ist. Auch der letstere Fall
interessirt uns hier, weil es Sache des öffentlichen Kinderschutzes ist, die
Verpflegunj»- der von privater Seite in Pflege geirebpncn Kinder zu über-
wachen. Der gewöhnliche Sprachgebrauch fasst vielfach bi'ide Kategorien von
Kindern unter den pro niiscue gebrauchten Bezeichnungen >Ko.st Halte-
oder Ziehkinder« zusammen. H. Nbumamn unterscheidet neuerdings »Kost-
kinder', d. h. durch die Behörde in Pflege verbrachte, und »Halte- oder
Ziehkinder», d. h. auf privatem Wege untergebrachte Kinder. Wir schiiessen
uns dieser Unterscheidung an.
Der Natur der Sache nach wird zwischen beiden genannten Kategorien
ein wesentlicher Unterschied in Bezug auf das Lebensalter hervortreten.
Unter den Kostkindern wird das schulpfh'cht ii^e Alter vorwiegen, während
die Haltekinder vorherrschend schon im Säuglingsalter der Pflege übergeben
werden. Verwaisung, die den Hauptanlass zur Unterbringung der Kostkinder
in Familienpflege abgiebt, tritt seltener im ganz jugendlichen Alter ein^
wahrend die Nothwendigkelt der Haltepflege zumeist gleich nach der Ge-
burt hervortritt. Es handelt sich hier ganz vorwiegend um Kinder un«dielicher
Herkunft, welche die Mutter, um den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind
zu erwerben, durch Fremde verpflegen lassen muss, w&hrend sie, wenn das
Kind die ersten Lebensjahre hinter sich hat, häufiger in der Lage ist, das<
selbe zu sich zu mdimen.
Die Familienpflege soll den Pflegekindern die natürlichen Verhältnisse
der eigenen Familie nach Möglichkeit ersetzen. Diese Aufgabe kann nur
erfflllt werden, wenn bei der Auswahl der Pfiegestellen und ihrer Ueber^
wachung irewisse Grundsätze massgebend sind, die sich etwa in folgender
Weise zusammenfassen lassen: Die Pflegeeltern sollen durchaus unbescholten
sein, in gutem Rufe stehen, ein gesichertes Auskommen haben und zu der
BefOrchtung keinen Anlass geben — wenn ihnen auch selbstverstindlich der
pecuniare Vortheil willkommen sein darf — , dass sie das Kind lediglich um
des Geldinf eressi's willen annehmen Ferner muss ihre \\'(dinunir. die Ein-
Iheilung der Häume, der Besitz entsprechender Lagerstätten die Sicherheit
bieten, dass das aufzunehmende Kind ein genügendes Unterkonunen hat.
Personen, welche ArmenunterstOtzung beziehen, in Obelberufenen Gegenden
wtdinen. bestraft sind u. s. w . werden daher in der Kejrel auszuschliessen
sein. Ausnahnion sind nur da zu'ä^siy:. wo es sich um nahe AnL:-. höri!re
handelt, die etwaige Mängel in der einen oder anderen Kichlung durch die
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KIndenehutz.
157
natörlkhe verwandtschaftliehe Bexiehungr aaszug:leicheii vermSpen. Ferner
wird die Gleichartigkeit dt r Confession, sowie ein {rewisses aH^emeines
Vcrsfindniss der erziehlichen Aufpnben gefordert, wtlclir an dem PfU^uf-
kirule zu üben »ind. Ob die Pflegeatelle sich innerhalb des üeincindewesi ns
oder ausserhalb befindet, macht in dieser Beziehung keinen Unterschied.
Dodh ist man geneigt, wenn thunlich, die Kinder in landliche oder klein-
städtische Pfhfjestellen zu brinjren . wo für das körperhVhe Wohlertrehen
bessere Luft und kriiftiirere Kost, für das {reistitre die irrössert« KinTachheit
der Verhältnisse und die Abwesenheit vielfacher schädlicher Einflüsse von
Bedeutung sind. Eine Unterbringung an einem anderen Orte als demjenigan,
in welchem das Kind geboren ist oder WO seine Kitern oder Angehörifren
leben, erfol^-t rey:elniässit>: dann, wenn man es den Einflüssen seiner bis-
herigen Umgebung und seiner Angehörigen entziehen will. Die Beschaffung
dfr Pflpgestellen erfolgt anf&nglich meistens durch Ausschreibung. Spftter
pflegt sich ein fester Stamm von Familien su erhalten, su denen dann bei
einmal erfolgter Einföhrun«}: des Systems andere, von den ständigen Ver-
tiau<'rs( riranen der Waisenpflege empfohlen«', hinzutreten. Das System der
Verdingung an den Mindestfurdernden, das vereinzelt wohl noch vorkommt,
steht in unbedingtem Widerspruch zu einer xweckmässig geordneten Familien-
pflege (MünSTBHBBRO).
Von wesentlidier Bedeutung für die erfolgreiche Durchführung des
Systems der Faniilienpflege ist, wie schon angedeutet, die Gewinnung von
Vttrtrauenspersonen sowoM ffhr die Auswahl der FamiK«i wie für Ihre Ueber-
wachung. Soweit es sich um Püegestellen im Bezirk des Gemeinwesens
handelt, pflegt die Waisenverwallung selbst mit Hilfe elirenamtlidier Organe
diese Function zu üben, l'eber die auswärtigen Pfleg<'stellen führt gewöhn-
lich ein am Urte wohnhafter vertrauenswürdiger Mann, gewöhnlich ein
Geistlicher oder Lehrer, die Aufsicht.
Wesentlich ungünstiger als für die von den Behörden in Pflege gege-
benen Kostkinrh r liegen die Verhältnisse in vielfacher Beziehung für die
Hattekinder, bei denen der Natur der Sache nach die sorgfältige Auswahl
der Pflegestellen, wie sie von den BehSrden gettbt wird, fortfftlit. Die lllutt3r,
welche das Pflegegeld nur knapp und unregelmässig zahlt und zufrieden
sein muss. wenn die Pflegeinutter das Kind trotzdem behält, kann oft keinen
wesentlichen EinfUiss auf die Pflege ausüben. Ks kommt dazu, dass es ihr
auch durch räumliche Entfernung und Zeitmangel gewöhnlich nicht möglich
ist, sich um die Pflege zu bekOmmem. Schliesslich fehlt ihr auch zuweilen
das Interesse an der Erhaltung des kindlichen Lebens — nicht etwa, dass
es sich immer um einen groben ethischen Defect bei der Mutter handelte,
aber wenn keine Möglichkeit abzusehen ist, für Mutter und Kind einiger-
massen das Auskommen zu finden, so ist es begreiflich, wenn der Tod des
Kindes, das in schlechter und liebloser Pflege dahinsiecht, als eine Erlösung
aus unabwendbarem Leid ersclu inf. 'Jnter solchen Umständen kommt es
zwischen Mutter und Pflegemutter geradezu zu einem schweigenden Ein-
verständniss über das Endziel der Pflege, und auch ohnedies ist das End-
ergebniss das gleidie, wenn die Mutter In ihrer ffilflosigkeit darauf ange-
wiesen ist, das Kind in eine gewerbsmässige und ohne Rücksicht auf das
Wohl des Kindes ausgeübte Pflege zu geben. Wo Unverstand und materielles
Unvermögen aufhört und wo absichtliche Tödtung anfängt, ist im Besondern
bei der Säuglingspflege nur sehr selten festzustellen. Die »Engelmacherei«
war vor wenigen Jahrzehnten noch sthr verbreitet, und auch jetzt noch
scheint in manchen Gegenden dies schmähliche Gewerbe ziemlich unverhülit
betrieben zu werden (H. Neuman.n).
Die Gesetzgebung der meisten Gulturstaaten hat sich daher der Auf-
gabe nicht entziehen kOnnen, die Ueberwachung des Haltekinderwesens durch
158
KJndenehutz.
besondere Bestininmiigen zu regreln. In einer Reihe deutscher Staaten, wie
Bayern, WOrttemberg:« Hessen, Saclisen- Weimar, Sachsen-Altenburgr, ist das
Hnltekinderwesen fOr den g:anzpn Staat durch Ministerial Verordnungen ge-
rt'}j:<'lt. llinircircn ist in Preussoii don Bchördon nur die Bcfuffniss iro<r<'l)cii.
im Bedarfsfall entsprechende Püli/.ei\ erorduungen zu erlassen. Dies ist in
fast allen Provinzen geschehen. Da sich in Preussen grewerbsmässige Halte-
pflege sdir un<;leichinäs.si^:. nieist aber nur in den grösseren Städten findet,
sf) unifnssrn die Pnli/eivcM'ordnuniren nii-iit iiiirntT die iranzen Provin/<'n oder
Jiejfierunjfsbe/irke. sundern zuweilen nur einzelne Kreise oder die >rrüss»'reii
Städte. In Baden ist das Haltekindenvesen ebenfalls nur durch bezirks-
oder ortspolizeiliche Vorschriften geregelt.
Den in Deutschland bestehenden N'erordnunfren zum Schutze der Halte-
kinder ist ^'eriK'insani die den PfloiremüttiM'n unter Strafandrohuna: auferley^te
Verpflichtung der polizeilichen An- und Abmeldung der verpflegten Kinder;
ausgenommen hiervon sind gewöhnlich Kinder, die behördlich od«- durch
Vereine In Pfle^-e gejreben sind. Die Altersgrenze schwankt zwischen d* in
vollendeti'n I, und 8. Jalir (Bayern) und ist nii'i>icns das \ ollciulete «). .Jahr
(Preussen Die meisten Polizeibehörden niai;lien die Erlaubiiiss zur Halte-
pflege von gewissen Bedingungen abhängig, die sich auf das Verhalten der
Pflegeeltern und ihrer Wohnungen beziehen, und drohen Im Falle schlechter
Behandlung der Kinder oder niangelhnft'^r gesuninieitlicher Zustände die
Concessitjosentziflniim^ an. Den Folizeilx'aniti'n oder anderen Personen, die
mit der Ueberwachuug der Pflegekinder betraut sind, steht die Befugniss
zu, von den Wohnungs-, Emährungn- und Pflegeverhftltnissen jedes Kindes
Kenntniss zu nehmen. Ausser dei- Poli/i>il)ehörde ist nach di>r preussischen
Vormundschnftsordnimg auch nocii der Genieinde-Waisenratii als Organ des
Vormundschaftsrichters zur Ueberwachung des Haltekindes bL'rufen.
Zu bemängeln an der In Deutschland besti^henden Uegelung des Halte-
Icinderwesens ist, dass dieselbe nicht auf reichsgesetzlicher Urundlage erfolgt
ist. Bei der verscliledenartigen Behandlunir des Gegenstandes in «len ver-
si hiedeiieii Bundesstaaten und Landestheilen sind Umgehungen der Vor-
schrifti'u nicht selten.
Als fiberwachende Organe im Sinne der erwShntcn Vorschriften dienen
vielfach Angestellte der Polizeibehörde, denen nai ui ;:eiii;iss ein tieferes Ver-
ständniss für ihr«' Aufgabe abgeht. NKfM.W'N furdeit daher mit Heclit. dass
zweckmässig zu dieser Aufsicht auch Aerzte herangezogen werden. Letztere
Porderimg ist in besonders geeigneter Form in Leipzig durchgefOhrt, wo
alle Haltekinder unter der dauernden Aufsicht eines Arztes stehen, dem
h\ nienisch ireldldete Berufspfleirerinnen untefLicdrdnet sind i T.\i'i'.i:\ Die
l'nzuläny:li(bkeit der beliöi-dliflien L'eberwachung ■ — besonders im Hinbli<'k
auf die jüngeren Pflegekinder — tritt im Allgemeinen so deutlich zutage,
dass die Behörden diese Function vielfach an Vereine fiberlassen haben
(Frauenvereine, Berliner Kinderschutzven in etc.).
cl Die Frage, welches der beiden Systeme: Anstaltspflege oder
Familienpfiege, den Vorzug verdiene, ist in neuerer Zeit vielfach Gegen-
stand der Erörterung gewesen und ffir die IfehriaM der F&Ue heute wohl
ziemlich allgemein zu Gunsten der letzteren entschieden. Bei der Erörterung
der (irüntle für und wider muss zunächst betont werden, dass in Bezug
auf die Anstaltspflege in neuerer Zeit so wesentliche Fortschritte in hygie-
nischer Beziehung gemacht sind, dass viele der Uründe. die früher die
Findelanstalten und Waisenhäuser zu wahren Brutstätten von Epidemien
machten, heute in Fortfall kommen. Nur diese, nach modernen Grundsätzen
einirerichteten Anstalteti können Iii» r für die \'ergleichung iti Betracht
kommen. Es ist ferner vorweg zu l)etonen, dass die Anstalten, namentlich
In grösseren Gemeinden, vielfach wenigstens als vorfibergehender Zufluchtsort
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Klnd^racbutz.
159
nicht entbehrt werden können, um Kfatder so lange aufsunehmen, bis
geeig^nete Pflegeeltern ausfindig gemacht sind, beziehungsweise bis eine
Entscheidiin^r (Inrubpr getroffen ist. ob nicht etwa eine reherfuhrun«,'' in be-
sondere Anstalt spflejie (Krankenanstalten. Anstalten für nicht volisinniy:«
oder mit moralisclien Defecten und köx'p er liehen tiebrechen behaftete Kinder)
einzutreten bat.
Die wesentlichsten Grunde, die, hiwon abgesehen, ^rt pen die Anstalts-
pfle<re in's Feld geführt werden können, sind foliienili': Die Anstaltspfletje
gestattet nicht, die Individualität der einzelnen Kinder genügend zu berück-
sichtigen. Besonders wenn viele Kinder in derselben Anstalt r«r«{nigt sind,
bedarf es einer so äusserlichen und strengen Ordnung und Zucht, dass ein
Eingehen auf die Bedürfnisse und die Neii: iinir<'n des Einzelnen {rändich
ausgeschlossen ist. Das Kind bekonunl in der Anstalt niemals die Empfin-
dung sorgloser Freiheit, die doch meist gerade die Kindheit zum schönsten
Lebensalter macht. Im Gegentheil, es fOhlt sich immer unter einem Zwang,
bei dem es ihm oft schwer ist . eine liebevolle Behandlung noch durchzu-
merken. Ferner kommt in Ketracht. dass in den Anstalten leicht einzelne
schlechte Elemente ungesunde Gedanken und Handlungen den übrigen mit-
theilen. Endlich aber — und das spricht am meisten gegen die Anstalts-
ersiehung — ist sie durchaus ungeeignet . die Zöglinge mit den Bedfirf-
nissen des T.el)ens bekannt zu raaclien. Wir haben es ja mit lauter Kindern
zu thun, die in ihrem späteren Leben gewiss Mühe, Arbeit und Sorge
finden werden, denen insbesondere der Kampf um das tägliche Brot unaus-
gesetzt vor Augen stehen wird. Gerade darauf bereitet sie die Anstalt nicht
vor; hier hört das Kind nie die Frage: wovon wollen wir morgen leben,
hier erfährt «s nichts von den Sorgen des Alltagsdaseins. Immer ist der
Tisch um die bestimmte Stunde gedeckt. Der Gedanke, dass es einmal
anders sein wird, kann solchem Kinde nicht kommen. Man hat daher die
F>fahrung gemacht, dass in Anstalten erzogene Kinder sich ausserordent-
lich viel schwerer ins spätere Leben eingewöhnen, ja man will so'jrar beob-
achtet haben, dass sie sehr viel häufitrer als andere den Kampf gegen die
Widrigkeiten des Daseins aufgeben und sich dem Verbrechen und dem Laster
in die Anne werfen (BrOcknbr).
Im Gegensatz da7u ist zu Gunsten der Familienpflege geltend zu
machen, dass das Kind durch rnt(>rbringung in der Familie auf seinen natür-
lichen Boden gestellt werde, frühzeitig durch das Mitleben in einer seinem
Stande angemessenen Umgebung den wiridichen Emst des Lebens erfahre
und durch thätige Theilnahnie an d&n täglichen \'errichtungen in einem
Faniilii iihausbalfe lerne, was in einem solchen Hausballe notbwcndig sei.
Mit anderen Worten, die Fürsorge für verwaiste Kinder müsse so sein,
daas sie ihnen mugliclist volligen Ersatz für alles das biete, was sie ver-
loren haben, einen Ersatz f8r das Elternhaus, für die Liebe des Vaters, fflr
die zärtliche Sorge der Mutter, fflr das Leben und die Erziehung in der
Familie, einen Ersatz, der eben nur durch flen Eintritt in gleiche Verhält-
nisse, d. Ii. durch den Eintritt in eine Familie geleistet werden könne. Ganz
besonders wird dieses Moment fOr Mftdchen geltend gemacht, welche dem
natürlichen Triebe folgen möchten, sich in einer noch so kleinen und ärm-
lichen Haushaltung nützlidi /u machen; auch könnten die dort erworbenen
Kenntnisse in der Haushaltung durch Unterricht in der Anstalt nie ersetzt
werden.
Die thatsächliche Gestallung der Dinge giebt gegenwftrtig den Ver-
tretern der Familienpflege Recht, indem mit verhältnissmässig wenigen Aus-
nahmen dieses .^yst(Mn das herrscliende geworden ist. Wesentlich in Be-
tracht gekommen mag dabei auch der Umstand sein, dass die Familienpflege
aidi im Allgemeinen erheblich billiger stellt als die Anstaltspflege.
uiyici^Lü Ly Google
160
Klnders«hutz.
II. Ertränzende Fürsorge. Neben den im vorigen Abschnitt ab-
grfhandelten Fällen, in denen die Oeffentlichkeit sich in der Lage befindet,
die fehlende elterliche Pfleg:«' dauernd und in vollem Unifancre zu orsotzon.
{riebt es Verhältnisse, die es erforderlich machen . dass den Eltern die Für-
sorge für ihre Kinder zeitweilig — sei es für gewisse Stunden des Tages,
sei es nnter bestimmten, der Daner nach begrenzten Umständen — abge-
nommen wird, weil sie unter den gegebenen Voraussetzungen nicht ira
Stande sind, ihre elterlichen Pflichten selbst zu erfüllen. Die Veranstaltunaren,
weiche getroffen sind, diese ergänzende Fürsorge auszuüben, sind so mannig-
facher Art, dass ihre erschöpfende Darstellung im Rahmen dieses Artilcels
unmöglich ist; wir beschränken uns daher darauf, nur das Wesentlichste
und namentlich für ärztliclie Kreise Wissenswert he hier anzuführen. Bei
dieser ergänzenden Fürsorgethätigkeit handelt es sich fast durchweg um
private Vereinsthätigkeit, zum Theil unter dem Beistande und der finanziellen
UnterstOttong des Staates und der Gemeinde.
Alles, was im vorigen Abschnitt über die Nothwendigkeit individuali-
sirender f^ehandlung des Einzelfalles bei der Entscheidunir über die Zu-
lassung in öffentliche Pflege gesagt ist, gilt hier in erhöhtem Masse. Man
scheint heute über dem anerkennenswerthen Bestreben, Gutes zu thun,
vielfach ganz zu vergessen, dass ein grosser Theil der hierher gehörigen
Veranstaltungen Nothbehelfe sind. di<» ihren Zweck erfüllen, wenn sie
lediglich dazu dienen, erwiesener Noth abzuhelfen und die wirklicli ge-
ffthrdeten Kinder zu bewahren und zu versorgen, die aber vom Uebel sind,
wenn sie der Bequemlichkeit und Trftghdt der Eltern oder ihrem unge-
zOgelten Erwerbstriebe Vorschub leisten. Es ist daher bei der Errichtung
solcher Anstallen vorab genau zu untersuchen, ob wirklich das Bedürfniss
dazu vorliegt, und sind sie eingerichtet, so sollte man die Mühe nicht
scheuen, bei Jeder Anmeldung die häuslichen Veriiftltnisse des Kindes genau
zu i)rufen, ehe man die Zulassung ausspricht. Wo aber ein thatsächliches
Bedürfniss nicht vorliegt, sollte man sich hüten, dasselbe künstlich hervor-
zurufen, da unter allen Umständen die geeignetste Stätte für die Pflege
des Kindes das Elternhaus ist und dieses nicht ohne Noth verdrSngt
werden sollte.
.vJ Fürsorge für das nichtschulpfUcht iir»- .\lter. Eine der
häufiirsteii Formen, unter denen die ergänzende Fürsorge auftritt, ist die
Verwahrung und Verpllegung der Kinder för gewisse Stunden des Tages,
während welcher sie zu Hause der Aufsicht und Pflege entbehren würden.
Pas Hedürfniss hierffir hat sich namentlich in grösseren Städten und Fabrik-
orten herausgestellt, wo die Mütter darauf angewiesen sind, mit zum Lebens-
unterhalt der Familie beizutragen oder, wenn sie verwitwet sind, beziehungs-
weise der Ehemann durch Krankheit oder Gebrechen am Erwerb verhindert
ist oder die Familie verlassen hat. allein den Lebensunterhalt zu erwerben.
Auch hier bedürfen die unehelichen Kinder !)eson(lerer Krw;ihniinir. Häufig
werden sie von Verwandten oder in entgeltliciier Plleyre erzogen und lüssL
schon der Beruf der Mutter, z. B. als Dienstbote, keine auch nur zeitweise
Verpflegung durch letztwe sn. Aber in anderen Fällen ist es der ledigen
Mutter sehr wohl möglich, das Kind selbst aufzuziehen, sobald ihr die Pflege
während der Tagesstunden abgenommen wird.
Je nach dem Lebensalter der zu verpflegenden Kinder ergeben sich ver-
schiedene Formen der Verpflegung. Die Kinder des Säuglingsalters werden
in der Krippe verpflegt, vom 3. oder 4. Lebensjahre an nimmt sie die
Kinderbewahranst alt fauch Warte-. Kleinkinder-, Spii-Isrlmle irennnnt)
auf. Entsprechend den besonderen Gefahren, die dem Säuglingsalter drohen,
ist auf die hygienischen Einrichtungen der für dieses Alter bestimmten An-
stalten ein besonderes Gewicht zu legen. Selbstverständlich sind Kinder, die
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Kindereetautz.
161
mit ansteckenden Krankheiten behaftet sind, bezlehungrsweise deren Wohnungs-
ang^höri^e an solchen leiden, auszuschliessen. Innerhalb der Anstalt ist
die peinlicbsto l^t'inlichkeit zu hoohachton. Was die Ernahninir anbetrifft,
so ist es wünschenswerth. dass die Mütter, soweit es ihre Beschäftij^iin}^ zu-
lässt, die Kinder selbst stillen. Für die Leitung der Anstalt und die Wartung
der Pfleglinge ist ein hinreichend zahlreiches nnd gut geschultes Personal
erforderlich. Vor allen Dingen ist die dauernde Aufsicht durch einen Arzt
nicht zu entbehren. Bei s(»rirf;11tiLrer Berücksichtigung: aller dieser Gesichts-
punkte sind die Resultate der \ Crpficgung in den Krippen mit Bezug auf
die Sterblichkeit recht gute gewesen, ja es ist sogar vielfach die Beobachtung
gemachti dass sich das Allgemeinbefinden der Kinde r infolge der guten Ver«
pflegrun? wesentlich i^rehoben hat. Audi ein enielilicher £influas auf die M&tter
ist nicht selten wahrgenommen worden.
Die Aufgaben der Kinderbewahranstalten werden nicht überall von
den gleichen Gesichtspunkten ans anlgefosst, doch handelt es sich bei den
hier bestehenden Meinungsverschiedenheiten wesentlich um pädagojjische
Fratren. auf die wir hier nicht näher einzufrehen brauchen. Im Allgemeinen
kann als ihre Aufgabe bezeichnet werden, dass sie die Kinder des vor-
Bchnlpfliehtigen Alters den ausserhalb des Hauses beschäftigten MOttem
tairsüb<'r abnehmen, verpflegen und ihrem Alter entsprechend beschäftigen.
Vom by'.rieiiisr!icii Standpunkte haben wir auch hd der Einrichtung- dieser
Anstalten die gebührende Rücksicht auf Zuführung von Licht und Luft
und tweckmässige , aber einfache Ernährungsweise der Kinder zu fordern.
Neben grösseren Räumen zonn Aofenthalt im Winter und bei schlechtem
Wetter ist ein Spielplatz im Freien das wichtigste Erforderniss. Auch hier ist
die reirel massige ärztliche 1%'berwacbung als wünschenswert b zu bezeichnen.
k' Fürsorge für das schulpflichtige Alter. In denselben Fällen,
in denen Krippe und Kinderbewahranstalt fOr die $Qngeren Lebensalter ein-
treten, dienen die Kinderhorte für die Unterbringung der schulpflichtigen
Kinder in den schulfreien Stunden, mit dem Zwecke, sie vor dem Umher-
treiben zu schützen und erziehlich auf sie einzuwirken. Wir brauchen,
unserem Progntmm entsprechend, auf diese Veranstaltungen nicht näher
einzugehen, möchten aber hier eine Wamang' nicht unberDclcsiohtigt lassen,
die H. Neumaxn" den Leitern derartiger Anstalten zu beherzigen giebt : Häufig-
wird die Auftrabe der Kinderhorte sowohl in gesundheitlicher wie päday-ogi-
scher Beziehung nicht richtig gewürdigt. Anstatt ein Gegengewicht zu den
Wirkungen der Schule zu bilden, welche doch selbst bei den besten Bln-
richtungen die Eigenart der geistigen Entwicklung und ditt körperlichen
Bedürfnisse nicht ininier ausreichend berücksichtigen kann, anstatt das
fehlende Familienleben nach Möglichkeit zu ersetzen, wird nach -\rt und Ort
der Beschäftigung nur eine Fortsetzung des Schulunterrichts geboten. Nicht
genug, dass die Kinder Vormittags in strenger Zucht, auf mehr oder weniger
bequemen Sdiuibänken zusammengedrängt, »lie Atmosphäre des Scliulzim-
niers eingeailunet haben, fügt der Hort in wohlmeinender Absiebt ein
Gleiches oder Aehnliches noch für die Nachmittagsstunden hinzu. Wenn
Oberhaupt Schulzimmer benutzt werden, sollten dieselben vorher gereinigt
nnd längere Zeit gelüftet werden; mag eine üeberfüllung der Schulzimmer
auch b-^im Unterricht geduldet sein, so sollte sie doch im Hort ni<"ht vor-
konunen, zumal eine zu grosse Zahl von Kindern eine schulmüssige Leitung
des Hortes nothwendig mit sich bringt. Aber vor Allem Ist daran festzn-
halten, dass ein fortgesetztes schulmässiges Sitzen keinenfalls stattfinden
darf, sondern — bei ireeigneteni Wetter — Bewegung im Freien, sonst
aber in geräumigen Turn- oder .Spielsälen, mag auch die Ueberwachung
hierbei weniger leicht .sein, unbedingt an erste Stelle treten muss. That-
sächlich werden häuflg Horte mit einem Mindestmass hygienischer Fflrsoi^e
Eaerdof. JabibOeher. VIL 11
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162
JUndcnehutz.
geleitet: gr&sste Engrlgkelt, ungeeigrnete SubselUen, sohlechte Beleuchtungr^
ungenOgrende Ventilation, mangelhafte Reinlichkeit machen eine Sehädiffunjr
der Kinder ganz unzweifelhaft und verrathen den völligen Mangel an hygieni-
Bchem Verständniss.
Auch bei einer swelten Art von Veranstaltungen fQr das sdudpMIohtige
Alter ist man in gut gemeintem Kifer vielfach Ober das Ziel lünausge-
scliossen — der Speisunfj lud üi ft ijjer Schulkinder, eine Einrichtung,
die zunächst nicht durch annenpliegerische , sondern durch pädagogische
Gesichtspunkte hervorgerufen worden ist, indem die Lehrer wahrnehmen
konnten, dass etai Theil der Sdiüler dem Unterrichte nicht aufmerksam
foljBrte, und die Ursache liiervon. abgesehen von anderen Ursachen, wie
Kränklichkeit. Ueberbürdimir mit ir('\v('rl>Iii'luT Nehenbcscliiirt ij^iini; u. s. \v..
vielfach in mangelhafter Ernährung zu .suchen war. Das hat dazu gefülut.
dass an manchen Orten durch private Vereinsthfttigkeit Einrichtungen ge-
troffen sind, um den Kindern ein Frühstück, bestehend aus Milch und Zubrot,
oder aber ein warmes Mittajressen (hier und da in besonderen Kinder-
Vülksküchen) zu verabreichen. Bei diesem Vorfjrehen, das noch verh<aiss-
mässig neu ist, haben sieh maaniglaohe Schwierigkeiten, namentlich in Bezug
auf die Auswahl der Kinder, herausgestellt, und es sind bereits hier und da
geradezu Missbräuche in dieser ReziolumiLr liervorirt-treten . die ernstlich zu
der Erwä-runtr führen, ob nian nicht lieber im Falle des Unvermötrens . für
eine ausreichende Ernährung der Kinder zu sorgen, den Eltern auf armen-
pflegerischem Wege die Unterstfltsong zukommen lassen soll, statt durch
die directe Fürsorge f&r die Kinder wiederum ein Band, das diese an die
Famiii«' knüpft, zu zerreissen und dieselben schon im jug^endlichen Alter an
das Almusenempfangen zu gewöhnen. Jedenfalls sollte man, wenn man an
der Einrichtung festhalten will, die Speisung nicht ohne sorgfältigste PrQfung
der häuslichen Verhältnisse gewähren.
r FürM»rt;p für schwächliche Kindi r. Indem wir in Betreff der
Fursor{i:e für Kinder in den alliremeineu Krankenhäusern oder in besonderen
Kinderkrankenhäusern auf den Artikel Spitäler verweisen, haben wir hier
zum Schluss noch einiger besonderen Einrichtungen zu gedenken, die nicht
sowohl an aoutMl Krankheiten als vielmehr an allgemeiner Korperschwäche,
Scrophulose u. s. w. leidenden oder in ihrei- körperlichen Entwicklunj^ durch
mangelhafte Ernährung, Aufenthalt in schlechter Luft u. s. w. zurückgeblie-
benen Kindon zu Gute kommen sollen und theils vorbeugender Art sind,
theils eigentliche Heilzwecke verfolgen. Im weitesten Sinne ^^ehören hierher
alle Veranst alt untren . besonders in den Grossstädten, die den Kindern die
Bewegung im Freien ermöglichen sollen: Anlage öffentlicher Erholungsplätze,
Förderung der Jugendspiele u. Aehnl. Insbesondere sind hierher zu rechnen
diejenigen Bestrebungen, die man neuerdings unter der Begriffsbestimmung
der Sommerpflege zusammenzufassen pfle^rt. Dies»>Iben redmen mit der
Gewährung reiner Luft bei ausreichender Bewegung und kräftiger Ernährung
als vorbeugender Mittel bei drohenden — mit der Anwendung klimatischer
Curen, von Sool- und Seebädern als Heüfoctormi bei bereits vorhandenen
Erkrankungszuständen.
Bei den hier zunächst zu erwähnenden Einrichtungen vorbeugender
Art, die ihren Zweck in der Weise zu erreichen suchen, dass sie die
schwächlichen und luränklidien Schulkinder der Grossstädte fQr die Zeit der
Sommerferien den Schädlldikeiten ihrw Umgebung entrQcken und sie auf
das Land versetzen, gehen wieder zwei F'ormen nebeneinander her: die
eigentliche Feriencolonie und die Familienpflege. Bei erstert-r wird
eine grössere Anzaiil von Kindern unter Leitung einer erwachsenen Person,
gewöhnlich eines Lehrers oder emer Lehrern, gemehisam untergebracht und
verpflegt Von Wichtigkeit ist dabei, dass da, wo nicht eigene Ferienhetane
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Kinderacfattiz.
zur Verfüg;ung stehen, geeignete Untcrkunftsräume beschafft werden, dio
ausser dem nöthigen Schlafraam aach einen Anfentiialtsranm bei sohlechtem
Wj'ttor ^('wShren. Mit den Quarticrpcbcrn ist oiiu» rolchücho Verpflogang
der Colonio zu vorcinbaren, wotx'i man auf pute Milch un<l t;ii:lii'hc Fleisch-
kost besonderes Gewicht zu legen hat. Bei dem zweiten System wird ein
einselnes Kind , beziehungsweise eine kleinere Gruppe von Kind«m bei dner
Familie untergebracht, d«ren sorgOUtlge Auswahl natfirlich wieder Haupt>
bedingung: ist. Die Wahl dos Systoms hStig^t meist von örtlichen Verhält-
nissen, wie (b'ii zur Verfügung stehenden leilen«ien Kräften, beziehunfrsweise
dem Vorhandensein geeigneter Familien ab. Vielfach wird auch ein ge-
mischtes System befolgt, welches in der Unterbringung mehrerer Kinder bei
Familien desselben Ortes bei gemeinschaftlichem Zusammensein w&hrmid
des Taj^es Ix'strlit. Die liestreitnno: der Kosten aller dieser BestrebirnGpen
fällt meistens der Privattluitigkeit von Vereinen, beziehungsweise Comites
SU, die heute in sahireichen StädtoD bestehen und einen gemeinschaftlichen
Mittelpunkt in der 1881 gegrQndeten »Centraistelle der Vereinigungen fOr
Somnierpflegfe« gefunden haben. Die vorlfinfi^e Auswahl der Kinder crfolirt
in der Kegel unter Mitwirkunj^ der Lehrer durch geeignete tlilfskriifl c des
Comites. Das entscheidende Wort fällt in der Regel -— und durchaus mit
Recht — dem Arst sn. Ausgeschlossen werden sameist an acuten Krank-
heiten, offenen DrQsengo.schwuren , Ohrenfluss, bedenklichen Lungonentzftn-
düngen leidende, ungenunen«! bewetrunirsfähige, mit Krämpfen. Veitstanz,
ansteckenden oder auffallenden Ausschlägen behaftete Kinder. H. Neumann
vertritt den Standpunkt, dass auch einem Theil dieser Kinder, von denen
viele dessen gerade am bedOrftigsten sind, sehr wohl die Feriencolonie zu-
gänglich gemacht werden könnte, wenn schon die erste vorläufige Auslese
der Schulkinder unter Zuziehung des Arztes stattfände. Es liessen sich als-
dann die an den bezeichneten Krankheiten leidenden Kinder oft noch recht-
zeitig einer ftrxtlichen Behandlung znfQhren, um sie nach Beseitig^g ihrer
Leiden für die Feriencolonien geeignet erscheinen zu lassen. Aber von diesen
Fällen abgesehen, könnten auf demselben \Ve<;e die Feriencolonien auch bei
anderen Kindern oft ihren Zweck viel vollkommener erreichen. Wie soll ein
Kind in der Feriencolonie s. B. seine habituellen Kopfsohmerzen verlieren^
wenn die in den Augen, in den Nasenhöhlen, im Rachen etc. vorhandene
Reizung", welclie sie veranlasst, nicht vorher beseitigt ist? Wi(» soll das Kind
in der Culonie mit Appetit essen und sich den Spielen hingeben, wenn es
von Zahnschmerzen gepeinigt wird? Wie soll es seine scrophulösen Hals-
drilsen verlieren, wenn die vo-grOsserten Gaumen* und Rachenmandeln, deren
Entzündung einen stets sich (M-neuernden Reis auf die Drflsen ausflbt, nicht
vorher entfernt werden ? (H. Nei man.n).
Von wesentlicher Bedeutung für den Erfolg der Feriencolonien ist auch
die Auswiüil des Ortes, wohin dieselben entsandt werden. Für einen Theil der
Kinder wird die einfache Veränderung der klimatischen Verhältnisse ausreichen,
um anr<><r»'iid auf die Köi iii r furn t i(»n>'ii zu wirken. Im Allu'eineinen wird man, je
nach den örtlich gegebenen Verhältnissen, am liebsten das üebirge mit seinen
Wäldern oder den Meeresstrand wählen. FQr einen anderen Theil der Kinder
wird man zweckmässig den gflnstjgen Einfluss eines Aufenthaltes in der freien
Natur durch die Heilfactoren von See-, Sool- und Stahlbädern vorstärken.
Den Feriencolonien in ihrer Wirkiiny* nicht irleichkommend . abiT für
viele Fälle trotzdem durch die Gewälirung kräftigerer Ernährung und die
Gelegenheit zu reichlicher Bewegung von segensreichem Einfluss sind die
in neuerer Zeit ergänzend herangezogenen Stadt- oder Halbcolonien,
deren Wesen liarin besteht, dass die Kindfr zwar in der Stadt un<l in ihren
Wohnungen bleiben, jedoch täglich in grösseren Gruppen ins Freie geführt
werden, wobei ihnen gute Milch und Brot verabreidit wird.
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164
Kindersehuts. <- Kohlenoxyd.
Oflireii alle dies« Veranstaltnngeii ist der Einwand Phöben worden,
dass ihre gDnstitr«* Einwirktuifir der Nachbalti^'koit entbehre und dass die
Kinder, wenn sie in die alten ungfinstigen Verhältnisse ziiruckk<'hn>n , bald
der erreichten £rfulge wieder verlastig^ gehen. Dem gegenüber ist es von
Bedeutung:, dass an einseinen Orten bereits Veranstaltungen getroffen sind,
die es sich zur Aufgabe inai iu ii. die Kinder nach ihrer RBckkehr unter
dauernder Tont role zu behalten und in geeigneten Fällen ihnen weitere Fita>
■orge zutheil werden zu lassen.
Wesentlich andere Ziele als diese Einrichtungen vorbeugender Natur
verfolgen die Kinderheilst&tten, die zumeist der Behandlung scrophulöser
Kinder frowidmet sind und dementsprechend, neben den in den Ferien-
colonien in Betracht kommenden hyirienisch-diätet ischeii Mittehi. die bei der
Behandlung der Scrophuluse hauptsächlich wirksuinen Heilfuctureu : See- und
Soolbad einerseits und gewisse chirurgische Eingriffe andererseits, cur Ver-
wenduni: zidien. Die Wahl der Curmittel und die Dauer der Vei pflegunff
hangt hier von einer sorirfältiLreii ärztlichen l'rüfunir des Einzelfalles ab.
und ie nach den zu erfüllenden Indicationen wird sich die Einrichtung und
der Betrieb der betreffenden Heilstatten sehr verschieden gestalten. Wir
werden namentlich ra untersdieiden haben swischen Pflegestätten, die sich
darauf beschränken, soldie Kinder zu verpflegen, die infolge verborgener
Tuberkulose blutarm, abtreinairert oder überhaupt kränklich sind, oder an
indolenten Drüsenschwelluugen leiden, oder schon mit Erfolg unter chirurgi-
scher Behandlung gestanden haben (Sanatorien), und solchen Anstalten,
die mit dem vollkommen<>n Apparat ausgerQstet sind, um den Kindern
gleichzeif i<r cbirnrirische Hilf"- atifredeihen !a»^"'ii tu können (Hospize). Zu
der ersteren Uruppe gehören die meisten Kinderheilstätten in den deutschen
Soolbidem und ^ Theil der an den deutschen SeekDsten errichteten An-
stalten. Paradigmata der sweiten Gruppe sind die berQhmten Seehospise
in Margate. Berck-sur-Mer und das von dem Verein für Kinderheiistätten
an den deutschen Seeküsten errichtete Kaiserin Friedricb-Seeliospiz in Nor-
derney, das im Jahre 1Ö86 eröffnet wurde und auch während des Winters
im Betrieb ist.
Literatur: N. BurcKNEB, Diu tSfIcntliche und private FUrsor^re. Frankfui-t a. M. 1892. —
H. NBUiumf, Oeflentlicher Kinderacbats. VII, 2. Lief, von Tb. Wsyl'« Handbach der H^'gieoe.
Jena 1895. — MfhnmBSBO, KinderfOrsorire. HandwOrteriraeh der Staatawisseasehtften, heran«-
gegeben von Conkao , Elstkk. Lkxi- mi*l I^okm.vo. Suppleiiicnthantl. Jena 18M5. A. Ep-
BTiciN. Stadien znr Fra«e «kr Findclan^talten. Prajf 18S2. — Raudnitz, Die Findt-lpflcge.
Wien und Leipzig; 1886. — Uauskr, Ueber ArmenkinderpIleKe. Karlsruhe 1894. ~ Tacb«,
Schutz der um helichen Kinder in Leipzijf. Leipzig 1893. — H. \ei mann, Üie uuehelichen
Kinder in lierlin. JahrliUeht-r für Nationalökonomie. 1894, III. Folj^e, VII. — A. liAaiNSKV, Die
KoHt- und Haltekinderpfleye in Herlin. Vl rti Ijatirs.mihr. f. öHentl. Gesundheitspflege. 1H86. —
Scbrifteo des Deatsdiea Vereia» fär Arineuplltige und Wohltbätigkeit. Leipzig 1Ö84, 1880,
1887 und 1888. — 8ehrlfien der Centralstelle tOr Arhefterwohlfabrtaeinrichtmifren. Berlin
1893. — Die Ergebnisse der Sonnnerpfh ■;,'»■ in Deuschlaud im Jahre 1893. Berlin 1894. —
t^c'UMiD-ilo.NNAiiu, Ueber die kürperhche Kntwicldung der Ferieucolonieldnder. Zeitschr. f.
Schnlgesundheitspflege. 18i)4, VII; Jahrb. f. Kinderhk. 1894, XXXYII. — Schiiiipvloo, Die
Heilstätten fUr scrophulöse Kinder. Wien und Leipzig: 1887. Albneht.
Klrcblioferdey Arsen^halte, vergl. Arsen, pa^. 28.
Koltlenoxyd. Eine neue Methode zum Nachweise von
Kohlenuxyd im Klute Vergifteter ist von SziGETi auf das Verlialten
de» CO zum MetiuLmoglohin begründet worden. Diese sogenannte Kohlen-
ozydmetiiamog'loblnprobe beruht daraat dass Kohlenoxyd mit Meth&mo-
^lobin eine durch helirothe Farbe und ein eifrenthümliches Spertrum ausge-
zeichnete N'erbindiintr triebt. Das Si)ectrutn cbarakterisirt sicli dunb einen
breiten Absurptionsstreifen im Qrüu zwischen D und K, näher an D belegen.
Der Streifen gleicht der Lage nadi dem Abtorptionsbande des reducirten
Hftmoglobins und des Cyanli&malins, bleibt aber im Gegensätze su ersterem
uiym^L-ü Ly Google
Kohlenozyd.
165
auch beim Schütteln mit Luft unverändert und unterscheidet sich von dem
Cj'anhiiitatinbande dadurdi, dass Zusatx von Sehwefelammoniiuii nicht die
Streifen des Hftmooliroinogens hervorroft, sondern Spaltung in zwei Absorp-
tionsstroifon veranlasst, die der Lntrf nach mit doncn des Kohlenoxydhämo-
glohins und Kohlpnoxydhämoohromof^ens zusammenfallen. Wie Mothämoglobin
verhüll »ich dem CO gegenüber auch das Humatin in ull^alischer Lösung,
während Ittmatin in sanrer Löanngr Farbe und Spectnim nidit Indert;
Schwefelammonium/.usatz macht jedoch die Lösnng hellroth und bringt das
Spectrum des CO-llamochromogons zum Vorschein.
Die Ausführung der Koblenoxydmetbämogiobinprobe geschieht in der
Weise, dass man aus dem zu untersuchenden Blute dureb Zersetzen mit
Natronlange und Erwirmen im Wasserbade das CO austreibt, und dieses,
narh(](>ni man es in yoeiarneter Weise von etwa vorhnndeiiem Ammoniak
und Sihwefelwasserst off befreit bat. in t'inen n it Metliümofflobinlösuny: is:e-
füllten Kugelupparut leitet und dann die Lösung spectroskupisch untersucht.
Die Probe kann besonders gut zur Unterstfltzung der Kohlenozydh&moglobin-
probe dienen, wenn diese auf Zusatz von Schwefelanunonium wejren An-
wesenheit von uberschüssijrem Oxybämnsrlol)in kein reines Resultat giebt.
Uebrigens lässt sieb die Existenz der Koblenoxydmethämoglobinverbin-
dung auch zum Nachweis von Vergiftungen mit metbftmog^obinbildenden
Giften (Kalium chloricum u. s. \v.) benutzen, indem man das mit Wasser ent-
sprechend verdünnte Hlut mit CO sätti«.'-( und sperf roskopiscli untersucht.
Bei der grossen Stabilität des Koliknuxydmethämoglubins kann dies Blut
besonders gut aLs Corpus delicti dienen.
Das von Haloanb angegebene colorimetrische Verfahren zur
quantitativen Bestimmunp: von Kohlenoxyd in der Luft (vorgl. Ency-
clopadische Jahrb.. VI. pafr. 301^ Ijedarf einer Modifiration . da nach Unter-
suchungen von Halda.nb und Lukkai.n ä.MiTH unter dem Einflüsse des Lichtes
rasch Dissociation des KohlenoxydbSmoglobins stattfindet. Es ist daher un-
umgänglich nötbig, das Schütteln des CO-BIutes in einer mit einem Tuche
umhüllten Flasche Lr<'s<-lielu'ii /u lassen, zweckmässiir auch, das Titriren mit
der Carminlösuni;- i)i'i nicht zu heller Beleuchtun«: vorzunehmen.
Die von uns nach Haldanb gegebene Tabelle zur Ik-stinimung des Verhältnisiies des
Proeentgehaltes der CO-Blutlöaung zu dem CO-Gehaltc der Luft bedarf einer Correctioo, da
sie auf Versnelie sieh grtindet, bei denen das AnssehlieHsen der Luft beim Schütteln des
ülntes verab.siiumt war. An Stelle dert-elben aind die lolgenrien Ver}iiiltni.<4!<zablen zu setzen:
Suttigoiig drr Kohlfooxyd-
BlatKtasng gabalt d»r Lnit
ta FraeMtM in Pimmimi
5 0,006
10 0,012
20 Ü.02Ü
30 0,043
40 0^
Sfterigang d«r KoIiIvdoxj J-
SlatlMaag g«h«lt der Lalt
la Praeaataa ta Vraeutea
60 0.125
70 (»,21
80 i)M
90 U,81
95 1,7
60 0,090
Wie gross fibrigens die Menne des Kohlenoxyds in dem Blute ver-
gifteter Menschen sein kann, zeigt die Beobachtung Haldanes bei Verun-
glückten in Kohlengruben, wo er das venöse Blut einzelner Leichen, die sich
durch sehr lebliaftes Aussehen auszeichneten, au 79 — 98% mit CO ges&t^
tigt fand.
Eine SteiiTPrung der Toxicität kohlenoxydhaltiger Qasgemenge
durch Gegenwart grosser Mengen Kohlensäure bat Scott ^) bei
einer Pulvcrexplosion zu Carrne beobachtet, wo das giftige Gasgemenge
27,6*/« Kohlensäure und 3,6% Kohlenoxyd, danelien aber auch noch 1%
Schwefel wasswstoff enthielt. Ein sehr giftiges Gasgemenge stellt das soge-
nannte Clearcras in Ammoniakwerken dar. das nach Scott in 100 Theilen
25,57 CO, Ü,5Ö COj, 4,bO H, 5,57 CH^, U,52 0 und 5G,J.»9 ^' enthält.
L.i^u,^cci by Google
166
Kohlenoxyd. — Kryofin,
DasB Kohlenoxydvergifttuig nicht selten Olykosurie herbeiffllirtf ist
ein unbestreitbares Factum. Andererseits lieg:en verschiedene sebr genau beob-
achtete Fälle von Kohlenoxydverfj:!!! untr beim Meiisduni vor. in denen Zuckor-
aussclieidiint: im Harne nicht constatirt wf-rden konnte. Die bei Versuchen
an Thiureii erhalienen Resultate sind sehr divergent; den positiven Ergeb-
nissen von Sbhfp *) und Araki *) stehen v611t|p nei^tive von Garofalo gegen-
Aber. Die hieraus sich erj^rebende Thatsnche, dass di(> QlykOfturle, wenn sie
auch sehr häufip: ist. doeh nur unter bestimmtetj Bedingungen zustande-
kommt, findet iiire Bestätigung in einer experimentellen Studie von Straub
wonach Glykosurie nur dann eintritt, wenn Eiweissstoffe oder Lehn zur Zer>
Setzung vorhanden sind. Während bei VerfÜttemng von Eiwoiss (Fleisch)
oder Leim Glykosurie eintritt, bringt Eiweisshunger bei uber\vi<'j,nMider Kohle-
hydratzufulir diese zum Scinvinden und nadi Zufuhr von reinen Kohlehydraten
(Stärke, Traubenzucker, Milchzucker) kommt sie bei Kohlenoxydvergiftung
nidit sur Beobachtung. Ob dasselbe Verhalten andi beim Menschen statt-
finde und z, B. bei Vergiftungen nach eingenommener reicher Fleischkost
Glykosurie eher eintrete als bei herabgekonimenen, hungernden Personen,
müssen darauf gerichtete Untersuchungen lehren.
Als ein bisher nicht beobachtetes Symptom der Kohlenoxydvergiftung
wird Xanthopsie Hilbert") aufgeführt, die nach Wi<'«lerherstellung des
Bewusstseins mit Herabsetzung der Sehschärfe und Gesichtsfeldeinschrfinkung
auftrat, jedoch schon am Tage nachlier verschwand.
Literatur: Sziokti, Ut^ber Kolikiniw diiK-thamoglobia und Kohleiio.xy*lhäiii:itin.
Vicrtoijahrschr. f. gerichtl. Med. XI, 2. Ht^lt. — -i Hau>4«b and Lobbain Smith, The oxyf;«;n
teosion of arterial blood. Jonrn. of Pbyaiol. XX, Nr. 6, p»g. 497. — *) Haldamb, The de-
teetlon and eitiiBation of carbonic oxIde to air. Ibtdetn, pa?. .^31. — *) SroTT, Poisoninsr by
carliriii iimnoxyde. Brit. iiicil. .Iniirn. < )ctobi'r. — ' > Si m c, rclicr dtn 1 liiilictcs nach der
KobleiioxydathmODg. Dorpat Ibü'iK — Auaki, lieber die Bildung von .Milch.süure uud iily-
ko»e im OrganiBroun. Zeitschr. f. pfaysiol. Chemie. XV. — Strauo, Ueber die Bedingungen
des Auftretens der Glykosurie nach der Kobl('noxydver^'iftUü<j. Ari-h. f. «•xperiiii. l'atb. XXXVIII.
pag. 13!). — '> IIii.iiEKT, Xantbop.sie uacb KohleuoxydvcrgifCung. Aleaiorabilieu. Nr. 2.
JfusemmMn,
Krippeu, s. Kinderschutz, pag. 100.
Kryofiii, ein Antipyreii' iini. ist nach seiner chemischen Constitution
Methylgiykolsäurephenet idid.
^•"*XJH,.OCH,.CONH
also ehi Concentrationsproduct von Phenetidin und Methylglykolsäure, analog
dem Phenacetin, welches bekanntlich ein Condensationsproduct von Phene-
tidin und Essitrsänre darstellt. W. Ostwald hat exporim<>ntell nachirewiesen.
das» die Alkylglykolsäuren stärkere Säuren als die Glykulsäuren und nucb
mehr als die Elssigsbire darstellen, so dass die Aether der Alkylglykolsfturen
viel leichter verseifbar sind als die der Bssigs&ure. Nun wirkt bekanntlich
sowohl der saure Magensaft als auch das Alkali des Duodenums auf der-
artige Substanzen verseifend: es konnte deshalb au< li im Verhalten dieser
Substanzen im ürganisuius ein merklidier Luterschied auf irgend eine Art
sum Vorschein kommen. Von dieser theoretischen Grundlage ausgehend war
CS von Interesse, die antipyretische Wirkung des Kryofins im Vergleiche mit
der des Phenacelins. La< tni>benins. klinisch zu prüfen, l'eber die Resultate
dieser Prüfung auf seiner Klinik berichtet Hekma.sn Eichhorst. £r versuchte
das Mittel u. A. bei schwerem Abdominaltyphus, bei Pleuropneumonie, puer-
peraler Sepsis, postscarlatinöser Nephritis, Oesichtserysipel, bei Phthise-
Streptokokkendiphtheroid ; dabei zeiirte sich O.fy Kryofin als zuverlässig
wirksame anl ipyretisciie Dosis, im Kffect etwa l.U (inn. I'lieiiaretin irleicb,
konuneiid. \ ersagte die Wirkung des Kryofins, so blieben auch fast ohne
Ausnahme Phenacetin, Lactophenm und Antipyrin, welche wiederholt cum
uiym^L-ü Ly Google
Kryofin. — Kupfer.
167
Vergleiche bei derselben Person herangezogen wurden, ohne Einfiuss.
denkliehe Nebenwirkungen wurden bMier niemals gesehen. Bei einzelnen
Kranken brach während des Temperatnrabfalles lebhafter Schweiss aus.
Auch maclilc s'irh nii( unter Cvannsp bemerkbar; das Mittel wirkte blutdriick-
steigernd. In einig:en Fällen von friwcher Ischias, in einem Falle von Poly-
neuritis alcoholica wirkte es auch schmerzstillend. Bei acuten chronischen
Oelenksriienmatisnien sehfen es weniger wirksam.
Kryofin bildet weisse, gemchlose Krystalle, welche keinen Geschmack besitzen nnd
mich ilalit r sehr bequeu] in PnJverlorm nehmen lassen. Seine Löslicbkeit in Waaser belänlt
sich auf 1 : 52 in siedendem vnA 1 : OOO in kaltem Waaaer. lo «meeotrlrter LOmnir Mbmeekt
Kljofin bitter nml beissend.
Dosirung. Als Antipyreticum 0,5 pro die in Pulverform oder in
Oblaten gereicht; als Anttnevralgicum sn 0,5 dreimal am Tage.
Literatur: ITkrmamm Bicbbobst, KrjoIiDf ein neues Antipjretioiim. Deotiehe ned.
Wochenschr. 1H5)7, Nr. 17. Loehhrh.
Kubisagarl (japanisch; wörtlich so viel wie »einer, der den Kopf
hängen lässt«) ist der populäre Name einer in einzelnen nördlichen Pro«
vinsen Japans endemischen Erkrankung. Dieselbe wurde jOngst von Nakaro
und Onodera beschrieben, welche beide den Symptomen (onipl ex als eine
Art larvirter Malaria auffassten, während dagegen neuerdings Mioua i) sie
mit der von Qeki.iek -) als »vertigo paralysante« beschriebenen, in ein-
zelnen Gebieten der Westscbweiz, baupts&chlich um CoUex (zwischen Femey
und Versoix, Canton Genf) einheimlsdiem von den dortigen Eingeborenen
»Tourniquet« benannten Krankheit als Identisch ansiebt. Das Leiden tritt in
Anfällen auf, deren Hauptsyraptomo in Muskelschwäche, gewissen Augen-
symptomen (Ptosis, Umnebelung, Doppelseben, Hyperämie der Papille und
ihrer Umgebang), motorisehen Störungen der Znngren-, Lippen-, Kan- nnd
seltener der Schlingbewegung, Parese der Nackenmuskeln, sowie auch der
Extremitäten- und Rumpfmuskeln bestehen. Dazu können noch Verstimmung,
Steigerung der Sehnenreflexe, Vermehrung der Nasen-, Thr&nen- und viel-
leicht aneh der Speiehdabsonderung kommen. Am eonstantesten nnd wioli-
tigsten sind die genannten Augensymptome nebst der Parese der Naekon-
nuiskf'ln. In Ätiologischer Hinsicht hat Miora M festgestellt, dass das Leiden
fast ausschliesslich bei arbeitenden Bauern, in Form von Hausepidemien
oder vereinzelt, immer in der wärmeren Jahreszeit (besonders beim lieber-
gang in die kUtere) angetroffen wird, und swar in Gegenden, die ku den
wichtigsten für die Pferde- und Rinderzucht Japans geboren. Ein Theil des
Wohnhauses diint hier meist zum Stalle, so dass zwischen diesem und den
eigentlichen Wohnräumen keine strenge Abgrenzung besteht. Der conti-
nnirlfche Aufenthalt des Viehes im Stalle seheint die Entwicklung dnr
Krankheit skeime (wie dies auehGsRLiBR bereits angenommen hatte) irgend-
wie zu bofördfin, Therapeutisch erwiesen sich Jodkalium und Arsen in einigen
Fällen nützlich; dabei ist möglichste Ruhe zwischen den Anfällen nebst
allgemeiner Faradisatiun, kalten Abreibungen etc. zu empfehlen.
Literatur: *) Mioba. üeber Knblsagari. Separatabdrnck ans den Hittbeilongra der
niediciniHcbcn Kacultiit <l« r kaisfrl. j.ipnnischrn Univcrsitiit in Tokio. ISOH, III. Nr. 3. —
*) ÜEBLiEK,. Kevue med. dü la äuissc romande. Deceuiber lb86, Januar 1087; David, Ibid.
Febraar 1887. a. Ealtahurg.
Kupfer« Die Frage Ober die Zulässigkeit des Grünfftrbens von
Erbsen mit Kupferpräparaten kommt trotz der vielfachen Arbeiten in den
letzten .lahren auch jetzt noch nicht zur Ruhe. In Londen wurde eine Gross-
handlung verurtheilt, weil sie Erbsen lieferte, die 3,10 Grm. Kupler.-julliat in
Jeder Büchse enthielten. Das ist allerdings eine Menge, die die zum Färben
nöihige Menge weit übersteigt. Man schätzt den Consum von gefärbten
Erbsen auf l*0 Millionen Bücb-^eTi , wonach sich nach dem obigen Kupfer-
gehalte etwa UOOÜ Pfd. Kupfer berechnen, die alliährlich in englische Mägen
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168
Kupfer.
gelangen. Der in der Laneet vom 28. Mal 1896 gemachte Vorsclilag. den
Verkaut gefärbter Erbsen nur zu gestatten, wenn die die Waare deutlich als
»{jekupfert* bezeichnet wird, kann nur unseren Beifall finden, da ja zweifel-
los bestimmte Individualitäten Kupferpräparate sehlecht vertragen und auf
diese Weise am einfachsten vor jeder F&hrlichlLeit geschützt werden können.
Unterlässt der Fabrikant diese Angabe, so wird es selbstverstSndlieh anoh
IQr den Schaden aufsukommen haben.
An der Thatsache, d.iss die Ei\veisskupferverbindunf>:en der Conserven
an sich keine schädlichen Wirkungen hervorbringen können, und dass eine
chronische Vergütung dadurch beim Menschen nicht zuwege gebracht werden
kann, ist in keiner Weise zu zweifeln. Die im Deutschen Reichs-Gesund-
heitsanite von Brandl V tiemai hton Versuche zeiffen in BestätiKfunir der An-
gaben von TscHiKCH. dass weder das Leguminkupfer, noch das Kupferphylio-
cyanat in den Mengen, in welchen sie mit gekupferten Erbsen In den Körper
gelangen , acute Vergiiftungserscheinungen erzeugen können , und dass auch
von dem Zustandekommen einer chroni.schen Ver^iftuntr nicht die Rede sein
kann, weil nur ganz gerintre Menjjen bei Verfütteiung- der trenannten Ver-
bindungen zur Resorption gelangen. Uunde können 2 — li (irm. Legumin-
kupfer mit Fleisch venseliren, ohne dass Brbrechen, Durchfall oder sonstige
Störungen sich bemerkbar machen. Von dem eingeführten Kupfer werden
davon fast 1).')" ^ im Kothe wieder aufgefunden. Gleiche Resultate liefert das
phyllocyausaure Kupier, neben dem übrigens nach Brandl s Versuchen noch
eine weitere organische Verbindung , In der das Kupfer maakirt ist , in den
gekupferten Erbsen und Bohnen vorhanden ist.
Vf)m Kiii)rei-Ie^-iimin ist das Kupfereiweiss eini<rermassen verschieden,
doch sprechen auch die neu(>sten Versuche v«hi Fileh.ne -j entschieden ;;egen
irgendwelche Gefahren dieser V^crbindung für den Menschen und diejenigen
Thiere, die sich vor einer Intensiveren Vergiftung durch Erbrechen zu schfitzen
im Stande sind. Bei Hunden Ist dies nach 3. bei Katzen erst nach 4.5 Qrm.
der Fall. Verfüttert man ein nach Analogie des Ferratins darfrestellles
Cuprutin, so lusst sich niemals eine so grosse Menge (bis ü Grm.) wie vom
Leguminkupfer Versnclishunden beibringen, weil schon nach mehr als 2 Orm.
Widen\illen und nach 3 Orm. constant Erbrechen, allerdings später als nach
anderen Kupfei \ iTbindnntren (>infritt. Dabei wird ausserdem nach Ciipratin,
trotz seiner Löslichkeit in Wasser. Säuren und alkalischen Flüssigkeilen,
noch weniger als nach Kupferlegumiu resorbirt ; in den Versuchen Filehnb's
gingen beim Hunde sogar 38% des eingeffihrten Kupfers wieder mit dem
Stuhle fort. Aus diesem Grunde ist es aber unmöglich, auch hier die Haupt-
erscheinungen der chronisch<Mi Vergiftung, die Anfimie und die dogenerativen
Procüsse in Leber und liieren durch Cupratin zu erzeugen. Kupferhämol
gab nach Brakdt's Versuchen keine anderen Verhältnisse der Resorption wie
Leguminkupfer; in 40 Tagen konnten 12() Grm. Kupferhämol verfüttert werden,
ohne irgendwelche Erscheinungen lici lx'izuführen. Ob frischgefaiites Kupfer-
hämol intensiver wirkt, bedarf weiterer Prüfung.
Selbstverständlich alteriren diese Versuche in keiner Weise die That-
sadie, dass subdurouische und chronische Vergiftung durch andere, der Re-
sorption zugänglichere Kupfersalze bei Thieren zu erzeugen sind; ja es be-
stätigen weitere directc Versuche Bi{.\m>t s. da>.s in der That eine solche
durch Degeneration von Leber und >i'ieren und allgemeine Anämie churak-
terisirte Affection durch organische Kupfersalze, in denen das Kupfer nicht
masklrt ist, bei längerer Verfütterung sich ausbildet, und dass diese um so
rascher auftritt . je leichter «las betreffende Kiipfersal/ zur Resorption ge-
langt. Jn dieser Hinsicht steht das Natriumcupritartrat obenan, und an
dieses schliessen sich Acetat, Oleat und Stearat des Kupfers an. Fileune,
der besonders das Kupferstearat in fiezug auf seine toxische Äction unter-
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Kupfer.
169
suchte, glaubt sogar, dass man bei lange genug fortgesetzter Zufuhr damit
tddtlicbe dinMiische Intoxication, aber nicbt eine letale acute Vei^iftung bei
brechfahigen Thieren durch interne Darreichung erzeugen kann. Die brechen-
errejrende Dosis des an sirh gresrhroackfreien Salzes, dass trotzdem schon
nach kurzer Zeit Widerwillen gegen das damit gemengte Futter erzeugt, ist
weit grösser als beim Kapfervitrfel. Diestf zeigt nach Brandl aueh sonst
eine wesentliche Wirkungsverschiedenheit, indem darnach nephritische Er-
scheinungen, wie sie nach Darreic-hiine: gerinjrer Mengen von Natriunn upri-
tartrat auftraten, sich nicht einstellen, und indem bei längerer Verfütterung
eine weit grössere Aufspeicherung von Cu in der Leber stattfand, als dies
der Fall bei den organischen Sahsen ist. Wie wenig leicht Obrigens Knpfer-
solfat bei grösseren Thieren zur Entstehung: von chronischer Intoxication
Veranlassung siebt, zeicren Versuche von Baum und Seeliger ^) bei Ziep:en,
die selbst bei V'erabreichung von 105 Grm. in 128 Tagen und von 40 Grm.
in 83 Tagen nicht erkrankten ; nur bei Steigerung der Dosen kam es zu
interc u rrentem Appetit verl u st e.
Dass aiicli metallisches Kupfer bei inferner Darreichung nicht ohne
schädlichen Effect bleibt, hat Fileuxe durch direete Versuche am Hunde
gefanden, doch konnte selbst bei zwei Monate anhaltender Futterung nach
Verbrauch von 2 Grm. nur weit geringere Veränderung In Nieren und Leber
nachgewiesen werden, wie sie nach Kupfersal/cji eintraten.
Dass bei Menschen acute Versiftunj^en durcli Kupferver-iiftungfen her-
vorgebracht werden können, ist eine Thatsache, für welche neue italienische
Beobachtungen weitere Belege liefern. Infolge der grossartigen Aasdehnung,
welche iB'Jt die Traabenkrankheit genommen liai, werden die dagegen ge-
braufliliclien Hespreiürunfren mit Kupfervitrioliösunir und Kalk (soprenannto
Bouillon bordelaise, oder Besprengungeu mit Kupfervitriol und Schwefel
(Rame lolforato) häufig in so Oberaus kolossaler Weise ausgeführt, dass
man sich sn einem Verbote Jeder Verpackung von Esswaaren in Rebenblittem
veranlasst gesehen hat. Aber auch die Trauben werden oft so erekupfert.
dass sie. weim man sie nicht abwäscht, veririftcnd wirken können. Zwei
Vergiftungen dieser Art, in denen die ersten Erscheinungen sich unmittelbar
naeh dem Genüsse einstellten, dann Kollken, einzelne Durchf&lle mit Tenesmus,
auch Tenesmus vesicalis und grosso Adynamic eintraten, die die Kranken
3 — 8 Tapre an s Bett fesselten, luif Rrixoti beschrieben. Ob das Fehlen
von heftigem Erbrechen die Folge der gleichzeitigen Einführung von Kalk
ist, steht dahin.
Ueber die Aasscheidung des Kupfers lehren die Vwsnche von Brandl,
dass eine constante Ausscheidunff durch die Galle statthat, während die
Ausscheidung; ilunli die Darmepitbelien und die Nieren nur yerinir ist. Hei
intravenöser und subcutaner Application acute Vergiftung bewirkender Dosen
des Natriamknpfertartrats kann mehr als die Hälfte des eingef&hrten Kapfers
In der Leber auf}j:efunden werden, während 2 — 3'/o in QsUe vorhanden
sind. Hei chronischer Intoxication durch ortranisi'li»» Kupfcrsalzo vorschwindet
das in die Leber gelaugte Kupfer rasch, beim KupfersuHat können 6 — 7*^0
gefunden werden. In die Milch geht Kupfer bei KupfersalfatfOtterung nur
ausnahmsweise in nachweisbaren Mengen Ober.
Literatur: ' Hkanui., E-xpcrimentclIc Untersuchungen iU)rr die Wirkunfi-, Aiilnabme
Dod Abscheiduiig von Kupfer. Arbeiten aus dem kaiserl. Geaaudheitsamte. Xill, pag. 105. —
*) FiLKaNK , Heiträge zur Lehre von der acuten and cfaroniscben Kapfenrergiftung. Zweite
Mittheihing. Dentselie nu d. Wochensehr. Nr. 10. — 'i Baum und Skki.iokr, Wirl das dem
Körper einverleil)te Kniifer aueh mit der Miieh ausgeschietlen und wirkt derartige Milch
schädlich, wenn sie genossen wird? Arch. I. Thierhk. XXVI. Heft 3. *) Bei-i.oti, Due case
di avvdeoament« acato non letale per ura trattata con aostanze autiperonospnrictie. II
BiMoogl. med. 20. Februar, pag. 97. Uusem«an.
Digitizeu l> ^oogle
L.
UTttlostirle» vergl. Harn, pap. 117.
Latah wird in Niederlftndisch-Indien eine cerebrale Neurose ge-
nannt, die dordi reflesart^ Zwangiriiandliingren, bestehend in Bdiokinesie,
Echolalie und Koprolalle. rharakterisirt ist. Kranke, welche mit diesem Leiden
behaftet sind, ahmen Bewe|/:unireii . welrlie ilmeii vortreinai-ht werden, sofort
nach ^Echokinesie), und diese imitirlen Bewegungen werden eingel« ilet, be-
gleitet oder gefolgrt von unznsammenhtngenden Lauten oder Worten, meist
ii;el)rrui(-hlichen Ausrufen, öfters auch obscönen Auedrucken (Koprolalie).
Auch Befehle, die man solchen Patienten piebt , f Ohren dieselben soirleich
aus, und vorgesprochene Worte wiederholen sie (Echolalie). Bisweilen reiclit
schon ein Blictc, begleitet von einer Kopfbewegung, aus, sie sum Ansatossen
einielner Laute zu bringen. Psychische Erregungen, namentlich Sdhreelc, sind
ifleichfalls im Stande, bei ilinen unwilllLflrliche Beweg^ungen, verbunden mit
Ausrufen, hervorzurufen.
Alle diese Handlungen sind ganz unabhängig vom Willen und können
von den Kranlcen selbst bei starker Willensanspannung nicht unterdrOckt
werden. Dabei sind Iknvusstsein und Intellect ungestört . auch sonstige
Störungen von Seiten des Nervensystems fehlen; namentlich hat die Krank-
heits nichts mit Hysterie zu thun. Die einzigen Abnurmitäten , welche
VAN Brbro der diese Affection am eingehendsten studirt hat , bei seinen
Kranken fand, waren grosse Schreckhaftigkeit, die alle ausnahmslos dar-
boten und. weniirstens bei einem Theile derselben nachweisbar, Erhöhung
dei- S( hneorellexe und Irradiation der Hautreflexe auf nahe und entfernte
Muskeln.
Das Leiden, welches namentlich bei jungen Frauen beobachtet wird
und erblich ist. kann eine sein lause Dauer haben und scheint unheilbar
an sein. Offenbar handelt es t-irli (Icmsclben um eine imitative Wir-
kung der Suggestion bei ueuropathischen Individuen, bei denen eine
Unfäliigkeit des Willens, auf durch Suggestion ausgelSste Handlungen hem-
mend einzuwirken, besteht.
Das Vf)rknrninen dieser KranklnMl hcsrlir.-inkt sirh nicht auf Nicder-
ländisch-Indien. vielmehr scheint dieselbe um er den verschiedensten Breiten
und bei den verschiedensten Völkern beobachtet zu werden. Ausser bei
Malayen sah sie 0*Bribn>) auch bei Tamils, Bengalen, Sikhs und einem
Nubier. Ferner wird aus einer Reihe von Landern unter verschiedenen
Namen vtm Affcrtionen berichtet, die tnttz {^erinjurffiiriirer Tnlerschiede in
den Krankheitsbildern wohl als identisch mit dem Latah anzusehen sind.
Dies gilt vom Maii-Maü der Tagalen (Bewohner der Philippinen), vom
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Latah. ~ Leberatrophie.
171
Bah tsclii in Slam (Rasch ^J. vom Yaun in Birma (Bastian*), vom My-
riachit hl Slbtrim ^aiihoiid . vom Jumping in N<Hrdamerika (Bbard>).
Mit dem Latah verwandt ist entschieden auch die neuerdings aus verschie-
denen Ländern Europas beschriebene Gii-les dk i,a TorRKTTE'sche Krank-
lieil'!. welche sich vom Latah hauptsächlich dadurch unf ersclieidet. dass sie
namentiicli bei Männern (auch Bkakd£> Jumpers gehürleu übrigens vor-
zugsweise dem minnlidien Geschlechte an) vorkommt und bei ihr auch
spontane, unwillkürliche, aber gewollten, z\veokmässi|?en gleicliende Bewe-
gungen , wie sie nach VAN Brbro bei den Latah-Kranken nicht beobachtet
werden, auftreten.
Literatur: ') P. C. Z. var Bbxso, Ueber das so^iuiiiiite Latnh, eine in NiederlSndisch-
Ostindifn vorkomineiidc Neurose. AUk. Zi itx lir. f. Psych. lSi)ö. LI, Heft 5, p.i^' —
*) O'Brikk, Joum. o! tbe ätraits. äiogapore, Juni 1883. — Ca». iUisca, Ucber üie Amok-
Kraakhett der Malayen. Nearol. CentralM. 1896, Nr. 19. — *) A. Bastia*, Beisen in 8i«m im
Jahre 18fi3. Jena 1867, pa^r. 296. *i W. A. Hammond, Myriachit: a newly dosc-rihed di-
sease of the nervou» System and its analogueH. Brit. med. Jouni. 19. April 1884, pag. 758. —
(i. h\. ÜEARD. Joam. of nerv, and ment disease. 1880, VII, pa^. 487. — ') Uili,m vm
LA TooBicTTE, Etnde sur nne aflection nerrense caracterist^e par de l'iucoordination locomo-
trlee accompairnie d'öcbolalie et de coprolalte (Jnmping, L<itah, Myriacliit). Areh. de Nenrol.
188."i. IX, \)Uii;. 19, 1.Ö8. G. GuiNoy. .^iir la nialadit- des tics ((iiiviilsiff*. IJcvuc de M6d.
18Ö6, Hr. 1, pag. öO. Ofpbmhkim, VonttelluDg eiuea Kranken in der tieseUitchalt der Charitö-
Aente in Berlin. Berliner klin. Woehenachr. 1889, Nr. 26, pag; 676ii L. StnMno, Bin Fall
von G11.LK.S DK I..K TotTBETTE'scher Krankheit. Ebenda 1891, Nr. 38, patp. 897. jg, Scbfuhe.
Leberatrophie. Unter dieser Bezeichnung greift man aus den Er-
krankungen des Leberparenchyms einij^e Formen heraus, deren geraeinsames
Wesen in einem Schwund der Leberzellen beruht, welcher entweder
auf dem -W^ einfaeher VerUeinemog und Sehrumpfong oder dem efaner
('fettigen) Degeneration und eines Zerfalles der Zellen vor sich geht. Nach
der Art der Veränderung, welche das ganze Organ oder einzelne Abschnitte
desselben dabei erleiden, kann man, um bei alter (allerdings das Wesen der
Ver&nderung sum Theil nicht richtig kennxeiehnender) Terminologie sa
bleiben, drei Formen als einfaohe (marantisdie , braune), rothe (eyaoo-
tiscbe) und gelbe Leberatrophie unterscheiden.
1. Die einfache Leberatrophie stellt eine gleichmässigo Verklei-
nerung des Organs dar, welches gleichzeitig dunkler braun, als normal,
s&he und derb ist und oft eine gemnselte Kapsel zeigt; die LeberseUen
Bind dabei klein, geschrumpft und mit dunklen Pigmentkörnchen erfQlIt
(braune Atrophie); die übrigen Gewebselemcntr bleiben meist normal; bis-
weilen tritt eine massige Verdickung des interlubulären Bindegewebes hinzu.
Die Vf rinderung ist oft eine Thellerseheinung allgemeiner Brnährungs-
Störung und findet sich bei Inanition durch mangelhafte Nahrungsaufnahme,
senilem Marasmus und den verschiedensten Kachexien. Bisweilen ist sie
aber auch die Folge mangelhaften Blutzuflusses durch die IMort-
ader und dadurch bedingter Ernährungsstörung des Parencbyms. Als Zu-
at&nde, die besonders gern su dieser Störung fflhren, werden von Frbriobs >)
angeführt: Wucherung der GLissoN'schen Kapsel (z.B. von einem chronischen
Magenge.schwOr ausgehend) längs der Pfortaderäste, mit Obliteration der
kleinen Gef&sse und Capillaren; ferner Intermittenskachoxie mit Melanämie
und ngmentanhftufung In den Pfortadercaptllaren ; chronische Dysenterie
und andere Ulcerationszustände des Darmes mit consecutiven ThromiMsen
Inden kleinen Pfortaderästchen ; endlich Thrombose des Pfortaderstammes. —
Klinisch treten ausser verkleinerter Leberdämpfung wenig Symptome von
Seiten der einfachen Leberatrophie hervor; die Folgen der mangelhaften
Gailenseeretion für die Verdauung pflegen im allgemeinen Bild des Marasmus
aufzugehen.
Hieran scbliessen sich die cirrumscripten Atrophien, die durch
Compression einzelner Leberpartien entstehen. Prototyp derselben ist die
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172
Leb«ratrophie.
(aUm&lig seltener werdende) Schnürleber, bei der eine atrophische Furche
den reehten Lappen horizontal theüt; ihnltohe Atrophien kOnnen durch
Druck von Exsudaten und Tumoren auf die Leber hervorgerufen werden.
Hier geht mit dem Zellenschwund pinp Obliteration der Blutgefässe einher;
meist verbinden sich damit auch perihepatitische Processe, die zu Kapsel-
▼erdickungen führen. — Der infolge anderweitiger Intrahepatieeher Brkran-
icongen, s.R von Leberoirrhose, Lebertomoren «to., eintretende Schwund
der T.pberzellen an einzelnen oder vielen Stellen des Organes ist bei diesen
Krankheiten zu besprechen. — Ebenso ist dir (nicht ganz seltene) soge-
nannte angeborene partielle Leberalrophie immer das Endstadium einer (^meist
auf hereditSrer Syphilis beruhenden) fStalen elroumsertpten LeberentzOndang.
2. Die rothe Leberatrophie (ViRCHOw) oder cyanotische Atrophie
(Klees) fällt mit der sogenannten atrophischen Form der Muscat-
nussleber zusammen und ist die Folge anhaltender Stauung im Gebiet
der Lebervenen, wie sie bei Hers- und Lungenkraakheitea, die sur
Uelterftinang der Venae eavae fflhren, stattHndet. Die hierbei liestehende
Ektasie der Venae centrales der Acini, die sich auf das Capillarnetz peripher
vorschreitend fortsetzt, führt zur Compression und zum Schwund der an-
liegenden Leberzellen, zunächst im Centrum der Acini ; in vorgeschrittenem
Stadium sind die Zellen hier su kleinen Pigmentsohollen gesehrumpft. Da
die erweiterten Gefässe den Raum, der durch den Zellenschwund verloren
geht, zum Theil austrloichen. so ist hier die Verkleinerung des ganzen Organes
oft gering; dasselbe kann im Gegentheil bis iu die spätesten Stadien ver-
grSsserte Grenzen zeigen. Die klinischen Symptome des Processes bestehen
in spontaner Sehmeniiaftifl^eit und Druckempfindlichkeit der Leber, hftnfig
in leichtem Icterus und in spTiteren Stadien durch Fortpflanzunir der Stauung
auf die Pfortader in zunehmendem Ascites. — Unter der Bezeichnung -acute
rothe Atrophie der Leber« hat Wagner') nach einem einzelnen (anscheinend
etwas unklaren) Fall eine Leberaffeotion beschrieben, hei welcher, ausser
Verdickung des Bindegewebes in der Umgebung der grosseren Pfortader-
äste, im centralen Theil der Acini eine Veränderung der Art bestand, dass
»im Inneren der leberzellenlosen Leberzellenschläuche« Blutkörperchen an-
gehSuft waren.
3. Die interessanteste und durch die wichtigsten klinischen Symptome
ausgezeichnete Form ist die gelbe Atrophie : sie tritt im Gegensatz zu den
vorigen ganz chronisch verlaufenden Formen immer acut oder subacut auf
und ist daher als sogenannte acute gelbe Leberatrophie (Atrophia
hepatis acuta flava) bekannt; ihrer pathologisch-anatomischen Bedeutung
angemessener ist die Bezeichnung Hepatitis diffusa acuta (diffuse Leber-
entzündung). Sie bildet die Hauptform des sogenannten »Icterus gravis«,
unter dessen Sammelnamen früher viele tödtliche, mit Icterus verlaufende
Erkrankungen verschiedenen Ursprunges susanunengefasst wurden. Aus
diesen schied zuerst RoKrrANSKY*) in pathologisch-anatomischer Beziehung
die vorliegende Krankheit aus; ihr klinisches Bild fassto zuerst Frbricbs •)
übersichtlich zusammen.
Die Krankheit ist eine seltene; oft fehlt sie in den Krankenhäusern
grosser Stftdte Jahre lang, und erfahrene Kliniker geben an, sie niemals
gesehen zu haben. Unter gewissen atmoiphiriBOhen Einflüssen scheint
sie mitunter epidemisch an Hfiufigkeit zuzunehmen: sn benl)achfete ich in
dem kurzen Zeitraum von drei Monaten im Berliner Charite-Krankenhaus
5 Fille »}; und bei manchen als »Icterus gravlsc mitgetheilten kleinen Epi-
demien , z. B. den Beobachtungen von Arnould '), der In Lille in ebenfalls
dr«'i Monaten 10 Soldaten unter dieser Diagnose erkranken und 4 hiervon
sterben sah. scheinen wenigstens die letalen Fälle auf acute Leberatrophie
zurückgeführt werden zu müssen.
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Leberfttrophie.
173
Ueber die grobe Äetlologie der Krankheit ist nicht viel bekannt
Ein wichtiges Factum ist in dieser Hinsicht die BegQnsti^ng: der Erkran-
kung durch Gravidität und Puerperium. Hierdurch erklart sich das
Ueberwiegen der Frauen unter der Zahl der Erkrankten; nach Thier-
FELüEK S Zusammenstellung^) waren unter 143 Fällen 55 Männer und 88 Frauen,
wovon 30 Schwangere und SPnerperae; nach Frbriohs unter 31 P&llen
9 Männer und 22 Frauen. — Das häufigste Alter der Erkrankten liegt
zwischen 20 und 3Ü Jahren (nach Frkrichs unter 31 Fällen 20mal) ; von
Thierfeldbr s 143 F&llen liegen '2 unter 1 Jahr (der iüngste ein 4tagiges
Kind), 70 Ewlaehen 20 und 30, 23 swisdien 80 und 40, nnr 1 über 60 Jahr«n.
Neuerdings sind wiederholt Erkrankungen sehr junger Kinder, damnter
eines Smonatliohen ' i und eines Neugeborenen bekannt geworden.
Bisweilen entsteht das Leiden bei und nach bekannten Infections-
krankbeiten. Fälle, die sich aus einem Typhus heraus entwickelten, werden
von Frbriohs und verschiedenen anderen Beobachtern *^*) mitgetheOt. Aelm-
liches wird für vereinzelte Fälle von Puerperalfieber, Febris recurrens, Ery-
sipel, Diphtherie. Osteomyelitis etc. angegeben. — Neuerdings ist man auf
den Zusammenhang der Krankheit mit Syphilis aufmerksam geworden.
Während bis vor Kursem die einschlägigen Beobachtungen noch als snffiUige
Complicationen aufgefasst wurden, ist in jüngster Zeit durch Senator u. A.
eine kleine Reihe (die auf kaum ein Dutzend taxirt wird) von Fällen be-
kannt geworden, bei welchen in der Frübperiode der Syphilis die Leber-
erkrankung so gleichzeitig mit evident specifischen Ersclieinungen auftrat,
dass eine ätiologische Bedeutung der Infection nicht von der Hand su
wdsen ist
Psychische Emotionen, wie Schreck und Aergor, werden ätiologisch
ebenfalls betont. Der Zusammenhang mit Phosphorvergiftung, von manchen
Autoren behauptet, ist nicht erwiesen (s. bei Phosphorvergiftung).
Die pathologisch-anatomischen Befunde der Obduotionen be-
treffen in erster Linie die Leber. Ihre Veränderung beruht der Haupt-
sache nach in einem schnellen Zerfall der Leberzellen, wodurch in der
Mehrzahl der Fälle eine auffallende Verkleinerung des ganzen Organes ent-
steht In den anegeprägten Fällen liegt die Lelier surQckgesonken in der
Excavation des Zwerchfelles, von Därmen überlagert, so dass sie bei Er-
öffnung der Bauchhöhle nicht sichtbar ist. Das Volumen des Organes wird
oft bis auf die Hälfte, ja auf ein Viertel der Norm verkleinert angegeben.
Von seinen Dimensionen pflegt die Dicke am beträchtlielisten abgenommen
SU haben, und zwar besonders im linken Ti.ippen ; hier sinkt sie bis >/» ^^^^
und darunter, im rechten Lappen bis 1' ^ Zoll. Das (ipwicht wurde öfters bei
Erwachsenen bis gegen öOü Urin., bei einem 13jährigen Kind auf 3^0 Grm.,
bei einem kleinen Kind gar unter 60 Grm. **) verringert gefunden. — Die
Consistens der Leber ist stets auffallend welk, sähe und lappig; Doppel'
messerschnitte sind nur schwierig zu erhalten ; die Kapsel ist meist gerunzelt.
Die Farbe ist in den Fällen, wo <iie Veränderung gleich mässig über
das Parenchym verbreitet ist, von der Kapsel her und noch auffallender
aof dem Schnitt eintönig schmntsig gelb mit verwischter Acinlseichnnng
und undeutlichen, schledit gerflllten Gelässen. Diese Form hat der Krank-
heit den Nainon dfr p:elben Atrophie gegeben.
Viel häufiger scheinen jedoch die Fälle zu sein, wo die Alteration
angleichmässig über das Organ verbreitet ist, und wo sich dies schon
makroskopisch durch eine bunte Zeichnung dos Parenchyms knndgiebt, die
ebenfalls schon von der Serosa aus, noch deutlicher aber auf der Schnitt-
fläche zu erkennen ist. Zwei Substanzen, eine Schwefel- bis ocker-
gelbe und eine dunklere, braunrothe bis blaugraue durchsetzen sich
hierbei im Parenchym. Den Zustand letsterer Partien hat Klbbs**) als
L.iyu,^cd by Google
I
174 Leberatrophle.
»rothe Atrophie« Ton der gelben Atrophie dee Qbrlgen Qewebee getrennt.
Es erscheint diee nnndthig, da, wie wohl alle Beobachter jetst sageben,
beide Substanzen nur die verschiedenen Stadien de8sell)pn Processei, and
zwar die gelbe das frühere, die rothe das Kndstadiuni darstellen.
Die Art, in welcher die beiden Substanzen sich durchsetzen, wechselt
sehr. Entweder bildet die gelbe Snbstans kleine nnd grosse, mndliehe
Inseln, welche sich, da die gelben Partien auf dem Schnitt immer etwas
prominiren und die rothen einsinken, wie Tumoren vnn dem anderen Paren-
cbym abheben. Oder die beiden Substanzen greifen baumförmig in einander;
oder es wechseln kleine, nnr wenige Aeini amfassende Fleckehen mit ein-
ander ab, so dass das Parenchym wie getflpfelt erscheint. Die eigenthflm-
liebste Vertheiliing' beobachtete ich in einem Fall, wo die jrelbe Substanz
in ringförmigen Herden vom Durchmesser einer Linse bis Bohne der rothen
Substanz eingelagert war.
FBMt immer ist der Process Im linken Lippen weiter als im rechten
vorgeschritten, 80 dsss Im enteren verMUtnissniSssig mehr rothe Substanz
enthalten ist.
Die Aeinizeichnung ist in den rothen Partien meist verwischt; wo die
Aeini erkenntlich, erscheinen sie sehr klein, oft von grauen Ringen einge-
fasst. In der gelben Substanz sind die Aeini deutlioher, oft bedentend ver^
grössert; auch hier werden dieselben bisweilen von hellgranon Ringen
umgeben.
Die mikroskopische Untersuchung ergiebt vor Allem das Be-
stehen eines durch das ganse Leberparenchym verbreiteten diffusen Doge«
nerationsprocesses der Zellen, der sich in korniger und fettiger Trübung
derselben mit scbliesslichem Zerfall zu Detritus ausspricht. Selten ist dieser
Zerfalisprocess durch das Organ gleichmässig verbreitet; meist ist er im
linken Lappen am stftrksten ausgesprochen. In einseinen Fftllen, bei denen
»beginnende« acute Leberatrophie anzunehmen war, zeigte sich in der noch
grossen oder sogar leicht vergrosserten Leber die Zellendegeneration auf
circumscripte Herde beschränkt.^') — Wo gelbe und rothe Substanz abwech-
selt, ergiebt gerade die mikroskopische Betrachtung der Zellen erstere als
das Antangsstadiam, letstere als den vorgeschrittenen Process: in den
gelben Partien tind die Leber zellcn verh<nissmässig am besten erhalten: hier
zeigen im Centrum der grossen Aeini die Zellen noch ihren normalen Situs,
deutliche Contouren und Kerne, sind nur trübe und meist stark gallig im-
bibirt oder mit OaUenpIgmentparÜkeln erfüllt, wlhrend nach der Peripherie
hin die Trübniq; der Zellen zunimmt und die Deutlichkeit ihrer Contouren
und der Kerne sich verliert. In der rothen Substanz dagegen ist in den
meisten der kleinen geschrumpften Aeini die Mehrzahl der Leberzellen zu-
grunde gegangen; nur in den centralen Zonen pflegen noch Gruppen ge-
schrumpfter ZeOen, mit Pigmentschollen untermischt, xu liegen, w&hrend
im übrigen Theil der Aeini ein Detritus von Kornchen und Tröpfchen die
ZwischenrÄume der Capillaren füllt. Ks wird (besonders zum Unterschied
von der bei acuter Phosphurvergiftung vorliegenden LeberveränderungJ be-
tont, dass die hier zu beobachtende Zellentrfibung und Detritusblldung
meist nur kleine Fetttröpfchen aufweist , dass die Zellen ferner schon bei
Beginn der Degenoratinn sich zu verkleinern jiflejren (wie ich in einzelnen
Fällen '''j mikroskopisch feststellen konnte), und dass, wo ausnahmsweise
das Bild von durch Fett aufgeblähten Zellen oder von Detritus grosser
Fetttropfea entsteht, es den Anschein hat, als rührte dies von einer schon
vor Eintritt der Atrophio bestehenden Fettinfiltration der Zellen her. — An
mit kernfärbenden Mitteln behandelten Präparaten zeigen sich oft schon in
den Anfangsstadien des Proccsses die Kerne der Leberzellen wenig oder
gar nicht firbbar. Doch finde ich dies, wie auch von anderer Seite i')
uiyiu^Lü by Google
Leberatrophte.
175
angegeben ist, nicht als allgemeine Regel : öfters scheint ein Theil der Zell-
kerne sich Unger tn erhaKen, und auch ans dem ZeUdetiitufl treten nicht
selten einzelne Kerne gut gefärbt hervor. — Von verschiedenen Beobachtern
konnte übrigens im Beginn des Procpsses (in der gelben Su])8tanz) auch
eine beträchtliche Proliferation der Leberzellen nachgewiesen werden.
Das interlobolftre Gewebe, sowie das die Capillaren In die Acini be-
gleitende Bindegewebe ersebeint in manchen Fällen normal, abgesehen von
eingelagerten Fetttröpfchon , die wohl zum Theil don Wanden der kleinen
Gefässe angehören. In anderen Phallen umgiebt, wie dies besonders Frerichs
beschreibt, an den Stellen des noch frischen Processes eine schmutzig gr&u-
gelbe Biaadatachieht die Aelni. In einer grösseren Aniahl von Sellen wird
endlich die parenchymatöse AffecUon von einer ausgesprochenen klein-
zelligen interstitiellen Wucherung begleitet, welche namentlich an
gefärbten Schnitten sehr frappante Bilder giebt. Seitdem ich 1864 zwei
FlUe, bei denen diet Verhalten sehr auffeilend war, als Hepatitis dlHasa
parenchymat et interstitia]. besdurieb i*) , habe ich bei der Mehrzahl der
seitdem von mir genauer untersuchten Leberatrophien dasselbe wieder ge-
funden, im Ganzen 9mal unter 12 Fällen, davon :imal nur schwächer, 6raal
sehr stark ausgesprochen. Dabei ist die interstitielle Wucherung überall als
frische, mit dem parenchymatösen Zellenserfall im Alter nnd Umfang
parallel gehende zu erkennen. Auch von anderen Beobachtern sind in einer
Reihe einzelner Fälle ähnliche Befunde angegeben. Es sei bemerkt, dass
diese interstitielle Affection zum Theil die nur massige oder fehlende Ver-
kleinerung der Leber in manchen Fällen erlKÜrt: einen Umstand, der in
anderen Fällen durch früher bestehende Fettle1>er oder sonstige Volnms-
zanahrae des Organes verständlich wird.
In den stärker atrophischen Leberpartien (der rothen Substanz) werden
häufig neben dem Parenchymzerfall auch Regenerationsvorgänge am
Rand der Acini und in ihrem foneren gefunden. Hierher g^Sren die snerst
besonders von Elebs und von Zsnker>°) beschriebenen schlauchförmigen,
aus epithelialen Zellen zusammengesetzten Gebilde, welche von vielen
späteren Beobachtern bestätigt und als Qallengangs Wucherungen, respective
regenerative Anlagen von I^bentellenbaUcen gedeutet worden sind. Nach
den neuesten Untersuchungen*^) nehmen diese Regenerationsproeesse sowohl
von den Gallencapillaren wie von don Rosten der Leberzellengruppen ihren
Anfang. Als später Ausgang sehr energischer derartiger Regenerationsvor-
gänge ist in einem Fall der Befund einer multiplen knotigen Hyperplasie
der Leber gedeutet worden.**)
Vielfach hat man sich neuerdings bemflht, in der acut atrophischen
Leber Mikroorganismen nachzuweisen, um der nahe liegenden Vormu-
thung einer infectiüsen Grundlage der Leberentartung Bestätigung zu ver-
schaffen. Doch haben diese Untersuchangen bisher keine l>eweisenden posi-
tiven Eksebnisse geliefert. Zwar haben einige Beobachter Angaben über
neue, charakteristisch scheinende Bakterien gemachl , welche theils als
Bacillen, theils als Kokken geschildert und vorwiegend in den kleinen Ge-
HssMi und Capillaren der erkrankten Leber, zum Theil aber auch in dem
Leberparenchym und den GallengSngen gefunden wurden Aodt sind diese
Befünde nicht genügend bestätigt. — Andere Beobachter der letzten Jahre
wiesen eine Anzahl von bekannten pathogenen Mikroorganismen in der
Leber (zum Theil auch in den Nieren und im Blut) nach-*}; darunter be-
fanden sich, theils isollrt, theils an mehreren gleichzeitig, besonders Baot.
coli, Stapbylococc. pyogen, alb. und Streptococc. pyogen., einmal auch Pneu-
moniekokken und Bact. termo. Doch können diese l^ funde, wie auch die
Beobachter grösstentheils betonen, keine specifische Bedeutung für die Aetio-
logie der Krankheit beanspruchen. — Und diesen Angaben steht eine Reihe
uiym^L-ü Ly Google
176
Leberatrophie.
von Beolmebtimgeii fegenflber, bei denen trots regelrechter baktariologiMdier
Untf^rsuchung: keine Spar von Mikrooignalsmen In der Leber entdeckt
werden konnte. -•' i
Kndlich finden sich, wie auch Fkbkichs saerst angab, nicht selten im
atropbieehen Parenehym, mit dem Liegen an der Luft snnehmend, Kryetalle
von Tyrosin und Leucin in Garben- nnd Drusenform, dieselben nach blewellen
an der Innenfläche der Lebervenen und Pfortader.
Die Schwere der Organveränderung ergaben auch chemische Unter-
snöhnngen der atrophischen Leberenbetanz*«), welche die nach Pirls fQr
fettige Degeneration charakteristischen Veränderungen (geringe Zunahme
des Fettes, Abnahmf der festen Bestandthelle, keino Abnahme des Wassers)
zeigten. In einem Fall wurde auch in der Leber (ebenso in Milz und Niere)
ein beträchtlicher Gehalt an Pepton und Hemialbaminose nachgewiesen. ")
Die gröberen Gallengftnge nnd die Gallenblaae linden sieh meltt leer
oder mit wenig gefftrbtem schleimigem Inhalt; die feineren Gallengänge oft
durch Detritusmassen verstopft, Btellenweise noch durch umliegende Binde-
gewebs Wucherung vereng^
Die Verftnderungen der übrigen Organe treten gegen die der Leber
sehr surüek. Als hauptsächlichste sind sn nennen: Icterus aller Organe«
Blutun<ren , meist kleineren Umfanges, an vielen Stellen des Körpers, am
häufigsten im Gebiet der Pfortaderwurzeln (Peritoneum, Mesenterium, Magen-
und Darmschleimhaut), ferner im Unterhautgewebe, Mediastinum, Endo- nnd
Perlcard, Harnblase, Lnngen etc. Kömige und fettige Degeneratioa des Hera-
muskels, eines Theiles der Körpermusculatur und der Nierenepithelien , bei
letzteren oft stark vorgeschritten, während das interstitielle Gewebe iiitact
bleibt; ab und zu sogar umfangreiche Epithelnekrose, besonders in den ge-
wundenen NierencanUchen. Endlieh sehr häufig (nach gesammelten Br-
fahrnagen In etwa zwei Drittel der Fälle) ein frisoher Milstumor.
Diesen pathologisch-anatomischen VerändeninEren entspricht ein sehr
constantes, typisches klinisches Bild: Dasselbe setzt sich stets aus
swei Stadien zusammen, von denen das erste anter leichteren gastrischen
und hepatiseheii Symptomen, das swelte unter dem Bild tiefer LeberatÖrung
und hefti)B:er Cerebralerscheinungen verläuft. Ersteres ist das längere und
beträfet 8 — 14 Tafre; die Fälle, bei denen es viel kürzer angep^eben ist, be-
treffen meistens Schwangere, bei welchen der Anfang der leichten Beschwer-
den nioht seharf sn oontrollren ist; in Ausnahmefällen sieht es sieh auf
6—8 Wochen hin. — Das zweite Stadium (schwere Erseheüiungen) dauert am
häufigsten zwei Tage mach Tiiirrfei.der s Zusammenstellung unter 1 1 ^ Fällen
72mal zwischen l'/« und 3 Tagen); es kann auch in 24 Stunden und weniger
verlaufen; eine Dauer von gegen 8 Tagen oder darQber ist grosse Aus-
nahme. — Der gaase Kraakheits verlauf schwankt (naeh lOS Fällen bei Thierp
FELDER) zwischen vier Tagen und acht Wochen, davon .'):3 Fälle zwischen
8 Tagen und 3 Wochen. Die etwas langsamer verlaufenden Fälle al.s »chro-
nische gelbe Leberairophie« abzutrennen, wie vorgeschlagen worden ist^^),
erscheint ungerechtfertigt
Die Symptome des ersten Stadium unterscheiden sich in nichts von
denen eines gewöhnlichen Gastroenterokatarrhs und bestehen besonders in
Abgeschlsgenheit, Appetitlosigkeit, Kopfschmerz, Unregelmässigkeit des
Stahles und Bmpfindliehkeit des Leibes. Dnsu kommt mutans, oft aber
erst wenige Tage vor Eintritt der schweren Symptome, ein leiehter Icterus,
der zunächst den Eindruck des katarrhalischen macht.
Der Uebergang zum zweiten Stadium ist meist schnell, oft ganz
plötzlich. Er wird besonders durch den Eintritt schwerer liirnsymptome
charakterlsirt Der Kopfsohmwz steigert sich sehnell und geht in Delirien
Ober, die oft furibund sind. Meist bestehen dabei vorfibergehend allgemeine
Leberatrophie.
177
Convulsionen und Muskelzittern. Die Delirien wechseln entweder mit Som-
nolens oder gehen bald in dieselbe über; jedenfalls liegt der Kranke einige
Zeit vor dem Tod in tiefem Koma. — Gleichzeitig mit dem Anfang der
schweren Cerebralsymptorae pflef^t der Icterus schnell zuzunehmen, so dass
er vor dem Tod meist eine tief schwefelgelbe oder orangegelbe Farbe er-
reieht. Nnr in aasnahmsweise schnell verlaufenen Eitlen fderen einen Bau-
BBRGER 3'^) mittheilt) fehlte der Icterus ganz.
Das Hauptsyraptom bildet dabei der Nachweis der schnellen Ab-
nahme des Leberumfanf^es : meist ist. wenn dauernde Beobachtung
möglich, die Leberdämpfung in diesen Tagen als sich schnell von unten
herauf verkleinernd tn verfolgen, bis dieselbe, entsprediend dem ZnrQck'
sinken der Leber nach der Wirbelsäule zu, ganz oder fast ganz vorschwindet.
Wo die Verkleinerung der Leberdämpfung: fehlt, können Verwachsungen der
Leberoberfläche, welche das schlaffe Organ in situ erhalten, die Ursache
hiervon sein.») — Dabei ist die Schmershaftigkelt der Lebergegend
eine grosse: entgegen den Angaben mancher Beobachter fand ich dieselbe
allemal so auffallend, dass trotz des tiofsten Koma die Kranken bei Druck
im rechten Hypochondrium lebhafte Scbmerziiusserungen machten.
Ein weiteres fast constantes Symptom dieses Stadium ist Erbrechen,
das anfangs gallige, spftter meist blutige Massen entleert; auch der Stuhl-
gang, gewöhnlich angehalten, besteht vor dem Tod oft aus theerarligen
Massen. Nasenbluten, Hämaturie, Hautpetechicn sind seltener: l)oi Schwan-
geren dagegen stellt sich oft kurz vor dem Ende unter eintretendem Abort
starke Metrorrhagie ein. — Ein Mllstnmor ist in der grösseren HUfte der PSIle
nachweisbar. - Der Puls ist sehr wediselnd, meist aussetzend, erreicht gegen
Ende oft sehr hohe Fre([uenz. Temperaturerhöhung fehlt entweder bis zu-
letzt (die finale Temperatur kann sogar subnormal, z. B. 34,6*' sein) oder
steigt kura vor dem Tod bis 40° und darfiber.
Wichtige Stoffweohselftndernngen seigt der Urin im Vm'lauf der
Krankheit an. Seine Menge wird gegen Ende derselben oft gering, am letzten
Tag besteht bisweilen vollständige Anurie. Ausser Gallenpigment und Galleu-
säuren enthält er meist Eiweiss in geringer Menge, keinen Zucker, kurz
vor dem Tod oft Cylinder mit verfetteten Nierenepithellen. — Die Haupt-
verftnderungen ergiebt nur eine genauere chemische Analyse. Haben auch in
dieser Beziehung die neuesten Untersuchunsrcn die von den alteren Be-
obachtern für beinahe constant gehaltenen Befunde eiuigermassen modificirt, so
bleibt doch ein Typus der Hamveränderungen bestehen, welcher der Er-
fahrung nach in den ausgesprochenen, mit gewohnter Acaitftt verlaufenden
Fällen für das Kndstadium die Regel bildet: Bei diesen nimmt mm Kintrilt
des starken Icterus und der Hirnsymptome an der Harnstoff im I rin nH>isT
schnell ab, so dass er in der letzten Lebenszeit oft auf ein 2^1inimum redu-
cirt ist ; bei solchen Urinen ist selbst im eingedampften Alkoholextract durch
Salpetersäuresusatz meist keine oder nur ganz schwadhe Ausscheidung von
salpetersaurem Harnstoff zu erhalten. In einitrt n der von mir beobachteten
Fälle konnten auch durch die BuNSEN sche Bestimmungsmethode nur äusserst
geringe Hamstotfiahlen nachgewiesen werden. Entgegengesetzte Angaben aus
älterer Zeit, wie s. B. die von Rosbnstein '3) gemachten, k>eruhen zum Theil
darauf, dass die LiEnio'sche Titrirmethode hier fehlerhafte Resultate liefert,
indem sie manche der aussergewöhnlithen stickst offhali ij^cn Harnhestand-
theiie mitbestimmt. Doch sind in neuester Zeit auch mit zuverlässigen
Methoden bei einer kleinen Anzahl von Erkranknngsfällen Hamstoffsahlen
gefunden worden, welche, wenn auch nicht absolut gross, doch im Verhält-
niss zur Gesammtstickstoffausscheidung als nicht unbedeutend gelten müssen.
So fand z. B. ein neuer Beobachter ^-j unter drei Fällen von acuter Leber-
atrophie den Harnstoff relativ zweimal stark vermindert, einmal vermehrt:
BMjalflp. JalirbaBhar. VII. 12
Dlgitizeu l> ^oogle
178
Leberatrophie.
und ein anderer'*) kommt nach zwei beobachteten Fällen zu dem Schluss,
doM die relative HametoffauBscheidung bei der Krankheit nieht wesentlich
▼erindert sei. Doeh nraea berfleksfehtigt werden^ data gerade die letxteren
Angaben sich auf ofwas protrahirt verlaufende Fälle beziehen, bei welchen
eine längere Reihe von Tap:on Harnuntersucliungen anffesfellt werden konnten,
und die gefundenen Werlhe sich daher zum grossen Theil auf eine frühere
Kraokbeltsperiode bestehen. — Immerhin mnes nach den neuen Erfahrungen
angenommen werden, dass die Verringerung der Harnst offaaeBcheidnng b<*i
der acuten Leberatrophie gröaeeren individuellen Schwankungen, als man
früher glaubte, unterliegt.
Statt dee Hametoffee und neben demselben tritt nun ehie Reihe von
anderen (in der Norm nicht tu findenden) Prodncten der regressiven Metsr
morphose im I'rin auf. In erster Linie stehen dabei Tyrosin und Lr'ucin
(welche zuerst Fherichs hier fand); ferner Pepton nebst verwnnflten Körpern
und aus der Reihe der aromatischen Säuren : üxyniandels&ure und daneben
Fleiscbmilchs&ure (Scbultzbii und Ribss). Von diesen Substansen sind am
leichtesten aus dem Urin darzustellen Tyrosin und Leucin, weiche meist in
beträchtlicher Monge vorhanden sind. Nach neueren Erfahrungen können
dieselben allerdings auch ab und zu fehlen; doch trifft dies anscheinend
nur bei seltenen Ausnahmen su: unter 14 von mir genau untersuchten
Fällen nur einmal. Tyrosin ist in einzelnen Fällen schon im spontanen Ham-
sediment zu finden ; heim Kindampfen grr)sserer LVinmengen (am besten
nach Ausfällen mit Hleizuckerj scheiden sich beide Substanzen in charakte-
ristischen Formen aus ; oft genügt dazu schon das Kindampfen einiger
TropfMi (unter Zusats von Essigsfture) auf dem Objeotglas. Auch konnte
Tyrosin im Blut der Kranken nachgewiesen werden."')
Von anderen sticit.stoffhaitigen Harnbcstanrlt heilen betrafen die wenigen
vorliegenden Untersuchungen namentlich Ammoniak, Harnsäure und Xanthin-
körper **) ; die Befunde schwankten, ergaben aber wiederholt nennenswerthe
Steigerung derselben. Genauere Stoffwechseluntersuchungen sind natürlich
bei den Kranken unmöglich, oft sogar die Nahrungsaufnahme nicht einma!
annähernd zu taxiren. Trotzdem sind einige der neueren Beobachtungen
ausreichend, um zu zeigen, dass die Gesammtstickstoffausscheidung auch
bei st&rkster Hamstoffverminderung im Ganzen hoch steht. Ja im Verhftltp
niss zu den Einnahmen stark gesteigert sein kann ^' . wie dies hoi dem
reichlichen Auftreten abnormer stickstoffhaltiger Substanzen im Urin zu er-
warten ist.
Nach Allem bietet der Harn bei der acuten Leberatrophie, in wechseln-
der Intensität, das Bild starken F^iweisszerfalles dar. bei welchem die nor-
malen Endproducte zum Theil fehlen und durch Substanzen ersetzt werden,
die wir grösstentheils als intermediäre Producte des Eiweissstoffwechsels
ansehen.
Die Diagnose der ausgesprochenen Krankheit (im «weiten Stadium)
wird bei Berücksichtigung aller besprochenen Punkte meist nicht schwer
sein: im Vorläuferstadium ist sie nie mötrlich. Ueber die Differenzpunkte
gegenüber der Phosphorvergiftung siehe bei dieser.
Als Ausgang der Krankheit sah man bis vor Kursem nur den Tod
an. Einige frühere Fälle, in denen Genesung ane:egeben war'»), schienen in
der Diatmose nicht zweifellos su sein. Doch sind neuerdings einige Fälle
milgetheilt. welche allerdings den Eindruck einer in Heilung übergeben-
den acuten Leberatropbie machen. Hierzu gehSrt eine von WmstNG >*)
bekanntgemachte Beobachtung, bei welcher die Diagnose sich auf die Sym-
ptome : Icterus, Verkleinerung und Schnierzhaftijrkeit der Leber, Milzschwel-
lung. Cerebralerscheinungen und Auftreten vnn Leucin und Tyrosin im Urin
stützte, und der Krankheitsverlauf bis zur Herstellung 7 Monate umfasste;
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Leberatrophie<
179
sowie ein von Senator *c) mitgetheilter Fall, der anscheinend mit Syphilis
In Verbindung stand, ebenfalls leterns, Leberverkleinerang, Hirnsymptome
und Ty rosin im Harn zeigte und nach 41/, Monaten in Heilung Oberging.
Sind solche Fälle auch seltene Ausnahmen, so bleiben sie doch nichts Un-
erklärliches, wenn man an die Möglichkeit, dass manche Leberpartien von
der Brkrankang frei bleiben, sowie an die oben erwähnten enei^ilsohen Be-
KenorationsTorgftnge denkt, weldie snch bei den tödtUohen PUIen vielfaeh
im Leberparenchym gefunden werden.
Die Therapie kann nur symptomatisch sein und hat sich in dieser
Beziehung besonders mit Stillung des Erbrechens (Eis, Wismuth) und der
Blntongen (Kftlte, AdstringentlenX mit Bekftmpfang der Cerebralersehelnvngmi
(Eis, Uebergiessungen, Blutentziehungen) und des Collapses (Analeptica) m
beschäftigen. In den zweifelhaften günstig verlaufenen Fällen schienen zum
Tbeil Abführmittel und Mineralsäuren gut zu wirken ; in Hinsicht au! die
Mögliehkeit ^ner Besserung ist bei dem Versagen der Nahrongsaafnahme
per OS rrQhseltig an Erhaltung d» KörperkrSfte dnreh Nährklystlere sn
denken.
Ueber das Wesen der Krankheit herrscht noch grosse Meinungs-
verschiedenheit. Namentlich ist die seit langer Zeit aufgestellte Frage, ob
sie als allgemeine (Intections») oder als looale (Leber^) Krankheit ansusehen
sei, noch unentschieden. Doch scheint es. als ob die Auffassung derselben
als primärer entz find lieber Leberaff ec( ion die meisten Gründe für
sich hat. Das Vorwiegen der Veränderungen in der Leber vor denen aller
fibrigen Organe and das Hin weisen der banptsichlichsten Krankheitssym-
ptome, schon in den Prodromen, auf die Leber spricht für das primäre Be-
fallensein dieses Orpanes. Die entzündliche Natur der Affection wird durch
den den parenchymatösen Entzündungen anderer Organe analogen, mitZellen-
proliferatioa ▼ermischten Zerfall der Leberzellen, durch das ^on Frrmohs
geschilderte Auftreten einer die Acini umgebenden Ezsudatschicht und nicht
zum wenigsten durch die nach meinen Erfahrungen so häufige Bethoiligung
des interstitiellen Gewehes in Form frischer Wucherunfc frokonn/eichnet.
Somit scheint dem Wesen der Erkrankung die Benennung Hepatitis dif-
fusa acuta am besten xu entsprechen.
Auch werden die Hauptsymptome des Leidens von der entzündlichen
Leberaffection aus genügend erklärt: der Icterus findet seine Begründung
durch die zunächst in der Peripherie der Acini stattfindende Exsudation,
Dettitnsbildung und interstitielle Bindegewebswueherung , durdi welche die
feineren Gallengänge verstopft oder comprimirt werden. — FQr die Ent-
stehung der Cerebralsymptome sind verschiedene Hypothesen aufjrestellt,
aus deren Zahl die Ableitung von der Wirkung der üallensäurf im J^lut
von urämischer Intoxication, von Inanitiuusdelirien genannt seien ; sie alle
sind weniger plausibel, als die ErkUrung durch Acholie, d.h. Aufbebung
der Leberfunction und dadurch bedingte Ansammlung schädlicher Stoffe im
Blut. W'elches die schädlichen Stoffe, deren Anwesenheit die Cerebralsym-
ptome provocirt, seien, ist allerdings noch immer nicht bekannt ; dass Tyrusin
und Leuctn es nicht sind, ist schon von Frbrichs eonstatirt
Ebenfalls als directe Folge des Unterganges der grossen, den Stoffwechsel
mächtig beeinfhissenrien Drüse ist die chemisclie Alteration des l'rins und
die ihr analog anzunehmende Blutveränderunfr; aufzufas.sen. Besomlcrs plau-
sibel erschien dies nach den früheren, mehr eindeutigen Befunden über die
oonstante schnelle Abnahme des Harnstoffes Im Urin gleichseitig mit den
Zeichen des Leborunt erganges, da nach der verbreitetsten Anschauun^r der
Hauptsitz der Harnst offbildunp: in das Leberparenchym verlept wird. Aber
auch die neuen Erfahrungen, nach denen in einem Theil der Fälle der Urin
bis suletit einen nicht unbetrftchtlichen Harnstoffgehalt zeigt, dürfen nicht
12*
uiyiu^Lü by Google
180
Leberatrophie.
überraschen. Denn abgesehen davon, dass auch die neuesten experinieuteliea
UnterauebiiDgeii nicht übereinstinunaid aaf die Leber allein als Sits der
Hamstoffbereitung hinweise n, ist bei dem KtQrmiaehen Ablauf des Leber-
processes in keinem Fall zu bestimmen, wie lan^e vor dem Tnd die Func-
tion des Organs als grösstentbeils oder gar vollständig aufgehoben anzusehen
ist; und bei dem tiefen Darniederliegen der Ciroulation, der Nerventhätigkeit
nnd beinahe aller vitalen Vonringe in dem Endstadinm, welebee die meisten
hierher gehörigen Untersuchunpen betroffen, erscheint es fraglich, ob das
zuletzt untersuchte Nierenexcret immer thatsächllch dem finalen Zustand der
Körperorgane entspricht. — Als weitere Wirkung der Blutveränderung sind
die parenchymatösen Degenerationen von Hens, Körpermnslceln, Nlereneplthe-
lien etc., femer die multiph'n Blutungen aufzufassen. Zum Thei) von dieser
Blatalteration. zum Theil von Störung der LebercircalaUon hängt auch jeden-
falls der Milztumor ab.
Schon diese Betrachtungen genügen sar Answelflnng der Nothwendig-
keit, die aonte Lel>eratrophie als allgemebie Infectionsicrankheit anfsofassenf
wie viele Beobachter jetzt thun. SelbstverstSndllch ist eine hesonden' Schäd-
lichkeit zu supponiren. deren Aufnahme in den KörjMT die Lehersubstanz
zur entzündlichen Degeneration anregt; denn die Annahme intrahepatischer
Ursachen (wie die von Rokitansky anfigestellte Oallenoolliqnation , die von
Hbhoch^ I angenommene Polycholie oder die von Dusch supponirte Läh-
mung der Gallen{2:!ing:e f dürfte aufgegeben sein. Und bei der primären und
in gewissem Sinn isolirten Erkrankung der Leber kann die Einfuhr des
Giftes kaom anders als vom Verdannngscanal aus anf dem Weg der Pfort»
ader vorsohreitend gedacht werden. — Aber welcher Nator diese aus dem
Mafrcndarmcanal stammende SchädIichk<Mt sein soll, ist noch unbekannt.
Dafür, dass dieselbe an die Kinwanderuntf specifischer pathofjencr Bakterien
in die Leber geknüpft ist, sprechen die oben erwähnten bisherigen bakterio-
logischen Untersuobnngen mit ihren theils negativa, thells nicht charakteristi-
schen Befunden in keiner Weise. — Es scheint daher bis ietst die Annahme ge>
rechtfertigt, dass eine chemische Noxe, die vom Verdauungscan n ! aus
in die Pfortader-Blutbahn tritt, die Erkrankung auslöst. Ob zur Entstehung
diesw Noxe ffie Mitwirkung bestimmter Baktwlen erforderiidi ist oder nichts
ob wir also im engeren Sinn mit einem bakteriellen Toxin oder nur einem
Zersetzun^^sprodiiot des Magendarminhaltes zu rechnen haben, muss noch
nnentfichieden bleiben. In diesem Sinn sj)rich( sich auch eine Reihe neuerer
Beobachter für eine vom Magendarmcanal ausgeheude Iniuxicatiun, die theils
als Ptomainverg^ftung, theils als Toxinlnfection beseichnet wird, als ürsaohe
der Krankheit aus.
Dafür, dass das Krankheit sg^ift mit dem Contapium allgemeiner Infec-
tionskrankheiten, wie des Typhus, der Puerperalseptikämie u. A. verwandt
sei, spricht nichts mit Bestimmtheit. Denn der Umstand, dass die acnte
Leberatrophie sieh bisweilen ans acuten Infectionskrankheiten, wie Typhos,
und sehr oft aus Gravidität und Puerperium heraus entwickelt, beweist
nichts für diese Annahme ; der Zusammenhang ist vielmehr wohl einfach so
zu erklären, dass bei den genannten Zuständen in den Pareuchymzellen der
Leber (wie anderer Organe) ein gewisser Orad von Alteration (körnige
TrObong) besteht, der su einer tieferen Störung des Parenchyms geneigt
macht, und bei dem ein schwächerer Kntzündunsrsreiz als in der Norm ge-
nügt, um den deletären Zerfallsprocess der Zellen einzuleiten.
Letzterer Zusammenhang besteht auch bei einer kleinen Reihe von
Fällen, die der idiopathischen acuten Leberatrophie als secnndäre Form
der acuten Leberatrophie gegenüber gestellt werden können: in denen
sich nämlich das Bild der acuten Atrophie als Endstadium »«iner anderen
chruniächeu Leberkrankheit einstellt. Als Zustünde, in deren Gefolge diese
uiym^L-ü Ly Google '
i
Leberatrophfe.
181
Entwicklung eintreten kann, führt Frebichs Gallenstase durch Unwegsamkeit
der grossen Oallengänge (z. B. durch Carcinotn an der Porta hepat.), Clr-
rhose und Pettleber an. Das Ufnf sehe Bild ändert irieh hier üuofem, ala yon
einem ersten Stadium der atrophischen Erkrankung keine Rede sein kann:
an die Erscheinungen des chronischen Leidens schliesst sich vielmehr plötz-
lich der Symplomencomplex der Acholie mit Delirien, Somnolenz etc. an;
die Seetion erweist nei»en der alten LebenrerSnderong den Zerfall einer
grossMi Mmge von Zellen.
Literatur: ') FREBmis, Klinik der Lcticrkrnnklir-itfii. 1861. 1. pag. 257 ff. — *) Waootib,
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L.iyu,^cd by Google
182
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Toft Harn und Leiter bei einem Fall TOn acnter Leberatropbie. Berliner klin. Wochenscbr.
1888, Nr. 43 und 44. Richter, 1. c. — ") v. Nooboem, Lehrbach der Patholoffie de« Stoff-
wechseln. Ik'rlin 18!).i. \y.ig. 291. Kichtkr, l. c. - *") Frkkic hh, 1. c. pag. 2.31. Lkichtks-
tTMu i, ZeiUchr. f. ration. Med. &XXV1, pag. 241. Vielleicht auch die gttnatig Terlaulenen
FiUe bei Aavoobi», 1. «. — ^ Wnena, Amte felbe LebwatropUe mit gfliMt^eoi Amgwag.
Verhandl. d. physik.-med. Oost lhcb. za Würzbur^r XXVI. Nr. 3. — *'^) Skkatok, Acute
Leberatropbie mit AuHgaiif^ in iieilunjf. Charitt-AiinaU ii. 18ÜH, XVIII, pap. 328. — *') Lkydks,
Beiträge zur Pathologie des Icterus. 1866, pag. 159 ff. — **) Traube bei FaiNTZKL. H«Mliner
klin. Wochenschr. 1877, Nr. 47 und 48. — **) Hnoca, KUuik der Uoterleibskrankbeitea.
1863, pag. 202. -* **) Dübch, Znr Pathologie des letenn tmd der gelben Atrophie der
Leber. Leipzig 18.")4. — *') van IIkckklom, 1. c. (». oben Nr. 11). Gabdi, 1. e. Poddkv, Drei
Fälle TOD idiopathischer acuter Leberatrophie. Inaug.-Disseri. Königsberg 1892. Pbbdbaii
md Macallüm, 1. c.
Znm .^^tndium der Einzelpnnkte sind zu empfehlen: Fhkhichs ') (s. oben), HAiinKKiiKK '"i,
LiEBKiiMKisTBx ") , Lktdbh*'), Scbultzkn Und KiESB und die erschöplende monograpiii»eiic
Znaammenatdlimg Tbompiunr'), woadbit andi genanei Yemidmiia der UtereB
Literatur. Sieaa,
Leucln im Harn, vergl. Leberatrophie, pag. 178.
Unadin (von lien, Milz), ein von der Firma F. Hoff mann Laroche
ft Comp, in Basel dargestelltes organotherapeatisches Pr¶t, welches die
wirksamen Bestandtheile der Milz in trockener, bestündiger Purin enthält.
Das l.inadin wird in einer Ausbeute von 10% aus der frisrhcn Milz ge-
wonnen; es stellt ein dunkles feines Pulver dar, fast geruchlos, von deut-
lichem LeberUirangeschmack; in Wasser unldsUch, beim Kochen mit ver-
dttnnter Essigsfture gelatinlrend; concentrirte Hineralsivren spalten das
Produrt. Das Linadin {riebt hv'i der V(>raschung ^-OC)" Rückstand. \v«'lcher viel
Phospliorsiiurc und Eisen enthält. E. Harem, stellte den Eiseng'ehalt des
Linadins auf U,8 — 1,0% Eiseiioxyd fest und wies in dem Präparate Jod
nach, und swar enthält die Müs nach B. Barbll's Bestimmung 3.75 — 5, das
Unadin b.o — 7.5mal mehr Jod als die Schilddrüse.
Literatur: £. Babsu-, Orgaootherapeatisebe MitttaeUuogeo. Pliarm. Ztg. 1896, Nr. 112.
Loretln^ von Prof. Ad. Claus dargestellt, ist nach seiner chemischen
Constitution, Orthooxychinoiin-Meta-Jod-ana-Sulfonsäure,
C9H,N(0H ,
wurde von Schinzixc.er wejren seines Geliallos an Jod. das in diesem Falle
mit einem Chinolinderivate verlninden ist und wejren seiner (ieriichlosigkeit.
als Ersatzmittel des Jodoforms empfohlen. Claus hebt hervor, dass das
Loretin. wenn es mit den Eiterxellen, mit Bakterien und in Zersetzung
befindlichen organischen Materien in Ber&hning kommt, mit dr» chemischen
Substanz derselben doppelte I rnsetzungen eingehl. Da aber hierbei eine
Bildung von Jodwasserstoff nicht eintritt, so kann auch Abscheidung von
freiem Jod nicht erfolgen, sondern der gante Jodgehalt des zur antiseptischen
Wirkung gekommenen, also zersetzten, Loretins befindet sich in Qestalt irgend
welcher, bis jetzt noch nicht bekannter chemisclier Verhindiingen als Be-
standtbeil in dem durch das Loret in erzeu^-t en .Schorf. So wird es erklärlich,
dass sich von all den unangenehmen Nebenwirkungen, von welchen die
meisten anderen Jodmittel in der Praxis begleitet sind, gerade die An-
wendung des Loretins vollkommen frei gezeigt hat.
Da« Loretio bildet ein gellMa, krystaUini»ches, gerachlottes Pulver, wdehei in Wasser
vod anch in Aikobol nur wenig lOsli^ (bei gewöhnlicher Temperatnr noeh nicht 0,0" „), in
Aetber und Oel unliisilieli ist. Es sebmilzt bei 27(i' (' uiiti r /,^■r^etzull(^ und Kntwicklnng von
Jddiliiinpfen. Mit Aetiier, Oel und CoUodium bildet « ^ Kniulsioneu. Als äulfousilure bildet ilas
Luretiii mit Metalloxvden .<>.ilze; von diesi ti sind die AlkaliBalze mit orangerotber Farbe in
Waaaer leicht lü>lieli; das Kalks*.ilz i-t in W a-^^« r uiilüslieh.
Das Loretin hat bei behiiiiülung von Wunden ^^nucli Operationen, auch
septischen, femer Brandwunden) in der Chburgie. Qberdies in der Augenheil- «
knode und Dermatologie bis nun in ausgedehntem Misse Anwendung gefunden.
by Google
Loretin. — Lungenhellstfitten.
183
Dabt'i hat es weder localo noch allgemeine toxische Erscheinungen hervor-
gerufen. Dem Jodoform gegenüber wird betont» dass es weit weniger zu Granu-
lationswucberuDg fflhrt^ die Seo^etion mehr beschrihikt und gut desodorisirt
A n w 0 n d u n g. a) Als wässerige L o r e t i n I o s ii n 2 : 1 0' " ». zu
Waschiuigen. Bädern etc. ; fn als 5 — 10" „i^'e Lorotinsall)e mit Vaseiin und
Lanolin; cj als Loretiustäbchen 5% und lO"/«; Jj als Loretingaze
fertig herg^tellt, eie kann im Trockenschranke eterilieirt werden; ^ als
Loretineollodiiiraemulsion 4Vo; O ala Streupulver mit Tale, oder
Mignesia usta u s. w.
Das Lureiinwismuth, Bismuthum loretinicutu , wird besonders zur
Drfisenwundbeltandlang, auch fOr dermatologische Zweite in der Kinderheil-
kunde statt des ZinkSles empfohlen. Innerlich kam das Bismuthunt lore-
tinicum bisher nur in beschränktem Massstabe bei Diarrhoen der Phthisiker
des letzten Stadiums zur Anwendun<r. wobei durcli Gaben von 0,'» Grm.. ein-
oder mehrmals täglich verabreicht, Beseitigung der Durchfälle erzielt wurde.
Mischt man Soda und Loretin und eomprimirt diese Mischung zu
Tabletten, so erhält man ein ausgezeichnetes Mittel zur H«rstdlling eines
desinficirenden Bades für die Hätide. Instrumente. Tische u. s. w. .Solche
Tabletten lösen sich in 1 Liter heissen Wassers leicht zu einer heilgelblich
gefärbten FIfissigkeit von stark keimtödtenden Eigenschaften.
Literatur: St-BiNziNaKK (Freibiir^; i. B.), Ueber ein ni-.ues Antim'pticum, das Loretin*
Yerhandl. d. GescUacb. deutscher Natnrforschcr u. Aerzte za NUraberg 1893. — Schmaddiol.
Neuere Erfabmiifren Ober die WiindbfliandlnDtr mit Loretin. MOncben 1894. — Khkbs, Neuere
Erfahninsren Obrr da» Lon-tin. Wiener kün. Wootu nsclir. 1S96, Nr. 7. — Ad. Claus, Ueber
das Loretin and die Art »einer VerwendaDK. MUncbener med. Wochenaohr. 189öi Nr. 10. —
B. KoBTT, Weitere MittheUasgen Uber dse Loretin. Ibidenit Nr. 28. — Tknu, Beitrige sor
WtmdbehsDdlsng mit Loretin. Wiener med. Wocheaielir. 1896, Nr. 21. Loebiaeh.
Lnftwece^ vergL Autoskopie, pag. 80.
L.illiS;eiibellstfltteil« »Von allen Volksseuehen fordert die Lungen-
schwindsucht die /.ahlreichsten Opfer. Mehr als eine Million beträgt nach
der Schätzung von Fachmännern die Zahl der Lungenkranken im Deutschen
Reiche, von denen jährlich etwa 130.000 dem Tode verfallen. Ein Zehntel,
in grösseren Städten sogar bis zu einem Siebentel aller Todesfälle, kommt
auf die Tuberkulose.« Mit diesen einleitenden Worten des Aufrufes des
»Comit^s zur Errichtung von Heilstätten fOr Lungenkranke des Stadt-
kreises Berlin und der Provinz Brandenburg«, möge auch dieser kurze
Beriebt über den ietzigen Stand der Heilstättenfrage begonnen werden.
Hellstätten fflr Lungenkranke! Der Name seist voraus, dass die Er-
bauung von Anstalten, in denen Lungenkranke nicht allein behandelt,
sondern sogar geheilt werden sollen oder wenigstens können, ins Auge
gefasst ist. Die Errichtung von besonderen Krankenhäusern für Brust-
kranke ist ia keineswegs ein neues Unternehmen, sondern schon vor
Jahren fai's Werk gesetst worden: bereits tu Anfang des Jahrhunderts
bestand in England, dem Lande, welches in Bezug auf Gesundheit s und
Krankenpflege vielfach eine führende Stellung eingenommen, ein Hospital
für unbemittelte Scrophulöse.
Die Frage der Errichtung von Sonderkrankenh&usem fflr Lungen-
kranke ist in den letzten .lahren auch in Deutschland eine brennende
geworden, immer dringender wurde die Not h wendigkeit der Errichtung
eigener Anstalten zar Aufnahme von Lungenkranken betont und augen-
blicklich hat die Bewegung eine Ausdehnung gewonnen, dass an hoffen
ist, dass in nieht aUsuferner Zeit bedeutende Ergebnisse erreleht werden.
Der Gedanke, Lungenkranke fernab von ihrer Behausung aufzunehmen
und zu verpflegen, ist uralt und auch bereit.s lange vor Erbauung der eng-
lischen eigentlich geschlossenen Anstallen ins Werk gesetzt worden. Man
uiyiu^Lü by Google
1S4
LuDgentaeflstfltten.
empfahl bereits im Alterthum Luftwechsel, Reisen, Aufenthalt an der See-
küste, alho die Anfänge einer Klimatotherapie. Auf dem VI. Congress für
innere Medlcia va Wiesbaden 1887 hat Dbttwbilbr ia einem Referate:
»Die Therapie der Phtbisis« einen interessanten geschichtlichen Ueberblick
zusammengestellt, aus dem sich ergiebt, dass >schon Hiphokhatrs in dem
Ortswechsel ein Heilmittel gesehen und in einer nachhippokraiihcben Schrift
gelehrt (wird), daee man den Kranken Ton der KeimetAtte seiner Krankheit
entfernen müsse. Cblsus war bereits ein consequenter Klimatotherapeutf
er empfahl für Phthisikpr mit guten Kräften Sepieisen, Reisen überhaupt,
Aufenthalt an der Öeeküste und für den Sommer auf dem Lande, ebenso
Aretakus; Plinius der Aeltere folgte ihm, legte aneb Werth auf die Iso-
latlOD, von ihm stammt die Empfehlnng der Nadelholzwälder. Qalbn schickte
seine Lungenkranken auf die Berge zur Milchcur (er liebte besonders den
Berg Angri bei Neapel) und meinte, dass jene sich in trockener Luft auf
Höben am woblsten befänden. Das Wesentlichste in seiner Therapie beruht
in dem Gegensatse xn den beimischen Verhältnissen, in der Reinheit der
Luft. Et war massgebend bis in's Mittelalter hinein, auch den arabischen
Aerzten, von denen Avicenna seine Kranken nach Kreta schickte, um die
Lungengeschwüre auszutrocknen, Katarrhe zu verhüten. Pakacelsls und
▼AN HnMOKT dachten und bandelten Sbniieh, letsterer batte sohon die
Kühnheit, den Wein bei Fieber zu empfehlen. Thomas Willis berichtet
bereits um 1(150 die interessante Thatsache, dass die P^ntrliin lor allwinter-
lich in Masse nach Südfrankreich zögen. Eine systematische Darstellung
der Klimatotherapie giebt Ende des 17. Jahrhunderts Baqlivi, der den
unnQtsen Gebrauch der Medioamente beklagt Auch Friedrich HoFniAinr
liefert eine erschöpfende Behandlung dieses Themas, auf dessen vortreff-
liche, von Thomas ausfiihrlirher wiodcrfreqrrbene Darstellung' leider nicht
näher eingegangen werden kann, ür riihini für Phtbisiker eine massig
feuchte Luft. Fallopia r&th, je nach Körperbescbatfenbeit, Habitus und
Temperament das Klima auszuwählen, ebenso Boerhave, vax Swietem und
QlLCHRiST, der den Werth des gesteigerten Luftdruckes betont. Gkegory
empfiehlt 1774 das Ueberschlagen des Winters im warmen Klima, dem er,
wie Spfttere, eine relaüve Immunit&t supponirt. Labnnbc starb im Glauben
an die Heilkraft der Meerluft, in einem Zimmer, auf dessen Boden Seetang
auf^gobreitet war, Hitelanp und ScnnxiETN versprachen sich mehr Nutzen
von der Hergluft Von grosser Bedeutung wurde die Annahme der
Immunität der Bergbewohner, bei einer bestimmten Erhebung über das
Meer, welche von Focas, Tschddi, MOhry u. A. ▼erfochten und spftter von
!3rehmer zur Mitgrnndlage einer neuen Behandlungsmethode gemacht wurde.
Brehmrr verdanken wir die ersten gesunden Anregungen und Anweisungen
7.U der rationelleren heutigen Therapie, obgleich seine vorzugsweise an die
Verminderung des Luftdruckes in unseren bewohnten Hdhen geknfipften
physiologisclien Folgerungen, wie Immunität und vermehrte, verstärku-
HerzafS et ion noch heute vielseitig bestrittene sind. Wenn er auch in dru
Hauptpunkte u unter Benützung Mac CoRMAKscher und PuiESäNiTZ scher
Grundsätze auf die schon von den Utesten Autoren befolgten Massnahmen
zurOckgriff, so glich doch seine Methode su ihrer Zeit, gegenfiber der bis
dahin üblichen lahmen Therapie, einer Art neuen Kntdecktinfr Ausserdem
ist sie noch dadurch interessant, dass sie in dem Hinweise auf die Bedeu-
tung des Herzens, rebp. die Ernährung der Lungenspitzen einen Berührungs-
punkt mit den neuesten Anschauungen findet. Hbrmarx Wbbbr, Rohdbn,
N'iRMEYER, die Davoser Aerzte und später die meisten Phthiseotherapeuten
lialuti die HuEHMKHsche l^ehandlung unter theilweiser Abänderung, Ah-
bchwächung und Veitiefung übernommen und so zur Verbreitung der
rationellen Therapie beigetragen.«
L.iyu,^cd by Google
LungenheilstAttcn.
185
In Deutschland hatte sich die Ansicht, dass die Phthise heilbar sei,
besonders durch die vun Bkehmer in Görbersdorf erzielten Erfolge unter
den Aenten laof^Mm Bahn gebrochen; das hftnfige Anffinden vernarbter
Processe in den Lungenspitzen von Personen, die an anderen Todesursachen
verstorben waren, bestätigrte die Meinung, dass die Phthise zur Heilung
gelangen könne und sogar viel häufiger als allgemein angenommen, ausheile.
Bsrnns nimmt sogar an, daaa wohl |eder Mensch einmal von der Tulier-
iciilose ergrilfen werde, diesen Vorgang aber li&nHg ohne merklwre Brscheinnn-
gen Oberstehe, w&hrend in einem Theile von Fällen dieser punstijEfe Ausgang
nicht eintrete, sondern das Leiden in ein florides Stadium gelange.
Leider waren nur wenige Kranke in der günstigen Lage, monatelang in
einer besonderen Anstalt snr Herstellnng ihrer Oesnndbeit zubringen tu
können. Es wurden noch fthnllehe AiHtalten wie die von Brehver errichtet,
in Reiboldsgrfin unter Drivrr, in Görbersdorf selbst von Römpler, in
Falkenstein unter Dettwbiler, in Davos, St Blasien, Kehburg und Honnef.
Die Heflerfolge waren in diesen allen gOnstige^ nnr war der Aufenthalt den
weniger Bemittelten niclit ragSa^g. Für die Behandlung hatte sich das
hypienisch-diatetische Heilverfahren hier glänzend bewährt, welches also
eine Naturheilmethode darstellt, ohne dass jedoch von den nothwendigen
Medicamenten gänzlich Abstand genommen warde.
Brbhmbr errichtete seine Anstalt 1855, erfuhr aber von vielen Seiten
zunächst Widersprüche and Anfeindungen, wie sich dies häufig in der Heil-
kunde bei Kmpfehlunpen und Einrichtunpen neuer Curverfabren ereigrnet.
Allerdings waren bei der Hrehmer sehen Theorie, welche ihn zur Errichtung
seiner Anstalt veranlasst, vorsilglieh swet sehr angreifbare Momente vor-
handen, von denen sich später herausgestellt dass sie in keiner Weise stich-
haltig waren. Ks war dies, wie schon oben an^Hführt. die Lehre von der Klein-
heit des Herzens als Ursache der Lungenschwindsucht und von der Immunität
der Gebirgsgegenden — hauptsAchlich des Riesengebirges — gegen Phthise.
Er selbst sprach sieh noch über letstere bei Gelegenheit der Diseussion
dieses Gejrenstnndes beim VI. Congress für innere Medirin ISs" dahin aus
dass nicht nur die Luft, sondern auch die geologische Heschaffenheit einen
Einfluss auf die Immunität eines Ortes bat. üie erfolgreichste Behandlung
kdnne nnr in Gegenden stattfinden, wo infolge klimatlsober Verhiltnisse
diese Immunität herrsche. Da die Ern&hrunß: eine so hedejtende Rolle bei
der Hphandlunjr der Phthisiker spiele, unM das Gebirge das Nahrungs-
bedürfniss und den Appetit in hohem Masse fördern, sei es leichter, diese
Kranken in Gebirgen in bdiaadeln als an anderen Orten.
Wenn auch diese Theoripn« wie noch darzulegen sein wird, sieh nieht
als haltbar erwiesen, so mu'^s es als unbestrittenes und unbestreitbares
Verdienst von Bi{Khmkk lungestellt werden, dass er <lafi Verfahren, welches
auch jetzt wieder als das beste zur Behandlung der Phthisiker anerkannt
ist, nen anbahnte, indem er mit scharfem Blicke erkannte, dass Aufenthalt
in frischer Luft, hauptsächlich in liegendem Zustnnd^, .AthnuinsrsHbungen,
AbbärtuniT und Hautpfletre, kräftigste Ernährung oder sogar l'ehei ernäbrung.
die bedeutendsten Facloren für eine erfolgreiche Behandlung der Lungen-
sehwindsneht seien.
In seinem ^für vorurtheilsfreie Aerzte und gebildete denkende Laien«
1857 verfassten Werke üb»r die Phthise bricht er erbarmungslos den Stab
über die aus der Apotheke gegen diese Krankheit verschriebenen Mittel,
indem haupt^hlleh »kosmisebe EtaHflsse und Verhältnisse« fQr die Be-
handlung der Schwindsucht In Betracht kämen, »unbekümmert darum, dass
einiije Receptscbreilier. wenn wir (b'ii Wetr zur Heilumr der Tuber-
kulose gefunden haben und daher l)ehaupten, dass wir sie heilen können,
iies Charlatanerie nennen werden«.
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186
Liingenheftetfltten.
1869 in der zweiten Auflage seiner Schrift setzt Bkeuuer die Ent-
BtehuDgsursacbe der Schwindsucht auseinander und sagt:
»Bs fteht fett» dasB die LuDfenachwindflneht die Folge einer »danenid,
entweder angeborenen oder erworbenen verlangsamten Ernährung ist, be-
dingt durch eine verminderte zu langsame physiologische Blutcirculation
im Allgemeinen und speciell in den Lungen, woraus sich ferner die Neigungen
in den sogenannten Naehaohfiben, d. h. neuen dironiaehen katarrhalieohen
Lungenentzündungen von selbst erglebt; OB eteht femer fest, das« die
Fluctuation des Luftdruckes von einem Tage zum anderen einen ausdrück-
baren Einnuss auf die Blutcirculation des Menschen ausübt, und zwar dass
bei yemündertem Loftdraek« dto PnMreqnens physiologisch ▼wnielirt wird
und umgekehrt, dass diese VermehniBg bei einer DmdcdillM«!», die einem
Höhenunterschied von 1340 Fuss entspricht, täj^lich 13 — 15.000 Schläge
beträgt, dass diese vermehrte Blutzufuhr zu den einzelnen Körpertheilchen
eine Vermehrung des Stoffwechsels und eine vermehrte Heproduction
bedingt, dasa aleo unter dem quantitativen Elnflaae diese gesteigerte Br^
nährung and Emfthrungsfähigkeit ein Gegenmittel gegen eine von Hans
aus andauernd verminderte Blutaufuhr und verlangsamte Ernährung sein
muss und ist.€
1876 stellte Brehhbr In einer Arbeit, welche sur Abwehr von An-
jrriiren von RouDSN-Lippspringe verbast war, folgende, die Aetiologie der
Phthise erklärende Sätze auf:
1. Die Phthisis ist entweder Constitutionen- hereditär oder erworben.
2. Die Constitutionen- hereditäre Phthisis beruht auf abnormer Ernftb-
mng, reapeetive Blntoirenlatlon, wohl meist Infolge eines hypoplastisohen
Circulationsapparates. Diese Anomalie allein genügt, den Ausbruch der
Phthi.sis zu bedingen; eflnstige äussere hiedingungen kiuinen jedoch den
Ausbruch der Phthisis bindern, sie bleibt dann ferner latent.
3. Die Phthisis kann erworben werden durch alle iusseren antihygie-
niseben nnd auch psychischen Verhältnisse, welche bei längerer Dauer ihrer
Einwirkung im Stande sind, die Ernährung des Menschen für längere Zeit
SU schwächen. Am nacbtheiligsten wirken daher diese Verbältnisse während
des Wachsthums nnd der Bntwlcklang des Körpers, und unter diesen nimmt
die erste Stelle ein ungenfigende Nahrung sowohl In qualitativer, als
auch ganz besonders quantitativer Hinsicht, ferner unzweckmässige
(schwächende) Lebensweise und Mangel an Bewegung, lang dauernder Auf-
enthalt in unreiner schlechter Luft.
4. Bs ist nicht erlaubt, die Untersohlede von Frequens der Phthise
an verschiedenen Orten nur in äusseren Momenten, z. B. bei Geest- und
Marschbewobnern, also etwa nur in der Bodenbeschaffenheit, Bodenfeuchtig-
keit etc. zu suchen und dabei die Unterschiede im Körperbau dieser
Mensehen als gleichgiltig za behandeln ; vielmehr Ist die Aetiologie der
Phthisis allein im Menschen selbst zu suchen.
5. Für die Aetiologie der Phthise ist es zweckmässig, die Menschen
überhaupt einzutheiien in Menschen mit stabiler und Menschen mit labiler
Gesundheit.
6. An der Phthisis können beide Abtheilungen der Menschen erkranken.
Die Menschen von stabiler Gesundheit besitzen jedoch eine relative Immu-
nität von Schwindsucht. Sie erkranken nicht, während ihre Mitbewohner
von labiler Gesundheit in kürzerer oder schnellerer Zeit an Phthisis er-
kranken, obgleich auf alle ein nnd dieselben antihygienisehen Einflüsse der
verschiedensten Art eingewirkt haben.
7. Kommt in einer Gegend — ceteris paribns — auffallend weniger
Phthisis als gewöhnlich vor, so bezeichnet man diese Gegend als immun.
Es ist dann, namentlich Im Interesse der Therapie, su untersuchen, ob
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Lunge tilicilstättcn.
187
diese Immunität bedingt ist durch die Bevölkerung, etwa durch den Volks-
stamm, so dass eigentlich jedes Mitglied durch sich immun ist, oder ob
sie bedingt ist durch äussere Verhältnisse — Klima oder Ernähr ungs-,
respective Lebemwetse.
8. Die Immunität ist bedingt durch die äusseren Verhältnisse, wenn
die Bewohner der betreffendon Gegend nur immuQ sind, so lange sie den
heimatlichen V^erhältnissen treu bleiben.
9. Die Immantt&t wftre bedingt dareh die Bevölkerongr an sieb, wenn
deren Mitglieder imrann bleiben, auch wenn sie die heimatlichen Verhält-
nisse aufcrehen, und wenn sie diese Immunit&t wenigstens auf die nächsten
Generationen vererben.
Solche VoUcettftmme können eilstlren, sind aber bisher noch nicht
widerspruchslos nachgewiesen worden.*"
10. Die äusseren Verhältnisse, welche die Bewohner mancher Gegenden
immun machen, namentlich die dies bedingenden betreffenden klimatiäcbea
Verhältnisse sind für die Therapie der Phthisiker verwerthbar, wenn in
den lietreffenden Gegenden nidit etwa noeh andere kUmatiseh« Paetoren
herrschen, die namentlich gesehwichten Personen anerkanntermassen nn-
bedingt schädlich sind.
Die von Brehmbr für die Behandlung der Phthise dargelegten Grund-
sätze sind auch Jetst nach Entdeckung des TnberkelbaeOlns nnd aneh nach Her-
stellung des Tuberkulins und Neu-Tuberkollns In fast allen Anstalten noch in
Anwendung. Die Bf hantllung: in letzteren unter sor{;:samer ärztlicher Aufsicht
wird niemals unnöthig werden, da die Widerstandskraft des Kranken durch
reiche nnd zweckentsprechende Ernährung erhöbt oder erhalten werden muss.
Bs gehört rar Leitung einer solchen Anstalt änn» der erforderlichen l>eson-
deren Kennfniss der Krankheit presse Gpfluld und Ausdauer seitens des
Arztes. Er nniss jede Seite des üeniüthslebens des Kranken kennen und
verstehen, auf sein Fühlen und Denken eingehen, ihn auf alle erforderlichen
Massnahmen mit Rnhe nnd Sanftmntb aufmerksam madien und stets sieh
mit ganser Person in den Dienst der übernommenen schweren Pflicht stellen.
Diese zwar für jeden Zweig des ärztlichen Berufes erforderlichen Eigen-
schaften muss der Arzt einer Lungenheilstätte in ganz besonders hohem
Hasse besitsen nnd ▼oraflglieh Brbhmbr war mit denselben ausgestattet.
In den nach seinem Tode von FlOggb 1890 herausgegebenen »Mittheilungen
aus Dr. Brehmkr's Heilanstalt für Lungenkranke in Görbersdorf« sind die
von Brehmek empfohlenen therapeutischen Massnahmen zusammengefasst :
Erste Bedingung ist eine zweckentsprechende Wahl des Platzes (fQr
eine Anstalt). Dersellte soll ^or Allem innerhalb der schwindsnehtsfreien
Zone gelegen sein ; da aber die immune Zone \e nach der geographischen
Breite und je nach localen Verhältnissen in verschiedener Höhe beginnt, so
ist mit Siciierheit nur da auf Immunität zu reebnen, wo eine Gemeinde
▼erliegt, fflr welche der Nachweis geffihrt werden kann, dass sie von Phthise
relativ verschont ist.
Entspricht der Platz dieser ersten und wesentlichsten Bedingung,
so ist dann aber weiter darauf zu achten, dass derselbe fern vom öffent-
lichen Vwkehr, nicht nnmittelliar an ^ner Bahnstation, wenn möglich anoh
nicht an einer durchgehenden belebten Chaussee gelegen ist. Nur in einer
gewissen Abgeschiedenheit ist auf strenge Durchffihrunü: einer ernstlichen
Cur und auf ein Fernhalten störenden Lärmes, lästigen ötaubes etc. zu rechnen.
* Ich reebne hienra tfe Oeblrgtbewohoer an« der Mgenansten inunaacn Zone, die
durch YerwandtseliiiftHiMiht licht degeneriit sind, denifendfan ininsa bleiben, aaeli wenn
»ie den h< imatlichea VerhUtaiMcii nicht treu bleiben and ihre Immnaltilt an! Ihre Nach-
kommen vererben.
uiym^L-ü Ly Google
188
Lungenheilstätten.
Die Anstalt selbst und der anstossende Park muss möglichst wind-
geMhOtst liegen ; letsterer mau riehtig^e VerCheilang von Sonne vnd Schatten
bieten und wenigstens partiell aus immergrünem Nadelwald bestehen.
Zu den mächtigsten Curmittcln gehört eine systematische Uebung des
Herzmuskels durch fortgesetzte m&ssige körperliche Bewegung im Freien,
welche nachwelalieh die Herzaotion vermehrt und eventuell sn etarke Fett-
anaammlnnff verhütet Dahei ist aber tede Brmfldmig ra vermelden, die
in entgegengesetztem Sinne wirkt und Lungenkranken geradezu gefährlich
werden kann. Anlagen, welche wirklich als Curmittel benutzbar sind, müssen
daher Wege von der verschiedensten Steigung bieten, zum Theil auch völlig
ebene Spasiergänge geetatten ; alle Wege mflsBen In knnen Bntfenrangen
mit Bftnken tum Ausruhen, von Zeit IB Zeit mit gedeckten Pavillons soin
Schutze gegen etwaiges Unwetter versehen sein. Die Anstalt iiiuss am
tiefsten Punkte des Parkes gelegen sein ; gebt der Patient von der An&talt
ans saniohst bergab, so SberBehfttst w leieiit sefaie Krftfte md enmtlet
anf dem Rückstieg. Die Wege müssen eventneü durch Aufschfltten von
Kies und Grobsand, sowie durch Abflussrinnen und dergleichen trocken,
sowie im Winter schneefrei gehalten werden. Derartige Wege sind niemals
in öffentlichen Waldungen zu erwarten; vollkommene Rücksicht auf die
Bedfirfnisse der Patienten kann vielmehr nnr dann genommen werden, wenn
die gesammten Spaziergänge, auch in grosster Ausdehnung: und Abwechs-
lung, auf eigenem Terrain der Anstalt unternommen werden können.
Die Gebäude der Anstalt selbst sollen schon äusserlich einen gefälligen
Eindruck machen; ffOr gewisse Kategorien von Patienten mflssen kleinere
Häuser abgezweig:t werden. Die Treppen sind möglichst bequem, die Corri-
dorc luftig und doch zugfrei zu halten : durch Anbringung von abwasch-
baren Fliesen, Täfelungen, Linoleumteppichen etc. muss der Reinlichkeit
Vorsehnb geleistet werden. Qate Heis- und Ventilationseinrichtungen mfissen
für die Wintersaison snr VerfOgang stehen. Mit besonders leistnngsflUugen
A'entilationseinrichlungen sind die Esssäle zu versehen, in denen sonst loicht
durch das Zusammendrängen zahlreicher Menschen eine so heisse und ver-
dorbene Luft entsteht, dass die Ksslust dadurch beeinträchtigt wird.
Bin weiteres wichtiges Curmittel besteht in der reichliehen und ratio-
nellen Ernährung der Patienten. Häufige Mahlzeiten, möglichste Abwechs-
lung der neschmacksrei/e, reichlicher Fettgehalt der Nahrung:. Unterstützung
der Ernährung durch (ienuss grosser (Quantitäten von Milch sind die haupt-
sftchliohsten fflr die Difttetik in Betracht kommenden Gesichtspunkte. Dieselben
machen die Einrichtungen grossartiger Küchen- und Vorrathsräume noth-
wendig; insbesondere muss aber für Licfpriin^ der bedeutenden Mengen
tadelloser Milch die Anlage einer eigenen Oekonomie gewünscht werden.
Endlich ist noch eine Anregung der Hautthätigkeit und damit des
gesammten Stoffwechsels durch Abreibung und kalte Douchen in den
Rahmen der Phthisisbehandlung mit aufzunehmen, und eS ist fQr daSQ ge-
eignete Vorrichtungen Sorge zu tragen.
Und specieller wird noch die Behandlung etwas weiter unten be-
sehrieben: Die Behandlung selbst beschrlnkt sich grSsstentheils anf den
langdauernden Aufenthalt in der immiinen Zone, auf individuell richtig be-
messene Spazierfjänge, auf reichlich durch Milchgenuss unterstützte Ernäh-
rung und eventuell auf Anwendung mässiger Kaltwasserbehandlung. Nur
gewisse Krankheitssymptome erfordern zeitweise andere Massregeln und
medicamentöse Behandlung. Gegen starken Hustenreis wird möglichste
Unterdrückung des Hustens empfolilcn inul diese erforderlichenfalls durch
kleine Schlucke kalten Wassers odei" diirrh Selterswasser mit heisser Milch
unterstutzt. Bei kleineren Lungenblulungen bilden Eisbeutel auf Herz und
Lunge und Morphinmioieetionen die gewöhnliche Thwapie ; wfthrend starke,
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Lungenheflfltfltten.
189
mit Athemnoth und grosser Schwäche verbundene Blutungen zunächst
krftftige Rtismittel, wie Champagner n. dergl., erfordern. Gegen Fieber,
dessen Verlauf snnichst durch zweistündlich vorgenommene Messungen fest-
gestellt wird, genügt im Höhenklima gewöhnlich etwas Alkohol in Form
von starkem Ungarwein , in hartnäckigeren Fällen ein Eisbeutel auf die
Herzgegend. Nachtschweisse werden durch den abendlichen Qenuss von
Mileh mit 2 — 3 TbeelOftel Cogaae wirlcBam bekimpft.
Auch jetzt gelten in der RRRHMER'schen Anstalt, welche seit kurzer
Zeit der Leitung von Rudolf Kobekt unterstellt ist, die gleichen allge-
meinen Grundsätze für die Behandlung der Kranken.
Die Ansicht der SehwIndenehtBfreibeit bober Oebirgsgegenden bat sieb
als eine irrige herausgestellt. Finkki nburg hebt mit Recht in seinem im
Nioderrhoinischen Verein für öffentliche Gesundheitspflege L^sf) «rehaltencn
Vortrage hervor, dass in jenen Gegenden eine »nur wenig oder gar nicht
industriell beschäftigte, sondern mehr im Freien arbeitende Bevölkerung
lebt, welche ancdi flbrigens von der Schädlichkeit des städtischen Lebens
und der Stadtnähe verschont bleibt und dass ferner im Gebirge meist
gesunde Boden- und Grundwasserverhältnisse bestehen. Wo diese beiden
Voraussetzungen nicht zutreffen, da ist auch in beliebiger Gebirgshöhe die
Lungensebwindsueht ebenso stark, wenn niebt noeh stärker verbreitet als
in der Niederung. Der Kreis Adenau, welcher die höchstgelegenen Ort-
schaften der Eifel umschliesst, hat die höchste Schwindsuchtssterblichkeit
unter allen Kreisen des Regierungsbezirkes Koblenz, während der an-
grensende, ebenso arm, aber mit weit gBnstIgeren BodenverbSItnissen aus-
gestattete Kreis Daun zu den in der Schwindsuchtstatistik am aller-
gunstigsten gestellten Kreisen in Rheinland-Westfalen gehört. Die geringste
Schwindsuchtsverbreitung innerhalb des ganzen preussischen Staates und
des Deutschen Reiches findet sich in der est- und westpreusslschen Nie-
demng und der wegen seiner aogeblloben Sdiwindsiidits-Immvnitftt so viel
angepriesene Gobirgskreis Waldenburj^:. in welchem sich die Anstalt Görbors-
dorf befindet, ist in Wirklichkeit einer der am meisten von Schwindsucbt
heimgesuchten Kreise der Provinz Schlesien c.
Bs erseheint bemerfcenswertb, dem gegenüber die von Brvhmsr auf dem
X. schlesischen Bäderta^^e veröffentlichten Zalden der Todesfälle an Lungen-
phthise in Görbersdorf an dieser Stelle zu erwähnen. In dem Orte, dessen
Einwohnerzahl zu jener Zeit zwischen öOO — 600 Personen schwankte, waren
in 100 Jahren (von 1780 — 1880) im Oansen 1011 oder iährlicb 10,10 ver-
storben. Davon entfallen auf » Lungensch windsnobt« nnd »Lungenkrank-
heit« 34 oder jährlich <t.31, d. h. auf 1000 der Bevölkerung: fdiese nur zu
500 Seelen gerechnet* 'i,r,s Mit einigen Alpenorten, deren Höhenklima von
anderen Seiten als schutzkräftig gegen die Phthise hervorgehoben wurde,
verfliehen, ergiielit sieb:
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Dabei ist sa bemerken, dass die Schweizer Statistik nur einen Zeit-
raum von ffinf Jahren umfasst. Es sind also nach Bkkumek die Gebirgs-
bewohner bei einer Hübe von ö50 Metern mindestens in demselben Masse
immnn, wie die in den Alpen bei 1520 Metern und mehr.
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190
Ltingenliellstftttea.
Auf FiNKBLNBURG*« erwShnteii Vortracr nahm |ene Versammluog 1889
folgenden Beschluss an:
»1. Der Niedfrrheinische Verein für öffentliche Gesundheitspfleg'e
erklftrt es für ein öffentliches Bedürfniss, dass in seinem Vereinsgebiete,
den westlichen Provlnsen des Staates, Volksaanatoriea fflr nnhemittelte
Brustkranke errichtet werden nnd spricht die Hoffnung aus, dass die In
dieser Weise erwähnte Krankenhauspflepp bprpits jptzl durch vereinte Be-
mühungen der Provinz, der städtischen Gemeinden und der Krankencaasen
herbeigeführt und durch die Privat-Wohithätigkeit wirksam unterstützt
werde.
2. Um die Vereinigung dieser Kräfte zu dem genannten Zwecke zu
vermitteln und um die /areelgnetste Ortswahl, bauliche Einrichtung und
Organisation der Anstalt näher zu beratben, wird von der Versammlung
ein Auesehuee Ton 7 MItigUedem mit dem Rechte der Znwabl gewftblt,
welcher mit der weiteren eelbatindigen FOrderong dieses Unternehmens
beauftragt wird.«
Bs soll nun an dieser Stelle eine Statistik der Sterblichkeit an Lungen-
tuberkulose xusammengestellt werden, welehe die am Eingange des Aufsatses
genannten Qesammtzablen näher veraasebauHeht , welche gewöhnlich ganz
gleichlaufend in den zahlreichen Vorträgen und Schriften über Lunjjenheil-
stÄtten veröffentlicht werden. Die folgende vom Kaiserlichen üesundheitsamt
in Berlin im November 1895 bearbeitete Tafel i^pag;. 191 — 192; zeigt die
betreffenden Zahlen für das Deutsche Reieh, Franlöreioli, Oesterreich, Italien,
Schweiz und Belgien.
Im Jahre 1893 starben im Deutschen Reich einschliesslich der aus unbe-
kannten Ursachen Verstorbenen 275.094 Personen.Dadie Ausweise nur etwa 94%
der ReichsbevölkeruDg betreffen, so sterben im gaoxen Reiche 292.650 Personen
im Alter von 15 — 60 Jahren. Von diesen gingen muthmasslich 94.300 an Tuber-
kulose, insbesondere 90.800 an Tuberkulose der Lunge zu Grunde. Ks er-
lagen also 33 von |e 100 im Alter von 15 — 60 Jahren Gestorbenen der
Tuberkulose. Dieses Verhäitniss ist jedoch nicht in allen Theilen des Reiches
das gleiche, es schwankt swischen 22 In Ostpreussen und beinahe 43 in
der bayerischen Pfalz (wie also bereits Finkelnburg hervorhob), ohne dass
sich bestimmte Ke/iehungon zur Lebensweise der Bewohner oder zur Laire
der Ortschaften was auch in Bezug auf die BREH.MERscbe Theorie von
Interesse ist — erkennen Hessen. Die Besirke der nordSstllohen Tief-
ebene hattt n durchschnittlich weniger Sterbefälle an Tuberkulose (auf \e
1000 Lei)en<le des erwähnten Alters) als die im Westen gelegenen, meistens
mehr bevölkerten Bezirke. In einzelnen hoch über dem Meeresspiegel ge-
legenen Theilen s. B. Oberbayems and des Schwarzwaldes waren grössere
Sterbeslffem ffir Tuberkulose vorhanden als in vielen Bezirken der Tief-
ebene.
Ks haben im Jahre 1803 nicht etwa Ausnahmszustände im Verhalten
der Tuberkulose in Deutschland bestanden, sondern auch in den Vorjahren
bis 1889 ist ein Gleiches ersichtlich.
Es starben:
1889: 57.712 Pen. im Alter von Ib-GO Jahren, d. h. 358 von je 1000 Gest, dltne» Alten
1890: 59300 » » » » 1Ö-60 » > > 346 » » 1000 » » »
18'.>1: r.c..(j-3 » » » » Ui— fil) . » > 341 > » 1000 »
53 U15 » » > > 15— tiO ' » * 317 » > 1000 > » »
1899: 54.727 > » > » 15—60 » » > 813 > » 1000 > » »
Bine gleichfalls im Kaiserlichen Gesandheitsamte entworfene lieber-
sieht der wichiiL'-sten Todesursachen im Deutschen Reiche nach dem Er-
gehniss der Krht bungen für 18".»;? i pag. 193) zeigt die beträchtliche Zunahme
der Todesfälle an Tuberkulose bei Personen im Alter von 15 — GO Jahren,
also in der Zeit des kräftigsten Sehaffens und Arbeltens.
Lungenheilstätten.
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Im Ganzfii .... 1 27,).(K)4 10(X>
Im Deutschen Reiche sind im Ganzen nach v. Leyden's in Budapest
1894 gemachten Mittheilungen 1,300.000 Brustkranke vorhanden, von denen
librlich 170 bie 180.000, i. e. etwa 8Vo sterben; Vs — Vo fl^l^i* Todesf&lle kommt
«llO auf die Tuberkulose. In Preussen beträgt die Zahl dor Erkrankungen
und To(le.<*fä.lle etwa die Hälfte von der des Deutschen Heirbes. so dass
jährlich 88.000 Personen an Phthise sterben. Eine Ergänzung finden
dtese Zahlen darcb die Darlegungen des DIrectore des Kaiserlichen Gesund-
faeitsamtes Dr. Köhler in der XX. Versammlung des deatschen Vereines fQr
dffentlicbe Gesundheitspflege in Stuttgart 18!'.')
Seit 1892 findet in Deutschland eine Erhebung der Todesursachen nach
einbeitllebem Master statt. Bs fand sieb, dass von 1000 TodesIftUen im
Dentscben Relcbe 105 — 107 auf Tuberkulose surficksufQhren sind, dass also
|eder npuntf» MpnHoh an Schwindsucht stirbt.
Wie stark das Rheinland und Westphalen gerade von der Schwindsucht
heimgesucht wird, beweisen die Zahlen, welche Finkelnburg anführt. Jährlich
geben etwa 28.000 Menscben im Rbeinland und Westpbalen an Phthise eu Grunde.
Im Jahresdurchs
chnitte der .Jahre
1877—1886 starl
Im pnvHliehoB Staat«
Ib dar Bhalaprartaa
la Woatphalaa
Tii»-
gefMBint
Ab LBorcB'
»eil wind-
sacht uud
liBBgOB-
UBtBBB
In---
Ab Loncan-
.-urht und
I>aag«n-
bltttaaff
Iii--
gefaiumt
Ab Imum-
Micbt «ad '
Lnng*»-
blatBBff
MMimer |
Von Je 1000 Lebenden
372,150
25,6
46,688
8,48
52,172
26,2
10,278
4,92
26,040
244
5026
4,80
Von je 1000 Lebenden
310,712
1 24,9
39,802
238
4lt.413 ; 8497
24,7 1 4,80
22,160
22,0
4524
4,47
Insgesammt . .
Von le 1000 Lebenden
1 682,862
1 25,2
86,490
8.20
101,585
24,9
18,775
4,62
47,20
28,2
9550
4,69
Auf le 1(X) Todt'sfalle Überhaupt
kamen »dlclu' an Lungenaehwind*
•nebt oud Langenblntuv • . .
12,7
18,4
20.2
Ich selb.st habe 1(^90 oinc Statistik über das Vorhallen der Lunjrcn-
Hchwindsucht der Stadt l^ciiin veröffenl licht, welchf ib-n zohniährig'en Zeit-
raum von 1880 — 1889 umfasste und von mir unuiiltelbar nach der von
V. Lbvork im Verein fflr innere Medidn angeregten Beratbang Ober die Er-
richtung von Heilanstalten fQr Lungenkranke zusammengestellt war. In jenen
10 .lahron starben in Herlin im Ganzen 322. 11»:' Menschen, hiervon tl.f.oS
an Lungenschwindsucht, d. h. 12,91 vom Hundert der überhaupt Verstorbenen.
Da das amtliche statistische Material von Berlin jetzt bis zum Jahre 1 8H4
* Diu oiiigi'klaiiuiii rti'u Zuhh-a .sind unter Nichtlit;rUck»iciitigung ili-r au:' unliekuunter
UfMcbe Oestorbenen berecbnet.
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Lnngenheilstitten.
195
vorliegt, habe ich jene Zahlentalel vervollständigt, indem ich die betreffen-
den Zahlen fflr die nlohsten 5 Jahre berechnete, so daee dai Material ietit
einen Zeitraum von 15 Jahren umfasst. Eine Aenderung der Zahlen musste
insofern erfolgen, als die Einwohnerzahl für die fortpreschriebene Zahl der
Bevülkerang nach fünfjähriger Altersclasse für den Scbluss der einzelnen
Jahre gew&hlt wnrde, welche durchgängig etwas hSher let als die in |ener
früheren Tabelle benutzte mittlere Zahl der Einwohner. Hiernach mnastail
auch die Zahlen in Stab 6 verändert werden, welche das \'erhältnis8 der an
Lungenschwindsucht Verstorbenen auf lUOO Einwohner ausdrücken. In Stab 5
ist die Summe der Zahl der an Halaschwindsucht und Lungenblutetura Ver-
storbenen In Klammern beigefQgt, da diese auch in dem als Quelle benutsten
Statistischen Jahrbuch von Berlin gesondert aiifpreführt sind. Im Ganzen sind
also in den 15 .Jahren von 1880— 1894 rund (14.000, also jährlich durch-
schnittlich 4300 Personen in Berlin an Schwindsucht zu Grunde gegangen,
d. h. mehr als der 12. Theil aller Im Jahre Verstorbenen.
!
*• 1
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Eiuwobner
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Zahl .i. r
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Vcmtnrlii-iji'ii
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*• 1
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■wohii.'rn an
Lnnji-n-
»ch wind-
niebt Vit-
■torljt.tien
100 mawotuMTB
loigMuen Jahn
1880 ....
1881 ....
1882 ....
1888. . .
1884 . . . . '
1885 ....
188G . . . . '
1887 ....
1888. . . .
1889 ....
1890. . . .
1891 ... .
1892 ....
1S';I4
1,123 608
1.1. ■)•;.. 394
1,191.940
1,226378
1,272 227
1,3 Ii).!') 10
1,3(12.465
1.) 14 (t4f,
1,4711 239
1.530.247
1,579.024
1,684JI8S
1. 657.034
' l.r.92 193
l.(i55.58S
32.823
81.055
30.465
35.056
32.932
31.4-^3
34.293
30 333
29.294
34.458
, 33.393
1 88.898
32.696
36.034
.30.961
* 29,67
27.24
2Ö.95
28,99
2.=».8!>
24.37
2,'i,65
21,88
19,93
23,05
21,51
80,97
20,29
22.13
18,84
38.30 1128)*
.3770 143)
3791 (140)
4195 (133)
4329 (156)
4472 il42)
4318 *137)
4133 (115)
4176 (118)
4595 illO)
. 4360 (131)
1 4444 (128)
4042 rl.36)
4341 (141;
3812 (132)
3,42
3.24
3.18
8.42
3,40
3,. 39
3,17
2,93
2,84
3,00
2,76
2,78
2.43
2,56
2 30
11. (17
12.14
12,44
11,97
13.14
14,24
12,59
13,29
14,25
13,33
13,06
18,81
12,36
12,04
12,32
Im Oanzen .
488.668
(j2607 i l95»)
12,81
Dorehiehnitt
der 16 Jahre
4174 (188)
1831
Wie bedeutend die Zahl der an Lungenschwindsucht gestorbenen Men-
schen die der an anderen Erkrankungen zu Grunde Gegangenen in Berlin
überragt, erweist folgende kleine Zusammenstellung, welche die Todesursachen
mit den nächst grössten Zahlen umfasst. Für Berlin kommt hauptsächlieh
der Breehdurohrall, Lungenentaflndnng, LebensSGhwftehe, »sonstli^e Krimpfsc,
Diphtherie, Durchfall In Betracht^ welche In |enem Zeiträume von 1880 bis
1894 im Ganzen
BreeMarebfiill 39.797
Lunffcnentzündiinj 2(5. .505
Lebenascbwäche 26.312
»Sonstige Krimpte« 24.763
Diplith. rie 23 431
Durchlfill 21.282
TodesflUle aufwiesen. Dabei ist su beachten, dass diese letiteren Erkrankungen
am häufigsten das kindliche und sogar zarteste Alter betreffen, welches die ge-
ringste Widerstandskraft üherhaupt darbietet, wahrend, wie die noch folgenden
Statistiken erwei.sen, die tuberkulösen Patienten im kräftifrslen Alter stehen.
* Die Zahlen in Klammem geben die Öumine <ler iCublen der an Lnngenblutung und
Halnchwindfliieht yeratorbenen an.
18*
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196
Lungenheilstätten,
Qtaa ihnlieh liegen die Verhlltniase im gani en Staate, wie der neveete
ministerielle Bericht fiber das Sanit&tswesen des preosslschen Staates wfthrend
der Jahre 1889, 1890 und 1891 zeigt.
1
Jahr
1'
Einwohner
G*-
Mmmt-
dHr '!♦•
»t<ir-
beueo
1 ^
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1890
1891
1889
1890
1891
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29,650.194
S9,9974t07
7003
16088
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13
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4918186160
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12150,17299
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231 |801ftl
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52040
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2,40
2,04
2,00
0,00
0,01
0,01
0,36
027
0,27
0,05
0,01
0,01
2,63
2,90
1,64
13,83 3.18
14,541 4,06
12,05 2,04
4,55
5,78
4,48
0,10
0,08
0,06
27.97
28,11
26,72
14,08
17,40
16,65
1,64
1,60
1,66
Die Zahlen veransoliauUehen die m6rderlsdhe Wirkung, welche die Tuber-
kulose vor allen anderen Todesursachen hat, in deutlicher Weise. Während
die gefürchtete Diphtherie in Preussen jährlich durchschnittlich 40,mO(3 Per-
sonen dahinraffte, beträgt diese Zahl für die Tuberkulose mehr als das
Doppelte, 82.000. Keine andere der VoUcskenohen releht, wie wir noeh sehen
werden, in den betreifenden Zahlen auch nur annähernd an sie heran.
In meiner genannten Arbeit ist auch eine Statistik von Preussen für
1887 erwähnt, aus welcher hervorgeht, dass von insgesammt 6Ö6.170 Ver-
storbenen 84.124, d. h. 12,26 vom Hundert der Tuberkulose su Opfer Helen.
Von jenen Verstorbenen standen im kräftigsten Älter von Ober 25 bis
40 Jahren 52.431 Menschen, von welchen 21.680), nlsn beinahe die Hälfte. j
der Tuberkulose erlagen. Eine höhere Sterblichkeitsziffer als die Tuberkulose
liaben nur die Krämpfe mit 102.561 erreicht; unter ihnen befanden sich
ab«r 94.688 Kinder bis sum Beginne des 8. Lebensiahres. Die In der Höhe
der Mortalitätszahl auf die Tuberkulose folgende Krankheit mit 69.776 Fällen
ist die Altersschwäche vom 60. Lebensjahre an g-erechnet; die dann folgende
Diphtherie mit 50.597 Fällen betrifft grüsstentheils Personen bis zum 15. Le-
bensSabre, also gieiehfalis ein weniger widerstandsAhlges Alter, so dass auch
hier wiederum deutlich ist, dass wie bei jener oben angeführten Daiisignag
des Gesundheitsamtes hauptsächlieh das Lebensalter von 15 — 60 Jaliren von
der Tuberkulose ergriffen Ist.
In dieser Chrense erseheint das Altw von 20 — 40 Jahren am meisten
geillirdet, wie auch die preussische Statistik fQr 1887 selgt. Bnreohnet man
prncpntuarisch die Zahlen der in den verschiedonon Altersclassen an den
eiiizeinen Krankheiten \'erstorbenen, so erhält man mit Ausnahme von Alters-
schwäche, Krämpfen und Diphtherie, sehr hoho Zahlen für die Tuber-
kulose und am hOehsten für das 20. — 40. Lebensishr:
Ueb«r Usber üeb»r
SO -36 Jahr« 35—30 Jakn 80—40 Jahn
Männlich 40.48 46,5S 41,11
WeibUch 4:^1.41 43,06 a»,48
Fast alle anderen Krankheiten erreichen liei Berechnung der Sterb-
lichkeit in den einzelnen .Altersclassen Zahlen, hei denen vor dem Komma ■
meistens höchstens eine 10. ^«'«'öhnlich aber soj^ar nur eine 5 steht.
Noch eine andere von der Medicinalabtbeilung des preussischen Mini-
steriums der geistliehen Unterrichts- und Medicinalaagelegenheiten bearbeitete
Statistik ttber die Todesursachen (Scharlach, Diphtherie, Typhus, Tnberku*
Inse, TiUngen- und Rrustfpllentzundun<j:. Kreits' in Städten Freussens mit mehr
als lUO.OOü Einwohnern in den einzelnen Altersclassen zeigt die stete Ueber-
einstimmung der Zahlen fOr ieaes Alter, d. h. die höebsten Sterbliehkelts-
siftem fQr Tuberkulose vom 15. — 60. Lebensiahre. Ich habe die Zahlen der «
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Lungenheilstätten.
197
Tuberkulose aus denen der übrigen 0 Gruppen für die 5 Altersclassen bis 1,
Aber 1 — lö, über 15 — 30, über 30 — 60 und über 60 Jahre heraasgesos^en
nnd fttr sich snssinineDgestellt Die hBebflteo Zahlen baben dann dfe tm Westen
des Staates gelegenen Städte für die Lebenszeit von 30 — 60 und besonders
über 60 Jahre, während die östlichen Bezirke relativ niedrige Tuberkulose-
Sterblichkeit darbieten. In Westphalen und der Rheinprovinz sind wohl sicher
die grossen Industriecentren mit ihren ungünstigeu WohnongB- und Em&b-
rnngseentren als Ursacben der hohen Hortaliltt an Tnbericnloae anrasehen,
welrhf- '!H^r'''its \-nrh''r (">ru'~hn* wiirflf'
W.OM Ubradw
•Uwlwii ma
TuberknloD«
Jahr
1 '
] Berlin
9.
BretUu
s.
Köln
4.
Magde-
s.
Frank-
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». M.
s.
Hknoo-
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KOniga-
b«rK
1. Pr.
dorf
1
») im Alter |
bis 1 Jahr j
1 1876
1 1881
1 1886
1891
30,45 27,91
32,67 52,78
41,88 61,80
43,74 40.71
90,82
33,92
43.26
101,06
3,86
21,91
19,93
.38,29
50,66
77,63
84,20
70,92
32,02
109,01
95,88
4.77
28.44
15,60
7,49
43,15
29,15
10,14
55,75
43,94
hi im Alfpr
*f/ IUI Albl^l
aber 1 bis
15 Jahre
ji 1876
' 1881
1886
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1881
1886
j 1881
10,81
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14,37
11,88
16.8H
, 15,36
1 18,75
16,96
15,13
10,38
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22,72
5,23
7.14
12,01
13.92
13,37
17,17
16,99
18,21
7,91
24,19
20,28
12,84
19,07
9,91
13,17
12,74
10,49
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15,68
16,67
«•1 Im Altpr 1
r/ IUI Aii^^r 1
ÜIht Ih bis
30 Jalire 1
30,52
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33,48
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3437
2739
25,52
25,73
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31,77
8633
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23,48
21,75
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28,80
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67,06 •
71,28 52.37
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V/ IUI AfwOr
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1876
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60 Jahre
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46,66 66.72
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50,44 51,71
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62,28 66.92
66,45 .58,09
.-j2,79 43,74
54,86
45,69
49,59
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119,79 . 39.27
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63.88 40,.53
45.U5 48,52
L.iyu,^cd by Google
198
Lungenbellttätten.
Ein Vergleich der angpführten Tabellen ist besonders bemerkenswerth,
indem die von mir berechnete Zablentafel von Berlin ein gleiches Verhält niss
wie df«{eiilg»e de« Hiolsteriiimt fflr gans Preassen celgt Wenn man die auf
10.000 berechneten Zahlen von Preussen auf 1000 nirflekführtf wie die
Ziffern ffir Berlin aafgestellt sind, so erhUt man
1*99 18»0 IMI
Preoflsen 2 H i 2^1 2,67
H.-rliii a,(;U 2,70 2.72
Ausserdem zeigt sich noch in den Zahlen für die grossen St&dte in
Preussen eine Abweiebnng von den vom Oesnndheitsamte fOr das ganse
Deutsche Reich festgestellten, insofern als bei letzteren, wie Director Köhlbr
1895 in Stuttgart flarleffte. im Jahre 1893 von 1000 an Tuberkulose Ver-
storbenen im ersten Leben^ahre 10,8, von 1 — 15 Jahren 62,2, von 15 — 60
Jahren 322,3 , von über 60 Jahre alten Personen etwa 60 starben. Beim
Vergleieh mit der Tafel der preusirisehen StAdte zeigt siob jedoeb, dass In
mebreren Städten im Westen des Staates Köln. Dfisseldorf, Elberfeld, Barmen.
Krefeld, Aachen für die Altersstufe über r»0 Jahre höhere Zahlen vorhanden
sind als für Verstorbene im Alter von 15 — 30 und 30 — 60 Jahre. Allerdings
sind bei dieser Bereehnnng die Jahre 1876, 1881, 1886, 1896 In Betraobt
gezogen, während fQr jene Zusammenstellang fQr das Dentscbe Reich das
Jahr 1893 zu Grunde gelegt ist.
£s ist noch auf ein interessantes Verhalten der Zahlen aufmerksam
m maehen, welches sidi naeh meiner Berechnung bo^ts ▼om Jahre 1886
herausgestellt . und welches ich an dieser Stelle besonders hervorheben
möchte, ein Sinken der Zahl der Todesfälle an Lungenschwind-
sucht im Verhältniss zur Zahl der Kinwohnerschaft Berlins,
welches in Stab 6 der Zahlentafel auf pag. 195 deutlich zu Tage tritt. Der
Unterschied der Zahlen von 1886—1894 betrftgt 8,17 — 2,30. also fast
1 vom 1000 der Einwohner, d. h. im Ganzen etwa 1000 Menschen. Oscar Wtss
hat in einem Vortrag:e das Sinken der Tuberkuloseziffer in Berlin seit
10 Jahren gleichfalls hervorgehoben. 1889 zeigt sich eine kleine Erhöbung
der Zahl; es ist dies das Jahr des ersten Auttretens der Influenza.
Bs starben (s. pag. 195) :
IMI 1M7 ISM 18W i960 INI 18tt im 18M
3.17 2,98 234 8,00 2,76 2,72 2,43 2,ö6 2,30
von 1000 Einwölmeni Berlins an Phthise.
Irgend welche Schlfisse will ich aus diesem Herabsinken nicht ziehen,
ohne dnss irb jedoch vnllst&ndig der in dem mehrfach angezogenen Ministerial-
werke, welches die Jahre 1889, 1890, 1891 umfasst^ aufgestellten Ansicht
belpfllehten kann:
»Die kleine Abnahme, welche sich im Jahre 1891 zeigt und auch In
der Mehrzahl der Repiernnfrsbozirkc deutlich hervortritt, ist wohl darauf zu
beziehen, dass viele Tuberkulöse der vorausgebenden Influenzaepidemie zum
Opfer gefallen waren. Jedenfalls darf man daraus nicht auf ^n andauerndes
Sinken der Tuberkniosesterbllehkeit, etwa infolge der seit 1890 yielteeh
durchgeführten prophylaktischen Massrepoln schüossen,'
Auch im öiebenten Gesamuitijericht üt)er das Sanitäts- und Medicinal-
wesen in Berlin und Charlottenburg von W ermch und Öfkingfeld über die
Jahre 1892 — 1894 finde ich eine Zusammenstellung der Zahl der Todes-
Alle an Tuberkulose von 1881 »1894. Die Zahlen betreffen nur Langen-
urd Hnlsschwindsucht (ohne Lungenblutsturz) . sind daher mit geringen
Abweichungen die gleichen wie die meinigen. Die Autoren meinen überein-
stimmend mit der im Mlnisterlal- Berieht geäusserten Ansieht, da die Proeent-
sabl der Todesfälle an Tuberkulose eine beinahe t^loiche p:eblieben, dass bis
Jetzt die BourtheilunjT des Erfolges der hygienischen Massnahmen doeh sehr
vorsichtig geschehen müsse.
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Lungenheilitfttteii.
199
Tbatsäcblich ist in Berlin eine jährlich fortschreitende Verringe-
tnng der Todesf&lle an Taberkalose im Verh<Disa snr Ein-
wohnerzahl s^elt 1887 festzustolIoD. Im Verh<niss rar Zahl der Ober-
haupt Verstorbenen zeigt die Tuberkulose keine Abnahme, sondern in den
einzelnen Jahren ein wechselndes Verhalten.
Ans allen diesen statistischen Darleprun^en ist klar, dass die Taber-
kulose die weitaus grösste Zahl von Todesfällen im Deutschen Reiche (wie
in Freussen und Berlin i und im Auslande hedinpft, dass keine andere Krank-
heit auch nur annähernd so viele Opfer fordert, und ausserdem dieselben im
bIQhendBten und arbeitsfähigsten Alter dahinrafft
Obwohl also die Lnogensohwindsueht eine Volksseoehe darstellt, welche
mehr Opfer in jedem Jahre fordert als die furchtbarsten Kriege, Kata-
strophen oder andere ansteckende Krankheiten, wie z. B. die Cholera, hatte
man dennoch bis vor mehreren Jahren der Herrschaft der Krankheit in
Deutschland freien Lanf gelassen. Der dentsch-ffraasSslsohe Krief des Jahres
1870/71 forderte 43.000 Opfer; an Tuberkulose geht in jedem Jahre hi
Deutschland die vierfache Zahl von Menschen zu Grunde. Nach Lohmann
starben in Preussen von 1831 — 1870, d. b. in 40 Jahren 343.593 Menschen
an Cholera, wfthrend an Tuberkulose jiUirllcb Ober 90.000, also in 40 Jahren
3*/s Millionen Personen an Omnde Idingen.
Von 10000 Personen starben ia Preuflsen 1848—1859 in 12 Epldemipiabren 8.4ß an Cholera
* 10.000 > > > Bayern 1836-1874 > 4 > 6,52 > »
> 10000 » » > SaelweD 1836-1878 » 11 • 7,73 • »
al»o durchschnittlich 7,67, wihrend an Tuberkulose {fthrlieh etwa
85 von 10.000 starben (KOchlbr).
Man kannte und beobachtete die Heilerfolß-e , welche in den wenigen
bestehenden Anstalten für Wohlhabende in Deutschland erzielt wurden,
welche 25% betragen, man wusste auch, dass in ausserdeutschen Lftndern,
▼onQglich Kn;;Iand und Amerika, zahlreiche solcher Heilstätten für weniger
bemittelte Brustkranke bestanden und ^-ule Ergebnisse hatten, aber dennoch
geschahen nicht die zweckmässigen Schritte, um dem weiteren Vordringen
des Feindes zu begegnen.
Einige Zahlen Aber die Hdlerfolge mögen an dieser Stelle erwihnt
werden Nach der Zusammenstellung von Liebe erw&hnt Dettweii.br 18*/t
Heilungen, Kketschmkk 14,5"',, (20°\, arbeiten wieder), Driver und Wolfp
l3,t)6«/o (28,02% bedeutend ifebessert; nach 14 Jahren waren y% aller Be-
handelten noch gesund). In 11 Jahren fand Brbhmbr 26,6% Heilungen. In
England Ist die Zahl der Todesfille au Phthise seit 50 Jahren um die HUfte
gesunken.
Naturlich fehlte es nicht in der Zwischenzeit an Empfehlungen von
Mitteln gegen die Phthise. Sie allo anfeusfthlen, gehört nicht In den Rahmen
dieser Arbeit ; es mag nur benrorgeboben werden, dass neben den einzelnen
chemischen, organischen und anorpranischen Stoffen, roch mehr oder weniger
verwickelte Verfahren, allerdings häufig mehr aus Gründen der Speculation
als um wirklich der Sache zu dienen, angepriesen wurden. Die Misserfolge,
welche beim Versuch aller Medicamente und Methoden sur Bekämpfung der
Schwindsucht eintraten, mochten dieselben auch aus berufenstem Munde
stammen, führten allraälig zu einer dumpfen Resignation. Man nahm die
auf der gesammten Menschheit lastende Plage als etwas Unabänderliches
hhi, denn die geringe Zahl der Kranken, welche In den vorhandenen Lungen-
heilanstalten Rettung fanden, konnte zu der Masse von Personen, welche nicht
in der Lage waren, jene Heilstätten aufzusuchen, ja kaum in s Gewicht fallen.
Von allen jenen empfohlenen Mitteln kann wohl nur das Kreosot, beziebungs*
weise Ouaiaool Aasprudi eriieben, einigermassen von Wirkung bei den
Phthlsikem su sein, obwohl die Art und Ursache dieses Einflusses bis Jetst
200
LongenheilstätteD«
Mich noch streitig und in Iceiaer Weise festgestellt ist Sicher ist, wie ich
selbst bei einer grossen Zahl von Phthisikern zu sehen Gelegenheit hatte,
dass während der Zeit der Darreichung des Mittels viele Kranke sich wohler
fflhlen und theilweise quälende Erscheinungen verlieren.
Ich kann Vollard nicht gans beistimmen, wenn er sidb so sehr gegen
die grossen Gaben von Kreosot erklärt; einzelne Phthisiker vertragen aller-
dings das Mittel nicht, bei einer recht bedeutenden Zahl aber sah ich unter
dem Kreosotgebrauch Steigerungen des Appetits, und zwar nicht nach
kleinen Gaben, sondern erst nadi anhaltenderem Gebrauch höherer Dosen.
Dass diese also so ti^e Hsgenstömngen bewirken sollen, kann Ich nicht
bestätigen, wohl aber, dass bei einigen Kranken der Appetit schwand, sobald
Kreosot ausgesetzt wurde, um sich beim Weitergebrauch des Mittels —
aber gar nicht in so kleinen Mengen — sofort wieder einzustellen.
In den englischen Hospltfttem fllr Brustkranke, besonders in Ventnor
auf der Insel Wight, im Brompton Hospital und City of London Hospital
for diseases of the ehest in London, wird Kreosot und Guaiacol in sehr
grossen Gaben verordnet. Dr. Coghill* Ventnor benutzt mit Vorliebe IJnter-
haotefaispritsungen des Mittels, wihrasd In den beiden letzgenannten An-
stalten Inhalatorien für Kreosotdämpte vorgesehen sind, in denen die
Kranken ein bis zwei Stunden lang verweilen. Auch ])ei HronchiektÄsien
nicht tuberkulösen Ursprungs wird im City of London Hospital guter Er-
folg mit den Kinatbmungen erzielt. Wie ich mich persönlich überzeugen
konnte, ist der Aufenthalt in diesen Räumen fQr Personen mit gesunden
Atbmungswerkzeugen kaum erträglich, selbst wenn der Verdamptungsapparat
einen Tag vorher in Thätigkeit gewesen.
Nach diesen kurzen statistischen und therapeutischen BemerkuDgen
soll ietst die *Heilstftttenbewegung«, wie sich dieselbe seit etwa 15 Jahren
entwickelt hat, beschrieben werden.
Wie oben bereits dargelegt, hatte Brehmer 1855 die erste Anstalt
zur Behandlung Lungenkranker in Deutschland errichtet. Sein erwähntes,
im Jahre 1869 eraeblenenes Werk beginnt er mit den der »Hedicinisohen
Reform« von Virchow und Rbimhardt entlehnten Worten: »Epidemien
gleichen grossen Warnungstafeln, an denen der Staatsmann von grossem
Styl lesen kann, dass in dem Entwicklungsgänge seines Volkes eine Störung
eingetreuu ist, welche selbst eine sorglose Politik nicht länger übersehen
darf.« Und etwas weiter fahrt Brehmkr an, dass Virchow vor einigen Jahren
(d. h. damals) es mit Recht als »die Aufgabe der Menschheit, jetzt die Lungen-
schwindsucht zu überwinden, wie der Scorbut des Mittelalters überwunden
ist-, bezeichnet habe. Was also bereits 1869 von Virchow angeregt wurde,
scheint Jetst nach beinahe 30 Jahren endlich begonnen werden zu sollen,
denn mit einigen wenigen, noch dazu nur Wohlhabenderen zugänglichen
Statten konnte ja nicht tlarun gedacht werden, der Schwindsucht, welche
ja überwiegend die wirtbscbafllich Schwächeren heimsucht^ Herr zu werden.
Zu diesem Behufe konnten und kSnnen natflrlich nur zahlreiche Anstalten
ffir weniger Bemittelte und gänzlich Unbemittelte, in welchen eine nach
gleichen Grundsat/cn frch'itete Behandlung wie in den bereits vorhandenen
Anstalten für Wohihatiendere «'rfolut. in Frage kommen. Diese Pürkenntniss,
welche beute selbstverständlich erscheint, hat sich erst mühsam und lungsam
Bahn gebrochen.
In der zweiten Sitzung der IV. Jahresversammlung des »Internationalen
Veroins trecren Verunreiniguntr der Flusse, des Bodens und der Luft« am
14. September 1880 zu Mainz sprach A. VuGT-Bern über »Schwindsucht und
Höhenklima«. Das Referat dieses Vortrages, welches in der unter Redaction
von Prof. Karl Reclam erscheinenden »Gesnndheitc. Zeitschrift für öffentliche
und private Hygiene, Nr. 24 des Jahrganges 1880 abgedruckt ist, lautet:
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Lungenheilstätten.
201
»Die neuesten Untersuchungen, welche in Bayern und der Schweiz
angestellt wurden, haben bestätigt, dass die Schwindsucht in zunehmender
Höhenlage abnehme, waa mit den Erfahrungen nnd Brhebnnfpen der frQheren
Zelt flberein stimmt. Physiologische Forschungen ergaben nun bekanntlich,
dass für die Gesundheit des menschlichen Organismus eine bestimmte nor-
male Sauerste ffmenge nothwendig sei, dass dieses Bedürfniss sich nach dem
Oewiehte des Sauerstoffes richtet, welche Gewicbtsmenge aber je nach den
Verinderungen des Lnftdmdces in ebiem grSsseren oder kleineren Volumen
von Luft enthalten sei. Es müs^pn also zur Befrfpflitriin*; dieses Bedürfnisses
verschiedene Mengen Luft eingeathraet werden, je nach dem geringeren (uier
höheren Luftdruck und auf der Höhe, wo leichtere Luft ist, natürlich eine
grossere Luftmenge als am lleeresstrande oder in der Ebene. Infolge dessen
Qbt das Höhenklima einen michtigen EinfloM auf unsere AthemvorgSnge
aus. gegen welchen jede wUlkOrliche Athmungsgymnastik in der Ebene weit
zurücktreten muss, weil beim reichlichen Einathmen von Luft in der Ebene
(las normale SanerstoffbedBrfnfss flberschritten und die Bilans des Stoff-
wechsels hiedurch gestört wird. Das Höhenklima führt durch seinen nnunter-
brochentn Einfluss die Einwirkung täglich 24 Stunden lang aus, während
die willkürliche Athmungsgymnastik sich nur auf kurze und gegenüber dieser
Zeitdauer unbedeutende Fristen zu beschränken hat, wobei die Thätigkeit
des Heraens gleichseitig fai höherem Grade angeregt wird, bi Europa sterben
alljährlich an der Phthlsls von je einer Million Einwohner nahezu 30Q0 ;
will die Hyfriene diese zahlreichen Opfer verringern, will sie die Schwind-
sucht wirklich bekämpfen und sich nicht darauf beschränken, theoretisch
nur fiber die Nachtheile sn sprechen, so mössen Volks-Sanatorlen auf
geeigneten Höhen angestrebt werden, welche nicht nur der geringen Zahl
der Wohlhabenden erreichbar und benutzbar sind, sondern welche in erster
Linie den weit zahlreicheren Hilfsbedürftigen der ärmeren Ciassen auch zu
Oute kommen, weldie jetst infolge der besdirftnkten Mittel der Hilfeleistung
vi^aeh entbehren und dasn verurthellt bleiben, langsam hinsusiechen. Redner
macht eine Reihe sehr beherzigenswerther Vorschlilge Sur Ausfflhrung dor
von ihm empfohlenen Sanatorien.«
Weder dieser Hinweis, roch ein zweiter, welcher sich in Nr. 34 des
Jahrganges 1882 der »Gartenlaube« vorfindet, bat Erfolg gehabt. An lets*
terem Orte veröffentlichte Dhiver unter dem gleichen Titel »Schwindsucht
und Höhenklima einen Aufsatz, in welchem er in volksthfimlicher Dar-
stellung den damaligen Standpunkt der Schwindsuchtslehre darlegte, nach
welchen die Lungenschwindsucht mit der chronischen Lungenentsfindung
gleichgesetzt wurde. Ans Jenem Artikel mögen einige hier interessirende
Punkte besonders hervorp:<'hoben werden. Driver empfiehlt die Errichtung
einer Qebirgs-LungenbeilaDätalt in |eder dazu geeigneten deutschen Provinz.
Da aber der Aufenthalt in diesen stets auf mehrere Monate zu veran-
sohlagen Ist, so gehört sar Heilung einer Lnngenkrankheit immeriiin ein
Capital, welches für Unbemittelte und minder Vermö^-ende unerschwinglich ist.
Und tTPrade unter dipsor Classe finden sich naturj^emäss die meisten Opfer
der ScbwinUsiUcht. Deshalb entspricht das Verlangen des Prof. V'^oüt nach
Schaffung von Höhen- Volks-Sanatorien einem wirklichen Bedflrfnisse.
Ich habe diese Darlegungen wörtlich angeführt, um tu zeigen, dass
eine erhebliche Uehereinstimmung zwischen den heutigen und damaligen
Forderungen betreffs der Errichtung von Lungenheilstätten vorbanden ist.
Gans besonders sind diese bertits vor langer Zeit eriiobenen Forde-
rungen bemerkenswert b, als sie in einer Periode geschehen, wo man noch
keine fxlpr nur geringe Kenntnisse vom Dasein und der Bedeutung der
Tuberkelbaeillen hatte. Heute ist nicht nur die hygienisch-diätetische Be-
handlungsmethode, die in jenen Anstalten geübt wurde, als beste und wirk-
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202
LaDgenbellstäMen.
II
samate anerkannt, sondern vor allen Dingen auch der Aufenthalt in einer
Anstalt «la der für LoDgenkranke geeignetste angesehen, da dieselben hier
ganz besonders alles das lernen, was ffir sie und ihre Tmirebun^ von
Vorlheil ist. In den Anstalten und besonders in den Voll^sheilstätten lernen
die Kranken, wie sie mit ihrem Auswurfe umzugehen haben, nachdem
man dnreh Cornbt's Untersnobnngen erfahren, dass nicht etwa die einen
Phthisiker umgebende Luft ganz von dessen AusdQnstungen verpestet sei, 4
sondern, dass die Bacillen sich im Auswurfe befinden und daher die rieht is:?
Behandlung dieses besonders wichtig sei. Trocknet der Auswurf, so
gelangen die Bacillen von dem Orte, wo sie sich befinden, mit dem Staube
in die Atmosphire und kennen dann von anderen Individuen eingeathmet
werden und in diesen ihre verderbliche Wirkung entfalten.
Ks ist besonders wicliti^r, gerade Kranken im Betrinne des Leidens
den Aufenthalt in den Anstalten zu ermöglichen. Die Erkennung der Anfangs-
stadien der Phthise ist natürlioh nur dem Arzte mi^ldi; sie ist aber,
wie |eder erfahrene Arzt hinlänglich weiss, selbst bei grosser Uebung und
selbst unter Zuhilfenahme des Bacillennachweisos bisweilen sehr schwierig.
Letztere fehlen ja häufig im Anfange der Krankheit, und man findet in
elnselnen Berichten von Anstalten Phlhlsen ohne Bacillenbefund en^hnt.
Im Jahresberichte des Frankfurter Vereines lOr ReconvaleNcenteo-
Anstalten für 1895 96 äussert Nahm: »Man wird immer wieder der Meinung
zugedrängt, dass es auch eine nicht bacilläre Phthiine giebt, wenn man so
viele Fälle zu Gesicht bekommt, die alle Zeichen der Phthise darbieten,
doeh nie Bacillen Im Auswarfe finden lassen.«
Ein wirkungsvolles Vorbeuguntrsmittel gegen die Verlireitung der
Tuberkulose sehe ich nun in der boständiir wiederholten Unterweisunir und
Aufklärung des Volkes über das Wesen, die Möglichkeit der Prophylaxe und
die Heilbarkeit der Phthise, welche auch von Gebhard in seinem noch sn ■
erwähnenden Vortrage als wQnschenswerth erachtet wird. Solches soll ja
auch, was ich sehr wohl wei.ss und auch anerkenne, durch den Aufenthalt
in den Heilstätten geschehen; die entlassenen Kranken, mögen dieselben ,
g^dlt, gebessert oder angeheilt sein, werden die Lehren, welche sie In
den langen Monaten in den Anstalten in sich anfgenommen. nicht nur
selbst beherzigen, sondern auch in ihren ei^pnen tind anderen Hausstflnden
weiter verbreiten, so dass die in den Heilstätten erworbene hygienische
Disciplin auch fortgesetzt gute Früchte trägt. Ich gehe aber noch weiter.
Ich verlange In allen den Unterweisangsenrten, welche Ober Oesundbeits-
und Krankenpflege an Laien ertheilt werden, Aufklärungen über das Wesen
der Schwindsucht, dass dieselbe heilbar sei, in Anfangsstadien bierfür ganz
besonders gute Gewähr gebe un i nur in Anstalten zu bebandeln sei. Be-
sonders mnss Ober den Auswarf und dessen Behandlung Belehrung geschaffen
und dem Volke die Furcht vor dieser Krankheit genommen werden, welche
derartig ist, dass Aerzte es gewöhnlich für nicht angebracht halten, einen
Menschen über den kranken Zustand seiner Lungen aufzuklären. Dies kann
und muss in schonender Welse geschehen, aber geschehen muss es, zugleich
mit dem Hinweise, dass der Zustand heilbar sei, wenn sofortige Behandlung
eintrete. Die Verheimlichung dos wahren Leidens kann dem Patienten nicht
nutzen, sondern nur schaden ; er kann ja nur zum Aufenthalte in einer Heil- n
anstalt veranlasst werden, wenn er die Art und Beschaffenheit seines
Leidens kennt.
Von den zeitlich nächsten in Deutschland hervorgetretenen Bestre-
bungen für Errichtung von liUngenheilstRtten ist ein auf Veranlassung von
Thilbnius von Güldschmiot- Heichenhall gehaltener V' ortrag zu nennen,
welcher am IS. Mira 1887 in der balneologischen Section der Oesellscbaft
ffir Heilkunde mit treffenden Worten die Verhftltalsse der wenig bemittelten
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L u n gc n h e ilstätten«
Phthisiker schilderte. Auch dieser vor 10 Jahren grehaltene Vnrtrap: enthält eine
Fülle beacbtens werther Winke, auf welche umsomehr aufmerksam zu machea
ist, als gerade Jetst, wo yon vleleti Selten die Bearbeltans und praktisebe
DurchfQlirnnK der Errichtnng der V'olksheilstätten ins Werte gesetzt wird,
nicht immer die Arbeiten und Gedanken früherer Autoren g;enfip:ende Be-
rücksichtigung finden. In einzelnen Punkten ist allerdings Golüschmiüt
nicht Kuzustimmen, z. B. wenn er sagt, dass dem armen Schwindsüchtigen
das Krankenhaus nnr in Ansnabmerällen an Gebote stehe. Die allgemeinen
Krankenhäuser sind sehr wohl, hpsnnders in Deutsrhiand und Berlin, auf
welche Goluschmidt sich <i:fTa(ie bezieht, den Schwindsüchtigen geöffnet,
aber dennoch müssen Sunderanstalten für dieselben errichtet werden, und
swar ans den OrOnden, welehe v. Lbydsr in einem noeh an erwihnenden
Vortrage auseinandersetzte. Güldschiudt wflnaoht »nicht etwa casemirte
Institute, nicht durchaus Spitäler«, sondern von einem Mutterhause ab-
hängige Colonien, wie sie für Geisteskranke bestehen, obwohl er die guten
Erfolge der Behandlung in geschlossenen Anstalten sehr wohl anerkennt.
Er meint aber, dass einzelne, vemfinftige Menschen auch ausserhalb einer
geschlossenen Anstalt ein zweckentsprechendes Lehen zu führen im Stande
sind, und in diesem Punkte ist ihm wohl nur zuzugehen, dass diese »ver-
Dünftlgen« Menschen so vereinzelt sind, dass man im Grossen und Ganzen
nur sagen kann:
Die Behandlung der Lungenkranken hat mdglichst In einer
geschlossenen Anstalt stattzufinden.
OoLDSCHMiUT führt seinen Gedanken noch weiter aus, dass er die
Kranken unter steter ftrstlicher Controle als freie Arbeiter behandelt wissen
will. Nicht jeder Schwindsüchtige ist arbeitsunfähig, er soll allerdings nicht
in der Fabrik weiter arbeiten, aber doch auf dem Lande. Man hat diesen
Gedanken jetzt in vielen Anstalten verwirklicht; jedoch scheint es aus
socialen Qrflnden nicht so gans einfach, die Kranken, welche monatelang in
den Anstalten zuzubringen haben, passend su besch&ftigren. Die Kranken
würden, und vielleicht mit Recht, dagegen einwenden, dass sie nicht zum
Arbeiten, sondern um Heilung zu finden, sich in der Anstalt befänden, und
es können hierdurch mancherlei Unzuträglichkeiten entstehen. Es erscheint
tiberhaapt nicht gans einwandsftrei, langenkranke Personen mit Landarbeit
zu beschäftigen, selbst wenn ftrstllche Aufsicht, wie dies ja natflrlloh, vor^
banden ist.
Genau einen Monat später fand, wie bereits oben erwähnt, unter
V. Lbtdbn^s Vorstts auf dem VI. Congress fOr Innere Medicin su Wiesbaden
am 13. April 1887 eine Erörtemng über die gleiche Angelegenheit statt,
bei welcher der Referent Dkttweiler folgende Schlusssätze aufstellte :
>1. Eine specifische Behandlung der Phthise giebt es noch nicht, alle
in dieser Richtung angestellten Versuche haben noch keine Entscheidung
gebracht
2. Die bis jetzt rationellste Behandlung hat das Ziel, den Qesammt-
stoffwechsel zu normalisiren, die Ernährung und Function aller Organe auf
den für das betreffende Individuum physiologischen Punkt zu bringen, um
beeonders das von dem Vhrus bedrohte Organ snr wirksamen Abwehr an
hefähfgen. Ausser der mOgUehst dauernden Einwirkung der reinen, anregenden
Luft und der bis zu einem gewissen Grade nöthigen Uebernährung. ausser
der Abhärtung, der Vorbeugung oder coupirenden Behandlung capillar-
bronchitischer Znstilnde und der individuell angepassten Trainirung zu
körperlichen Leistungen, nachdem dnreh Ulngere Ruhecur an der Luft die
Besserung angebahnt ist, sowie ausser der symptomatischen Behandlung
des Fiebers ist die Abhaltung aller, den Kampf zu Ungunsten des Organismus
beeinflussender Schädlichkeiten von der allergrössten Bedeutung. Es muss
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I
204 Limgeohellstfltten.
also eine Gesammtbebandlung in körperlicher wie geistiger Beziehnng^ ein-
treten, deren Stärke in dem Angriffe g-egen die allerersten Symptome
leglicber Art gelegen ist.
3. Ein sppcifisches wie ein wirklich immunes Klima giebt es nicht;
der Werth eines Klimas bemisst sich darnach, wie weit gewisse Eigen-
seluften deaaelben die Erreichang der unter 2. aufgestellten Forderungen
ereohweren oder fördern. Die PbtUae kann in Jedem von Extremen freien
Klima geheilt werden ; die Individuellen Zustande des Kranken entsrheiden
allein die Wahl. Für die QenesuDg eutecbeideu in erster Linie die Lebens-
weise und die Methode.
4. Das Omndübel der heutigen Phthiseotherapie ist der in der Tiefe
der Geister wurzelnde Unglaube an wirksame Hilfe bei unserer Krankheit.
Wir müssen, um nachhaltige Erfolge zu erzielen, mit errosserem Ernste an
die Krankheit herantreten, müssen die frühesten und für die ieweiiige Lage
des Kranken bSehsten möglichen Opfer fordern, das selbttftndige und selbst-
gefällige Flaneurthum der Kranken an den südlichen Stationen, die Doppel*
tfiuschung einer Sechswochencur im Bade- oder Oebirgsorte müssen einen
durchgreifenden Wandel erfahren. Die verschleiernde Diagnose »Spitzen-
katarrh« ist vom Uebel, isolirter Spitzenkatarrh ist schon Phthise.
6. Die Beziehungen des Ante« zu seinem Kranken mOssen onnnter^
hrocbene, nieht im Belieben des letzteren stehende sein. Ganz und voll
kann dieser Forderung, sowie den meisten übrigen nur die strenge Anstalts-
behandlung, das Specialkrankenhaus entsprechen, denen meines Erachtens
die Znkonft der Phthiseotherapie gehört. Das pädagoglsehe und psychische
Moment spielt in der Behandlung eine hervorragende Rolle. Darum muss
der Arzt eine feste Ueberzeugung, einen beherrschenden Willen haben. Er
bedarf der grössten Geduld und Hingabe, eines gewissen Gemüthsverständ-
nisaet f8r den Leidenden and mnsa daher, am NoTBiiAOiL*a MdiSnea Wort
hier anzufOhren, in diesem Betracht auch ein gnter Mensch sein, soll
er ein guter Lungenarzt sein.«
Im Jahre 1888 wurde vor einor Subcommission der städtischen
Deputation für Gesundheitspflege iu lierliu, nachdem mehrere Jahre vorher
bei den stftdtischen Behörden der Oedanke, besondere Anstalten tOr Tuber-
kulöse zu begründen, angeregt war, die Frage eingehend und grOndlioh
l)erathen. Ks wurde folgender Bescbluss angenommen:
»Mit Rücksicht auf die grosse und voraussichtlich zunehmende Zahl
der chronischen Brustkranken, welche in die stAdtischen Kranken- und
Siechenanstalten aufgenommen werden müssen, ist die Errichtung einer
besonderen Heil- und Pflogeanstalt für solche Kranke in der Umgegend
der Stadt dringend wünscbenswerth. Zunächst würde für etwa 400 Kranke
zu sorgen sein.« Trotz dieses Beschlusses wurde in der Deputation selbst
gegen die Stimme des Referenten Wassbrfuiir die Erledigung der Ange»
Icgenheit auf vorläufig ein .lahr vertagt, da anderweitige grosse sanitär*'
Aufgaben für Berlin zu erfüllen waren, und die Angelegenheit für noch nicht
spruchreif erachtet wurde. Spinola schilderte diese Verhältnisse in einem
Vortrage in der Deutschen Oesellsohaft ffir öffentliche Oesundbeit^ptlege
1889 und besonders auch die von ihm selbst gegen eine allgemeine Heil-
and Pflegeanstalt für Schwindsüchtige geltend gemachten Gründe. Nach
den von ihm angeführten Zahlen starben in den U grossen öffentlichen
Berliner Krankenhäusern durchschnittlich jährlieh von 3000 mit Sehwindsucht
Aufgenommenen mehr als 1600. Im Charite-Krankenhause selbst wurden
1882 aatfrenominea 918 SebwindaOcbtijire» von deaea 404 8t&rb«n
18R3 » 1097 » » » 527 »
1S84 » 10<>4 » » . 444 »
IbHö » 1189 » . » 527 »
18N6 > 975 > • >• 426 >
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LnngenhellBtAtten.
205
Durchschnittlich wurden 1036 Pbthisiker behandelt, von denen 4G6
veFstarben; im Ganzen starben in der Cbaritö ]&brllch durchscbnittlioh
1927 Personen. Da la diesen Zahlen noch die der anderen Krankenh&nser
kommen, so würde, folgert Spixola, di(^ neue Pflegeanstalt ein Krankenhaus
werden, in welrhem SO" o der Insassen sterben, und aus Gründen der Mensch-
lichkeit müsse man von der Errichtung einer solchen Anstalt absehen. Nicht
ganz mit Unrecht würde der Vorwurf eriioben, daas in den letsigen Sffentlicben
Krankenhäneern nicht genügend für die Scbwindtfioiitlgen gesorgt werde,
was Spixola anscheinend der ärztlichen Fürsorge entcregenhält. Die aus-
scbliessliche Behandlung von Phtbisikern sei für einen Arzt »sehr einseitig«;
Ansteckungsgefahr durch Phthisiker für andere Kranke sei In hygienisch
gehaltenen Krankenh&nsem nicht sehr gross. Die Discusslon über diesen
Vortrag- gestaltete sich sehr lebhaft und ich führe sie aus dem Grunde
etwas ausführlicher hier an, weil in ihr die Meinungen der Anhänger und
Gegner besonderer Lungenbeilanstalten deutlich zum Ausdruck gelangten.
Pbtri hob hervor^ dass die Errichtung von Sanatorien In derN&he grosser
Städte erstrebcnswerth sei, wenn tbatsächlich Heilung-en, nicht vorüber-
gehende Besserungen erzielt weiden sollten; mit der Errichtung der letzteren
sei ja wohl die Aufgabe allgemeiner städtischer Krankenhäuser erfüllt, in
ienea Sanatorien kSnne aber eine Heilung der geeigneten Kranken unter
speeialirztlicher Behandlung sehr wob! erfolgen. Gegen die Anlage von be-
sonderen Schwindsuchtshospitälern erklärte sich noch MEHLHAt'SKn, der den
gleichen Grund wie ViRCUüw gegen dieselben vorbrachte, dass in kurzer
Zeit die Anstalten mit Unheilbaren gefüllt nein wflrden. Cabl FRABmBL betonte
die Uebertragbarkeit der Tuberkulose, welche ein ganz bedeutender Qrund
sei , die Phthisiker von den Gesunden zu trersren und in besonderen An-
stalten unterzubringen. Auch Lazarus erklärte sich für Heilanstalten, wünschte
aber, dass dieselben nur heilbare Kranke aufnähmen. Die meisten Mediciner
stellten sich in lener Versammlung auf gleichen Staadpunkt, dass die
Stadt Berlin eine Lungenheilanstalt erbauen solle. Es wurde auch von Ein-
zelnen hervorgehoben, dass eine Anstalt in der Nähe Berlins nicht errichtet
werden könne, sondern in einer »schwindsuchtsfreien Zone«, als welche
Wbyl den Harz und Schlesien la Vorschlag brachte. Spinola schloas die
Erörterung mit den bemerkenswerthen Worten:
»So sehr wünschenswerth es auch sein majr. Sanatorien zu errichten,
so glaube ich doch, dafür hat die Stadt Berlin kein Geld; eine Pflegeanstalt
aber würde ebenfalls viel Geld kosten und nicht ein Act der Humanität,
sondern der Inhumanitftt sein.«
Nur fünf Monate sp?lter hielt an demselben Orte v. Levdrx einen Vor-
trag »Ueber Specialkrankenhäuser«, in welchem er mit voller Energie
für die Errichtung von Sonderheilanstalten für minderbegüterte Phthisiker
^trat, nachdem kurze Zeit vorher auf t. Lbydbh's Veranlassung eine ausser-
ordentlich inhaltsreiche Dlscussion über den glichen Gegenstaad im Verein
für innere Medicin zu Berlin stattgefunden.
Die jetzige Heilstättenbewegung ist — für Deutschland wenigstens —
mit V. Lbydbn'b Namen so innig verknüpft, dass gerade die Ansichten des
Berliner Klinikers Ober diesen Gegenstand, welche er in mehreren ausge-
zeichneten Vorträgen zum Ausdruck gebracht, an dieser Stelle weitere Er-
wähnung finden müssen, v. Levdex hat in jenem Vortrag, in welchem er die
Errichtung von Specialkruikenhäusern als dringendes BedQrfniss betonte,
wohl Alles beigebracht, was Qbw diese Frage zu sagen ist, so dass eigent-
lich von den zahlreichen Forschern, welche diese Angelegenheit gleichfalls
erörterten, später wenif? Neues oder rrsprüngliches gesag:t ist.
V. Leyd£N hält für das beste Krankenhaus »dasjenige, in welchem
die meisten Kranken gesuad werden und in welchem fQr die gute
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206
Lung«nbell8tfttten.
Behandlung Aller, auch der Schwerkranken, die zweckmässigsten und aus-
reiehendaten Mittel yorhanden sind«. In einem Speefatkrankenhaue alod die
Einrichtungen nach diesem Ziel bin eoneentrirt, und es entspricht eine solche
Anstalt diesem Zweck am meisten. »Das Vorständniss für die zahlreichen
Aufgaben und Rücksichten, für ausserordentliche Sorgfalt und das Eingehen
auf die IndlTidoellen BedflrfDteae der Kranken wird auch der Binsiclit die
Bahn öffnen, dass die grossen allgemeinen Krankenhäuser nicht im Stande
sind, nach dieser Richtunic: hin das Reste zu leisten. Das Beste kann nur
geleistet werden in beschränktem und concentrirtem Wesen, wenn alle Ein-
richtungen gleichsam nach dem einen Ziele streben, die Leistungen der ärzl>
liehen Knnet und Bebandlans; auf die mSgllelut bdehste Stufe au bringen.«
Auch die directen Mittel der Behandlung Bind ia für die einzelnen Gruppen
von Kranken verschiedene und können nicht gleichmässig für ein grosses
Krankenhaus eingerichtet werden. »Auch die Aerzte sind heutzutage kaum
Im Stande, mit firl^Icbrnteei^r Kenntniee and Genaaigkeit alle Formen von
Krankheiten zu behandeln. Es ist sozusagen die Kunst des Arztes auch auf
bestimmte Gesichtspunkte gerichtet. »In {gleicher Weise, wie die .Aerzle sich
in Specialitäten theilen, ist es auch bei den Krankenhäusern. Oleicbmässige
Behandlnngr nnd ansreicbende Binrichtungen in einem allgemeinen Hoipital
für alle Krankheiten aind schwer beizustellen. »Die gn'osse Complioirtbelt der
Verhältnisse, das grosse Material der Kenntnisse und ebenso das grosso
Material der Mittel, welche für die Behandlung erforderlich sind, machen
es schliesslich fast zu einer Unmöglichkeit, Alles gleicbmässig in einem ein-
a^n Rahmen an umfaaaen.« v. Lbydbn vertrat aooh in diesem Vortrage den
gleichfalls von Anderen hervorgehobenen Standpunkt, dass es die dringlichate
Aufgabe sei. für die Minderbegüterten zu sorgen, d.h. für diejenigen,
für welche in Fällen von Krankheiten am schlechtesten gesorgt ist. Die
Wohlhabenden können fflr sieh selbst sorgen ; für die Aermeren sorgt die
Gemeindeverwaltung, ferner für Viele die durch die sociale Gesetzgebung,
Krankencassengesetz etc. geschaffenen Einrichtungen. Jene mittlere Cl'isse
ist diejenige, »weiche im Durchschnitt durch ihre Arbeit einen genügenden
Lebensnntwbalt erwirbt, ja selbst xum Theil Ober das Genügende hinaus,
80 daas sie an einen gewissen Luxus und Comfort gen^hnt ist Aber ihr
Wohlergehen ist abhängig von ihrer Erwerbs- und Arbeitsfähigkeit; sowie
diese aufhört, treten gerade luv diese sociale Classe die allerungünstiirsten
Verhältnisse ein, weil sie schon grössere Ansprüche an das Leben macht,
aber auf eigene Selbsthilfe angewiesen ist. Niemand sorgt fSr nie in der
Notb. Arst, hilf dir selber! heisst ea. Bei kurzdauernden Krankheiten geht
es ganz gut ; es kann so viel erspart und credit irt werden, dass sie
während einer kurzen Krankheit nichts entbehren, sei es, dass sie sich
an Hause behandln lassen oder kleinere und besser eingwiehtete Hospi-
täler oder Specialkliniken aufsüchen. Ganz anders aber ist es bei lange
dauernden Krankheiten, besonders bei der Tuberkulose, welche die Erwerbs-
fäbigkeit erheblich herabsetzt und wiederholte, langdauernde Curen erfordert.
Auf diese Weise kommen solche Kranke, wie wir Aerzte das genugsam
wiaaen, In die allertraurigsten VerhUtnisae. Wenn wir ihnen ein Bad, eine
Reise nach dem Süden, einen Aufenthalt in den jetzt bestehenden Sana-
torien elc. empfehlen, so können sie das wohl ein- oder vielleicht auch noch
zw^eimal leisten, sei es, dass sie ihr letztes Ersparniss aufzehren oder Unter-
BtQtsung von ihren Verwandten erhalten; aber dann stehen sie im eigent-
lichen Sinne des Wortes: vls-ä-vis de rien. Sie kommen in die traurigsten
Verhältnisse, um so trauriger, da sie Besseres gewöhnt waren. Diesen armen
Unglücklichen zu Hilfe zu kommen, ist eine edle, dankenswerthe Aufgabe.«
Bs seigt sieh ohne Weiteres aua dieaen Ausführungen, welehe theil-
weise wörtlich wiedergegeben sind, der Oegensats der Ansichten der compe-
tenten Beurtheiler.
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Lungenheilstfltten.
207
Im Verein fär innere Medicin hatte v. Lbydsn einige Wochen vor
diesem Vortrage bei Oetegeniieit der Vonrtelliragf einer gehellten Kranken,
welehe an Pyopnenmotborax tuberculosus gelitten, die Präge der Errichtung
besonderer Heilstätten für Phthisiker gleichfalls in Anregung: gebracht, und
die Discussion. welche hier während mehrerer Sitzungen stattfand, war ein
Beweis, dass der Frage erhebliches Interesse entgegengebracht wurde. Es
wurde beeebloseen, in Oemeinsehaft mit anderen Vereinen einen AossohuBs
nur weiteren Förderung der Angelegenheiten zu bilden.
Auch auf dem X. internationalen medicinischen Congress, welcher vom
4. — 9. August 1S90 zu Berlin tagte, war in der 5. Abtheilung von v. Leydbn
ein Referat über die LnngeDheilstättentfage auf die Tagesordnung gesetzt
worden, welcbes von Hermann Weber London gehalten wurde. Dieser erachtet
eine Behandlung: und Heilung der Schwindsucht uberall da für mos-lich, wo für
reine Luft bei Tag und Nacht, passende Nahrung und massige Bewegung
gesorgt werden kann. Verbesserung der Em&hrung und Kräftigung des
gansen Körpern nnd aller Organe, besonders von Longen and Hers, bilden
die Hanp'sache der Behandlung.
Besonders legt er auf genaue Anordnungen über Gebrauch und Mass der
freien Luft, der Nahrung, der Genussmittel, der Bewegung oder Ruhe, über die
Bekleldang. Lage ond LOftung der Wobn- nnd Sehlafeimmer und die Notb-
wendigkeit der Anpassvng dieser Einflüsse auf die Constitution Gewicht. Die
Discussion war besonders werthvoll, als der CorreferentKRETZSCHMAR- Brooklyn
die in den Vereinigten Staaten von Nordamerika vorhandenen Einrichtungen
sebilderte. Im Uebrigen war die Oesellscbaft ^nsümmig der Ansicht , dass
Sanatorien zur Behandlung von Lungenkranken zu errichten wären.
Auf demselben Congress erfolgte die Mittheilung Robert Koch s von
der im Werke befindlichen Herstellung eines specifischen Heilmittels gegen
Tuberkulose. Die Bestrebungen zur Errichtung von Sonderheilst&tten für
Phtbisiker kamen in der Folge In's Stocken, da bei dem Widerstreit der
Meinungen über den Werth des neuen Mittels an die Vollendung bestimmter
Einrichtungen nicht gedacht werden konnte. Naturgemäss war, dass be-
sonders in Berlin in der Zwischenzeit wenig geschah. Es wurde im October
1892 eine Pflegeetätte fflr Lungenkranke beiderlei Oescbleebts auf dem
lUeeelgute Malchow bei Berlin eröffnet, welche jetzt nur männliche Kranke
aufnimmt, während die weiblichen in Blankenfelde untergebracht sind. Ueber
^ene erste Anstalt bat sich v. Leyden in zwei Vorträgen in nicht sehr aner-
iMniMnder Weise geäussert und bervorgebobenf das« dieselbe nieht den an
sie SU stellenden Ansprflcben genOgre. Ans den mir sn Gebote stebenden
Verwaltungsberichten dieser Anstalten aus den beiden letzten Etatsiahren
1894/95 und 18'.»5/96 werde ich weiter unten Einiges mitzutheilen haben.
Zu erwähnen ist noch aus der Zwischenzeit, dass die 17. Vorsammlung
des Dentacben Vereines für önentUebe Gesundbeitspflege, welebe 1891 zu
Leipzig tagte, gleichfalls die Berathung über »Sanatorien für Lungenkranke«
zum Gegenstand ihrer Tagesordnung gemacht hatte. Moritz München hielt
das Referat und erläuterte, dass in Bezug auf die Behandlung der Phthise
nach Veröffentliebung des KocR'seben Mittel die gleichen Oeslehtepnnkte
wie früher massgebend seien. Die von ihm aufgestellten nicht sur Abetim-
muBg bestimmten Schlusssätze lauteten:
»I. Durch die KocHsche Behandlungsmethode der Lungentuberkulose
sind die bis dahin massgebenden Gesichtspunkte für die Behandlung dieser
Krankheit nicht geändert worden.
2. Bei der Lungentuberkulose hat sieh die Anstaltebehandlung als die
erfolgreichste erwiesen.
3. Die Anstalisbehandlung der Lungentuberkulose hat nicht nur eine
therapeutische, sondern auch eine prophylaktische Bedeutung.
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208
LungcnheilstflUen.
4. POr die Erriehtun; von Sanatorien (Heiletätten) fOr unbemittelte
Langenkranke ist demnarh thunlichst Sorge zu tragen.
5. Zu (lipspin Zwecke sind alle Hilfe vprsprechenden Factoren in An-
spruch zu nehmen. Nicht nur Staat und Gemeinde, sondern auch die be-
theiligten Caiten und vor Allem die private Wohlthätigkeit mfissen su dem
segensreleben Werke beletenem.«
Angenommen wurde folgender Antrag:
»Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege empfiehlt die
Bildung von Vereinen, welche t»ich die Gründung von Heilstätten für be-
dflrfUge Langenkranke rar Aa^abe maelien.€
Auch an anderen Orten war man rüstig vorwärts gesehritten.
Am 28. Mai isyi ernannte die Aerztekammer für Hessen- Nassau eine
Commission mit dem Auftrage, über die Errichtung von Lungenheilanstalten
sa berathen and in beriebten. Der von Dbttwbilbr erstattete Berieht steltt
ein treffendes Bild der damals herrschenden StrOmongen dar, so dasa aas
demselben einige Punkte wiedergegeben zu werden verdienen :
»Bevor an die Berathung der eigentlichen Aufgabe gegang;en werden
konnte, musste noch in kurze, aber ernsthafte Erwägung gezogen werden,
ob die Qrflndung von Heilanstalten ffir Lungenkranke, die in solehen strenge
geübte methodische, hygienisch-diltetische und klimatische Behandlung wirk-
lich das Beste, unabweisbar Nothwendigste und höchsten Erfolg Verspre-
chende sei, in einer Zeit, wo noch zahlreiche offene Curorte besteben, die
durch ilire Höhenlage, Klimaverlilltaisse, Trink- und Badewftsser besondere
Ansprüche zu begründen streben, in einer Zeit, wo das Sueben nach epe-
cifischen Heilmitteln gegen die Tuberkulose die Kräfte aller Forscher in
Bewegung setzt, die Herzen alier Menschenfreunde in Hollen und Harren
hllt Wenn auch wahrsehelnlioh die Ansieht der Mehrheit dieser Kanuner
eine in unserem, die Anlage von Heüstfttten beffirwortenden Sinne bereits
eine entschiedene ist, so muss doch in Rücksicht auf die mancherlei Be
denken und Einwürfe weiterer Aerzte- und Laienkreise, deren Mitwirkunt^
fQr die praktische Erledigung zweifellos unerlässlich wäre, dieser Punkt etwas
näher, als es fDr den heutigen Zweck scheinbar nöthig Ist, erOrtert werden.
AVio schon erwälmt, iiat sich ihre Commission einstimmig entschieden
für die Errichtung von Heilanstalten, welche die Versetzung der wenifrer
bemittelten und armen Lungenkranken aus der Familie, aas dem Hospital
In die besten klimatischen, hygienlsch>dl&tetisehen Veriiiutnlsse, in die Indi*
vidualisirende Behandhing und unausgesetzte Ueberwachung dureh erfUirene
Specialärzte mit allen zur Zeit giltigen Hilfsmitteln gestatten.
Zur Begründang dessen nur einige Worte:
Das Bessere ist bekanntlich des Goten Feind.
Die Behandlung Lungenkranker im st&dtisehen oder Gemeindehoqiital
ist allgemein als unzuISngHch anerkannt, Prof. OiRHARDT beselcbnet sie sogar
direct als lebensahkürzend.
Die Behandlung in sogenannten offecen Cur- und Badeorten, wo der
Arst nur eine gelegentlieh gesuohte, berathende, niclit entscheidende Stimme
hat über die Lebensverhältnisse und Lebensffibrung des Kranken, ist eine
ungenügende, sie zieht ihre Berechtigung nicht mehr aus dem Nachweis
bester Erfolge, aus der Durchführung der von der Wissenschaft und Er-
fahrang aufgestellten höchsten Forderongen. Sie sieht ihre Berechtigung
heute nur noch zum Theil aus dem noch vorhandenen Glauben vieler Aerzte
an ihre Wirksamkeit . zum Theil aus der althorgobrachten Gewohnheit
und dem früher wohlbegründeten guten Rufe, denn auch damals war das
Bessere des Guten Feind ; zum Theil aus anderen persönlichen Orfinden
der Patienten. Bei letxteren spielen unter bewusstem oder unbewusstem
Versieht auf eine Summe gQnstiger Chancen der Wunsch nach grösserer
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LungenlMilstätteD.
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pertSnlielier Freiheit, nach sosenannter kOrzerer Cnrdaaer (als kSnnte eine
Holche durch etwas Anderes als den speciellen Fall vernünftigerweise ent»
schieden werden I i, nach billiger Lebensweise u. A. m. die Hauptrolle. Den
streng wissenschaftlichen, auf eine möglichst klinische Behandlung zielenden
Forderungen genügen solche »Curen« nicht, die wohl besstTe stutionüre
Kraaken annriBchen, aber im seltenaten Falle heilen könneo.
Fassen wir da^'egen die heutige giltige Anstaltsbehandlung d(>r Lungen-
schwindsucht in's Auge, so ist deren Superiorität aus rein Wissenschaft liehen
Gründen sowohl wie nach den statistisch festgestellten Ergebni^isen eine
unbeatreitbare. Das Bestreben, diese Behandlaogsioethode doroh Brrlehtunjp
salüreieher Anstalten and Asyle rilfemein ein- und durchzuführen, könnte
nur dem Einwände begegnen, dass dasselbe durch die Entdeckung eines
specUischen Mittels gegen die Tuberkulose eites Tages hinfällig würde.
Gegenüber einem Orenilixm so hoch angesdietter und erfahrener Aerste, dem
wir unsere Brwftfrnng unterbreiten, ist es QberflOssig (weitere Kreise müssen
aber darauf hingewiesen werden), dass fast unmittelbar nach Haftung: und
Entwicklung des Infectionskeimes krankhafte Zustände localer Art ent-
stehen, die selbst im Falle der baldigen Abtödtung desselben als solche
noch bestehen bleiben und den allsubreiten Boden fdr eine sofortige Wiedel -
erkrankung bieten.
Es ist ausserdem überflüssig zu sagen, dass nach kurzem Bestände
der tückischen Kiankheit eine Anzahl lebenswichtiger Organe und bedeut-
samer Kdrperfunctionen in den Kreis der Störungen hineingezogen werden,
Störungen, welche keinesfalls durch ein noch so sicheres, tuberkuloeides
Mittel ausgeglichen werden könnten, sondern eine weitere besonders ge-
artete Behandlung heischten, die ganz und gar zusammenfällt mit den Ge-
setzen der heutigen, vorgeüchrittenen Behandlung der Lungenphthise, zumal
letxtere gar nicht einmal immer eine rein tuberkulöse su sein braucht.
"Wir müssen uns ausserdem noch vor Augen halten, dass auch im
günstigsten Falle der Kntdeckunp: eines sicheren Heilmittels der Tuber-
kulose, wie die menscbiicben Verhältnisse nun einmal liegen, der Zwang
der Umstände, Armuth, ünkenntniss und Nachl&ssigkeit immer bestehen
werden.
Infolge dieser Momente wird es wohl kaum Je gelingen, auch nur die
Hälfte der Erkrankungen in ihrem frühesten Stadium zur Behandlung zu
bringen, so dass wir leider nur tu wenig Omnd haben su der unsere
heutige Tbatkraft vielleicht lähmenden Befürchtung, es könnten die von
uns erstrebten , von der Wissenschaft , der Staats- und Rürgerpflicht und
der Menschenliebe gebotenen Veranstaltungen einmal überflüssig werden.
Wie nalurgemäss, fordern diese Behauptungen gewisse StQtzen, dio
nur in Thatsaehen und in Aussprüchen von hochwissensehaftllch anerkannten
Autoren unserer Tage gesucht und gefunden werden können.«
In demselben Jahre 1891 hatte der Frankfurter Verein für Reconvale-
scentenanstalten eine Heimstätte für Genesende in Neuenhain bei Soden ein-
gerichtet, in welcher Lungenkranken ursprfinglich nicht dlreet die Aufnahme
verweigert, jedoch so erschwert war, dass keine aufgenommen worden waren.
Da die Zahl der letzteren aber, wie wir oben gesehen, Uider eine sehr
grosse war, so wurde der Plan gefasst, eine zur Aufnahme von Lungen-
kranken allein bestimmte Heilstfttte zu errichten und der Vorstand trat mit Dbtt
WEILER in Verbindung, um in Falkenstein eine solche Anstalt aufzufuhren. Die
von der Hauptanstalt etwa 0 Minuten entfernt gelegene H' ilstütte für lungen
kranke Israeliten, welche seit einigen Jahren geschlossen war, konnte zu
annehmbarem Preise gemiethet werden und wurde durch weitere Bemühungt^n
des Vereins In swei Monaten zu einer trefflichen Anstalt fflr Brustkranke
umgewandelt
Btxjtiup. J«hrbttali«r. VCI. 14
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Lttiig«iili«ltetfttten.
Am 15. Aofl^att 1892 wurden die enten fOnf Kranken anffcenonimen,
am 10. September fand die eigentliche EroffnuDg dieser ersten
Volksheilstätte für Lungenkranke In Deutschland statt. Die An-
stalt enthielt 28 Betten. Bemerkenswertb ist, daas bei 254 Verpflegten mit
5892 Verpflegrstagen nur 1,62 Marie ffir den Kopf and Tag, elnaddieealleli
des Wirthschaftspersonals , beansprucht wurde, eine Summe, weiche mit
allen Zinsen, Steuern, Aufwendungen auf 2,12 Mark steigt, so dass selbst
bei weitgehendsten Massnahmen in dieser theoren Provinz mit 2,50 Mark
täglich ausgekommen werden konnte.
Zettlleli innAdhat war der Vortrag von v. Lbydbh am 7. Septeml)er 1894
4ittf dem VIII. internationalen Congress für Hygiene zu Budapest: »üeber
die Versorgung tuberkulöser Kranker seitens grosser Städte« , von Bedeu-
tung, obwohl in der Zwischenzeit auch einzelne Städte und Kurperschaftea
in Denteclriand und anderen Staaten xnr Frage der Binrlclitnng besonderer
linngenheilanstalten Stellung g^MMMUmen hatten.
Ein Jahr später hielt der unermüdliche Vorkämpfer für die Erbauung
•der Lungenheilstätten, v. Leyden, im National verein zur Bebung der Volksge-
«nndlieitni Berlin dnra Vortrag, in welcbem er alle naeb eeiner Aneieht ffir die
Errichtung erforderiidien Punkte in folgenden Schlnsssätzen zusammenfasste:
»1. Ein Volkssanatorium für Lungenkranke ist eine solche Anstalt, in
welcher Lungenkranke durch erprobte Aerzte nach wissenachaftlich and
praktisch bewährten Heilmethoden behandelt werden.
2. Bin Volkisanatorinm kann nnr als Hdlanstalt gedadit werden, atoo
kftnnen nur dieienigen Stadien der Krankheit in Frage kommen, in welehen
noch eine Heilung oder wesentliche Besserung zu erwarten ist ; das sind
die ersten Stadien der Krankheit, welche ich etwa mit ein Drittel der Ge-
sammtzahl berechnet balie. Schwerkranke gehören in die Hospitftler nm
ihrer selbst willen; die Anttaltsbehandlung ist für sie nicht die geeignete.
3. Die Curdaner niuss auf 'A Monate im Jahre limitirt sein; Ansnalunen
von dieser Hegel sind natürlich nicht ausgeschlossen.
4. Die Ortsfrage lietreflend, so kann von den Anforderungen eines
besonderen, sei es sadllehen, sei es HShenklimaa, Abatand genommen werden.
In Parenthese bemerke ich, was den Meiston dor Anwesenden bekannt sein
wird, dass man lange Zeit klimatische Curen für das Vorzüglichste gehalten
bat, besonders das südliche, das See- und das Höhenklima standen im An-
sehen. Neuere Brtahrungen halten gelelirt, daas das Klima an sieh keinen
Beileffect ausübt, sondern dass es nnr eine Unterstützung der gesanimten
Behandlungsmethode ist. Genaue Experimente haben gezeigt, dass Thiere,
welche mit Tuberkulose behaftet (geimpft) sind, keinen Unterschied zeigen,
ob sie Im Süden oder in Davos oder in einem Keller von Berlin ihre Krank-
heit durchmachen. Wir sind also im Ganzen davon abgekommen, dass die
veränderten Verhältnisso. unter denen die Kranken in einem anderen Klima
sich befinden, ebenso wesentlich einwirken als das Klima selbst, dass also
das besondere Klima nicht die unerlässliche Bedingung für Volkssaaatorien
ist Wir kOnnen also von der Forderung eines hesMderen, sei es sfidiichen,
sei es Höhenklimas, Abstand nehmen : es genügt die Wahl einer gesunden
Gegend, welche staubfreie Luft hat, welche gegen Nord- und Ostwinde durch
Wälder geschützt ist und in welcher sowohl Sonnenschein als Schatten ge-
funden wird. Die Hauptfront des Gebäudes soll nacdi Sflden gelegen sein.
Die Lage der Anstalt am >feere5strande bietet mancherisi Vortheile ; aber
auch die Lage in der Nflhe der Stadl Berlin ist keineswegs zu verwerfen
und bietet ihrerseits ebenfalls Vortheile dar, namentlich die leichtere Ver-
sorgung mit Provision und vielen, sum Comfort, wie cur Behandlung ge-
hörigen Dingen. Femer f&Ilt bei der Wahl eines Ortes in der Nähe der
Grossatadt in's Gewicht die Möglichkeit des Verkehrs der Kranken mit
LuDgenbeiUtätten.
211
ibren Amrebörigren und dfe Högllebkdt aiBw Angememenen, mebr oder weniger
beecbränkten Erwerbstbütigkeit.
5. Die Einrichtung der Anstalt muss gesund, comfortabel und ange-
nehm sein, jedoch einfach, ohne fiberflQssigen Aulwand. Im Allgemeinen soll
sie den OewobnbeHen derjenigen SUUide entepreeben, d«ren AngdiSrige sto
aufnehmen soll. Die Krankenzimmer können auf mobrore Kranke berechnet
sein, bis zu vier. Das Alleinsein thut den Kranken meist nicht gut. Die
Einrichtung von Speise- . Conversations- und Rauchzimmern ist wQnschens-
werth. Badezimmer mit Douchen sind nothwendig. Eine Liegehalle nach
dem Muster der Falkensteiner Anstalt darf nicbt feblm.
6. Auf reichliche Kost, sorgfältige schmackhafte Zohereituog der Speisen
und appetitliches Serviren ist Bedacht zu nehmen. FOr gesunde MUeb in
reichlicher Menge muss gesorgt werden.
7. Bs Ist in Betrarbt sn sieben, dass den Kranken angemessene Be>
sehiftlgung, eventuell aueb Erwerb in der Stadt ermöglicht werde.
8. Die Anstalt kann nach dem Muster der Privatsanatorien in Gestalt
eines grossen Wohnhauses (Logierbauses) erbaut werden, das Pavillonsystem
ist nicht erforderlich, eventuell nicht wflnsohenswerth. Wenn man fQr einen
Anfang (Lift) sorgt, sind 2 — ft Etagen snlftssli^.
9. Ich meinerseits habe von jeher grossen Werth darauf gelegt, dass
Heilstätten der besprochenen Art nirht blos für die der Gemeinde anheim-
fallenden Kranken , sondern auch für die minder begüterten Patienten ge-
sdiaffen werden, solcbe, welche einen mässigen Preis von nabesn 2,60 Mark,
wie ich ihn vorbin genannt habe, wohl aufwenden können. Diese minder
begüterten Stände, wenn sie erkranken, besitzen nicht genügende Mittel,
um kostspielige und lange Curen in Privatsanatorien mit südlichem Klima
so bestreiten. Sie werden daher, wenn sie erkrankt sind, in knrser Zeit
dem wirthschaftlichen Ruin entgegengefübrt, ja, auch ihre Familien werden
in diesen Ruin hineingezogen. Mit allen Opfern aber können sie doch für
ihre Gesundheit bei weitem nicbt dasjenige leisten, was ihnen in Heilanstalten
für einen m&ssigen Preis geboten werden kann. Für diese Kranken habe
ieb immer gewirkt nnd bin Ich immer eingetreten, well diese Clasae es
gerade n:ewesen ist, für welche bisher am wenigsten gesorgt wurde. Man
gedachte der Armen, die Wohlhabenden halfen sich aus eigener Kraft ; aber
die minder Begüterten wurden, wenn sie der Hilfe am meisten bedurften, sich
selbst Oberlassen. Ich habe mir daher gestattet, unter den hier formidfarten
Ornndsätzen auch denjenigen aafsQfftiiieii, dass gerade ffir die Lungenkranken
der minder begüterten Kreise gesorgt werden solle, dass sie nicht Alles,
ich möchte sagen >gescbenkt« bekommen, sondern nach ihren Verhältnissen
beitragen sa den Kosten der Behandlung; daas ilinen aber aneb ffir
ihre Oesnndbelt mehir geleistet werde, als es ohne Beiiiilfe der Fall nein
wftrde.«
Das Jahr 1895 war in der Folge für die Bestrebungen auf dem Ge-
biete der Lungenheilstätten in Deutschland insofern günstig, als zwei grosse
Vereinigungen die Beratbnng* über diesen Punkt auf ihre Tagesordnung
gesetzt hatten. In der 67. Versammlung der Gesellschaft deutscher Natur-
forscher und Aerzte zu Lübeck hielt v. Ziemssen einen einleitenden Vortrag,
welcher einen Meinungsaustausch anzuregen bezweckte. Er schilderte die
Tbfttigkeit, welche der Mflnehener Verein entfettet^ und wies besonders auf
die grossen socialpolitischen Einrichtungen hin , welche zur Mithilfe heran*
susieben seien. Vorzüglich die Wirksamkeit der Hanseatischen Invalidität«-
und Altersversicberungsanstalt, welche ein eigenes Sanatorium besitzt, sei
als Vorbild ffir diese Bestrebungen m wiUen.
IMe Tlifttiffkeit der HanseaUsehen Anstalt, welebe der gesammten
VngB eine neue und entscheidende Wendung gegeben, wurde in der 20. Ver^
14»
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Lungmhellstfttteo.
MmmluDip des dentseben Vereins fOr MIentllehe Oeeandheitspfle^ 1895 in
einem iahaltreichen Vortrage: »Die Erbanang^ von Heilstätten ffir Lunfcen-
kranke durch Invalidit&ts- und Altersvorsicherungsanstalten, Krankencassen
und Communalverb&ndec von Gebhard als Referenten erörtert, während Haufe
als Oorreferent aalfpestelH war.
Wenn auch von allen Seiten die hohe sociale Bedentong der Be-
kämpfung der Schwindsucht anerkannt und ausgesprochen war, und zum
Theil zahlenmässig — wie dies besonders in England und Amerika geschieht —
in Geldwerth die kürzere oder längere Arbeitsfähigkeit des einzelnen Indivi-
dnuma berechnet wnrde, so trat ^gentüeh die Frage der LnngenbeOstfttten
ffir das Deutsche Reich erst in ein neues Stadium, als klar dargelegt wurde,
in welcher Weise es raSjrlich sei, diejenige socialpolitische Kinrichtunp:, welche
an dieser Frage das grösste Interesse hat, mit ihren grossen Mitteln heranzu-
dehen. Die yersfebernngsplliebtfgen selbst, welche mit Ihren eigenen geringen
Mitteln einen Theil dieser ganz erheblichen Summen aufbringe, haben ein
Anrecht auf alle diejenfpen Wohlthaten , welche die Anstalten nach dem
Gesetze zu gewähren im Stande sind. Die Schlusssätze, mit welchen ienes
Referat beendigt wnrde, ▼eransehanllehm den Standpunkt des Berieht-
erstattera.
»1. Die Einschränkungen der Verheerungen, welche die Lungenschwind-
sucht in allen Volkskreisen hervorruft, ist von prösster Bedeutung für die
Wohlfahrt des ganzen Volkes. Zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht
haben deshalb alle staatllehen und eommnnalen Organiaatlonen, so deren
Obliegenheiten die Minderung der ans Krankheit and Sleohthnm entspringen-
den Leiden gehört, mitzuwirken.
2. Es ist insbesondere auch Aufgabe der Invaliditäts- und Altersver-
siehemngsaastalten, In Anwendung des § 12 des biTallditftts- und AKers-
▼enrieherODgsgesetzes zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht die Hand
anzuleoren und je nach den Umständen allein oder in Verbindung mit Kranken-
cassen und zuständigen commanalen Organen die hierzu geeigneten Mass-
regeln sn ei^T^Ifsn.
3. Da unter den verschiedenen fOr die Bekämpfung der Lungenschwind-
sucht bis jolzt empfohlenen Massregeln die hygienisch diätetische Rohandlung
in klimatisch günstig nelepenen Heilstätten allein Erfolge von grösserem
Umfange aufzuweisen bul, sind zur Zeit die Bestrebungen der bezeichneten
staatlichen und commanalen Organisationen auf dem in Rede stehenden
Gebiete in erster Linie dahin zu lenken, dass eine dementsprechende Be-
handlung in Heilstätten den dafür geeigneten Lungenkranken derjenigen
Volkskreise, auf deren Wohlfahrt sich ihre amtliche Thätigkeit zu erstrecken
hat, za TheO wird.
4. Bs fehlt bislang an der genOgenden Zahl von Heilstätten für Lungen-
kranke aus den nnhemittelten und den wenig bemittelten Hevölkerungs-
kreisen. Die Bemühungen der zuständigen und communalen Organisationen
sind deshalb auf Beschaffung solcher Heilstätten zu richten. Von der Be-
nrtheilung der besonderen Verhältnisse der einsefaien Beslrke hängt es all,
von welcher der verschiedenen zur Mitarbeit berufenen Stellen die Errichtung
der Heilstätten unter angemessener Mitwirkung anderer dazu berufener
Organe vorzunehmen ist, insbesondere auch, ob die Invaliditäts- und Alters-
Terslcheruogsanstalten selbst Heilstätten fflr Lungenkranke errieht«ni und
Krankencassen und communale Organisationen sich an der Tragung der
Kosten für die dort unterzubringenden Kranken botheiligren, oder ob sich
die Invaliditäts- und Altersversicherungsunstalten beschränken, zur Deckung
der Kosten, welche durch die Behandlung der Kranken entstehen, die in
vorhandenen oder zu errichtenden Heilstätten gemeinniltxtger Vereine, Privat-
nntemehmer, Krankencassen und eommunaler Organisationen untenubringen
uiym^L-ü Ly Google
Lungenheilstätten.
213
sind, in dem oaeh Lage der Umst&nde zu bemeeseaden Umfange Tbeil
zu nehmen.
5. Sache der Aerate ist ee« darauf hliumwirken, dass die LimgeDkranken
TOD der Benatzung des ihnen za bietenden HeilverfahrenB« so lange Erfolg
von diesem mit Wahrscheinlichkeit erwartet worden kann, also moj^lichst
bald, nachdem die Erkrankunc: eingetreten ist. Gebrauch machen. Ks ist
von grosser Bedeutung, dass die Erfahrungen darüber, unter weichen V'or-
anesetsattgen Briolg von dem HeUverfahren In AasBleht steht, sn immer
altgemeioerer Erkenntnlss gebracht werden.
6. Die auf die Errichtung und den Betrieb von Heilstätten für Lungen-
kranke gerichtete Tbätigkeit gemeinnütziger Vereine bleibt, auch nachdem
von Invalidlt&ts- und AltersTersieherungsanstahen, Krankeneassen nnd com-
munalen Organisationen Massregeln der weitestgehenden Art zur Bekämpfung
der Lungenschwindsucht auf dem ihnen Bukommmden Tbftügkeitsgebiete
ergriffen sein werden, unenthehrlich.
7. Allen zuständigen staatlichen Behörden liegt die grSsstmdglicbe
Fl^rdernng aller aof die Brriditang von Hellst&tten fflr Lungenkranke ge-
richteten Bestrebungen ob.<
Wichtig ist besonders die Bestimmung der Aufgabe, welche die Inva-
liditäts- und Altersversicberungsanstalten haben. Nach dem Gesetz vom
22. Juni 1889 baben sie den bei Ihnen Versieherton Renton sn gewähren,
nachdem sie ein höheres Lebeusaltor erreicht haben, oder nachdem sie, ohne
einen Unfall erlitten zu haben, erwerbsunfähig geworden sind, d. h. eine sehr
beträchtliche VerminderuDg ihrer Erwerbsfähigkeit erlitten haben. Im § 12
des Oeseties erhalten die Vwsiefaemngsanstelten die Befngniss, bereite früher
bei drohender ErwerbsnnflUiigkeit einzuschreiten, d. h, »bei solchen Erkran-
kungen von V^ersicherten, als deren Folge Erwerbsunfähigkeit, die einen
Anspruch auf Invalidenrente gewähren würde, zu befürchten ist, ein Heil-
verfahren einzuleiten, dessen Zweck ist, den Eintritt der Invalidität auszu-
scbliessen oder wenigstons fOr einen längeren Zeitraum hlnaussusdileben«.
Die Zahl der durdi Lnngenkrankheiten bedingten Invaliditätsfälle ist
hei den einzelnen Versicherungsanstalten verschieden, wächst aber von Jahr
zu Jahr, und zwar nicht nur entsprechend der V^ermehrung der jährlichen
Invalidenrenton. Sind jetst 60.000 Rentenbewüligungen jälirlioh vorhanden,
von denen 14^3"/,, in Lungenschwindsucht Ihren Grund haben, so sind dies
jährlich 8500 Fälle, deren Invalidität zu verhindern oder hinauszuschieben
wäre. Die durchschnittliche Bezugsdauer der Invalidenrente bei Lungenkranken
beträgt 2 Jahre; Ihre Höhe ist nach der Vereicherungsdauer verschieden.
Da das dnrehsohnittUehe Alter der in Behandlung su nehmenden Personen
33 Jahre betrfigt, welche vom vollendetpn Ifi. Lebensjahre an versichert ge-
wesen sind, so würde der Betrag der Rente in der 3. Lohnolasse f&r ein
Jahr 190 Mark, also für 2 Jahre 380 Mark betragen.
Die VerpHegnugskoston f fir solche Kranke betragen in eigenen Anstalten
2,50 Mark, welche mit Transportkosten u. s. w. auf 3 Mark zu erhohen sind.
Bei einer Curdauer von 3 Monaten beträgt dies 3 X 90 = 270 Mark, hei
verheirateten Personen betragen die täglichen Unkosten 4 Mark, also
4 X 90 = 360 Mark. Wenn hiervon die Hälfte von Krankeuoassen u. s. w.
fibernommen wQrde, so beliefen sich die Ausgaben der Versiehemngsanstait
auf 180.000 Mark, während für lOOn Rentenempfängor ;5«0 - 1000 Mark
aufzuwenden wären. Der Unterschied zwischen beiden Summen beträgt also
200.000 Mark, welcher sich, wenn jene Krankencasse u. s. w. nur 1,50 Mark
heitrOge, auf 155,000 Mark verringern, bei durchschnittlich dreijährigem
Rentenbezuge auf 390.000 Mark steigern wurde. GebbabO setzt mit Klarheit
und Schärfe seine Ausfuhrungen fort und erörtert besonders die Theilnahme
der Krankencassen an der Verpflegung:
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2U
LungenheilstAtten.
»Zu den Kosten der Verpflegung eines lungenkranken Versicherten in
einem klimatischen Curorte zahlt die Krankeocasse 1,50 Mark fOr den Pfiege-
tag bei einer Pfle^ezeit biB ta 18 Woohen. Den flilrigem TheD der Pflege
koston irftgt die Verflioherangsaottalt Dieser fallen «ach die Kotton allein
zur Last für die Ober den Zeitraum von 13 Wocben etwa hinausreichende
Pflegezeit. Die Versicherungsanstalt trägt ferner die Kosten der Reise,
die Krankenoasse dagegen gewährt, soweit dies dem Cassenstatute entspricht,
den Familien der Krankmi die ihnen gebührende FamOleoQatontflteang.«
Es werden also am besten die Versicherungsanstalten sieh an den Ein-
richtungen für Lungenkranke nicht nur betheiligen, sondern möglichst selbst-
8t&ndig solche ins Leben rufen, je nach den örtlichen und sonstigen vor-
handenen Verbftltntosen. Die Binriebtungen kSnnen nnr fQr diejenigen Kranken,
bei denen Heilung wahrscheinlich ist. getroffen werden ; zur Untorbringfnng
▼on unheilbaren Kranken sind dieselben dem Gesetze nach nicht ofpp'fjnet.
Der Correferent HAMPE-Helmstedt legte die medicinisohe öeito der
Frage nach folgenden Gesichtspunkten dar:
»1. NaehdMB wedw die Vendehtung der specifiaehen Krankheitserreger,
noch die Tuberkulinbebandlung der Kranken eine nachweisbare Verminde-
rung der Lungenschwindsucht herbeigefülirt haben, greift die öffentliche Ge-
sundheitspflege auf die schon seit Jahrzehnten mit zweifellosem Erfolge
geftbte »hyt^enleeh-difttotiaehe« Behandlung der Kranken rardek, welche um
so sicherer ist, wenn sie in besonderen Anstalton — »Sanatorienc, »Heil'
st&tton«, — stattfindet.
2. Eine Einschr&nkung der Lungenschwindsucht werden diese SanSr
torlen |edoeh nnr dann tmd allmllig bewirken können, wenn sie In grösserer
Zahl erriehtet und aueh den wenig begütorten Volksschichten suginglich
gemacht werden.
3. Die Aufgabe, diese hochwichtige humane und hygienische Aufgabe
der Lösung entgegenzuf Qhren , ist durch unsere Gesetzgebung vor allen
den bivaHdltEto- und Altersversleherungsanstallen satbell geworden; sie
haben das Recht, sich ihrer kranken Mitgrüeder schon vor Eintritt der In-
validität anzunehmen, um diese durch eine zweckmässige Behandlung mög-
lichst zu verhüten. In dem Streben, von dieser Berechtigung (Jebrauch zu
machen, werden sie snnlehst darauf hinwirken müssen, die an Lungen-
tuberkulose Leidenden mÖgUdiSt frfih in Obhut nehmen und den spec>fischen
Heilanstalten zuführen zu kf^nnen, denn nur in den ersten Stadien der*
Krankheit gelingt es, ohne allzu grosse Opfer ihren Stillstand zu veranlassen
und die ArbeltsOihigktit der Kranken wieder hersustellen, besiehungswefse
SU erhalten. Vor Allem aber w«rden bei dem gegenwärtigen Mangel an
Sanatorien die VerBicherungsanstalten dahin wirken mflssen, solche su
gründen oder gründen zu helfen.
4. Die Sanatorien für Lungenkranke müssen nach den hygienischen
Gmndsätsen eingerichtet und verwaitot werden, welche In den für Ange-
hörige der begüterten Bevölkerungskreise in Deuteehland bestehenden Master-
anstalten zur Geltung gebracht sind. Wenn auch einfach ausge>tattet.
müssen sie doch Alles enthalten, was erfahrungsgemäss zur Erreichung einer
grösseren Widerstandsfähigkeit- des menschlichen Körpers gegen die dele-
tftren Blnwirkungen der Tuberkelbaelllen als nothwendig oder sweckmissig
erscheint.
5. Die Sanatorien dürfen nicht ohne Vorkehrungen und Einrichtungen
bleiben, welche nothwendig sind, die specifischen Krankheits-, Insiwsondere die
Ausworfsstoffe su vernichten und für die Nachbarschaft nnscbidlich su machen.
6. Ohne einen ständigen sachkundifren Arzt wird der Erfolg der An-
staltsbehandlung stets ein zweifelhafter bleiben. Ihm liegt es ob. durch stete
persönliche Einwirkung den Muth der Kranken zu beleben und ihnen die
Lungentaeilstfltten.
215
für ihre Genesung erforderliche Lebensweise so fest and sicher einzuüben
und anzug^ewdbnen , dass sie dieselbe auch in ihrem Familienkreise nach
Ihrer HelluDg: ohne Zwang fortoetxen werdeii.€
Der Bericht f!er Hanseatischen Versicherungsanstalt über Anträge auf
Uebörnahme der Kosten des Heilverfahrens für Versicherte weist aus, dass
im Jahre 16ü3 32, 18'J4 260, 1895 6Ü8 Anträge gestellt wurden.
Die Brgtebnlrae waren folgende: Im Jahre 1894 gingen etnsohlleselicli
von 2 Anträgen, die unerledigt von 1893 Gbernommen waren, 228 Anträge
auf Uebernahme dor Kosten des Heilverfahrens ein. Von diesen betrafen
192 Lungenkranke, von weichen 128 berücksichtigt wurden, welche theiis
in Rehbnrg, theiis In Andreasberg nntergehraoht worden. Bntlassen worden
88 Personen, 'JO blieben in Behandlung; 26 der ersteren hatten ihre Er^
werbsfähigkeit wiedor erlangt, bei 12 war eine mehr oder weniger erheb«
liehe Besserung des Zuätandes eingetreten.
1895 worden 408 Lungenkranke zum Heilverfahren Obernommen nnd
In St. Andreaaberg, Rehborg, AHenbrek, Or..-Tabara ontergebracht Insge-
sammt betrug die Zahl der Verpficgstage 35639. Bei 338 Patienten fand
sich eine durchschnittliche Gewichtszunahme von 4,71 Kgrm. 40t Patienten
worden aas der Behandlung entlassen; von diesen war bei 37 keine Spor
eloer Brkrankong mehr naehwelsbar, bei 116 geringe Spuren, aber Tolle
Erwerbsfähigkeit, hei 141 nicht vollkommener Erfolg, aber Erwerbsfähigkeit,
hei 65 geringer Erfolg, F&higkeit nor Ifir leichte Arbelten, ond bei 45 kein
Erfolg zu verzeichnen.
Abgesehen von den sablreichen Bestrebungen, welche an verschiedenen
Orten in Deotschland nnd andern Ländern am diese Zelt so Tage traten,
welche noch zu erwähnen sein werden, ist ganz besonders als ein u-oitorer
gemeinsamer Sammelpunkt der Bemühungen, der Schwindsucht in wirksamer
Weise zu begegnen, in Deutschland im Jahre 1895 das Rothe Kreuz in die
Erseheinnng getreten. Der Gedanke, diesen Tbell der soelalpolltlsehen Oesets-
gehung in Zusammenhang mit der Friedensthätigkeit des Rothen Kreuzes so
bringen, ist als ein sehr glücklicher zu bezeichnen. Nach einem Aufsatze von
Pannwitz soll das Rothe Kreuz mitwirken »hei Begründang von Volksheil-
stätten im Biniremehmen mit den Altera- ond Invalidltittsversleherongs-
nnstaltent. Oerade das Rothe Kreuz mit seiner straffen Organisation, mit
seiner autorii.itiven Kraft ist im Stande, sich wirksam bei der Arbeiterver-
sicherungsgesetzgebung zu bethätigen, und es gehört diese Betheiligung voll-
ständig SU den satzungsmässigen Aafgahen des Rothen Kreuzes, denn sie
bewirkt Ansblldung von Priegepersonal ond Berdtatellong sahlreloher Lager-
steilen für Kranke. Diese neue Arbeitsrichtung der Vereine vom Rothen Kreuz
soll mit der Thätigkeit der Versicherungsanstalten in Zusammenhang treten,
indem »Volksheilstättenvereine vom Rothen Kreuz« allerorts in s Leben ge-
rofen werden. Als Unterknnftsstfttten sollen die von der Gentralstelle nieder-
gelegten transportablen Baracken benutzt werden, welche nach allen Stellen,
wo sie benöthigt sind, leicht gesendet werden können. Neben der Thätigkeit
dieser Vereine, welche hauptsächlich für die Versicherten sorgen, ist aber
die Mltwiricuog privater Kreise nieht sn entbehren, da sahlreiobe Nlchtver-
sieherte vorhanden, welche nicht in der Lage sind, im Falle der Erkraokong
an so Tang dauernder Krankheit, noch aus eigenen Mitteln Aufwendungen
für ihre Gesundheit zu machen. Am 21. November 18'.)ö fand die erste vor-
herathende Sitzung in dieser Sache statt; am 27. wurde die Ausführung
weiterer Sdiritte berathen ood besonders die Blldoog eines dentsehen Central-
comitte vorgeschlagen, welches als Centralstelle fQr alle Bestrebungen auf
dem Gebiete des Heihtättenwesens für Lungenkranke dienen sollte. Dieses
»Deutsche Centralcomitä zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke«
soll, om den Orts- ond Bezirkshellstättenvereioen nicht die Geirinnong
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216
LiingMiheilstAtten.
leistuDgsf&higer Mitglieder su erschweren, nur Mlchtt PwaSnllelikoIton so
littgtiedem liUen, bei denen ▼orannaaetiMi, dsM ile neben der Fflrdwang
der Unternehmungen in ihrer cngreren Heimat auch bereit seien, ihr Interesse
durch personliche und materielle Unterstützung der Centralstelle zu be-
th&tigeD. Dadurch, dass der Reichskanzler des Deutschen Reiches, Fürst zu
Hohenlotae*Sebi11ingsfQr8t, welcbw stete der Frage lebhaftes Interesse
sngewendet, den Ehrensitz im Centralcomitä übernommen, ist der ganzen
Bewegung und ihrer Weiterentwicklung für das Deutacho Reich eine
günstige Vorber»age zu stellen, so dass also, obwohl die Errichtung von
YolkslieU^titten fflr Lungmikranke In Deutsebland erst spftt begonnen worden,
dennoch jetzt bereits sahlreiehe Anstalten In's Leben gerufen worden sind,
oder Vereinigungen für diesen Zweck sich gebildet haben. In der ersten
Generalversammlung des Cent ralcomites am 16. December 18'JG wurde hervor
gehoben, dass an Geldmitteln 400.000 Mark eingegangen waren, und ferner
efn knrser Uebcrblick Ober die vorhandenen Anstalten und sonstigen Be-
strebungen gegeben. Das Centralcomit^ hat die Aufgabe, die Ueberzcugung
von der Nothwendigkeit einer planmässigen Schwindsuchtsbekämpfung in
die weitesten Kreise des Volkes zu tragen und durch Aufbringung von mög-
licbst reidien Mitteln einen Ansgleidi swisehen Heilbedarf und Heilmitteln
im Belebe su ermöglichen.
Wichtig ist der Bescbluss des Centralcoraites , welchen Pannwitz in
der Sitzung der Centralstelle für Arbeiter- Wohlfahrtseinricbtungen im Mai
1897 in Frankfurt a. M. «^Ihnte, eine Heltotätteneorrespondenz zur Ver
Sffentiichnng der Erfsbrnngen der HeUstSttenvereine herausxngeben. Die
zerstreuten Berichte werden hierdurch gesammelt und können leicht in ihrer
Gepammtheit verwerthet werden. Als eine weitere Aufgabe des Central-
Comit^s oder jener Correspoodenz möchte ich es betrachten, genau die
Punkte darzulegen , welche fflr die Benrthellung des Ergebnisses der Be*
handlung in Frage kommen mQssen. Bisher sind die Heilerfolge In den ein-
zelnen Anstalten, wie sich noch zeigen wird, unter sehr verschiedenen
Ausdrücken eingetbeilt; z. B. es trat beschränkte, verminderte, volle
ArbeltsßUiigkeit, wesentliche, bedeutende, geringe Besserung ein, oder die
pbyslkallseben Erscheinungen waren ganz oder tbeilweise geschwunden
oder gebessert u. s. w. Eine statistische Zusammenstellung der Erfolge der
Anstalten ist natürlich aus solchen Angaben nicht anzufertigen. Erst wenn
▼on der Centralstelle aus für alle Anstalten einheitliche Regeln fflr die
Feststellung der Heilergebnisse angegeben sind, wird eine suverUtssige und
brauehbare Statistik anzulegen sein.
Der oben erwähnte, im Anschluss an die Erörterunor von v. Leyüen im
Verein für innere Medicin seinerzeit gewählte Ausschuss war zwar in seinen
Vorbereitungen dorch die »Sturm- und Drangperlode des Tuberkulins« hA>
hindert worden, aber er muss doch als Vorläufer der Vereinigung angesehen
werden, welcher als Berlin-Brandenburger Heilstüttenverein für Lungen-
kranke« unter Vorsitz von v. Leyden und unter dem Prolectorate der Kaiserin
von Deutschland sich gebildet hat, um Heilstfttten tfir die weniger be«
mittelten Kreise der Gesellschaft zu gründen. Die Constituirung begann
bereits Ende des Jahres 18'.'4 ; die Heilstätte sollte für '2 0 Kranke eröffnet
werden und die Verpflegung daselbst 3 Mark pro Tag kosten. Noch im
Verlaufe des Jahres 1897 soll in der Kirchenhaide bei Beizig eine Heilstatte
errichtet werden. Die Aufgabe des Veroins legte v. Lbydiin in einem tr. ff-
liehen Vortrage in der deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheits-
pflege atn 14. Februar 1890 dar. besonders um zu betonen, dass die Bestre-
bungen des Vereines nicht etwa anderen entgegengesetzte seien, sondern
dass eine gemeinschaftliche Action vorl&ge. Der Berlin Brandenburger Hell>
st&ttenTeroln habe sieb unter steter FQhlung mit dem Rothen Krens eonstitulrt.
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LungenlieltBtätteii.
217
Am 22. März 1896 veröflentlicbte das Reichsversicherungsamt einen Erlass
an die Invaliditäts- und Alteraversicherungsanstalten, in welchem es auf die
Ziele der drei ▼orbaadenen Verefnigniii^ mit folgenden Worten hinwies:
Dai Reiehsversieherangsamt ersneht die Beetrebnngen der sEmmtllcben
genannten Vereine nach Kräften zu fördern, indem es in Betracht zieht,
dass durch dieselben nicht minder den Interessen der Versicherungsanstalten
als denen der ärmeren Volksclassen gedient wird. Insbesondere werden die
Vertfeherungsanetalten dnrdi derartige Vereine in die Lage Tersetzt, den
besserungsfähigen, Tersicherten Lungenkranken unter gQnstigen Bedingungen
und ohne F'estlegung eip:ener Mittel eine zweckdienliche Heilbehandlung an-
gedeibeo zu lassen und dadurch, sofern die Erfolge den gehegten Erwar-
tungen entsprechen, gleichzeitig ihre Rentenlast zum Woble der Oeeammtbeit
SQ vermindern.
Unter diesen Umständen hält es das Reichsversicberungsamt für ge-
boten, den Vorstand zunächst auf die am 1. Mai d. J. zu eröffnende »\'olks-
heilstätte des Rotben Kreuzes bei Oranienburgc aufmerksam zu machen
und Wobldemselben die Benutzung dieser Anstalt in allen den]enigen Fällen
zu empfehlen, in denen die Uebornabme des Hellrerfabrent fflr Inngeokranke
Versicherte männlichen Geschlechtes gemäss dos ^12 des Invaliditäts und
Altersversicherungsgesetzes dortseits bf absichtigt wird und die Entfernungs-
verhältnisise eine UeberfOhrung der Kranken in die Heilstätte gestatten.
Hierbei wird noch beeonders bemerkt, wie aueh die Krankeneassen und
Oemcintleverbände etc. im Allgemeinen ein erhebliches Interesse an der
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit von Lungenleidenden haben, und wie
es sich daher im Falle der Anwendung der vorgenannten Gesetzesbestimmung
empfehlen wird — sei es behufs gemelnschartllcher Tragung der Pflege-
kosten In der Anstalt, sei es behufs Sicherung einer angemessenen Unter«
Stützung für die während der Dauer des Heilverfahrons etwa ihres Ernährers
beraubten Familienangehörigen — mit den Rrankencassen, Gemeindevor-
ständen etc. rechtzeitig in Verbindung zu treten.
Der vom Rothen Kreus in*s Leben gerufene VolkshetlstSttenverein,
dessen begrCndcnde Hauptversammlung am 19. December 1895 stattfand,
konnte bereits nach Verlauf einer pehr kurzen Zeit seine Anstalt am Qrabowsee
bei Oranienburg eröffnen Wie Divisionsarzt Werxkr, der steil vertretende
Vorsitzende des Vereines in einer Plenarsitzung der Fachcommission und des
VOToinsvorstandes am 80. April 1896 darlegte, sind zwei Perioden In der
Entwicklung des Unternehmens zu unterscheiden, die vorbereitenden Schritte
bis Mitte März und die eigentliche Errichtung der Heilanstalt, welche sich
vom 20. März bis 25. April, also in etwa ö Wochen vollzog. Es ist diese
Sehnelligkeit wohl mit als eine Folge der rührigen Thfttlgkeit von PAmrwiTZ
anzusehen. WIrthschafts- und sonstige Verwaltungsgebäude der Anstalt sind
Massivbauten aus Fachwerk, während die Krankenunterkunftsräume trans-
portable Lazaretbbaracken sind. Die ärztliche Leitung der Anstalt ist dem
Stabsarzt Schultzrn unterstellt ; der Preis fOr den Aufmthalt beträgt täglich
8 Mark. Jede Baracke Ist fllr adit Kranke, die sich entweder in einem ge-
meinsamen W^ohn- und Schlafraura befinden, eingerichtet, oder die Baracken
sind in drei gleich grosse Zimmer zerlegt . deren beide äusseren Schlaf-
slmmer für je vier Kranke sind, während der gemeinsame Wohnraum in
der Mitte liegt. Bereits am 25. April traten die ersten Kranken in der Anstalt
ein, deren Eröffnung am 1. Mai erfolgte. Der Betrieb war zunächst auf sechs
Monate festgesetzt, um zu erkennen, ob die Baracken den an sie gestellten
Anforderungen genügen würden.
Im Folgenden ist der Bericht über die Krankenbewegung in der Heil-
stätte am Onibowsee bei Oranienburg abgedruckt:
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Langenheilstfitten.
219
Des weitQ^ehenden Interesses wegen, welches diese erste in der
norddeutschen Tiefebene gelegene Luugenheilanstalt für die be-
fbelU^B Kreise hat« sollen aooh noeh die AnataHaordnaoip nnd Aufnahme-
Bedingungen wörtlich hier abgedruckt werden. Jedenfalls scheint der enielte
Erfolg die Hoffnungen, welche man in die Anstalt gesetzt hatte, zu recht-
fertigen, so dass der Beschluss, dt-n geplanten Betrieb der Ueilsl&tte weiter
fortsoMtsen, angebraoht ist
Avfnahme-Bedingnagen der Y olkth eilst fttte des Rothee Krevse« ani
Grabowsee bei Oranienburg.
1. Die Tollubeilstitte dea Kothen Kreuzes ist iamitteo aaagedebnter Nadelvraldnogea
am Orabowaee bei Onndenboiv In fennder, landaehafttiidi MkOoer nod geschtttiter Lage er-
richtet und wird am 1. Mal 1896 erOlIiiet Ab WokaatlttoB ^Heoen die i^wAlntea BuaekeB
des Kothen Kreuzes.
2. Die Oberaufsicht über einen dem Heilzweck der Anstalt voll entsprechenden,
Bondbeitsgemässen Zastand und Betrieb der HeiUtUtte labrt der Vorstand des Volksheilstauen
Vereines vom Rothen Kreoz nnd seine 8adirerst&ndigencommisBion. Die irztHcbe Leitung der
Anstalt Vu-'^t in der ll.iud des Gthi irnen Medicinalrathes Prof. Dr. Gf.uhaudt zu Berlin und
seines Assistenten Dr. äcBDLTZSM als ersten Änstaltsarztes, welchem ein ausreichendes, wobl*
geaelraltes UntHelies und Pnegepersonal beigaben ist.
3. Das durch reiche Erfolge in Sanatorien fflr Lungenkranke erproi>te Tleilverfahren
ittt da.s hygieni8ch di:iteti.sfhe. Es beruht iui Wtsi ntlulien aut dein stiindipcn Aufenthalt des
Kranken in reiner staubfreier Luft bei angemessener körperlicher Hewegung, geistiger and
körperlicher Bescbältigang, sowie auf einer reicUiclieD, dem Krankheitssutasd «nge|>aastaii
EmBhniDg. Es wird, soweit ertorderfieb, nirterstatst dnreb medieamentBse Behandlnng.
4. Aufnahme in die VnlksheilstUtte des Kotben Kreuzes finden miinnliche Liin;:en-
kranke, deren Leiden Aussiebt auf Wiederberstellung oder erbebliche Bessernng der Erwcrbs-
fäbigkeit bietet, und welche niebt mit dner aadeieii aaaleekeiiden oder cdner ekelerregen-
den Krankheit behaltet sind.
5. Die Bewerber haben einen behSrdlichen (OrtsbehQrde, Krankeneasse, Verricherungs-
anstalt u. s. w. i Ausweis iiher ihre PerHon, snwir « ine ärztliche Bescheinigung Uber ihren
Krankheitszostand, insbesondere die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit einer wesentlichen
Besaernng der ErwerbsliMgkeK betrabringen and den Naehwels Ober die SIeberstdIvng der
PUegekoSten zu fuhren.
6. Die Bewerber haben wenn nni},'lich zwei AnzQge, sowie iedenfalls doppelte Fu*8-
bekleidnng und doppelte Leibwäsche in sanberem Zustande mitzubringen. Im Bedarfffnlle
QbemimiDt aal Antrag die Anstalt, soweit «ogingig, die Llelemog der den Kranken fehlen-
den Ansstattongsgegenstilnde. LagerrteOe. Bettwlaobe, HaadtUcher werden Ton der Anstalt
gelierert. Das Mitbringen von BeqnenUfllikeltBkleldnng, irie Seliintroek, Pnatoitebi n. dergl.,
ist gestattet.
7. Die Wisehei^igttng wUiread dea Antonthaltee In der Hellalitte beaoigt die letatere
kostenfrei.
8. Die Bewerber haben sich zu verpflichten, dasa sie sich in Jeder Beziehung der
Aaataltsordnung fügen werden.
9. Die Bewerber haben sich, soweit nicht besondere Yereinbaraagen gutrollen sind,
einer endgiltigen Featatellang der Aurfnahmeflliigkeit an anteralelien, nnd zwar naeh ihrer
Wahl entweder in der Poliklinik der Geheimratb GKanAHDT'schen Klinik in der Königlichen
Gbarite zu Berlin — Unterbaumstrasse Nr. 7 — (Montags, Mittwochs, Freitiigs von 8 bis
10 Uhr Morgens) oder durch den leitenden Arzt dw Beilstätte am Grabowsee zu jeder Zelt.
10. Die lUr Unterkunlt, ärztliche Behandlang nnd Verpflegung in der Heilstatte an
entriebtenden Gesammtkosten betragen fOr jeden Kranken täglich B Mark. Hierin sind auch
die Kosten für au,s,^ergewiihnliche Verpllignntrs uml .'^tliikunj^.smittfl linbegriffen. Ci^^en.
Anstalten, Behörden u. a. w., welche Kranke Uberweisen, rechnen allmonatlich postnumerando
mit der Anstalt ab. Kranke, welehe auf eigene Kosten oder auf Koaten anderer Personen in
die Anstalt aufgenommen werden, entrichten den Betrag für 10 Taj^e im voraus. Scheidet der
Kranke vor Ablauf der Zeit, für welche bereits Zahlung geleistet ist, aus, so erfolgt die Rttck-
eratattung des verauslagten Betrages vom Tage nach dem Ausscheiden ans der Analnlt ab.
11. FQr Hin- und BUckreise kommt die Anstalt nicht auf.
18. Die Anmeldungen beben sehrfftlieh, imd swar mSgHebst frflb vor dem beantragten
Anfnahmetermin zu erfolgen. Alle Zuschriften sind bis zum I.Mai d, .1. an den »Vorstand
des Tolksheilstätteovereinea vom Kothen Kreuz«, Berlin W., Wilhelmstrassc 73, später an diu
»Dliection der 7oUuhetlatitle dea Bethen Krensea« nm Qrabowsee bei Oranienbncg an lichten.
t
Anataltaordnnng der Volksheilstätte dea Eothen Krensea am Grabowsee
bei Oranienburg.
1. Jeder Kranke iat verpflichtet, den Anordnungen der Anstaltsärzte und des Aufsichts-
personal« in nnd ausserhalb der Aaatidt nabedingt Folge an leisten, widrigenfalls die sofortige
Entlaasong erfolgen kann.
L.iyu,^cd by Google
220
Lungenhellstätteii.
2. Die Kranken «lad gokalton, so den AxstleatfeMtstM Standen aniraiMien nnd
zu üvtt zu ^eben.
3. Anfcnthaltsanordnung und Ta^seintbeilaDg erfolgt dnroh die Aenle« Kimkei ^
es wttoflchen, können mit äntUeher Zofttlmmaag mit leichteran Artisten — nnd nwar nnter
Umttibuden gegen Entgelt — bewliiftlgt werden.
4. Vor dem Verlassen der Schlafräume sind von dfn Kranken die Fenster ru tiffncn.
Auch Nachts mass auf Erfordern des Arztes in jedem Zimmer ein Fenster geöffnet bleiben.
5. Soweit in einzelnen Fällen nicht besondere Anordnang getroffen wird, hsben die
Kranken das Anfmiclien ihrer Lagerstittten, sowie das Betaigea ihrer Belüeidong seihst sn
beflorgen.
0 Da» Tabakranchcn ist nar ananalunswelse nnd anr «B einem dam bestimmten Orte
mit ärztlicher Qenebmigang gestattet.
7. Der Oennss geistiger Oetribil^e, nasser den cnrgemiss Terordneten nnd Ton der
Anstalt gelieferten, ist verboten.
8. Das pUnktUcbe Erscheineu zu den einzelnen Mahlzeiten , deren Beginn durch das
Läuten einer Gloelra aageseigt wird, wird den Kranken zar besonderen Pflicht gemacht. Die
Halüseiten finden geneinseludtlich nnd nur anl besondere ftntliohe Anordnnog im Zimmer
der Kranken statt.
9. Die Kranken «lürfen sicli nur in den ihnen angewiesenAB Blamea der Anatalt aaf-
balten. Das Betreten der Wirthschattsrüume ist untersagt.
10. Die Bewegung der Kranken in der Umgebung der Anstalt (auf SpaiiergingMi n. s. w.)
wird ärztlicherseits (jeregelt. Der Verkehr in .Schankwirthschaften ist Terboten.
11. Die Kranken dürfen, soweit nicht ärztlielie Bedenken entgegenstehen, Dienstag,
Donnerstag und Sonntag von 2—6 Uhr nachmittags Besuch emiifantren, zu anderer Zeit nur aus-
nahmsweise mit jedesmal einioholender Genehmigong des leitenden Arstes. Den Besnohem ist das
Mltbriogen Ton Lebensmitteln, Getilnicen n. s. w. ohne Erianhniss des Anstnltsante« Torboten.
12. Von den Kranken wird dir Schonung de» Anstaltszubehörs, sowie die grösste
>>auberkuit erwartet; auch haben sie jede Beschädigung der Anlagen sorgsam zu ver-
meiden; CS wird tarner voransgesetst, dasa sie selbst für Heinlichkeit und (Mnnng in den
Schliifzinimem nnd sonstigen ihnen lor Verfügung stehenden Anstaltsräamen , sowie in den
Anlagen sorgen und in gleichem Sinne anf die Mitbewohner der Anstalt ihren Einflnss ans-
•nSbeu suchen werden.
13. Den Kranken wird im Interesse des Heilverfahrens cur besonderen Pflicht
gemaebt, wo de rieh nodi anftadten mVgen, sei es hi der Anstnlt, mtf SpaciwgiBgeo ete ,
znm Spncken nnr die anfgestelHen Spueknüiile oder die ihnen gelieferten Taschenflilsehchen zu
benutzen. Die Entleerung und Reinigung dt-r .Spuckgefässe erfolgt auf ärztliche Anordnung.
Insbe.s(nul<Te ist es streng untersagt, auf den Boden oder in's Taschentuch zu spucken.
14. Etwaige Beschwerden der Kranken während ihres Aufenthaltes in der Anstalt sind
in ein von der Leitung der Heflatltte angelegtes Beaehwerdebnch dnndi die KianiteB sellwt
einzntra^M n oder können dem leilenlen Anstaltsaitt oder einem Vorstandsmitglied penOnlieh
vorgetragen werden.
15. Widersetzlichkeit, Tmnkeniit it, unanständiges Benehmen gegeu weibliche Personen
können die sofortige Entlassung ans der Anstalt anr Folge haben. FUr mathwülige Bescliädi-
gnngi-u des Anstultseigenthums ist der Thiter haftbar.
Auster diesen vorhandenen Vereinen ist noch die BLEiCMRODBR-Stlftang
in Berlin zu nennen, ein Verniächtniss zur Gründung: einer Heilanstalt
für I^unsenkranke, an dessen Spitze ein Curatorium steht, zu weU-heni die
Testameatsvollslrect^er des Stifters und drei Vorstandsmitglieder des Berlin-
BrandenbiirKer HeUatftttenvereinB für Lungenkranke gebOren.
Die FQrsorge Berlins fflr Brustkranke findet bis jetzt, abgesehen von
der Möo^Hcbkeit der Aufnahme der Kranken in den Krankenhäusern, ihren
Ausdruck im Bestehen der bereits oben erwähnten beiden städtischen An-
stsllen. In Malchow fQr 86 Mtoner, In Blankenfelde ffir 60 Frauen. Die
Aufoahni«! und Erfolge waren hier folgende:
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171 7«
320 81
02 17
103 ö
1
2
Bemerkens Werth ist, dass nur von »sehr gebessert« Entlassenen in
dieser nach dem amtlichen Vervaltungsberichte von mir zasammengestellten
uiym^L-ü Ly Google
LungcnhcilstAtten.
221
Statistik die Rede ist. Obwohl Husten, Auswurf und Bacillen sich bei die&en
Pfleglingen verloren hatte, halten sich die betreffenden Aerzte dennoch für
nicht berechtigt von einer »Heflnngc cn spreolien, da die Beobaclitangn-
und Bebandlungszeit, eine zu kurze, und ferner die Patienten, erst wenn sie
in ihre früheren Verhältnisse und Beschäftigung: zurückkehren und längere
Zeit in dieser waren, einen Prüfstein für den Erfolg der Behandlung ab-
t(eben können. Diese vorsichtige Auffassung, welche auch Wbicker vertritt,
dfirfte sieher nicht unberechtigt sein.
Die Alters- und Invaliditälsversicherungsanstalt Berlin hat in QOtergotz
seit einigen Jahren eine Heilanstalt errichtet, in welcher Tuberkulöse bis ^etzt
keine Aufnabiue finden.
Fflr die KrankencaasenBiItglleder Berlins sollte durch eine eombinlrte Ver-
sammlung von Aeraten, Sütenlcencassenvorständen, Verwaltungsbeamten und
Mitgliedern des Ausschusses der Invaliditäts untl Altersversicherungsaostalt,
welche am HO. März lö*J7 stattfand, ein wesentlicher Fortschritt in der
Toberkvlosebehandinog angebahnt werden. Nach den statistischen Er-
hebungen ist anzunehmen, dass von den in den Krankencassen vereinigten
Arbeitern in Herlin etwa die Hälfte der Tuberkulose zum Opfer f&Ut. Folgen-
iler Beschluss wurde von der Versammlung angenommen:
»In Anbetracht der Thatsache, dass die Schwindsucht Immer weitere
Volksschichten ergreift und namentlich unter der Arbeiterschaft Berlins
furehtlNUre Opfer fordert, ist es Pflicht der dazu geeigneten social poIitischMi
Faotoren, alle Kräfte zur Bekämpfung dieser Seuche zu vereinio:en
Wir erwarten daher: 1. dass die Invaliditäts- und Altersversicherungs
anstatt Berlin bei denjenigen Kranken, bei welchen festgest^ Ist, dass die
Lungentuberkulose noch im Anfangrsstadium begriffen ist, auf Antrag der
zuständigen Krankencasse das Heilverfahren auf eigene Kosten übernimmt,
indem sie die Kranken einer der zur Zeit verfügbaren Lungenheilstätten
Uberweist. Im Femeren erwarten wir, dass die Invalidltits- und Altersver-
sicherungsanstalt in Berlin im Interesse der Versicherten sowohl wie im eigenen
mit der Errichtung eines Sanatoriums für Lungenkranke beiderlei Geschlechtes
unverzüglich vorgeht, da nur so dem mächtig erwachten hyi>:ienischen Be-
wusstsein der arbeitenden Bevölkerung Rechnung getragen werden kann.
Wir erwarten: 2. dass die Berliner Aerste von ollen ffir das hygie-
nisch- diätetische Heilverfahren geeigneten Fällen der zuständigen Kranken-
casse Mittheilung machen, damit letztere diese Kranken unverzüglich der
Invaliditäts- und Altersversicberungsanstalt überweisen kann. Ferner ist es
Pflicht der Berliner Aerxteschaft, durch hftuflge Referate Auflclftrung Ober
Wesen und Verhütung der Tuberkulose in die weitesten Bevölkerungs-
schichten zu tragen, und erhoffen wir einen dahingehenden Einfiuss und
Förderung von den Aerztevereinigungen sowohl wie von einzelnen in autori-
tativer Stellunir befindlichen Mitgliedern des AerstestandM.
3. Die Krankencassen vorstände und Verwaitungsbeamten verpflichten
sich, in allen durch die Aerzte i'iherwiesenen geeierneten Fällen sofort bei
der Invaliditäts- uad Altersversichorungsansiali Antrag auf Einleitung des
Heilverfahrens zu stellen. Ferner verpflichten sich sämmtliche Krankencassen,
bei denienigen Ihrer Mitglieder, fflr welche die Invalldittts- und Altersver-
sidiemngsanstalt, ohne die Casse ersatzpflichtig zu machen, das Heilver'
fahren übernommen hat, die Fürsorge für die P'amilienangehorigen im vollen
Umfange der der Casse obliegenden Leistungen zu übernehmen.
4. Zur Forderung der rechtzeitigen Brkenntniss der Schwindsucht muss
die Errichtung einer Centraistelle für l>akterioskopische Untersuchungen, die
den oft vielbeschäftigten Cassenärzten unentireltlich zur Xerfügunp steht
in s Auge gefasst werden, wodurch die Stellung von Frühdiagnosen wesent-
lich orlslehtert werden würde.
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222
LaogenbettstflUen.
Endlich erhofft die Centralcommission , welche die Agitation in die
Wege geleitet hat, dass sie von Seiten der Krankencassen durch Ueber-
weisung des ganzen statistischen Materials zur weiteren Agitation bestmög-
liehst antgerflstei wird.«
In der Veraammlnng war auch der Vorschlag gemacht worden, eine
besondere Untersuchungsstation zu errichten, am den Auswurf in suverlfissiger
Weise und schnell untersuchen zu können.
Beaehtenawerlh erseheint ein in der »Medicinlschen Reform« verölfent-
liehter Vorsehlag, um eine brauehbare Statistik der Zahl der Erkrankungen
an Tuberkulose bei den Krankencassenmitgliedern in Berlin zu erhalten,
durch Bewerkstelligung einer Sammelforschunnr. Die Cassenärzte füllen von
einem bestimmten Zeitpunkte ab für alle zu behandelnden Lungenkranken
ein Z&lükarte aus, deren Schema naoh folfcendem Entwürfe hergestellt ist :
Zählkarte.
Eiitwurl mudificirt darcb VON LKVUKK.
A. Bericht des behaodt;liidea Arztes:
NB. Bei Nr. 3, 4, &, 6 das Zatrelleiide sn imt«ntreieheB, nOtUcMfaU« bsodaoluiltlivli
SB ergiuzes.
1 Knnkencasse Bneh^Nr.
2. „
Xam«, TonUM«. Altar (gab. mI) Sp«ttUll*
3. Wohnung : ^
OliaiM, HwmMT, Vccdariww, StiUiaaabtad», Qw gt b iaJ»,
4. Aetiologie:
mj £rerbte DispoBttion: Tabercniose io der Familie ^Urosseltero, Eltern und deren
Gesehwlflter, OeMdiwIster).
b) Vermutbete lufection: durch Taberculose der Ehegatten, Kinder, Wohnnng»-
ffenoMeo, AflMitaffeDOssen.
c) Frühere Krankheiten (tierophuloae , Keuchhusten, Masern, lullueuza, Pleuritis,
BlatbuiteB, Typhus, Loei);
Wochenbetten; Abortc;
Trauma (ContUHion der Brust).
5. Kurze Angaben den Futicntvn über Beginn und Verlauf der Krankheit :
(Beginn Heiserkeit, Husten, Bnistschmemn, Fieber, XachtächweiHge; Appetit-
loBiykeit, Durchfälle, Brecbneigoog, erschwerte AthnuiBg; BubjectireB Belinden; frühere
ArbeltsnotShlgkeit; bisherige Bdiudlang).
6» (ifgenwürtigfr Befund ^aufgenommen am - );
aj I^hysikaliscbe Untersuchung der Lungen und des Herzens.
b) Ansseben:
Körpergewicht (wie vid Irilher?)
Arbeitsfähigkeit.
Fieber'/
r r n m p 1 i c a t i 0 n e n :
Tuberculoee des Kehlkopfes, des Hittelobres, der Nase, des Darmea, der Haut, DriUeo,
KDoehen, Oelenke; anderer Organe.
Lues, Carcinom, Diabetes; andere Krankheiten.
d) B»eiIIen: (wenn natersacht)
Zur Nuchuuteräuchuug geschickt an
Stemp«! du b«b*D«l*liid«o Arstet.
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Lungenhcitetfltton.
223
B. Naehuntorsuehung am
J>Ulßa08e: Sicher TubrrctilnHt-
Kurzer Luagenbefuad.
FngamM: m) Mebter Fall, b) mittelseliwvrar Fall e) •dhwerer FalL
Nochmalitrc Voi-Ntcllunp nach erwOoflobt.
Zurück Uli den bebundeloien Arzt am
Nam«, boiiitbuagswvU« ätcmpel de« NAobantenucbcn.
Der Kranken «ftiae snr Aafnabuie «mpfohlen am
Wiodwhahnig Unterrachang » >
An die Sammelatelie aas
C. Nutizcii über weiteren Verlauf.
In die Heilanstalt nicht auIjronoanneiB.
P :i t i *' n t verweigerte die Ciar.
Aulgenomiueu am entlassen am ....
Berielit der Anstalt:
T ili'.- Aufi-nthalts
ii. Zuuaüiue des Kürpergewichts ^ ^
HI. Ob|eetiver Befand bei der Batlassang
Lungen (eventuell Kehlkopf, Knochen etc.)
Bai-nien:
IV. ArbeitslUhigkelt (1, »/,. */,)•
V. Voraussiehtliche weitere Prognose
Wiederholung der Cor erwünscht?
D. Späterer Verlauf:
U.
Zur MittheUung an die CasBen bestimiiite Karte.
Berlin d. 189
Krankencasse Bncb No.
IKmun, yocMim AlMr (fih. «ri
erwerbsfliliit:
krank aeit
erirerbsuniuliig
Mdet an Lnnffenaebwindaoebt (■
nnd eignet sfcb nach dem Urtbeil des Unterzeichneten und des Herrn
zur Behandlung in einer Lungeaheilaaatalt.
Noebmalige VorateUang bei Herrn „ „
• •- nach erwünscht.
bshandaladsr Amt (l'ntenchrift und Stempel).
Die Zählkarlen sollen an einer ärztlichen Sammelstelle endgriltig ge-
sammelt worden und dann als Grundlage weiterer Verarbeitung dienen.
Im Jahre 1897 ist das Thema der Errichtung von Heilstatten für
Lungenkranke wiederam aar Berathang fQr die Vereammlnng der GenelU
Schaft deutscher Naturforscher und Aerzte gestellt. Auf dem internationalen
medicinischen Congress in Moskau wird v. Lrvden in einer der allgemeinen
Sitzungen einen Vortrag über die Versorgung der Lungenkranken Seitens
dee Staates halten.
Wie oben bereits erwähnt, ist von deutschen, Städten, ausser Berlin
hauptsächlich Frankfurt a. M. sn nennen, welches durch seinen Verein
224
LunsenheiUtAtten.
fQr ReconvalescentenanstalteD liabnbrechend für die Errichtung: von Langfen-
heilstfitten wirkte. In dor «weiten Hälfte des October 1895 konnte eine
Heilst&tte im eigenen Heim in Rappertsliain für 40 Männer und 40 Frauen
eröffnet werden. An manchen Orten bat man gegen die Vereinigung der Ge-
schlechter in einer Anstalt das Bedeniceii geltend gemaeht, dass Unsatrig-
lichkeifon entstehen würden, da Phthfsiker g^eschlechtlich sehr erregbar
sind. Im Jahre IS'JG wurde zwischen dem Frankfurter Verein und der
Invaliditäts- und Altersversicherungsanatalt Hessen- Nassau ein Vertrag be-
treffs Ueberweisung von Kranken abgesehlossenf am anch Venmehe mit der
Heilbehandlnng fQr die VersicherungrspfHchtigen anzustellen.
Ausser diesen bat der V^erein noch Mitglieder von einer erheblichen
Anzahl von Krankencassen etc. vertragsmäsaig aufgenommen. Im Ganzen
waren im Beriebtsjabre 1895/96 829 Kranke bebaodelt.
Von anderen deutschen Städten bat aneb Bremen eine rege Thätig-
keit entfaltet. Der Bremer Heilstättenverein, welcher nach der Schilderung
von Georg Liebe zuerst eine Gruppe des 18Ö8 in Hannover gegründeten
»Vereines zur Errichtung und Erhaltung von Heilstätten für bedürftige
Lungenkranke« war, stellt sieh die »Aufgabe, in besonders gflnstig gelegenen
Gegenden Heilstätten zu erruhten und zu unterhalten, wo bedürftige
hreini.sche Lungenkranke, und zwar nöthigenfalls auf Kosten des Vereins
verpflegt werden. Daneben wird der Verein sich bemühen, die Behandlung
▼on Lungenkranken an Garorten oder in Anstalten naeh soldien Methoden
so Tarmitteln. welche in der Wohnung der Kranken nicbt dnrehfQhrhar sind.
Ausnahmsweise ist auch die Aufnahme oder liehandlung auswärtiger Lungen-
kranker statthaft. Der Verein eröffnete I6d'6 eine eigene Heilstätte in Reh-
bnrg, deren letsta Jabretberlehte sebr günstige Zahlen aofir^en.
ISN ISM UM
Mlaaar Wnmm Mlamc Wtuum MIaMr fliMtB
II* wurden verpflegt
65
40
93
49
83
&S
Vou diesen wurden entlassen . .
49
32
76
41
71
46
HU voller Arbeitaflbif keit . . . .
18
18
27
16
60
82
Mit beschränkter Arheitsf:lhiY'keit .
19
3
38
19
9
7
12
7
16
6
12
7
In München war man besonders durch v. Ziemssen b Anregungen der
Frage der Brriebtnng von Volksbellst&tten nfther getreten. Am 13. Januar 1892
hielt MoRiT/. im Aerztlichen Verein einen Vortrag, und es wurde auf
v. ZiEMSSENS Antrag eine Commission gewählt, Ober deren Berathungen
Schmidt am 1. März 1HI*3 referirte. Am 2. December 18'J4 fand die Be-
gründung des Vereines fflr Volksbeilst&tten statt, und es konnte am
5. November 1890 die Grundsteinlegung fflr diese erste Volksbeilstttte fflr
Lungenkranke in Bayern in Planegg stattfinden. Die Anstalt cnfhSlt
8*J, erforderlichen F'alles 114 Krankenbetten . wenn die im zweiten Stock
gelegenen Flügel bauten mit Zimmern ausgebaut werden.
Hervorragend Ist von sfiddeutscben Stftdten aueb Worms fflr Er*
bauung von Volksheilstätten eingetreten. OberbOrgermeister KQcbler fflhrto
in einer interessanten Denkschrift durch Herechnun«:: der Zahl der Lungen-
kranken den Nachweis, dass für die Stadt Worms eine Anstalt von 24 Betten
erforderlich sei. Dieselbe ist am Felsberg im Odenwald zu errichten. K fleh 1er
besonders trat dafflr ein, dass die Gemeinden Heilanstalten errichten sollten,
und leL'te dar. dass es die vornehmste AufK-ahe der Städte sei, sich dieser
hohen Aufgabe zu unterziehen, eine Ansicht, welche, wie wir oben gesehen
haben, leider nicht von allen Stadtverwaltungen getheilt wird.
Zu Gunsten einer Heilstätte fflr Lungenkranke der Stadt Nflrnberg
bat sich 185G daselbst ein Verein gebildet, welcher in Engelthal bei Her.s-
bruek eine Anstalt errichten wird, deren Vollendung zu erwarten steht.
Limgenlieltetätten.
225
Hannover bat einen »Verein ffir bedflrfti^ Lnngenkrankec, welcher
die Patienten in Rehburir nnterbrinst Im Jahre 1896 betrag die Zahl der-
selben 20. von denen 14 gebessert und 13 wieder arbeitsfähii^ wurden.
Die Gewichtazunahme betrug zwischen 3 und '22, bei den mei.sten Kranken
zwischen 7 und 10 Pfund ; Qewichtsabnahme trat bei keinem Kranken ein.
Der Verein rar Brriehtnnff einer LnnfenheilstStte fflr Stettin Iweitst
bereits einen Platz in der Buchbeide bei Höckendorf nahe Stettin. Die Vor-
t>ereitungen werden unter Zenker's Leitung rührig betrieben.
Von den sonstigen Vereinen und Körperschaften sind Heilstätten im
Betriebe oder in Vorbereitnng von der
Norddeutschen Knappscbaftspen8ionscas.se Halle a. S. Diese
stellt eine besondere Casseneinrichtung für die Invaliditäts- und Altersver-
sicherung im Sinne der 5 ff. des Gesetzes vom 22. Juni 1889 für 20 Knapp-
schaftsvereine dar. Obwohl der § 12 des Gesetzes nicht in die Satzungen
aalgenommen ist, kann die Berechtigung der Pensionseasee, das Heilverfahren
zu übernehmen, keinem Zweifel unterliegen. Um niöjrliohst frühzeitig in den
ersten Anfäniron der Krankheit die betreffenden Patienten herauszusuchen,
eignen sich besunders die Verhältnisse der Knappschaftsvereine, wo die
Knappschaftainte den grSssten Thell ihrer Sprengeleingesessenen elniger-
massen kennen, so dass sie die zur Behandlung geeigneten Mitglieder bald
heransfinden können. Die Anstalt wird bei Salzhagen im Sfidhan für 100
Betten errichtet werden.
In Westphalen baut der Kreis Altena eine Volksheilstfttte für 100
Lungenkranke. Die Invaliditäts- und Altersversicberangsanstalt für West-
phalen zu Münster beabsichtigt, zur Zeit keine eigene .\nstalt zu er-
richten. Es empfiehlt sich auch für westphäiische Verhältnisse mehr, An-
stalten fOr engere Bezirke und unabhängig von der Versicherungsanstalt zu
banen. Die Anstalt des Kreises Altena wird 8 Km. von LOdenscheid ent-
fernt am 1. Juli L^i'S eröffnet werden.
Die Thürintjische Alters- und Invaliditätsversicherungs- '
anstalt hat seit dem 27. Mai 1896 eine Curcolonie auf der Harth bei
Berka a. L errichtet. Znerst waren die Kranken in swei privaten Pensions-
hftnsem, S(diloss Rodberg und Sophienhöhe, untergebracht; später werden sie
nur in ersterem Aufnahme finden. Der ausführliche ilrztliche Berirht Ober
die ersten 5 Monate in der Anstalt enthält genaue Angaben über alle medi-
dnlsdien Fragen, Carplan, Diät, Behandlang. Hoher Werth wird aaf die
Behandlung des Auswarfes seitens der Kranken gelegt; die betreifenden
Anordnungen folgen anbei wörtlich:
Pflege des Auswurfs.
Bei der Behandlung Lungenkranker ist ein wichtiges Brfordemlss,
dass dem Auswurf derselben die genügende Beachtung gewidmet wird. Der
Auswurf Tuberkulöser ist der vornehmliche Träger der Ansteckungskeime
und von ihm gehen die ununterbrochenen Selbstansteckungen der Kranken
ans, sowie bekanntermassen auch die Uebertragung dieser Seudie von Einem
snm Andern durch den Auswurf anstände kommen.
Die Kranken sind strengstens angewiesen, den Auswurf tagsüber stets
in DETTWEiLBR'sche Taschenfläschchen abzugeben und die V^ersicherungsanstalt
giebt einem jeden Kranken ein solches Pl&schchen snm BfgenthunL Nachts
wird bis jetzt noch in die Nachtgeschirre ausgeworfen; demnftohst aber wird
auch jedem Kranken eine handliche Spucktasse ans etnaillirtem Blech zur
Benutzung während der Nacht >;e<;eben. Zur Reinif^un«; und Desinfection
dieher Gefässe wird der Kranke selbst angehalten. Den Auswurf ander-
weitig absageben, zu verschlucken oder mit dem Taschentaoh aufsunehmen,
ist nnter entsprechender Belehrung verboten. Zum Sehuts unserer Colonisten
Xb^joIov. JahtbBelMr. VII. 15
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226
LttOgenheilstAtten.
ppgen ihren Auswurf ist fernerhin angeordnet, dass die Kranken mit Aber*
hängendem Schnurrbart, sich diesen bis zum Beginn des Lippenroths an dor
Oberlippe kfirzen lassen, eine Massregel, der nicht alle gerne Folge leisten,
sondern lieber eine öftere vorsichtige Desinfection des Schnurrbartes mit
SnbUmatwasser vornebmen. TMcbentllcber, welehe sam Pntsen der Nase
und dos Mundes dienen, sollen nur einige Tage in Gebrauch sein und
werden mit der Leibwäsche auf Kosten der Versicherungsanstalt gewaschen.
Die Tasche, iu welcher das Taschentuch steckt, die vorderen Theile des
Roekes und der Weste, die Fingerspitsen werden ebenso wie der Scbnarr«
hart des Oefteren mit Sublimatwasser behandelt, weil an diesen Stellen
leicht Theile des Auswurfes haften bleiben. Ein 100 Grm.-Fläschchen mit
Sublimatwasser führt deshalb jeder Kranke stets bei sich. Zur V erhinderung
der SelbsUnfeetion wird der Kranke auch gehalten, t&glich mehrere Male
eich so gnigeln, die ZUine an bürsten, die Binde zu seifen, nnd nm die
Uebertrasrung von Einem znm Anderen zu vermeiden, wird bei den Mahl-
zeiten achtgegeben, dass die Kranken Speisen der Anderen mit ihren Händen
nicht berühren.
Von 102 ▼erpfl^^ten Kranken wurden 88 enUusen. Drei dersellten ver*
lieeaen die Colonie einige Tage nach ihrer Aufnahme. Von den übrigen 80 war
bei 7 keine Spur der Erkrankung mehr nachweisbar,
bei 25 noch Spuren, die Individuen aber vollkommen erwerbsfähig,
bei 26 Erwerbsffthigkelt ohne Gewihrleistnng l&ngerer Daner dieses
Znstandes,
bei 11 geringer Erfolg, Fähigkeit nur an leichteren Arbeiten,
bei 12 kein Erfolg.
Die Invalidit&tS' nnd Altersversicherungsanstalt Braun-
schweig wird eine Heimstätte fflr Genesende bei Stiege im Harz im oberen
Selkethal mit 40 Betten im .luni eröffnen. Der Director der Versicherungs-
anstalt Hasrol ist als ein für die Voiksheilstättenfrage hervorragender Vor-
kämpfer zu nennen.
Die Inyaliditftts- und Altersversichernngsanstalt der Provins
Brandenburg flberwelst ihre Kranken der Anstalt am Grabowsee Tom
Kothen Kreuz.
In Schleswig-Holstein beabsichtigt die Versicherungsanstalt der
Provinz, swei Heilanstalten ftlr Lungenkranke zu errichten.
In der Pfals ist ein Vorein für Volksheilstätten begründet worden.
Die Versicherungsan-stalt d<'r Pfalz sendet in gleicher Weise wie die ba-
dische Invaliditäts- und AltersverHicherungsanstalt Kranke nach
Nordrach in die Anstalt von Hbttinger, welche auch Privatkranken zum
Tagessatze von 5 Mark geöffnet ist nnd 80 — 90 Kranken Aufnahme ge-
währt. Auch die badische Kisenbahnbetriebskrankencasse belebt die Anstalt
mit ihren Mitgliedern. Die badische Versicherunirsanstalt versiebt ausserdem
die Heilanstalt Schönberg (Würlttmberg), Hornberg, Bonndorf im budischen
Schwarz wald.
Eine besondere Fürsorge hat die badische Anilin- und Sodafabrik
in Ludwigshafen am Rhein für ihre Arbeiter eingerichtet. Ein eigenes
Krankenhaus ist seit 18. September 1893 in Dannenfels eröffnet in welchem
bis 22. November 1895 49 Lungenkranke verpflegt wurden. 37 derselben
wurden entlassen; geheilt oder nahezu geheilt 8, wesentlich gebessert 14,
nicht gebessert, beziehungsweise verschlechtert 11, crestorben 1. Die »Ge-
heilten« waren bis März 18'Jü gesund und arbeiten; von den ^Oeliessei ten-
haben Rückfälle; von den »Nicht gebessert« Entlassenen sind lu in ihrer
Heimat gestorben.
Eine sehr ruhrige Thatigkoit hat der Verein zur Begründung und
Unterhaltung von Volksheilstätten für Lungenkranke im König-
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LuBgenbeilstitten.
237
reiehe Sachsen entfaltet Die Vorbereit ongen sind hier so weit gediehen,
dass vermuthlich im August dieses Jahres die Heilstätte »Albertsberg« liei
Auerbach für etwa 120 inäDnllche Kranke eröffnet werden wird. Die Auf-
sicht der Anstalt führt WüLFF-IuMERUANN-Reiboldsgrüu, welcher die bekannte
Heilanstalt von Drivbr leitet Die bivalidittts» nnd Altersverslohenmgi-
anstalt fOr das Königreich Sachsen hat eine grössere Snmme sum Bau IQr
das Recht, ;?n Betten zu belegen, hewilli^t.
In Überschlesien soll vom Ueilstattenvereia für Lungenkranke im
Reglemngsbesirke Oppeln bei Breslau eine Anstalt fSr Lungenkranke erbaat
werden.
Tn Alton?! hat sich ein Comit^ zor QrAndnng einer Heilanstalt IQr
Lungenkranke gebildet.
Auch in Hamburg wurde die Frage der Errichtung einer Heilanstalt
fflr 100 Lungenkranke angeregt
Ein Verein zur Gründung eines Sanatoriums fUr unbemittelte Lungen-
kranke in Unterf ranken besitzt zahlreiche Zweigvereine, welche für die
Sache des Vereins tbätig sind.
In Oldenburg ist Iwsohlossen, einen Volksheilstättenverein su grflndmi,
um Lungenkranke in einem Curorte unterzubringen.
In Stettin besteht ein Verein zur Errichtung von Genesnngsst&tten
für unbemittelte Lungenkranke.
Zum Scbluss sollen noch zwei Anstalten Erwähnung finden, deren eine
an einem Orte liegt, dessen Namen IQr die gesammte Schwindsuchtsbehand-
lung entschoidonden Klang gewonnen hat. Die Anstalt von WbiCKIR In
Görber-sdorf, das >KrankeDbeim für unbemittelte Lungenkranket ist die
erste Anstalt üeuUcblunds, welche sich auf die Heranziehung des § 12
fflr Mitglieder der Invaliditäts und Altersversieherangsanstalten gründete.
Die Anstalt besteht aus einem Haupthause und einer Anzahl kleinerer» Villen«.
Es wurden daselbst lH'.i4 aufprenommen 12 Personen mit >^'M], 1895
86 Personen mit 48üü und lÖUü 2ü0 Personen mit 17.104 V^erpflegungstagen.
Von den 1896 Aufgenommenen kommen 185 ffir die Durchaefanitts-
berechnun^^ in Betracht, da die übrigen zum Theil frfiher entlassen worden,
zum Theil in Behandlung verblieben.
Arbeitsfähig von diesen waren 13ü Personen 70,3%» bedingt arbeits-
fähig 18 Personen = <J,7Voi gebessert, aber nicht arbeitafihig 22 Personen
= 11.9%, ungebessert 15 Personen = 8, P/o*
Eine Hauptsache für die Bcurtheilung des Werthes der Behandlung
von Lungenkranken in besondertn Anstalten ist natürlich die Kenntniss der
Zeit, wie lange die Erfolge bei den Einzelnen angedauert, nachdem die Be-
schäftigung wieder aufgenommen. Die von Wbickbr angestellten Erhebungen
ergaben in dieser Hinsicht Folgendes :
Die Curresultate der :'> .Jahre seit der Gründung des Krankenheims
stellten sich laut Umfrage wie folgt:
n) Im All^'emeiocn:
Luit ÜBfng« Aaiu« 1M7 tiiid
3 mht
Zalild«r
•OtlMMDen
Vsti«at»n
Naohrieht
aiteiultbig
Kentpn-
•mpftkng»r, b«-
«u leicbtor 1
AlMl iilil« 1
P r o • • B t
1894
isyü
1
12
m
1
s
4:!
&0,0
»50.5
Ü2,2
87,5 1 12..Ö
2.i,r>
27,4 1Ü,4
15*
228 LungenheitotäCten.
b) Die Daaer der erlangten Arbeitafiihigkeit ergiebt Rieh ans folgender AnfHtelInng:
Jmht
1
ZAhl dar
•Btluaenen
PWWBHI
Laot Cnifr*9« Ajtfaag 1807 »lad
1 mnptinger, be- |
1 m Uiehwr ,
1 Arb«lt tthi« 1
T r o e • a •
f)
5
60,0
20,0
90,0
1895 '
47
31
71,0*
16,1
18,9
1896
130
i
'JI
851,0
8,8
2,2
Zu diesen Statistiken ist erläuternd zu bemerken, dass die Tabelle
über die 1894 Entlassenen nicht volle Beweiskraft haben kann. Einmal war
die Zahl der EnflasBeiien an sich gering, weiter aber waren die FUle noch
nicht alle unter dem Gesichtspunkte des § 12 aufgenommen. Ans den Mit-
theilungen der entlassenen Privatpatienten geht hervor, dass nach Berech-
nung ein Procentaatz von 33,3 y„ nach der Cur zugenommen bat (1 bis
18 Pfund), 42,4 Vo nach der Cor abgenommen hat (1—11 Pfund), l'4,3"/o au!
dem in der Anstalt erlangten Gewicht stehen geblieben ist.
Von bemerkenswerthon Besonderheiten seiner Anstalt, welche Weickkr
anführt . sind noch die Haus- und die Tischordnung von Interesse, welche
hier wiedergegeben sind.
Hausordnung.
Jeder Aufgenommene ist verpflichtet, der Hausordnung Folge zu leisten.
Der Neuaufgenommene darf das Haus nicht eher verlassen, bis er vom
Arct nntersneht worden ist und seine Gurvorschrltten empfangen hat.
Fflr Kehlkopf-, Nasen«, Rachen-, Ohrenleidende findet die Sprechstunde
Mor<2:ens von 8 — :> Uhr statt: weiter ist täglich von Uhr Nachmittags ab
Sprechstunde. Die zu Untersuchenden finden ihren Namen für den Tag im
Curaaal notirt FQr Jeden, der sich fihel befindet, ist der Arzt zu jeder Zeit
zu sprechen nnd der Patient verpfiichtet, sich sofort in melden.
Jeder Abreisende hat am Tage vor der Heimreise in die Sprechstunde
von 8— 0 zu kommen. Die Auswurfstasse ist mitzubringen.
Jeden Dienstag wird unter Controle des Arztes das Gewicht des Ein-
telnen bestimmt.
Im Cursaal liegt ein Beschwerdeblock auf, auf welchem solche Wunsche,
Beschwerden und Klagen, welche nicht .sofort oder fiberhaui)t durch die
Verwaltung geregelt werden können, kurz und sachlich zu notiren und dem
Arzte an überreichen sind.
Die gemeinsamen Räume stehen den Kranken im Sommer von 7 Uhr,
im Winter von 7' '.. Uhr ab, bis Abends Uhr zur Verfügung, so weit nicht der
Einzelne durch ärztlich verordnete Bettruhe, Liegen im Freien, ."^p.iziergang,
Bad etc. verpflichtet ist. 9 Uhr ist Schlafenszeit, und es wird dann jedes
Licht gelöscht.
Jedes Lärmen, Sing^ laute Sprechen, Pfeifen, ThArenwerfen, Poltern
ist untersagt.
Der Auswurf ist nie hinunterzuschlucken, nicht ins Taschentuch zu
werfen, noch viel weniger auf die Brde zu spucken, nicht austreten! fadls
es dennoch geschehen, sondern nur in die Spnckn&pfe und Spucktassen.
l>ie in den Zinuufrn hängenden Wärmemesser sind für die Zimmer-
temperatur massgebend. Als normale Temperatur ist tagsüber 15" K., nachts-
über 10« R anzusehen.
♦ Im Vorjahre 91V,7«.
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Lungenheilstätten.
229
Für den Lungenkranken ist die frische Luft die beste Medicin; dlo
Fenster sollen daher weder Tag noch Nacht ganz geschlossen sein.
Das Rauchen ist verboten.
In Betreff der Lnogengynmastik, des Bergsteigens, der Liegeenr im
Freien sind die ärztlichen Anordnungen strengstens sn befolgen und niemals
über die Vorschriften des Arztes auszudehnen.
Der Kranke hat sich beim Zubettgehen s&mmtlicher am Tage ge-
tragener Kleidungsstfloke zu entledigen und NaobtwSscbe ansasfefaen. 8s
ist gesundheitswidrig, nur die Oberkleider beim Schlafen ausznslehen. Die
Wäsche ist zweimal in der Woche zu wechseln und ein besonderes Hemd ffii-
die Nacht zu benutzen. V^or der Untersuchung ist Jedesmal frische Wäsche
anzulegen. Taschentücher sind mindest«ns alle zwei Tage zu erneuern.
Die Mitglieder der InTallditfttsanstalt baben wegen Ansebaffang von
Badeutensilien, Wäsche, Seife etc. den Arzt zu befragen. Oline sein Wissen
wird von der Versicherungsanstalt keine Zahlung geleistet.
Die Zähne sind Früh und Abends mit der Zahnbürste zu reinigen.
In Betreff der Abreibungen, Waschungen, Bftder bat Jeder seine be-
sonderen Vorschriften zu befolgen.
Ohne Erlaubniss dos Arztes bat kein Kranker sieb aus dem Weiobbilde
üörbersdorfs zu entfernen.
Dem Personal ist bSfiiiAes and besebeidenes Beaebmen gegen die
Kranken zur Pfliobt gemacht; mngekebrt verlange der Kranke ntebts Unge
bObrliches.
Man schelle nicht unnöthiir lanp und stürmisch, sondern gedulde sich
kurze Zeit, falls nicht sofort die Bedienung zur Stelle, da dieselbe möglicher-
weise durch andere Kranke aufgebalten ist
Zuwiderbandlungen gegen die Hausordnung können sofortigen Aus-
seblnss aus der Anstalt zur Folge haben.
Tischordnung.
Das gemeinsame Frühstück findet im Sommer um 7 Uhr, Im Winter
um 8 Uhr statt. Das zweite F'röhstuck wird um 10 Uhr eingenommen, das
Mittagmabl um 1 Uhr, Vesperbrot wird um 4 Uhr verabreicht, das Abend-
brot um 7 Uhr. Eine Glocke giebt das Zeichen zum Beginn der Mahlzeiten.
Jeder Kranke bat pünktlich bei Tisch zu erscheinen. Nnr die Verord-
nung des Arztes, auf dem Zimmer zu bleiben, entschuldigt.
Der Kranke mache es sich zur Regel, vor jeder Mahlzeit die Hände
mit der Nagelbürste zu reinigen. Vor und nach dem Essen ist eine Mund-
und RacbenspHIung mit Salzwasser auf den Zimmern Torsunebmen.
Aus den auf dem Tisch befindlichen Salzfässchen ist das Salz nur mit
dem darauf liefrenden I.nffolrlien zu entnehmen. Von den Brotschnitten ist
nicht abzubrechen und auf den Teiler zurückzulegen j man nehme eine ganze
Schnitte Brot und zerkleinere dieselbe nicht mit dem Messw auf dem Tisch-
tuch. Auch benutze man bei herumgereichten ScbQsseln nur die darauf be-
findlichen Löffel und Gabeln, niemals die eigenen. Man esse und trinke
nicht zu heiss und nehme sich Zeit zum Kauen.
Jeder melde sich sofort, falls er noch Appetit bat und die Schüsseln
geleert sind.
Vom Tisch hat sich Keiner zu erheben, bis die Tafel aufgehoben wird;
wer ledocb auswerfen muss , stehe auf und benutze die Auswurfsbehälter.
Bztradiäten werden nur auf ärztliche Verordnung verabreicht; man
wende sich daher im Bedürfnissfalle direct an den Arzt
Die wöchentliche Butterration beträgt 400 Grm. Die Verwaltung Ist
nicht bererhfi<rt, mehr ZU geben Wer eine grOsssre Ration hegehrt, hat
sich deshalb an den Arzt zu wenden.
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230
Lungenheilstätten.
Die Leitung der Pflege ruht in den Händen einer Oberin, einer Diako-
nissin und eines Hausarztes. Ausserdem sind »Obmänner« vorgesehen, deren
Aufgaben so befreBit ■Ind:
Ueber die Stellung der Obmänner.
Der Obmann hat ein Vertrauens- und Ehrenamt.
Jede VlUa besHst ihren eigenea Obmann, welcher von den Kranken
selbst fQr die Dauer seines Cnranf enthalt es gewählt wird; herreoht Stinunen-
gleicbheit oder -Zersplitterung, so entscheidet das Los.
Der Obmann vermittelt die Wünsche und Beschwerden der Kranken,
soweit dieselben nicht direct dem Arzte vorgebraoht werden.
Der Obmann nimmt eine Viertelstunde vor dem FrQhstQelc wie vor
dem Abendbrot von allen Kranken im GesellschaftsTiimmer die Korper-
temperatur auf. Es ist Pflicht und im Interesse des Einzelnen, pünktlich
zu erscheinen und mit seinem Fiebermesser die Messung genau vorzu-
nehmen. Der Obmann ist im allgemeinen Interesse verpflichtet, Sftnmige
oder Widerwillige zu melden.
Der Obmann sei sich stets bewusst, dass er seinen kranken Kame-
raden durch seine Thätigkeit Hilfe leistet.
Jeden Sonntag haben sidi die Obminner za einem Referate über
etwaige fn der Woche aalgetretene Betriebsstörangen bei mir einzufinden.
Anschläge, Nenemngen etc. sind mir zor PrQfnng, bezüglich Unter-
schrift vorzulegen.
Der Obmann hat die Pflicht, zur Befolgung der allgemeinen Gesund-
heitsregeln, die durch die Aerste gegeben werden, anzuhalten, im SpecieUen
alle die Kranken, welche sich lässig oder leichtsinnig den Bestimmungen
der Hausordnung (Auswurf!) gegenüber verhalten, zum Hechten zu ermahnen.
Im Weigerungsfälle aber zu melden.
Streitigkeiten zwischen dem Obmann und anderen Patienten sind mir
unverzüglich vorzutrag^. Tlifttiiche Selbsthilfe bewirkt Ausschluss aus der
Anstalt.
£b erschien mir von Interesse, gerade diese genau durchdachten Vor-
schriften hier im Worlaut anzufahren, um den O^nsatz zwischen der in
den Anstalten in Deutschland und z. B. in England üblichen Behandlung
der Brustkranken, welche noch dargelegt werden wird, zu zeigen.
Neben dieser Anstalt ist die am 1. April 1894 eröffnete Zweiganstalt für
Minderbemittelte der BREHMBR'schen Heilanstalt zu erwähnen, welche alles
zur Cur Nothwendige für den monatiichen Preis von 130—160 Mark bietet
Der zweite Ort, welcher noch zu erwähnen, ist St. Andreasberg,
wo zwei Privatheilanstalten, dann die Anstalt von Ladendorf, die Heil-
stAtte des Felix-Stiftes und die Anstalt der Hanseatischen Versicherungs-
anstalt errichtet sind, beziehungsweise ihrer VoIlMidung entgegengehen. In
der ersteren Anstalt wurden ausser Privatkranken Mitglieder der Hansesp
tischen Versicherungsanstalt verpflegt, welche nunmehr nach Fertigstellung
der neuen Anstalt in der letzteren unter Leitung von Ueouu Liebe unter-
gebracht werden soUeo. Das Felix-Stift, eine Anstalt, weldie als ein Ver-
mächt niss eines Patienten von Laden de rf errichtet werden soO, liat den
Zweck, »heilbaren, bedürftijrt n Lungenkranken jeden Glaubensbekenntnisses
die Möglichkeit der vollständigen Heilung zu gewähren, und zwar in Armuths-
f&llen unentgeltlich, in anderen gegen eine massige Vergütung:.
Von den Bestrebungen, welche sieh ausserhalb des Deutschen Reiches
zeigten, sind einige zu schildern, welche am deutlichsten zu Tage getreten,
obwohl zu betonen ist, dass auch in anderen als hier erwähnten Ländern
die Frage der Errichtung der Lungenhoilstätten bereits lebhaft erörtert
worden Ist.
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Lungenheilstätten.
231
Der Verein zur Errichtuog und Erhaltung einer klimatischen Heil-
anstalt fOr Brustkmke, welcher jetzt den Namen »Verein Heilanstalt
Allandc führt, wurde 1890 in Wien begrrflndet Wesentlleh dnrch die Thai»
kraft seinos Vice- Präsidenten Sr HHöTTER ist der prSchtifje Bau der Anstalt
für ,'.00 Kranke soweit gefördert, dass die Eröffnung wohl bald erfolgen
dürfte. Die Anstalt soll keine Versorgungs-, sondern eine Heilanstalt sein,
die AnswaU der Kranken wird daher sehr eoffMin geschehen. Die Anstalt
soll ferner eine Stätte fQr das wissenschaftliche Studium der Tuberkulose
bilden, alle neuen Massnahmen u. s. w. sollen dort geprüft werden »Es
liegt z. B. die Frage vor, ob es zweckmässig ist, die Kranken, wie es in
einigen Anstalten geschieht, selbst bei Temperatnren yon — 15* tind — 20*
bis spät am Abend im Freien zn belassen <
In der Schweiz ist eine ausserordentlich rege Thätigkeit entfaltet.
Bern, Glarus, St. (iallen, Aargau, Qraubündten, Luzern , Neuenburg, Solo-
thurn, Thurgau, Waadt, Zürich sind mit Vorarbeiten besehiftigt. In Basel
hat die »Qesdlsehaft rar Betördemng des Guten und GemeinnUtsigenc swei
Anstalten vorbereitet, von denen die eine im Hochgebirge in der Stille«
gelegen ist. Die Basier Heilstätte für Brustkranke in Davos ist zur Auf-
nahme von Unbemittelten und Minderbemittelten bestimmt, welch letztere für
5 Francs tSglich verpflegt werden, nnd enth< 70 Betten. Die ersten Kranken
wurden am 14. Deeember 1896 an(fe;enomnien.
In Dänemark ist eine Actiengesellscbaft zur Errichtung von Volks-
sanatorien für Lungenkranke begründet worden.
In Rnssland ist die SterbUehkelt an Tuberkulose eine sehr bedeu-
tende. Nach Pavlowsky wurden 1891 in Hospitälern und ausserhalb der-
selben 24.872.70fi Personen (unter Bezeichnung der Krankheit) behandelt,
von denen 37i).7ü6 starben; Tuberkulose war bei l'J7.273 Personen Grund
der Erkrankung und bei 30.065 Todesursache.
Bs war also das Verbältniss der Phthisiker zu den flbrigen Kranken
— 1 : 126 oder 8 vom Tausend; das Verbältniss der Sterblichkeit an Lungen-
phthise zur allgemeinen Sterblichkeit = 1 : 12 oder 8 vom Hundert; von
den erkrankten Phthisikern starben 15,14^^o' Sterblichkeit an Lungen-
tuberkulose betrug 1891 in den grossen Städten:
... Stirblkhkoit
o. 1 u ul."". «" LunBeii- Vom Uimdert Varb<nir«
Storhliohke.» taberkulo«,
St. Petersburg .... 27597 4468 16.2 »/•
UoakM 27915 4168 14,0 Vi
Ode«« 820Ö Iba 9,2 Vio
Warteban ...... 11824 2007 17,0 V*
4878 304 10.3 V»
Niahni-Xowgorod . . . 28<;i 861 12.1 * ,
Kiew 54U7 647 12,0 \
ABtrai'han 4482 883 7,4 */„
Archiuib'elak ..... Ü27 26 4,0 V»
Diese Statistik bezieht sieh nur auf ein Jahr, giebt aber doch unge-
fähr ein Bild vom V^erhalten der Phthise in Russland. Pavlowsky meint :
»Leider kann man ielzf noch nicht viel von den statistischen Angaben für
ganz Russland verlangen ; doch möchte man von den grossen Städten
wenigstens genaue statistische Angabe erwarten können.«
In Petersburg werden die Phthisiker — wie auch in anderen grossen
Städten — in den allgemeinen Krankenhäusern unterg'ebracht. Es sind
300 — rifioBfMten für .sie vorgesehen, und zwar im 0 buchof f'scben Hcspital
100 für Männer, 50 für Frauen, im Alexander- Hospital ]e 5U für Männer
und Im Maria Magdalenen •Hospital 25 für Männer, 15 für Frauen, im
Peter Pauls-Hospitel je 20 für Slänner und Frauen; im städtischen Ba-
rackenhospital und im Roshdestnewsky- Hospital werden die Schwind»
süchtigen nicht isulirt.
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232 LungeDhellfltätteii.
Pavlowsky tritt warm für Errichtaag zahlreicher Sanatorien in Russ-
land ein, da das eine vorhandeiM In HaUla in Finnlaad nicht annihemd
dem Bedürfnise genügt. Nach einer Schilderung von Gabrilowitscb ist diese
forste Heilstätte 1H89 in Haiila errichtet und 1892 in ein VoltLsaanatorinm
utugewandeit worden.
Neben diesem Alexander^Saaatorinm fOr 82 Kranke wurde 1893 das
Marlen-Sanatorium für 25 Kranke und 181^5 das Nikolai Sanatoriamt iets>
teres fflr 100 dem Milit&r angehörige Lungenkranke errichtet.
Verpflegt wurden iiu Alexander- Sanatorium liU 109
Gehettt 00 = 31, 4«/» 21 = 10,:iVo
GetHiSfleft 72 = 37,87o 6« = ^>*^'o
Kein Besaitet 36 18,8% 20 =^ 18,3'/o
Gertorben . 28 =: 12,07, 9 =
Auch in England ist die Phthise betrichtlieh ausgebreitet 1889 starben
in England und Wales 44.738 Personen, etwa 045»/o der Einwohner an
Phthise. i>7..Sti6 an anderen Erkrankungen der Athmunffswerkzouge. Etwa
f^O.OOO Menschen (0,2G% der Bevölkerung) leiden beständig an Phthise. Im
Jahre 1898 starben in England nnd Wales 48.632 Personen, d. h. 1468 von
einer Million Einwohner an Phthise and 107.247 Menschen an anderen Er^
krankungen der Athiniin'rsworkTiPUjre.
V^on den bisher gelieferten Beschreibungen dieser Anstalten ist besonders
die Schilderung von RoaiN sn erwflhnen, welche prophylaktische und thera«
peutlsehe Massnahmen, welche in den englischen Hospitälern für Brust-
kranke zur Anwendung gelangen, nicht enthält. Das Koyal Hospital for
Diseases of the Chest, das filfeste Hospital für Hriisl kranke in Europa,
wurde 1814 gegründet. Es enthält öü Betten und eine sehr besuchte Poli-
klinik und wird, wie der grösste Theil der allgemeinen englischen Hospltftler,
durch froiwilllg geleistete, milde, aber theilwelse sehr hohe Beitrage erhalten.
Die 80 Betten sind In drei grossen Krankensälen vertheilt, von denen zwei
den Männern und einer den Frauen eingeräumt ist. Neben der Matrou
(Oberin) sind 8 SIsters und 12 Nurses sur Pflege der Kranken vorbanden.
Es sind grosse, behaglich eingerichtete Tagerftutne für die Kranken. Biblio-
thek, Aufzüi^e, eif^ene Apotheke vorupsehen. Jeder Krankensaal bat be-
sondere Wasserciosets, Wasch Vorrichtungen, Lcinenvurrathskammer , Tbee-
kfiche. Zwischen je swei Betten ist in der Wand ein runder, mit Milchglas
verdeckter Raum, welcher sur Belenehtnng fQr die Kranken sum Lesen,
Schreiben in ihren Betten dient. Zur Aufnahme gelangen hier wie in allen
übrigen Ho.spiials for Diseases of the t'hest nicht allein Phtbisikrr. sondern
auch Patienten tuil allen anderen Erkrankungen der Organe des Hru.'stkurbes,
des Hersens, der Plenren, mit Pneumonie u. s. w. Phtblsiker werden von
den Uebrigen weder hier, noch in irgend einem anderen Krankenhause ge-
trennt. Gerade dieses Hospital, dessen Wände mit guten Bildern und dessen
Säle mit Pflanzen und Blumen geschmückt sind, zeigt einen sehr anheimeln-
den Charakter. In den Sälen sind besondere Abtheilungen eingerichtet,
hinter denen sich die SIsters zurQckzIehen können. .Ausserdem sind be-
sondere Schlaf-. Kss- und Aufenthaltsräume für die Pfle<rerinnen vorhanden.
Die Abtheilungen der Schwestern in den Krankensälen sind aus Mahagoniholz
hergestellt, in dessen oberem Theil gute Glasbilder eingefügt sind. Alles dieses
erregt mehr den Eindruck einer grossen Familienwohnung als eines Kranken-
hauses Besondere Rauchrfiume. auch im F'reien. sind für Raucher eintrerichtet ;
eine Kapelle und ein Theater sind gleichfalls vorhanden. Die Bänke des letzteren,
welches im Luterstocke gelegen ist, dienen als Sitzplätze für die wartenden
männlichen Patienten der Poliklinik. Die Behandlung geschieht hier wie in
allen englischen Anstalten für Brustkranke mit allen Mitteln der heutigen
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Lnngenheilstfltten.
28S
Schwindsucbtstberapie and ist rein individuell. Frische Luit wird viel an-
gewendet, ledoeh Hiebt in Form der tu Denteebland gebrindiliclieB Frefliift-
cnr. Der Fossboden der Säle ist mit Wachs gehöhnt und kaos nicht feuobt
aufgpwisrht wer(lpr. Nicht nur fn diesoni Krankenhause , sondern in den
meisten anderen sowohl für die PhthisenbehandluDg, als auch für allge-
meine Erkrankungen — auch in den Fever Hospitals, die zur Aufnahme
von Infeetioneknuiken dienen — werden die Fusebdden in dieser Welse
behandelt. Man huldigt ietzt der Ansicht, dass bei Dielen, welche nicht
mit Wachs bestrichen sind, die im Holz vorhandenen Risse zur Einlag:erung'
von Unbauberkeit und Keimen Anlass geben, während man früher gleich-
falls mit Wasser abwasehbare FnssbSden in den Knuikenb&nsem baUe, wie
dies in anderen Landern der Fall ist. Von 742 im Jahre 1896 behandelten
Kranken wurden Ii 1 8 irenesen entlassen; 68 verstarben. 24.896 polikliniscbe
Kranke wurden Ib'JG behandelt.
Das 1860 begrfindete Nortb London Hospital for Conanmption and
Diseases of tbe Cbest bat Ranm für 60 Betten (85 fffir M&nner, 25 tOr
Frauen): es wird grleichfalls ^by voluntary contribulions« erhalten, gewährt
aber aiu h einer beschränkten Zahl von Kranken gegen Entgelt Unterkunft.
Dasselbe beträgt lOsh. Gd. wöchentlich mit Kinpfehlung eines »(ionners« oder
21 sb. ebne eine solebe. Die Bebandlnngsdaner betrigt bier secbs Woeben.
1896 wurden im Hospital 4.';4 und poliklinisch 3625 Kranke behandelt;
seit Begründung wurden mehr als 200 OOo Personen von Seite der Anstalt be-
handelt. Alle nicht bettlägerigen Kranken essen im gemeinsamen Speisesaal.
Weit grSsser als diese genannten ist das City of London Hospital for
Diseases of the Cbest, welches 1848 eröffnet wurde und sich durch schöne
Lege auszeichnet. Es enthält IGl Betten in zwei Stockwerken (im ersten
Frauen, im zweiten M&nner); das dritte ist den 25 Nurses vorbehalten.
Jedes Stockwerk hat an beiden Flügeln je einen grossen Raum, welche
beide dnrcb einen langen nnd breiten Flnr verbunden sind. An diesem Flnr,
der durch Sophas. LiegestQhle n. 8. w. als gemeinschaftlicher Tagerauin
hergerichtet ist. liesron die Schlafräume für die Kranken, deren ieder vier
bis 6 Betten (einzelne auch mehr) entbSlt. Dadurch, dass alle Thüren zu
den Corridoren offen stoben, sind letstere vollkommen bell und es wird im
Ganzen der Eindruck einer grossen Wohnung gewahrt. Der Fussboden in
den Schlafräumen besteht hier aus nicht gestrichenem Holz, welches feucht
abgewaschen wird. Nur etwa 50% Jahre aufgenommenen Kranken
sind Pbtbisiker. Itn Jabre 1896 wurden 1055 Kranke im Hospital be-
handelt, von denen 818 gebessert wurden nnd 121 starben. Seit 1855
wurden :U). .')."/_' Kranke in der Anstalt aufgenommen. Poliklinisch wurden
1896 im Ganzen 17.4r)l Kranke behandelt und seit 1848 betrug die Zahl
b<o^.'62ii Personen. Hier wie in den meisten Londoner Hospitälern erhalten
die polikliniseben Kranken die Arsnei kostenlos. Die Pollklinik nnd Dls-
pensary befindet sich im Keller. Uober jeden polikliniseben Kranken wird in
.*iehr sinnreicher Weise genau .Journal geführt. Ein grosses Kreosotelnath-
mungszimmer ist im Keller hergestellt, in dem die betreffenden Kranken
tfigliob ein bis swel Stunden lang verweilen. Das Mittel wird in eiserner
Sebale durch Hitze zur V^erdampfung gebracht und soll in dieser Anwen-
dungsform besonders auch bei — nicht tuberkulösen - Bronchiektasien
gute Wirkung haben, im Warteraum der Poliklinik wird Theo zum Selbst-
kostonpreise cur Erfrischung der wartenden Kranken abgegeben. In diesem
Hospitale benutzen die Kranken Speigliser mit CarbollSsung.
Die Infirmary for Consumption and Diseases of the Chest and Throat
wurde IS 17 eingerichtet. Die Anstalt ist eine Poliklinik, welche die Kranken
zur Anslaitsbühandlung vorzüglich dem Brompton Hospital zusendet. Auch
diese Infirmary wird by volnntary eontrlbutions erbalten. Leider finden sieb
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284
Lungenheilstätten.
In den Berichten dieser Anstalt gar keine ZaJüftn Ober die dort entfaltete
ftratliehe Tbftligkelt oder ersiellen Erfolge, «ibrend in den Berichten der
anderen hier erwähnten und noch zu schildernden Hospitäler für Brust-
ttranke wenigstens einige Zahlen nach dieser Richtung angegeben sind.
Allerdings besteben diese Beliebte wie die der anderen Londoner Hospitäler
eigentlidi nor ans Anfslblnogen aller die betreffende Anstalt erhaltenden
Wohltbäter, mit genauer Angabe der von diesen eingezahlten Summen, so-
wie Ahrrcbnunpen über Einnahmen und Ausgaben. Der eifrentliche medici-
niscbe Tbeil der Berichte ist gewöhnlich ganz kurz abgehandelt. Auch die
angegebenen Zahlen der Qebesserten und Oebellten aus den Hospitals for
Diseases of tbe Chest sind meistens nnr mit Vorl>eiialt zu benfitxen, da
siefa (Ho Kranlcen mit allen anderen Erkrankungen des Bnistkorbos umfassen.
Eine rühmlicho Ausnahme machen die Berichte des Hospital for Con-
sumption and Diseases of the Chest Brompton, welches seit Ib41 besteht.
Die Anstalt setst sich ans swei grossen, in einer Strasse einander gegen-
ülmrliegenden Gebäuden zusammen, die durch einen unter der Strasse fort-
führenden unterirdischen Tunnel miteinander verbunden sind. Das ältere
der beiden Häuser bat 210, das neue, am 13. Juni 1882 errichtete, 137
Krankenbetten. Im ilteren GelAade befinden sieh in swei Stockwerken
Kranke, im dritten Nurses. In jedem Stockwerke sind zwei grosse Saal-
räume, in denen je zehn Zimmer mit je zwei bis acht Betten auf einen
gemeinsamen Corridor münden. Das neue Haus hat drei Flure. Fahrstühle,
elektrische Beleuchtung, Dampfheizung auch in der geräumigen Küche ver-
voUstindigen die in |eder Hinsieht prunkvolle Ausstattung der Anstalt. Der
Auswurf wird in mit Carbollösun<r <rofrillten Sp)eigläsern aufgefangen, welche
auch auf dfn Troppenfiuren auf kloinen Holzbrettern zur Henützung aufgestellt
sind. Sämmtlicbe Speiglüser werden in einen besonderen Verbrennungsraum
im Keller des neuen Oebftndes in grosse eiserne Kisten gebracht nnd nach
Entleerung des Auswurfe s in geräumigen Metallgefässen mit kochendem
Wasser gereinigt. In dieselben Gefässe worden die Taschentücher der Kranken
gebracht und der gesammte Inhalt täglich verbrannt. Sämmtlicbe
Insassen der Anstalt werden tftglicb mit neuen Taschentüchern
versehen. Auch hier ist man auf die Bequemlichkeit der Kranken in hohem
>fasso bodacht. Das Essen gelangt hier und in den moisten andoron
Krankenhäusern in London von der gemeinsamen Küche iu die — bei
uns sogenannten — TheekQchen der Säle, wird hier auf Wärmetischen
zerlegt und dann an die Kranken Tertheilt. Es wird hierdurch bewfarkt»
dass jeder Kranke möglichst warmes Essen erhält. Besondere Rauchräume
sind für die Patienten eingerichtet. Im Keller dos Hauses befindet sich
ein pneumatisches Cabinet und ein Einathmungsraum für verdampftes Kreosot.
Im Jahre 1893 wurden 1648 Kranke (296 = 17,9Vo TodesfftUe) behandelt^
▼on denen 1166 (i\5r> = i'l,9Vo TodesfiUe) an Phthise litten. Von letzteren
konnten 8Gl' regelmassig gewogen worden und es zoisrton eine Ge-
wichtszunahme von ^e 5,36 Pfd. , während Kranke an Gewicht gleich
blieben. 50,8 7o der Phthiriker nahmen also an Qewidit zn. Das Jahr 1894
zeigte eine Aufnahme von 1544 Kranken mit 268 = 17,3% Todesfällen ;
von den Kranken waren lOTJ Phthislkor und hatten 231 iM .'>'^'',, Todes-
fälle. I'.VJ dorsolhon wurdon regolmässig gewogen. .'>■_'() halten durchschnitt-
lich je b.lb Pfd. zugenommen, 13 waren auf ihrem Bestände geblieben, so
dass 48,5*>/o der Zahl der Phthislker Gewichtsverroebrung aufwies.
Das bedeutendste englische Hospital für Brustkranke befindet sich ia
Ventnor auf der Insel Wight. Das Royal National Hospital for Consumption
and Diseases of the Chest wurde 1868 am Meeresstrando des idyllischen Ei-
landes errichtet. 10 nebeneinander gelegene Geb&ude, Blees genannt, sind
durch einen unterirdischen Gang verbunden. Acht der Hftnser haben drei, die
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Lungenheilstfitten.
235
anderen zwei Stockwerke, deren jedes secbs Einzelzimmer mit je einem
Bett enthält, so dass im Ganzen bis jetzt IG8 Krankenbetten zur Verfügung
steheo. ESin neuer Pftvillon iet im Baa begriffen nnd gelit demntelist der
VoUoidans entgegwi. Je sechs an einem Flur g:ele£:eBe Zimmer haben
eine g:emeinMUne Äusseng^allerie, zu der aus jedem Zimmer eine Glasthfir
fOhrt. Durch das Fester jeder Thür schweift der Blick über die zur Anstalt
gehörigen weiten Wiesen nnd Waldbestftnde anf das unendliche Meer Unans.
Sechs Häuser dienen zur Aufnahme für Männern, vier für Frauen. Oetrennt
sind beide Abtheilungen durch eine fichön angelegte Kirche. Zur ebenen
Erde befinden sich in jedem Gebäude die für den Aufenthalt bei Tage
dienenden Räume mit Sophas, RuhestQhlen, Ciavieren, Unterhaltungsspiele.
Da nnr Kranke aufgenommen werden, die Toranssichllich hettlMur sind, er-
regt die Anstalt mehr den Eindruck eines grossen Familienhauses als eines
Hospitals. Es sind auch hier nur etwa 6<>o/„ Phthisiker vorhanden, die
flbrigen Kranken haben andere Leiden im Bereiche der Brustorgane. Zur
Behandlung wird viel Kreosot nnd Onajacol, snm Theil in Unterhautein-
Bpritzungen verwendet: Sinolair Coghill hat mit diesen, wie auch früher
mit der Tuberkulinbehandlung, wie er mir mittheilte, schöne Erfolge bei
seinen Kranken erzielt. Seit Besteben der Anstalt wurden daselbst bis
Ende 1895 mehr als 18.500 Kranke behandelt.
1891 wurden 689 behandelt, 77 fast gans geheilt, 120 sehr ge-
bessert, 282 gebessert, 78 hJielMn im frOheren Zustand, 57 versohlimmerten
sich , 25 starben.
lÖi>G wurden 67G behandelt, iL'ä sehr bedeutend gebessert, 173 sehr
gebessert, 286 gebessert, 89 blieben im firOheren Zustand, 21 Tersdilim-
merten sich, 32 starben; aufgenommen waren im Ganzen 810 Kranke.
Die Beleuchtung des Hospitals geschieht durch Gas ; die Einrichtungen
der KQche (Dampfkochapparate), zur Lüftung der Zimmer stehen auf der
erforderliehen H5he. Besonders bemerkenswerth ist der riesige Speisesaal,
In welchem auch eine kleine Buhne ffir Äufffihrungen und eine Orgel auf-
gestellt sind. Alle Häu.ser sind durch Fernsprechleitiing miteinander verbunden.
Die Kranken haben zu verschiedenen Tageszeiten nach ärztlicher Anord-
nung Im Bett SU ruhen, sind meistens im Freien, um die herrliche Luft su
geniessen. Efgsiw Felder ▼ersorgen die Anstalt sum grössten Theil mit den
erforderlichen Früchten, jedoch werden sie nicht von den Krankon bebaut.
Dieselben zahlen für ihre gesammte Verpflegung und Behandlung wöchent-
lich 10 sh. Auch dieses Hospital wird durch freiwillige Beiträge wohl-
thfttiger Bürger erhalten.
Von besonderem Interesse im Vergleich zu der in Deutschland herr-
schenden Ansicht scheint mir die Anordnung in dieser Anstalt zu sein, dass
die Patienten ihren Auswurf in die Taschentücher entleeren sollen, wenn
kdne SpeigllSM' in der Nähe vorhanden sind. Die Tasehentüeher werden
tiglldi durch andere ersetst, während die gebraudhten in der Anstalt ge-
wnsrben werden. In sämmtlichen Zimmern findet sieh ein Anschlag, der
in wörtlicher ITehersetzung folgendermassen lautet:
Anleitungen über das Waschen der Taschentücher der Kranken.
Schwindsucht (Phthisis oder Lungentuberkulose) ist unter
gewissen Bedingungen von einer Person zur anderen übertragbar.
Der Auswurf erkrankter Personen ist das Mittel zur Ansteckung,
denn er enthält die Tuberkelbacillen, durch welche die Erkrankung bei
denjenigen Individuen hervorgerufen wird, welche für dieselbe durch Er^
Werbung oder Vererbung prädisponirt sind. So lange sich der Auswurf im
feuchten Zustande befindet, ist die .Ansteckungsgefahr gering; ist er aber
getrocknet, und die Bestandtheile werden mit dem Staube auf
den Pussboden verstreut und in die Luft gewirbelt, so ist er sehr
wirksam und geffthrlieh.
286
LuDgenheUstftHen.
Die VerordnuDg über das Verhallen mit dem Auswurfe ist daher eioe
Sache von erheblieher Bedenttragr und die Kranken werden ernatlieh
erevcht, nicht auf die Erde, Fnssboden oder in den Kamin, son-
dern in die eiß^ens hierfür bestimmten Gefässe auszuwpifon Ist
dieses unmöglich, so muss unfelübar das Taschentuch benutzt werden ; aber
damit der Auswurf nicht trocken wird, ist die Einrichtung getroffen, dass
jeder Kranke t&grlieh ein reines Tasohentneh erhUt nnd das gebranchte ram
doppelten Zweck, der Desinfection und Wäsche, abgenommen wird.
Bs ist aber genau zu beacbten. dassSpeipefässe immer nach
Möglichkeit zu gebrauchen sind, und dass das Taschentuch nur
als Ersatsmittel dient, nm das Ansspelen anf die Erde, innerhalb oder
aasserlialb d«r Anstalt oder anf den Erdboden, an den Kamin oder sonst
irgendwohin zu verhüten.
MB. Die Taschentücher werden in früher Morgenstunde durch eine
anssehllesBlidi ffflr diesen Zweck bestimmte Person eingesammelt.
Im Aaltnge
ges. Th(»s. h. Khyrer Paynb,
tioücral-Dirt'ctor,
17. August 1893. Boyal Natimial Boepital, Ventoor.
Die Taschentfieher werden Im Hospital selbst gereinigt, wfthrend die
Versorgung der übrigen Wäsche ausserhalb der Anstalt erfolgt.
Ausser diesen genannten Anstalten sind Hospit&ler in Manchester,
Liverpool, Buurnemouth, Belfast, Newcastle upon-Tine vorhanden.
In Amerika, Frankreich, Beigten sind elnselne Anstalten bereits
im Betrieb, andere in Vorbereitung. Bin City Hospital for consumptives ist
bei New York froplant. Dksth^k und Gali.emaerts, welche 1889 eine sehr
anschauliche Arbeit über die Verbreitung der Tuberkulose in Belgien ge-
liefert, sprechen in ihren Schlusssätzen aus, dass es erforderlich sei, Phthisiker
in besonderen Anstalten sn behandeln und Ihre Familien vor den mSglichen
Gefahren eines Zusammenlebens und beständl^:er Berührung zu schützen.
Nach den geschehenen Auseinanderst'tzunfren können jetzt die ärzt-
lichen Gesichtspunkte, welche bei Errichtung von Heilstätten zu Grunde zu
legen sind, ganz kunt berflhrt werden. Eine treffllohe Darlegung derselben
hat Heumann WASSERFrim veröffentlicht, welche ich bei Schilderung der ein-
seinen Fragen zu berücksichtipren habe.
Bereite oben war erwähnt worden, dass man die Forderung der Anlage
der Anstalten im Höhenklima fetst mehr fallen gelassen habe. Johann Pbtbr
Fr.\nk hat 1793 sich ge&ussert: »Uebrigens weiss man, dass gewisse Krank-
he'ton von dem Einathmen der Bersrhift sich uniremein verschliinniern. Die
Schwindsucht und <lie Lungensucht ver(rüf;t nur eine kurze Zeit die leichtere
und zugleich scharfe Luft höherer Gegenden und schwacbbrüslige Men-
schen befinden sich überhaupt besser In der Ebene.« Hauptsftchlich v. Lbydbn
u. A. meinten, dass nur eine von unreinen Beimischungen freie Luft, an von
Winden geschütztem Orte für die Errichtunp: einer Lungenbeilanstalt erfor-
derlich sei. Andere Forscher, z. B. VVeickeu, halten den Kinfluss der Höhen-
luft fflr nicht ganz xu entbehren. Bemerkenswerth sind jedenfalls die in der
Heilanstalt am Qrabowsee gewonnenen Ergebnisse, deren Weiterentwicklung
von hohem Interesse ist .\iich der Berlin Biandenburfrfr Heilstiittotiverein
wird seine Anstalt in der Ebene errichten. Die Erbauung der Anijtalten
in der Nähe der Städte wird von Einigen für vortbeilbaft erachtet, damit
die AngehSrigen die Kranken leicht besuchen können und diese selliet auch
sich etwas um ihre Geschäfte besorgen können, was Andere för wonin:
zweckmässig halten, da dadurch leicht die Anordiuinofcn dfr Aorzte frekieuzt
werden könnton. Selbstverständlich iät auf gesundbeitsgemässe Beschulfen-
helt des Bodens, besonders auch der WasserverbUtnisse u. s. w. su achten.
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Lungenheilstätten. 287
Die Heilanstalten sind hftnfig als eine Gefahr für ihre Umgebung aD-
gesehen worden. Nahm hat dieses Verlilltaiss in einer kleinen, aber gewieh-
ti|G:en Arbeit beleuchtet, indem er die Sterblichkeit an Phthise vor und
nach der Krrichtuni^ dpr Falkonsteiner Anstalt (187B) statistisch darstellte.
In dreiiäbrigen Zeitabschnitten starben in Falkenstein von 1000 Lebenden:
11.
1877—1879 .... 4.5 vom Tansend
I.
1856—1858 .... 4.6 vom Tausend
IS.V.)— 1801 . . . . 1,5 . » 1 880-1 882 . . . . 3,3 »
184)2—1864 .... 5,3 > > i 1883— 188Ö .... 1,6 >
1865-1867. . . .3,0 » » i 1886—1888. . . . 1,0 •
1868-1870. . . , 3,8 » » 1889 -18Jn. . . . 2,1 »
1871—1873 .... 6,1 » » 1 1892-1894 .... 2,0 »
1874-1876. . . .4,4 > > |
Von 100 Verstorbenen gingen an Taberknlose su Gründe:
m.
1^.115— 18.')8 . . .17,2 vom Hundert
lHr)'.»-18r,l ... 7,7 . >
mvj -1864 . . . 22,6 »
IV.
1877—1879 . . .17,0 vom Hundert
1880—1882 . . . 14.6 »
188:5- ISS.-) . . . 6,0 »
1865-1867 . . . 14,ü » » 1886-1888 ... 5,0 »
1868-1870 . . .16,7 > > ! 1889-1891 . . . 13,9 >
1871-1873 . . 21,0 . » ' 1892—1894 . . . 16,1
187 4 — 1876 . . . 33,3 »
»
Vor Erbauung der Anstalt starben also durchschnittlich 4 von 1000
Lebenden an Phthise, nach der Erbauung 2,-4; 18,9 vom Hundert aller Todos-
lille sind vor der Gründung, 11,9 vom Hundert nach derselben auf Reobnnng
der Phthise zu setzen.
Es ist also augenscheinlich, dass die Nähe der Anstalt in Falkenstein
auf die Umgebung nicht von ungünstigem Einfluss gewesen ist; es wird
sogar das Gegentbefl zu erwarten sein, wie sieh dies an sahlreieben Stellen
in den Denkschriften und Jahresberichten ausgesprodien findet, dass durch
die hygienische Zucht oder »Drill (Weicker) der Insassen der Anstalt auch
die umwohnenden Menschen günstig beeinflusst werden, indem sie ienen
Drill von den Insassen, wenn sie mit diesen snaammentreffen. lernen.
Demnächst erscheint wichtig sa betonen, dass nur Kranke im Beginn
ihres T-eidcns aufgenommen werden sollen. Schwerer Erkrankte gehorpn
in die Krankenhäuser, denn V ersorguntrsanstalten sollen diese Heil-
stätten nicht (sein. Bei Gelegenheit der Erörterung dieser Frage auf der
Naturforscher- Versammlung su Lfibeck 1895 hob ich hervor, dass auch für
die im vorgerfloicten Stadium befindliehen Phthisiker gesorgt werden müsse.
Denn wenn diese in den Haushaltunfrcn bleiben, so können sie leicht die
aus den Heilstätten Zurückkehrenden auf's Neue anstecken, und sie bilden
immer eine gewisse Gefahr für die Umgebung. Gans kflrslieh hat Th. Som-
MBRPBLD vorgeschlagen, in den allgemeinen Krankenhäusern eigene Abthei*
lungpn für Phthisiker mit allen Einrichtungen wie in den Heilstätton zu
errichten und hier besonders alle diejenigen unterzubringen, deren Zustand
eine Aufnahme in einer Heilstätte nicht mehr gestattet.
Dass vorsflglich die Minderbemittelten bei der Errlehtnng der Anstalten
zu beriicksichtigen sind, welche im Stande sind, einen kleinen Beitrag zu
leisten, wird von vielen Seiten hervorgehoben, obwohl auch häufig die
Sorge für die Unbemittelten ganz besonders hervortritt.
Es ist daher der Name einer solchen Anstalt nicht gans gleichgiltig.
WikSURFUHR verlangt mit Recht, dass das Wort »Schwindsucht«: in der Benen-
nung aus Gründen der Mensrhlirhkeit vermieden werde, auch die Bezeichnung
»tuberkulös« sei ungeeignet. Am besten ist der Ausdruck »Heilanstalt
(oder Pflegeanstalt, oder beides) für Brustkranke«.
Die Behandlung Inden Heilstätten ist die hygienisch-diätetischo, ohne
dass ledochMedioamente sur symptomatischen Beeinflussung zn entbehren sind.
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Lung«nlidlstatt«n.
Selbttveratäocilldi werden ancli in dieaen Anstalten Vereaehe mit dem
neuen Tuberkulin anzustellen sein, dessen Anwendungsweise Koch in klarer
und deutlicher Weise au sj^es prochen hat. Da stets die Pflege des gesaramten
Individuums im Vordergrund steht, eignen sich die Heilstätten vorzüglich
snr Vornahme der Versnche, da eie ia ganz besondere auf die Pflege der
Lungenkranken im weitesten Sinne eingerichtet sind.
WoLFF richtet sein Augenmerk noch auf gleichzeitig bestehende Grund-
leiden und sucht dieselben mit Arsen (An&mie), Quecksilber (Lues) etc. zu
bekämpfen. Athmungsgymnastik, Frellaftcur, Abh&rtung und sehr reichliche
Em&hrnnff bilden die Grundlagen der Beliandlung, welehe ▼€« elnielnen
Anstaltsleitern In sehr anregender Weise vor versammelten Pfleglingen
genau auseinandergesetzt werden. Auch Anfrajren von Seiten der Kranken
werden beantwortet und auf diese Weise bei den Visiten seitens der Aerzte
Beepreehungen aus dem Gebiete der Gesundheltspriege abgehalten. In einigen
Anstalten (Weickbr und in Berka) sind am Arztzimmer Pra<^ekasten ange*
hängt, in welche die Patienten Zettel, mit Anfragen u. dergl, einlegen,
deren Inhalt dann vom Arzt in Gegenwart der übrigen Pfleglinge erörtert
wird. In allen Anstalten Ist auf sorgsamste Behandlung des Auswurfs
grösstes Gewicht sn legen, und es sind auch in einzelnen Heilstfttten, wie
oben geschildert, längere Anleitungen Ober diesen Punlct ausgearbeitet,
welche in den Zimmern der Kranken angeheftet sind.
Die Dauer der Behandlung darf keine zu kurze sein. Gewöhnlich
wird letzt eine Dauer von 12 Wochen fOr die erste Cur beansprucht Bs
ist zweckmässig, diese Zeit den Kranken nicht vorher zu bestimmen, damit
sie nicht, wenn sie, wie es nicht allzu selten geschieht, wegen zu weit vor-
geschrittener Krankheit früher entlassen werden müssen, psychisch nieder-
geschlagen werden.
Die Kosten für die zu errichtenden Anstalten können in verschiedener
Weise aufgebracht werden. Die Versicherungsanstalten, Krankcncassen.
Gemeinden und private Vereine werden nach oben dargelegten Urund-
sitam fflr die Anlage und Entwicklung der Heilstätten Sorge zu tragen
haben. Ob auch die einzelnen Staaten hier einzugreifen hallen, Ist eine Frage,
deren Krnrterung v. Lkvorn auf dem diesjährigen internationalen medlcini-
schen Conirress beabsichtigte.
Ein nicht nur für die Behandlung sehr wichtiger Punkt, welcher
von den meisten Autoren und in sehr abweichender Weise erörtert worden«
ist die Beschäftigung der Pfleglinge in den Heilanstalt« n Grbh.xrd erklärt
sich gegen jede zwangsweise auszuführenden Arbelten der Patienten . sofern
solche nicht zu Heilzwecken etc. erforderlich sind. Einzelne Anstaltsleiter
wollen die Patienten mit leichten landwirthsehaftlichen Arbeiten, andere mit
sonstigen h&uslichen Ding:en beschäftigen. AsGHBR verlangt, dass die Cur in
zwei Theilo zerfalle, voll.ständigi' Entspannung bis zur Hrbolung und Ge-
wöhnung an die Arbeit bis zur maximalen Arbeitsleistung.
Die Zahl der Betten der Gesammtanstalt richtet sich nach den ört-
lichen Verhältnissen, d. h. je nachdem eine grossere Stadt, Versicherongs-
anstalt, Verein oder sonstige Körperschaft die Heilstätte anlegt. Zahlreiche
Betten sind in keiner Anstalt bisher vnrct soben. die grössten sind zur Auf-
nahme von ;>0U Kranken bestimmt. Die Zahl der in einem Kaum zusammen-
lebenden Patienten ist in den einzelnen Anstalten gleichfalls sehr verschieden.
Wasseufuhr befflrwortet gemeinschaftliche Ta<!:esr;iuine. aber möglichst für
]e<l«'n Kranken gesonderten StMiIafraum , wie die>es in vornehmster Weise
in Veutnor vorhanden. .Massgebend ist unter Anderem für diese Forderung
der Husten einzelner Kranker, welcher Andere im Schlafe stört
K'\a Vergleich dieser in Kürze zusammengefassten Anhaltopunkte für
die Einriebt uncr und Pflege in den Heilanstalten mit den oben geschilderten
englischen Verhältnissen ist nach mehr als einer Hinsicht bemerkenswerth.
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Lungenheilstätten.
239
Btne sehr wiehtige Frage ist die Aenderanir des Berufes bei den
Aostaltsinsassen. Kebrt der Patient nach der Entlassung zu seiner früheren
Bescbfifligunff mit allon ihren SchSdlichkeiten zurück, so wird er ja häufig
wieder den letzteren erliegen. Man hat daher mit Recht »Vereine zur Für-
sorge für entlassene Kranke« begründet, denen es obliegt, für die betref-
fenden Kranken sntrigliebe Berafsarten sn besorgen. Es ist dies eine der
schwierigsten socialen Aufgaben, deren ErfQllong von entscheidender Bedeu-
tung: für die gesaramte Frage der LungenheilatStten sein dürfte, da ja nicht
angenommen werden darf, dass mit der einmaligen Aufnahme und Be-
bandlnng in einer Heilstätte die Sorge für den betreffenden Kranken er>
schöpft ist
Noch ein Verhältniss kommt hinzu , welches zu berücksichtigen ist,
die Fürsorge für die Familie des Erkrankten. Monatelang wird der-
selbe aus seiner Arbdt entfernt, so dass er den Lebensunterhalt der An-
gehörigen nicht aufbringen kann. Diese Sorge ist gerade 1)ei den Minder^
und Unbemittelten, für welche die Heilstätten angelegt werden sollen, von
hober Wichtigkeit, da sie das Gcmüth des Patienten bedrückt und so den
Heilungsverlauf beeinträchtigt. Die Versicherungsanstalten sind auch hier
Bur Unterstfitsung der Familien der Erkrankten bereit gewesen. Bedeutungs-
voll erscheint der in Berlin gemachte und oben dargelegte Vorschlag, dass
für Kranke, welche Mitglieder von Krankencassen sind, die Versicherungs-
anstalt die Kosten des Heilverfahrens trägt, während der Betreffende in
dieser Zeit von der Krankencasse sein Krankengeld erhält, welches auf
diese Weise seinen Angehörigen Nutzen schafft.
Der Vorschlag hat bereits in praktischer Hinsicht Früchte getragen.
Die Ortskrankencasse für das Buchdruckgewerbe in Berlin, meines Wissens
die erste in Deutschland, hat ihre Mitglieder benachrichtigt, dass sie, im
Falle ihre Aufnahrae in eine Heilanstalt fär Luogeokraiike seitens der
Alters* und Invaliditätsversicherungsanstalt erfolgt, während der bewilligten
Zeit von der Krankencasse day Krankengeld unverkürzt erhalten
Und wenn die Hausfrau selbst erkrankt ist und dadurch die den
Hausstand besorgende Hand verhindert ist, sich der AusObung ihrer Pflichten,
der Wartung der Kfaider su widmsn, so tritt noch ein anderer Factor ein,
ohne dessen Walten auch in diesem Kampfe ein Vordringen aussichtslos
erscheinen würde. Die Hilfe der Frauen ist eine unentbehrliche ünter-
stfltsung bei dem Feldsuge gegen die Tttberfculose. Schultzkh bat die Auf*
gaben der Frauen und Frauenvereine bei der Bekämpfung der Tnbericulose
in der Dclogirten- Versammlung des vaterländischen Frauenvereines am
31. März 1897 in ansprechender Form geschildert:
»Recht schwer wird natürlich einem solchen Kranken der Entschluss,
einer langwierigen, ihm kaum nSthig erscheinenden Cur willen die Familie
zu verlassen, eine gute Stelle aufzugeben. Auch hier wird belehrender Zu-
spruch. Fürsorge für die Familie eine Verpassung des besten Zeitpunktes
manchmal verhüten können.«
Zur Erleichterung des Besuches der Anstalt wird auf einer Ansah!
von Bahnstrecken in Deutschland den Kranken ermässigter Fahrpreis ge-
wahrt. Dies ist von Bedeutung, aber e-^ muss auch Sorge getragen werden,
dass die Kranken nicht durch ihren Auswurf ihre Mitmenschen benacblheiiigen
können. Auf diese Verhältnisse habe ich ansfQhrlich im Artikel Krank en>
transport aufmerksam gemacht^ auf welehen ich hiermit verweisen möchte.
Die in vorstehenden Zeilen kurz dargelegten Bestrehungen auf dem
Gebiete der Errichtung von Lungenheilstätten sollten die Ziele dieser in
allen civilisirten Ländern ietzt gewaltigen Bewegung veranschaulichen. Die
errungenen Erfolge lassen hoffen, dass es gelingt, langsam, aber sicher auf
dem betretenen Wege der furchtbarsten Volkskrankhelt in wirksamer Welse
entgegenzutreten.
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240
LungenheilatAtten.
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Lnngenicnnke. Referat. Verhandl. d. 17. VersammL d. dentsehen Vereins t. snentl. Oesand-
hcitspflepe in Leipzig'- Braun>*ehwt ii,' IH'.ej — Wasserfubr, Aerztlii le- (;e<ii litspnnkte bei
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in St. Andrea-lM-rt,'. St. Andreasberg IS'.i;?. — Mavi:r, Die Tnln rknl.i-.' lunl di-r« ii lieutige
Behandlaog in Sanatorien and Asylen. Klin. Zeit- und ^trcitfrageu. Vli, lieft 4, 5 und ({.
Wien 1893. — Hospital tor Consnmptioii , Brompton. Keport for tbe Year 1893, 1894. —
Möh ler, Les Sanatoria pour le Traitenient dt- l.i Plitbi'^ii- Brnxelles IS'.i}. — Paitly, Inva-
liditatsanstalten nnd Tuberkulose. Dcutst he >I( «i. Zly. 1S'J4, Xr. 4.'). — S( hmid, Ueber Volks-
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Alland (Verein zur Errichtun;,' und Erhaltung einer klimatischen Heilanstalt für Brustkranke)
für d.t- .l.ilir ]S'.)3, IS'.»,') und IS'.li;. Wien 1S94. IS'.JG un.l l'^'.iT. — v. I.im.kn, l'eS.er die
Versorgung tuberkulöser Kranker seitens grosser Städte. Vortrag auf dem 8. intentat. Congr.
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Lnngenheilfttfttten.
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